Das Geborgene Land, Königreich Idoslan, einstiges Orkreich Toboribor, 6241. Sonnenzyklus, Sommer.


Der Unauslöschliche stand im Schatten des Höhleneingangs. Die Linke hielt den geschwungenen Langbogen, vor ihm steckten zehn mit dünnen Eisendrähten verstärkte Pfeile senkrecht in der verrottenden Leiche eines unvorsichtigen Soldaten, den er vor elf Umläufen erlegt hatte.

Noch ließen sich keine weitere Krieger blicken.

Ich rieche euch. Dreißig Soldaten, vierundzwanzig Männer, sechs Frauen. Sie kauerten hinter den Felsen und beratschlagten, wie sie ohne Verluste in die Höhle gelangten. Es waren Aufklärer, die zu ihnen gesandt wurden, das eigentliche Heer hatte sich darauf beschränkt, einen engen Gürtel um die felsigen Hügel zu ziehen. Als ob ihr mich damit einsperren könntet.

Immer wieder versuchten kleinere leichte Einheiten, in das Innere Toboribors vorzudringen. Vergebens. Niemand gelangte an den Bastarden und an ihm vorbei.

Der Unauslöschliche ärgerte sich. Die Beschaffung des Steines nahm wesentlich mehr Zeit in Anspruch, als er angenommen hatte. Es machte ihn unruhig. Damit verzögerten sich die Abreise und die Gefahr für seine geliebte Schwester. Er war nicht so einfältig zu glauben, dass sich das Heer der Menschen auf Dauer aufhalten ließe. Und stimmte das, was ihm die Bastarde von ihren Reisen zutrugen, gingen merkwürdige Dinge um den versteinerten alten Magus Lot-Ionan vor sich. Damit hatte er überhaupt nicht gerechnet.

Die ersten drei törichten Späher kamen den Hügel hinauf und huschten hintereinander versetzt von Stein zu Stein; dennoch überschnitten sich ihre Wege dabei immer wieder.

»Ihr sollt gemeinsam sterben«, raunte er. Er zog einen schwarzen Pfeil aus dem Kadaver, legte ihn auf die Sehne und zog sie ruckartig nach hinten. Kurz bevor sich die drei Späher wieder auf einer Linie befanden, sandte er das Geschoss gegen sie.

Der Pfeil durchschlug den Hals des ersten, tötete den Mann dahinter und fuhr der nachfolgenden kleineren Frau mit der Spitze ins rechte Auge.

Ihr gellender Schrei rang ihm ein zufriedenes Lächeln ab. Sietaumelte, fiel rückwärts auf den Boden und kroch wimmernd hinter den nächsten Felsbrocken. Niemand aus ihrer Truppe wagte es, zu ihr zu eilen und ihr zu helfen. Sie wussten, dass der Tod auf sie lauerte. Der Unauslöschliche senkte den Bogen und wartete, während er die vielen Banner und Zelte in sicherem Abstand betrachtete. So viele Menschen sind also notwendig, um eine Hand voll Feinde zu besiegen, dachte er verächtlich. Schwaches Volk. Sie haben sich immer nur durch die Hilfe anderer halten können. Er sah, dass zwei Soldaten den Versuch unternahmen, die Verletzte zu bergen. Sie werden früher oder später untergehen. Er nahm den nächsten Pfeil, blies über die feuchte Spitze, an der die Säfte des Leichnams klebten, und bereitete sich auf den Schuss vor. Bedauerlich, dass ich es nicht mit ansehen werde. Ich werde in einhundert Zyklen zurückkehren und schauen, was aus dem Land geworden ist.

Die zwei Krieger gaben sich Mühe, nicht gesehen zu werden. Beinahe wäre es ihnen gelungen, doch der Unauslöschliche machte einen Schritt zur Seite und entdeckte sie. Sie hatten die Verletzte zwischen sich genommen und stützten sie. Genau richtig, um allen dreien den Tod zu schenken.

Er lief aus dem Höhleneingang, sprang auf einen Stein, von dem aus er sein Geschoss schräg zu ihnen schießen konnte, spannte und gab das gefiederte Ende frei. Flieg und raube ihnen die Seele.

Der Pfeil sirrte als schwarzer Blitz durch die Luft und bohrte sich oberhalb der Hüfte durch die drei Soldaten. Durch den Schaft verbunden, stürzten sie. Die Männer schrien ihre Schmerzen hinaus, was wie Musik in den Ohren des Unauslöschlichen war.

Durch den meisterlichen Schuss weckte er den Mut der restlichen Gruppe.

