›Ender sagt, wenn die Kriegsflotte des Sternenwege-Kongresses uns erreicht, will sie diese Welt vernichten.‹
›Interessant.‹
›Du fürchtest den Tod nicht?‹
›Wir haben nicht vor, noch hier zu sein, wenn sie eintrifft.‹
Qing-jao war nicht mehr das kleine Mädchen, dessen Hände insgeheim geblutet hatten. Von dem Augenblick an, da bewiesen war, daß die Götter zu ihr sprachen, hatte sich ihr Leben verwandelt, und in den zehn Jahren seit diesem Tag hatte sie gelernt, die Stimme der Götter in ihrem Leben und die Rolle, die sie nun in der Gesellschaft einnahm, zu akzeptieren. Sie lernte zu akzeptieren, daß die Privilegien und Ehrungen, die sie erhielt, eigentlich für die Götter bestimmt waren. Wie ihr Vater es sie gelehrt hatte, wurde sie nicht überheblich, sondern bescheidener, während die Götter und die Menschen immer schwerere Lasten auf sie legten.
Sie nahm ihre Pflichten ernst und erfreute sich an ihnen. In den vergangenen zehn Jahren hatte sie harte, erschöpfende Studien absolviert. Ihr Körper war in der Gesellschaft anderer Kinder geformt und trainiert worden – Laufen, Schwimmen, Reiten, Kampf-mit-Schwertern, Kampf-mit-Stöcken, Kampf-mit-Knochen. Gemeinsam mit anderen Kindern wurden ihr etliche Sprachen beigebracht – Stark, die allgemein übliche Sprache der Sterne, die in Computer eingegeben wurde; Alt-Chinesisch, was in der Kehle gesungen und in wundervollen Ideogrammen auf Reispapier oder in feinen Sand gezeichnet wurde; und Neu-Chinesisch, das lediglich mit dem Mund gesprochen und mit einem normalen Alphabet auf gewöhnliches Papier oder in den Boden gekratzt wurde. Außer Qing-jao selbst war niemand überrascht, daß sie all diese Sprachen schneller, leichter und gründlicher lernte als irgendein anderes Kind.
Andere Lehrer kamen allein zu ihr. So wurde sie in Naturwissenschaften und Geschichte, Mathematik und Musik ausgebildet. Und jede Woche begab sie sich zu ihrem Vater und verbrachte einen halben Tag mit ihm, zeigte ihm alles, was sie gelernt hatte, und lauschte, was er dazu sagte. Sein Lob ließ sie den ganzen Rückweg zu ihrem Zimmer tanzen; sein mildester Tadel brachte sie dazu, stundenlang die Linien von Holzmaserungen in ihrem Klassenzimmer mit den Blicken zu verfolgen, bis sie sich wieder würdig fühlte, ihre Studien fortzusetzen.
Ein anderer Teil ihrer Ausbildung war völlig privat. Wie sie selbst gesehen hatte, war Vater so stark, daß er seinen Gehorsam an die Götter zurückstellen konnte. Sie wußte, wenn die Götter ein Reinigungsritual forderten, war der Drang, das Bedürfnis, ihnen zu gehorchen, so stark, daß es nicht verweigert werden konnte. Und doch verweigerte Vater es irgendwie – zumindest lange genug, daß er seine Rituale immer ohne Zeugen durchführen konnte. Qing-jao sehnte sich ebenfalls nach solch einer Kraft, und so brachte sie sich die nötige Disziplin bei, das Ritual zu verzögern. Wenn die Götter sie sich besonders unwürdig fühlen ließen und ihre Blicke nach Holzmaserungen zu suchen anfingen, wartete sie ab und versuchte sich darauf zu konzentrieren, was in diesem Augenblick vor sich ging, um den Gehorsam so weit wie möglich hinauszuschieben.
Zuerst war es schon ein Triumph, wenn es ihr gelang, ihre Reinigung eine volle Minute lang zu verzögern – und als ihr Widerstand brach, bestraften die Götter sie dafür, das Ritual anstrengender und schwieriger als normal gemacht zu haben. Aber sie wollte einfach nicht aufgeben. Sie war Han Fei-tzus Tochter. Und im Verlauf von Jahren lernte sie, was auch ihr Vater gelernt hatte: daß man mit dem Drang leben, ihn oftmals stundenlang bewahren konnte, wie ein helles Feuer, das von durchsichtiger Jade umschlossen wird, ein gefährliches, schreckliches Feuer von den Göttern, das in ihrem Herzen brannte.
Dann, wenn sie allein war, konnte sie das Jadekästchen öffnen und das Feuer herauslassen, nicht mit einer einzigen, schrecklichen Eruption, sondern langsam und allmählich. Es erfüllte sie mit Licht, während sie den Kopf senkte und die Linien auf dem Boden untersuchte, oder während sie sich über das heilige Becken ihrer geheiligten Waschungen beugte und still ihre Hände mit Bimsstein, Lauge und Aloe abrieb.
So wandelte sie die tobenden Stimmen der Götter in ein Beten um. Nur in seltenen Augenblicken plötzlicher Qualen verlor sie die Kontrolle und warf sich vor einem Lehrer oder Besucher auf den Boden. Sie akzeptierte diese Erniedrigungen als die Art der Götter, sie daran zu erinnern, daß ihre Macht über sie, Qing-jao, absolut war, daß sie ihr die übliche Selbstbeherrschung nur zu ihrem eigenen Amüsement gestatteten. Sie war mit dieser alles andere als perfekten Disziplin zufrieden. Schließlich wäre es anmaßend gewesen, eine so perfekte Selbstbeherrschung wie ihr Vater erreichen zu wollen. Seine außergewöhnliche Würde entstammte der Tatsache, daß die Götter ihn ehrten und daher keine öffentlichen Erniedrigungen von ihm verlangten; sie hatte noch nichts getan, um solch eine Ehre zu verdienen.
Und schließlich beinhaltete ihr Unterricht, einen Tag pro Woche dem gewöhnlichen Volk bei seiner rechtschaffenen Arbeit zu helfen. Rechtschaffene Arbeit war natürlich nicht die Arbeit, die das gewöhnliche Volk jeden Tag in den Büros und Fabriken verrichtete. Mit rechtschaffener Arbeit war die Arbeit auf den Reisfeldern gemeint. Jeder Mann und jede Frau auf Weg mußte diese Arbeit leisten, mußte in knietiefem Wasser waten und sich bücken, um den Reis zu pflanzen und zu ernten – oder hätte die Staatsbürgerschaft verloren. »So ehren wir unsere Vorfahren«, hatte Vater ihr erklärt, als sie klein war. »Wir zeigen ihnen, daß sich keiner von uns jemals zu gut sein wird, ihre Arbeit zu verrichten.« Der Reis, der aufgrund der rechtschaffenen Arbeit wuchs, wurde als heilig betrachtet; er wurde in den Tempeln dargeboten und an Feiertagen gegessen, und er wurde in kleinen Schüsseln den Göttern des Haushalts zum Opfer gereicht.
Einmal, als Qing-jao zwölf Jahre alt war, war es schrecklich heiß, und sie wollte ihre Arbeit an einem Forschungsprojekt abschließen. »Ich möchte heute nicht auf die Reisfelder gehen«, sagte sie zu ihrem Lehrer. »Was ist hier tue, ist viel wichtiger.«
Der Lehrer verbeugte sich und ging, doch bald kam Vater in ihr Zimmer. Er hielt ein schweres Schwert in der Hand, und sie schrie vor Schreck auf, als er es über ihren Kopf hob. Wollte er sie töten, weil sie so sakrilegisch gesprochen hatte? Aber er tat ihr nichts – wie hatte sie auch nur einen Augenblick daran denken können? Statt dessen senkte sich das Schwert auf ihr Computerterminal. Die Metallteile verbogen sich; das Plastik zersprang und flog in alle Richtungen davon. Die Maschine war zerstört.
Vater hob die Stimme nicht. Mit dem leisesten Flüstern sagte er: »Zuerst die Götter. Als zweites die Ahnen. Als drittes das Volk. Als viertes die Herrscher. Zuletzt du selbst.«
Das war der klarste Ausdruck des Weges. Das war der Grund, wieso diese Welt überhaupt besiedelt worden war. Sie hatte es vergessen: Wenn sie zu beschäftigt war, um die rechtschaffene Arbeit zu leisten, war sie nicht auf dem Weg.
Sie würde es nie wieder vergessen. Und mit der Zeit lernte sie zu lieben, wie die Sonne auf ihren Rücken brannte, wie das Wasser kühl und trübe um ihre Beine und Hände schwappte, wie die Halme der Reispflanzen wie Finger aus dem Schlamm hinaufgriffen, um sich mit ihren Fingern zu verschlingen. Wenn sie schlammverschmiert in den Reisfeldern arbeitete, fühlte sie sich niemals unrein, denn sie wußte, daß sie im Dienst der Götter schmutzig war.
Schließlich, mit sechzehn Jahren, war ihre Ausbildung beendet. Sie mußte sich nun in der Aufgabe einer erwachsenen Frau beweisen – einer Aufgabe, die so schwierig und wichtig war, daß man sie nur einer Gottberührten anvertrauen konnte.
Sie trat in dessen Zimmer vor den großen Han Fei-tzu. Wie das ihre war es ein großer, offener Raum; wie bei ihr war die Schlafgelegenheit einfach, eine Matratze auf dem Boden; wie bei ihr wurde der Raum von einem Tisch mit einem Computerterminal darauf beherrscht. Sie hatte noch nie das Zimmer ihres Vaters betreten, ohne zu sehen, wie sich etwas auf dem Bildschirm des Terminals bewegte – Diagramme, dreidimensionale Modelle, Realzeit-Simulationen, Wörter. Meist ganz normale Wörter. Buchstaben oder Ideogramme, die auf simulierten Seiten in der Luft trieben, sich vor und zurück bewegten, von einer Seite zur anderen, wenn Vater sie vergleichen mußte.
Bei Qing-jao war der Rest des Zimmers leer; Da Vater keine Maserungslinien auf Holz verfolgte, war bei ihm solche Strenge unnötig. Doch auch so war sein Geschmack einfach. Ein Teppich – aber ohne ein auffälliges Muster. Ein niedriger Tisch, auf dem eine Skulptur stand. Die Wände nackt bis auf ein Gemälde. Und weil sein Zimmer so groß war, wirkte jeder einzelne dieser Gegenstände fast verloren, wie die schwache Stimme von jemandem, der sehr weit entfernt leise weinte.
Die Botschaft, die dieser Raum Besuchern übermitteln sollte, war klar: Han Fei-tzu wählte die Einfachheit. Eins von jedem Gegenstand reichte aus für eine reine Seele.