»Da ist er!«, hörte er den wütenden Ruf einer Frau und sah ihren Helm hinter einem Steinvorsprung hervorlugen. »Rasch! Er ist allein und wird uns nicht alle besiegen können! Oder soll sein Morden andauern?« Sie stürmte mit erhobenem Schild und gezücktem Schwert auf ihn zu. Die restlichen vierundzwanzig Krieger folgten ihr, brüllten sich selbst Tapferkeit zu.

Er ließ den Bogen fallen, zog gemächlich seine beiden Schwerter und erwartete sie. Der Ausfall kam ihm gelegen. Er benötigte frisches Blut, um ein neues Bild zu vollenden, das er zu Ehren von Nagsar Inästes Erweckung begonnen hatte. Ihm fehlten die Kräuter aus Dsön Balsur, um das Blut flüssig zu halten, daher bedurfte es stets neuer Farbe.

Er rührte sich nicht, bis sich die erste Linie auf drei Schritte genähert hatte. Zwei aus dem Hintergrund abgefeuerten Pfeilen wich er durch elegante, schnelle Drehungen des Oberkörpers aus, dann drückte er sich ab und warf sich mitten unter sie.

Menschen bewegten sich im Kampf etwas schneller als oder zumindest nicht ganz so klobig wie Orks, was sie trotzdem nicht zu gefährlichen Gegnern machte. Wenigstens nicht diese hier.

Der Unauslöschliche schritt, präzise tödliche Schläge austeilend, zügig zwischen ihnen hindurch und achtete darauf, dass sie sich bei ihren eigenen Angriffen gegen ihn behinderten.

Seine beiden Schwerter verteilten das Sterben großzügig. Das viele Blut floss von den Schneiden, flog davon und bemalte die grauen und schwarzen Steine, zog gerade Linien und Bögen.

Der Unauslöschliche nahm es wahr und begeisterte sich stumm für die ungewohnte Art des zufälligen Malens. Er steigerte die Geschwindigkeit seiner Armbewegungen und erfreute sich an den Mustern aus Blut, die er dabei schuf.

Er richtete die Kriegerinnen und Krieger regelrecht hin. Mit einem Kampf hatte die Metzelei wegen seiner uneinholbaren Überlegenheit nichts zu tun. Verstümmelte Leichen und abgetrennte Gliedmaßen fielen auf die Erde, die erschütternden Schreie schufen einen Chor, den die Menschen bis ins Heereslager vernahmen. Aufregung machte sich dort breit, eine Abteilung der berittenen Einheit saß auf und schickte sich an, zu Hilfe zu eilen.

Die trommelnden Hufe kümmerten den Unauslöschlichen nicht.

Er stand vor der einsamen Soldatin, welche die Einheit zu dem Ausfall angestachelt hatte, eine Schwertspitze gegen sie gereckt. Sie zitterte am ganzen Körper, hatte Waffe und Schild gesenkt; in ihren grünen Augen las er blankes Entsetzen.

»Dein Tod heißt Nagsor Inäste«, sprach er zu ihr, wissend, dass sie ihn nicht verstand. Der Klang seiner Stimme reichte aus, dass sie Schild und Schwert fallen ließ. »Ich töte deinen Körper und deine Seele, damit es nichts mehr von dir gibt.« Er stach ihr durch den Hals, sie verkrampfte sich und packte die Klinge unwillkürlich mit beiden Händen, als könnte sie ihren Untergang aufhalten.

»Vergehe, Sterbliche.« Er zog die Schneide abwärts, durch die Brust hinab bis zum Unterleib. Sie stürzte mit einem Seufzen zu Boden.

Rasch bückte er sich und fing ihr warmes, dunkles Blut, das quellgleich aus dem Hals sprudelte, in ihrem Helm auf. Es würde genügen, um ein gutes Stück am Bild weiterzukommen.

Der Unauslöschliche erhob sich, sah die Reiterei nahen und zog sich in die Höhle zurück. Er hatte keine Zeit, um sich auf einen weiteren Kampf einzulassen. Jetzt nicht. Sonst gerann seine Farbe.

Als er in seine Unterkunft kam, lag ein blutverkrusteter Diamant auf dem Tisch, daneben der bereits verwesende, abgerissene Unterarm eines Unterirdischen. Der goldene Armreif daran wies den Besitzer als hochrangigen Unterirdischen aus, und er hatte zweifelsohne den Diamanten besessen, bis er an einen der Bastarde geraten war. Bei Samusin und Tion! Der Unauslöschliche stellte den Helm auf den Tisch, nahm den Diamanten, rieb das getrocknete Blut ab, das in rostbraunen Krümeln zu Boden fiel. Er hat es geschafft! Er hat mir den Diamanten gebracht!