Die Botschaft an Qing-jao war jedoch ganz anders. Denn sie wußte, was niemand außerhalb des Haushalts begriff: Der Teppich, der Tisch, die Skulptur und das Gemälde wurden jeden Tag ausgetauscht. Und nie in ihrem Leben hatte sie auch nur eins davon wiedererkannt. So lautete die Lektion, die sie lernte: Eine reine Seele darf sich niemals an irgendeinen Gegenstand gewöhnen. Eine reine Seele muß sich jeden Tag neuen Dingen aussetzen.
Da es sich um einen formellen Anlaß handelte, kam sie nicht wie sonst, als er gerade arbeitete, um hinter ihm stehenzubleiben, zu betrachten, was auf dem Bildschirm erschien, und Vermutungen darüber anzustellen, was er gerade tat. Diesmal trat sie in die Mitte des Zimmers und kniete auf dem einfachen Teppich nieder, der von der Farbe eines Rotkehlcheneis war, mit einem kleinen Fleck in einer Ecke. Sie hielt den Blick gesenkt, betrachtete den Fleck nicht einmal, bis sich Vater aus seinem Stuhl erhob und vor sie trat.
»Han Qing-jao«, sagte er. »Laß mich den Sonnenaufgang auf dem Gesicht meiner Tochter sehen.«
Sie hob den Kopf, sah ihn an und lächelte.
Er erwiderte das Lächeln. »Die Aufgabe, die ich dir stellen werde, ist nicht einfach, nicht einmal für einen erfahrenen Erwachsenen«, sagte Vater.
Qing-jao senkte den Kopf. Sie hatte damit gerechnet, daß Vater ihr eine schwierige Herausforderung stellen würde, und war bereit, seinem Willen zu folgen.
»Sieh mich an, meine Qing-jao«, sagte Vater.
Sie hob den Kopf und sah in seine Augen.
»Das wird keine Schulaufgabe sein. Das ist eine Aufgabe aus der echten Welt. Eine Aufgabe, die mir der Sternenwege-Kongreß gegeben hat und von der vielleicht das Schicksal von Nationen und Völkern und Welten abhängt.«
Qing-jao war schon gespannt gewesen, doch nun machte Vater ihr Angst. »Dann mußt du diese Aufgabe jemandem geben, dem du sie anvertrauen kannst, und nicht einem unerfahrenen Kind.«
»Du bist seit Jahren kein Kind mehr, Qing-jao. Bist du bereit, deine Aufgabe zu hören?«
»Ja, Vater.«
»Was weißt du von der Lusitania-Flotte?«
»Soll ich dir alles sagen, was ich darüber weiß?«
»Sage mir alles, was du für wichtig hältst.«
Das war eine Art Prüfung. Er wollte sehen, ob sie bei dem, was sie über ein bestimmtes Thema wußte, das Wichtige von dem Unwichtigen unterscheiden konnte.
»Die Flotte wurde ausgeschickt, um eine rebellische Kolonie auf Lusitania zu unterwerfen, wo das Gesetz über die Nichteinmischung in die Belange der einzigen bekannten außerirdischen Spezies trotzig gebrochen wurde.«
Reichte das? Nein, Vater wartete noch immer.
»Von Anfang an gab es eine Kontroverse«, fuhr sie fort. »Essays, die einer Person namens Demosthenes zugeschrieben werden, sorgten für Probleme.«
»Was genau für Probleme?«
»Demosthenes warnte die Kolonien, die Lusitania-Flotte sei ein gefährlicher Präzedenzfall – es sei nur eine Frage der Zeit, bevor der Sternenwege-Kongreß Gewalt einsetze, um auch ihren Gehorsam zu erzwingen. Auf katholischen Welten und vor katholischen Minderheiten überall behauptete Demosthenes, der Kongreß versuche, den Bischof von Lusitania zu bestrafen, weil er Missionare zu den Schweinchen geschickt habe, um ihre Seelen vor der Hölle zu retten. Die Wissenschaftler warnte Demosthenes, die Prinzipien der unabhängigen Forschung stünden auf dem Spiel – eine ganze Welt sei einem militärischen Angriff ausgesetzt, weil sie es gewagt hatte, das Urteil der Wissenschaftler vor Ort dem von viele Lichtjahre entfernten Bürokraten vorzuziehen. Und allen anderen gegenüber behauptete Demosthenes, die Lusitania-Flotte sei mit dem Molekular-Detechier-Gerät ausgerüstet. Das ist natürlich eine offensichtliche Lüge, doch einige haben sie geglaubt.«
»Wie einflußreich waren diese Essays?« fragte Vater.
»Das weiß ich nicht.«
»Sie hatten sehr großen Einfluß«, sagte Vater. »Vor fünfzehn Jahren waren die ersten Essays auf den Kolonien so wirksam, daß sie fast eine Revolution verursacht haben.«
Beinahe eine Revolution auf den Kolonien? Vor fünfzehn Jahren? Qing-jao wußte nur von einem solchen Vorfall, hatte jedoch niemals begriffen, daß er etwas mit Demosthenes' Essays zu tun hatte. Sie errötete. »Das war zur Zeit der Kolonie-Charta – dein erster großer Vertrag.«
»Es war nicht mein Vertrag«, sagte Han Fei-tzu. »Es war ein Vertrag gleichermaßen zwischen dem Kongreß und den Kolonien. Wegen ihm wurde ein schrecklicher Konflikt vermieden. Und die Lusitania-Flotte setzt ihre große Mission fort.«
»Du hast jedes Wort des Vertrags geschrieben, Vater.«
»Dabei drückte ich lediglich die Wünsche und Begehren aus, die sich bereits in den Herzen der Menschen auf beiden Seiten des Abkommens befanden. Ich war nur der Schriftführer.«
Qing-jao neigte den Kopf. Sie kannte die Wahrheit, wie alle anderen auch. Es war der Anfang von Han Fei-tzus Ruhm gewesen, denn er hatte nicht nur den Vertrag geschrieben, sondern auch beide Seiten überzeugt, ihn fast ohne Änderungen zu akzeptieren. Danach war Han Fei-tzu einer der vertrauenswürdigsten Ratgeber des Kongresses geworden; täglich trafen Botschaften von den größten Männern und Frauen aller Welten ein. Falls er sich bei diesem großen Unternehmen lediglich als Schriftführer bezeichnete, dann nur, weil er ein Mann von großer Bescheidenheit war. Qing-jao wußte ebenfalls, daß Mutter schon im Sterben gelegen hatte, als Vater diese Aufgabe bewältigte. Solch ein Mann war ihr Vater – er vernachlässigte weder seine Frau noch seine Pflicht. Mutters Leben hatte er nicht retten können, dafür aber die der Menschen, die sonst im Krieg gestorben wären.
»Qing-jao, warum sagst du, es sei eine offensichtliche Lüge, daß die Flotte mit dem M.D.-Gerät ausgerüstet ist?«
»Weil… weil das ungeheuerlich wäre. Es wäre wie Ender der Xenozide, der eine ganze Welt vernichtet. Soviel Macht hat kein Recht, in diesem Universum zu existieren, und auch keinen Grund.«
»Wer hat dich das gelehrt?«
»Der Anstand«, sagte Qing-jao. »Die Götter haben die Sterne und alle Planeten geschaffen – wer ist der Mensch, daß er ihre Schöpfung zerstört?«
»Aber die Götter haben auch die Naturgesetze geschaffen, die es ermöglichen, sie zu vernichten – wer ist der Mensch, daß er sich weigert, die Geschenke der Götter anzunehmen?«
Qing-jao schwieg verblüfft. Sie hatte nie gehört, daß Vater irgendeinen Aspekt des Krieges verteidigte – er verabscheute den Krieg in jeder Form.
»Ich frage dich erneut – wer hat dich gelehrt, daß soviel Macht kein Recht oder keinen Grund hat, im Universum zu existieren?«
»Das ist meine eigene Idee.«
»Aber dieser Satz war ein wortwörtliches Zitat.«
»Ja. Von Demosthenes. Doch wenn ich an eine Idee glaube, wird sie zu meiner eigenen. Du hast mich das gelehrt.«
»Du mußt darauf achten, alle Konsequenzen einer Vorstellung zu verstehen, bevor du an sie glaubst.«
»Der Kleine Doktor darf niemals gegen Lusitania eingesetzt werden; also hätte man ihn gar nicht erst ausschicken sollen.«
Han Fei-tzu nickte ernst. »Woher weißt du, daß er niemals eingesetzt werden darf?«
»Weil er die Schweinchen vernichten würde, ein junges und wunderschönes Volk, das bestrebt ist, sein Potential als vernunftbegabte Spezies zu erfüllen.«
»Noch ein Zitat.«
»Vater, hast du Menschs Leben gelesen?«
»Ja.«
»Wie kannst du dann bezweifeln, daß die Pequeninos erhalten werden müssen?«
»Ich habe gesagt, ich habe Menschs Leben gelesen. Nicht, daß ich daran glaube.«
»Du glaubst nicht daran?«
»Weder glaube ich es, noch glaube ich es nicht. Das Buch erschien erstmals, nachdem der Verkürzer auf Lusitania zerstört worden war. Daher ist es möglich, das das Buch nicht von dort stammt, und wenn es nicht von dort stammt, könnte es reine Literatur sein. Das scheint besonders wahrscheinlich, weil es mit ›Sprecher für die Toten‹ gezeichnet ist, derselbe Name, unter dem Die Schwarmkönigin und Der Hegemon erschienen, und diese Bücher sind tausende Jahre alt. Jemand hat offensichtlich versucht, Kapital aus der Ehrfurcht zu schlagen, die die Menschen diesen uralten Werken entgegenbringen.«
»Ich glaube, daß Menschs Leben wahr ist.«
»Das steht dir frei, Qing-jao. Aber warum glaubst du das?«
Weil es wahr klang, als sie es gelesen hatte. Konnte sie das Vater sagen? Ja, sie konnte alles sagen. »Weil ich das Gefühl hatte, es müsse wahr sein, als ich es las.«