Für ihn zählte nicht, wer den Stein gefunden und hergebracht hatte. Es würde keine lobenden Worte geben. Für die Bastarde existierten keine anderen Empfindungen als Verachtung und Hass, kein Mitleid wegen der Schmerzen, die ihnen die Maschinen zufügten. Sie existierten nur aus einem Grund: um den Stein für Nagsar Inäste zu beschaffen. Er hatte ihnen sogar verboten, ihn anzusprechen; der Klang ihrer Stimmen machte ihn rasend.

Die rechte Faust umschloss den Diamanten. Sobald sie die Augen öffnet, werden die Bastarde sterben. Entweder schicke ich sie gegen die Menschen, um unsere Flucht zu decken, oder ich bringe ihnen mit meinen eigenen Händen den Tod.

Der Unauslöschliche eilte aus dem Raum, durch die Gänge bis in die Kaverne, in der er seine Schwester zur Ruhe gebettet hatte. Er lief die Stufen hinauf, zog dabei den Helm vom schwarzen Schopf. »Schau, was ich dir bringe«, sagte er freundlich, kniete sich neben sie. »Das Mittel, das dich heilen wird.« Erwartungsvoll legte er den Diamanten in ihre gefalteten Hände und sprach die Formel, die er in der Zeit in dem Schacht unentwegt vor sich hin gedacht hatte. Jede einzelne Silbe wurde exakt betont, der beschwörende, singende Tonfall schwoll an und endete, wie es die Beschreibung in den Aufzeichnungen verlangt hatte. Nichts tat sich.

»Verfluchte Eoil! Was hat sie damit getan?« Er nahm den Diamanten mit den Fingerspitzen auf. »Gehorche mir!«, sprach er zu ihm. »Ich weiß um den Zauber, der mir dein Licht Untertan macht. Die Schriftrollen Dsöns haben mir dein Geheimnis enthüllt! Du darfst dich nicht sträuben.« Er reckte den Stein auf Augenhöhe und wiederholte die düsteren Worte.

Im Innern des Artefakts leuchtete es schwach und widerstrebend; die Facetten des Diamanten brachen das matte Licht und warfen die Reflexe in regelmäßigen Mustern an die Wände und die Decke, auf die Züge von Nagsar Inäste und auf ihn.

»Mein Gott«, flüsterte der Unauslöschliche und verneigte sich vor ihr. »Wie schön du bist, geliebte Schwester!« Er legte den Stein zurück in ihre Hände und berührte ihre Schulter. »Erwache aus deinem Schlaf.« Sie bewegte sich nicht.

»Nagsar Inäste, erhebe dich!«, bat er flehend und näherte sich mit seinem Gesicht dem ihren. Ihre Brust hob und senkte sich kaum merklich, aus ihrer Nase strömte warme Luft - aber sie verharrte steif und wie tot. Der Unauslöschliche starrte den leuchtenden Stein an. »Du benötigst mehr Zeit, ist es das?« Ein Flirren huschte über den Leib der Unauslöschlichen, umspielte den Altar und schnellte in den Diamanten zurück. »Dann sollst du sie bekommen«, sagte er finster, stand auf und stülpte sich den Helm über sein Kopftuch. Er ging rückwärts die Stufen hinab, wandte sich schließlich von seiner Schwester ab und schlug den Weg zur Höhle ein, vor der er die Soldaten getötet hatte. Die Verzögerung gab ihm die Gelegenheit, sein Gemälde zu vollenden.

Der Diamant würde seine heilende Arbeit verrichten, hoffte er. Irgendwie würde er ihm seine Macht entlocken, um sie selbst zu nutzen. Aus der Macht des Lichtes werde ich Dunkelheit erschaffen. Die Elben würden nicht mehr lange im Geborgenen Land existieren. Nötigenfalls enden die Kämpfe um Toboribor erst in Hundert Zyklen. Für mich bedeutet es nicht mehr als einen Wimpernschlag.

Zurück am Eingang an der Oberfläche, sah er, dass zehn Solda 4ten der Reiterei keine vierzig Schritt von ihm entfernt damit beschäftigt waren, die Toten auf einen herbeigeschafften Wagen zu laden. Ihre Pferde warteten geduldig und angebunden an einem Felsen. Sehr aufmerksam von den Menschen. Der Unauslöschliche nahm den Bogen zur Hand und trat an den verrottenden Kadaver, in dem noch acht Pfeile steckten. Das Blut im Helm der Soldatin war sicherlich schon lange geronnen. Die Gelegenheit, sich neues zu beschaffen, stand günstig.

Seine schwarzen Augen richteten sich auf zwei Männer, die eben einen Leichnam an den Armen und Beinen packten. Sobald sie sich aufrichteten, standen sie in einer Linie hintereinander. Zwei auf einen Streich. Er zog einen Pfeil aus der Leiche und legte ihn locker auf die Sehne.


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