»Ich verstehe.«
»Nun weißt du, daß ich töricht bin.«
»Im Gegenteil. Ich weiß, daß du weise bist. Wenn du eine wahre Geschichte hörst, reagiert ein Teil von dir darauf,' egal, welche Form sie hat, wie offenkundig sie zu sein scheint. Wenn du die Wahrheit liebst, kann sie ruhig unbeholfen erzählt sein, und sie wird dir trotzdem gefallen. Mag sie auch an den Haaren herbeigezogen sein, du wirst die Wahrheit, die darin ist, trotzdem glauben, denn du kannst die Wahrheit nicht bestreiten, ganz gleich, wie schäbig sie gekleidet ist.«
»Und wieso glaubst du dann nicht an Menschs Leben?«
»Ich habe mich undeutlich ausgedrückt. Wir benutzen zwei verschiedene Bedeutungen der Worte Wahrheit und Glauben. Du glaubst, daß die Geschichte wahr ist, weil du mit diesem Gefühl der Wahrheit tief in dir darauf reagierst. Doch dieses Gefühl der Wahrheit betrifft nicht den Tatsachengehalt einer Geschichte – ob sie wortwörtlich ein echtes Ereignis in der echten Welt beschreibt. Dein inneres Wahrheitsgefühl reagiert auf die Ursächlichkeit einer Geschichte – ob sie wahrheitsgetreu zeigt, wie das Universum funktioniert, wie die Götter ihren Willen unter den Menschen durchsetzen.«
Qing-jao dachte nur kurz nach und nickte dann. »Also ist Menschs Leben vielleicht universell wahr, aber in Einzelheiten falsch.«
»Ja«, sagte Han Fei-tzu. »Du kannst das Buch lesen und große Weisheit daraus ziehen, weil es wahr ist. Aber bietet dieses Buch eine genaue Beschreibung der Schweinchen selbst? Das kann man nur schwer glauben – eine Säugetierspezies, die sich in einen Baum verwandelt, wenn sie stirbt? Als Dichtung wunderschön. Als Wissenschaft lächerlich.«
»Aber woher willst du das wissen, Vater?«
»Nein, ich kann mir nicht sicher sein. Die Natur hat viele seltsame Dinge vollbracht, und es besteht die Möglichkeit, daß Menschs Leben echt und wahr ist. Daher glaube ich weder daran, noch bezweifle ich es. Ich lasse es in der Schwebe verharren. Ich warte. Doch während ich warte, rechne ich nicht damit, daß der Kongreß Lusitania behandelt, als sei der Planet mit den Geschöpfen aus Menschs Leben bevölkert. Nach allem, was wir wissen, könnten die Pequeninos eine tödliche Gefahr für uns darstellen. Es sind schließlich Außerirdische.«
»Ramänner.«
»In der Geschichte. Doch wir wissen nicht, ob sie Ramänner oder Varelse sind. Die Flotte hat den Kleinen Doktor dabei, weil er nötig sein könnte, um der Menschheit eine unaussprechliche Gefahr zu ersparen. Die Entscheidung, ob er eingesetzt werden soll, fällt nicht uns zu, sondern dem Kongreß. Und nicht wir mußten entscheiden, ob er mitgeschickt werden sollte, sondern der Kongreß. Und mit Sicherheit obliegt nicht uns die Entscheidung, ob es ihn geben sollte – die Götter selbst haben entschieden, daß solch ein Ding möglich ist und existieren kann.«
»Also hatte Demosthenes recht. Die Flotte hat das M.D.Gerät dabei.«
»Ja.«
»Und die Regierungsakten, die Demosthenes veröffentlicht hat – sie waren echt.«
»Ja.«
»Aber, Vater – du hast wie viele andere auch behauptet, es seien Fälschungen.«
»Genau, wie die Götter nur zu einigen Auserwählten sprechen, müssen die Geheimnisse der Herrscher nur denjenigen bekannt sein, die ihr Wissen richtig benutzen. Demosthenes hat mächtige Geheimnisse an Menschen verraten, die nicht imstande waren, sie klug zu benutzen, und so mußten diese Geheimnisse zum Besten des Volkes zurückgezogen werden. Die einzige Möglichkeit, ein einmal bekanntes Geheimnis zu bewahren, besteht darin, es durch eine Lüge zu ersetzen; dann ist das Wissen um die Wahrheit erneut dein Geheimnis.«
»Du behauptest, daß Demosthenes nicht gelogen hat, der Kongreß aber doch.«
»Ich behaupte, daß Demosthenes der Feind der Götter ist. Ein weiser Herrscher hätte niemals die Lusitania-Flotte ausgeschickt, ohne ihr die Möglichkeit zu geben, auf jede Entwicklung zu reagieren. Doch Demosthenes hat sein wissen, daß die Flotte mit dem Kleinen Doktor ausgestattet ist, zu dem Versuch benutzt, den Kongreß zum Rückzug der Flotte zu zwingen. Also will er denen, die von den Göttern beauftragt wurden, die Menschheit zu beherrschen, die Macht aus den Händen nehmen. Was würde mit dem Volk passieren, wenn es die Herrscher zurückwiese, die die Götter ihm gegeben haben?«
»Chaos und Leid«, sagte Qing-jao. Die Geschichten war voller Zeiten des Chaos und Leids, bis die Götter starke Herrscher und Institutionen schickten, um die Ordnung zu bewahren.
»Also hat Demosthenes über den Chirurg die Wahrheit gesagt. Glaubst du, die Feinde der Götter könnten niemals die Wahrheit sprechen? Ich wünschte, es wäre so. Dann könnte man sie viel leichter identifizieren.«
»Wenn wir im Dienst der Götter lügen können… welche anderen Verbrechen können wir dann noch begehen?«
»Was ist ein Verbrechen?«
»Eine Tat, die gegen das Gesetz verstößt.«
»Gegen welches Gesetz?«
»Ich verstehe – der Kongreß macht das Gesetz, also ist das Gesetz das, was der Kongreß sagt. Aber der Kongreß besteht aus Männern und Frauen, die Gutes und Böses tun können.«
»Du näherst dich der Wahrheit. Wir können im Dienst des Kongresses keine Verbrechen begehen, weil der Kongreß die Gesetze macht. Doch wenn der Kongreß jemals böse werden würde, könnten auch wir Böses tun, indem wir ihm gehorchen. Das ist eine Frage des Gewissens. Doch wenn dies geschähe, würde der Kongreß mit Sicherheit das Mandat des Himmels verlieren. Und wir Gottberührte müßten nicht wie andere warten und uns Gedanken um das Mandat des Himmels machen. Wenn der Kongreß das Mandat der Götter verlöre, würden wir es sofort wissen.«
»Also hast du für den Kongreß gelogen, weil der Kongreß das Mandat des Himmels hat.«
»Und daher weiß ich, daß es der Wille der Götter zum Guten des Volkes war, ihnen zu helfen, ihr Geheimnis zu bewahren.«
Qing-jao hatte noch nie in diesen Begriffen vom Kongreß gedacht. Alle Geschichtsbücher, die sie gelesen hatte, stellten den Kongreß als den großen Einiger der Menschheit dar, und den Schulbüchern zufolge waren all seine Handlungen edel. Doch nun begriff sie, daß einige seiner Taten vielleicht nicht gut zu sein schienen. Doch das bedeutete nicht unbedingt, daß sie nicht gut waren. »Dann muß ich von den Göttern erfahren, ob der Wille des Kongresses auch ihr Wille ist«, sagte sie.
»Wirst du das tun?« fragte Han Fei-tzu. »Wirst du dem Willen des Kongresses gehorchen, selbst wenn er falsch zu sein scheint, solange der Kongreß das Mandat des Himmels hat?«
»Bittest du mich um meinen Eid?«
»Ja.«
»Dann werde ich gehorchen, solange er das Mandat des Himmels hat.«
»Ich mußte dir diesen Eid abverlangen, um die Sicherheitsbestimmungen des Kongresses zu erfüllen«, sagte er. »Ohne ihn hätte ich dir deine Aufgabe nicht stellen können.« Er räusperte sich. »Doch nun muß ich noch einen Eid von dir verlangen.«
»Ich gebe ihn, wenn ich kann.«
»Dieser Eid ist von – ist aus einer großen Liebe entstanden. Han Qing-jao, wirst du den Göttern bei allen Dingen, auf allen Wegen, dein ganzes Leben lang dienen?«
»Vater, dafür brauchen wir keinen Eid. Haben die Götter mich nicht bereits auserwählt und mit ihrer Stimme geführt?«
»Nichtsdestotrotz verlange ich diesen Eid von dir.«
»Ich werde den Göttern immer dienen, bei allen Dingen, auf allen Wegen.«
Zu ihrer Überraschung kniete Vater vor ihr nieder und nahm ihre Hände in die seinen. Tränen strömten seine Wangen hinab. »Du hast die schwerste Last von meinem Herzen genommen, die sich jemals darauf befunden hat.«
»Wie habe ich dies getan, Vater?«
»Bevor deine Mutter starb, bat sie mich um mein Versprechen. Sie sagte, da ihr ganzes Wesen von ihrer Hingabe an die Götter bestimmt werde, könne ich dir nur helfen, sie kennenzulernen, indem ich dich lehrte, ebenfalls den Göttern zu dienen. Mein Leben lang habe ich befürchtet, daß es mir nicht gelingen könnte, daß du dich von den Göttern abwenden würdest. Daß du sie vielleicht sogar einmal hassen würdest. Oder daß du dich ihrer Stimme nicht als würdig erweisen würdest.«
Diese Worte trafen Qing-jao tief. Sie war sich immer ihrer tiefen Unwürdigkeit vor den Göttern bewußt, ihrer Schmutzigkeit vor ihrem Anblick – selbst wenn sie nicht von ihr verlangten, Linien von Holzmaserungen zu beobachten oder zu verfolgen. Erst jetzt erfuhr sie, was auf dem Spiel stand: die Liebe ihrer Mutter für sie.
»All meine Ängste sind nun von mir gewichen. Du bist eine perfekte Tochter, meine Qing-jao. Du hast den Göttern bereits gut gedient. Und nun, nachdem du den Eid geleistet hast, kann ich sicher sein, daß du ihnen auf ewig dienen wirst. Das wird große Freude in dem Haus im Himmel hervorrufen, in dem deine Mutter wohnt.«
Ach ja? Im Himmel kennen sie meine Schwächen. Du, Vater, du siehst nur, daß die Götter noch nicht enttäuscht habe. Mutter hingegen muß wissen, wie oft ich beinahe versagt hätte, wie schmutzig ich bin, wann immer die Götter zu mir hinabschauen.
Doch er schien so voller Freude zu sein, daß sie es nicht wagte, ihm zu zeigen, wie sehr sie den Tag fürchtete, da ihre Unwürdigkeit von allen bemerkt werden würde. Also umarmte sie ihn.
Doch sie konnte nicht anders, sie mußte ihn einfach fragen: »Vater, glaubst du wirklich, Mutter hat gehört, daß ich diesen Eid geleistet habe?«
»Ich hoffe es«, sagte Han Fei-tzu. »Wenn nicht, werden die Götter sicher das Echo aufbewahren, in eine Muschel geben und es sie hören lassen, wann immer sie sie an ihr Ohr hält.«
Diese Art Geschichten zu erzählen war ein Spiel, das sie gespielt hatten, als sie noch klein gewesen war. Qing-jao vergaß ihr Entsetzen und ließ sich schnell eine Antwort einfallen. »Nein, die Götter werden das Gefühl unserer Umarmung bewahren und es in einen Schal weben, den sie um die Schultern legen kann, wenn im Himmel der Winter einzieht.« Sie war jedenfalls erleichtert, daß Vater nicht ja gesagt hatte. Er hoffte nur, daß Mutter den Eid, den sie geleistet hatte, gehört hatte. Vielleicht hatte sie ihn aber auch nicht gehört – und dann würde sie nicht so enttäuscht sein, wenn ihre Tochter scheiterte.
Vater küßte sie und erhob sich dann. »Jetzt kannst du deine Aufgabe hören«, sagte er.
Er nahm sie an der Hand und führte sie zu seinem Tisch. Sie stand neben ihm, als er sich auf seinen Stuhl setzte; stehend war sie nicht viel größer als er sitzend. Wahrscheinlich hatte sie noch nicht ihre volle Größe erreicht, doch sie hoffte, daß sie nicht mehr viel wachsen würde. Sie wollte nicht eine dieser großen, massigen Frauen werden, die auf den Feldern schwere Lasten schleppten. Lieber eine Maus als ein Schwein sein, das hatte Mu-pao ihr vor Jahren gesagt.
Vater rief eine Sternenkarte auf den Bildschirm auf. Sie erkannte die Region sofort. Den Mittelpunkt bildete das Sonnensystem von Lusitania, wenngleich der Maßstab zu klein war, als daß man einzelne Planeten hätte ausmachen können. »Lusitania in der Mitte«, sagte sie.
Vater nickte. Er gab ein paar weitere Befehle ein. »Achte genau darauf«, sagte er. »Nicht auf den Bildschirm, sondern auf meine Finger. Das ist gemeinsam mit deiner Stimmidentifikation das Paßwort, das dir Zugang zu den Informationen verschaffen wird, die du brauchen wirst.«
Sie beobachtete, wie er das Paßwort eingab – 4Bande – und begriff die Anspielung sofort. Die Vorfahrin-des-Herzens ihrer Mutter war Jiang-Qing gewesen, die Witwe des ersten kommunistischen Kaisers Mao Ze-dong. Als Jiang-Qing und ihre Verbündeten aus der Macht gejagt wurden, bezeichnete die Verschwörung der Feiglinge sie mit dem Namen ›Viererbande‹. Qing-jaos Mutter war eine wahre Tochter-des-Herzens dieser großen Märtyrerin der Vergangenheit gewesen. Und nun würde Qing-jao der Vorfahrin-des-Herzens ihrer Mutter jedesmal, wenn sie den Zugangskode tippte, weitere Ehre erweisen können. Es war großzügig von ihrem Vater, dieses Paßwort gewählt zu haben.
Auf dem Display erschienen zahlreiche grüne Punkte. Sie zählte sie schnell, fast ohne nachzudenken: Es waren neunzehn, einige davon in einiger Entfernung von Lusitania zusammengezogen, den Planeten jedoch in alle Richtungen einkreisend.
»Ist das die Lusitania-Flotte?«
»Das war ihre Position vor fünf Monaten.« Er gab einen weiteren Befehl ein. Die grünen Punkte verschwanden allesamt. »Und das ist ihre heutige Position.«
Sie suchte nach den Schiffen, konnte aber nirgendwo einen grünen Punkt finden. Und doch erwartete Vater eindeutig, daß sie irgend etwas sah. »Sind sie bereits bei Lusitania?«
»Die Schiffe sind da, wo du sie siehst«, sagte Vater. »Vor fünf Monaten ist die Flotte verschwunden.«
»Wo ist sie?«
»Das weiß niemand.«
»War es eine Meuterei?«
»Das weiß niemand.«
»Die ganze Flotte?«
»Jedes einzelne Schiff.«
»Was meinst du, wenn du sagst, sie sei verschwunden?«
Vater bedachte sie mit einem Lächeln. »Gut gemacht, Qing-jao. Du hast die richtige Frage gestellt. Niemand hat sie gesehen – alle Schiffe waren tief im All. Also sind sie nicht physisch verschwunden. Soweit wir wissen, bewegen sie sich vielleicht noch auf ihrem ursprünglichen Kurs. Sie sind nur in dem Sinn verschwunden, daß wir jeden Kontakt mit ihnen verloren haben.«
»Die Verkürzer?«
»Sind verstummt. Alle innerhalb von drei Minuten. Es wurde keine Sendung unterbrochen. Die eine endete, und die nächste – kam nie.«
»Alle Schiffsverbindungen mit jedem planetaren Verkürzer? Das ist unmöglich. Selbst eine Explosion, falls es eine so große geben könnte… doch es kann sich jedenfalls nicht um ein einziges Ereignis handeln, weil sie sich so weit um Lusitania verstreut hatten.«
»Nun, es könnte doch so gewesen sein, Qing-jao. Solch eine Katastrophe wäre vorstellbar – Lusitanias Stern könnte zu einer Supernova geworden sein. Es würde Jahrzehnte dauern, bis wir selbst auf den nahegelegensten Welten den Blitz sehen. Das Problem ist, daß es sich um die unwahrscheinlichste Supernova in der Geschichte handelte – nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich.«
»Und es hätte einige Vorwarnungen gegeben. Einige Veränderungen des Sterns. Haben die Schiffsinstrumente nichts entdeckt?«
»Nein. Deshalb sind wir ja der Meinung, daß es sich nicht um irgendein bekanntes astronomisches Phänomen handelt. Die Wissenschaftler können es sich einfach nicht erklären. Also haben wir herauszufinden versucht, ob es sich um Sabotage handelt. Wir haben nach Manipulationen der Verkürzer-Computer geforscht. Wir sind alle Personalakten jedes einzelnen Schiffes durchgegangen und haben nach einer möglichen Verschwörung unter den Schiffsbesatzungen gesucht. Wir haben eine Kryptoanalyse jeder Nachricht von jedem einzelnen Schiff vorgenommen und nach versteckten Mitteilungen unter den Verschwörern gesucht. Das Militär und die Regierung haben alles analysiert, was sich nur analysieren läßt. Die Polizei auf jedem Planeten hat Untersuchungen vorgenommen – wir haben den Hintergrund eines jeden Verkürzer-Bedieners durchleuchtet.«
»Obwohl keine Nachrichten mehr geschickt werden, sind die Verkürzer noch miteinander verbunden?«
»Was glaubst du?«
Qing-jao errötete. »Natürlich sind sie das noch, selbst wenn ein M.D.-Gerät gegen die Flotte eingesetzt worden sein sollte, weil die Verkürzer durch Fragmente subatomarer Partikel miteinander verbunden sind. Sie wären noch immer da, auch wenn das ganze Sternenschiff zu Staub zerblasen sein würde.«
»Es muß dir nicht peinlich sein, Qing-jao. Die Weisen sind nicht weise, weil sie keine Fehler machen. Sie sind weise, weil sie ihre Fehler korrigieren, sobald sie sie erkannt haben.«
Doch Qing-jao errötete nun aus einem anderen Grund. Das heiße Blut pochte in ihrem Kopf, weil ihr gerade aufgegangen war, wie Vaters Aufgabe für sie aussehen würde. Aber das war unmöglich. Er konnte ihr keinen Auftrag geben, bei dem tausend weisere, ältere Menschen schon gescheitert waren.
»Vater«, flüsterte sie, »was ist meine Aufgabe?« Sie hoffte noch immer, daß es sich um irgendein kleineres Problem handelte, das mit dem Verschwinden der Flotte zusammenhing. Doch noch bevor er sprach, wußte sie, daß ihre Hoffnung vergeblich war.
»Du mußt jede mögliche Erklärung für das Verschwinden der Flotte herausfinden«, sagte er, »und berechnen, wie wahrscheinlich davon eine jede ist. Der Sternenwege-Kongreß muß sagen können, wie das geschehen ist, und sicherstellen, daß es nie wieder geschehen wird.«
»Aber Vater«, sagte Qing-jao, »ich bin erst sechzehn. Gibt es nicht viele andere, die klüger als ich sind?«
»Vielleicht sind sie alle zu klug für diese Aufgabe«, sagte er. »Aber du bist jung genug, um dich nicht für weise zu halten. Du bist jung genug, um unmögliche Dinge zu denken und herauszufinden, warum sie vielleicht doch möglich sind. Vor allem sprechen die Götter mit außergewöhnlicher Klarheit zu dir, mein brillantes Kind, meine ›Strahlend Helle‹.«
Das war es, wovor sie Angst hatte – daß Vater von ihr erwartete, Erfolg zu haben, weil ihr die Gunst der Götter galt. Er begriff nicht, für wie unwürdig die Götter sie hielten, wie wenig sie sie mochten.
Und da war noch ein Problem. »Was geschieht, wenn ich Erfolg habe, wenn ich herausfinde, wo die Lusitania-Flotte ist, und die Kommunikation wiederherstelle? Wäre es dann nicht meine Schuld, wenn die Flotte Lusitania vernichtete?«
»Es ist gut, daß dein erster Gedanke dem Volk von Lusitania gilt. Ich versichere dir, der Sternenwege-Kongreß hat versprochen, das M.D.-Gerät nur einzusetzen, wenn es sich als absolut unvermeidlich erweist, und das ist so unwahrscheinlich, daß es ich mir einfach nicht vorstellen kann. Doch selbst, wenn es so kommen sollte, obliegt dem Kongreß die Entscheidung. Wie mein Vorfahre-des-Herzens sagte: ›Obwohl die Bestrafung des Weisen leicht sein kann, liegt dies nicht an seiner Hingabe; obwohl seine Strafbestimmungen schwer sein können, liegt dies nicht an seiner Grausamkeit; er folgt einfach dem Brauch gemäß der Zeit. Die Umstände ändern sich gemäß der Epoche, und die Möglichkeiten, sich mit ihnen zu befassen, ändern sich mit den Umständen.‹ Du kannst dir sicher sein, daß sich der Sternenwege-Kongreß mit Lusitania befassen wird, nicht freundlich oder grausam, sondern so, wie es zum Wohl der gesamten Menschheit notwendig ist. Deshalb dienen wir den Herrschern: weil sie dem Volk dienen, die den Ahnen dienen, die den Göttern dienen.«
»Vater, es war unwürdig, auch nur einen anderen Gedanken zu hegen«, sagte Qing-jao. Sie fühlte jetzt, wie schmutzig sie war, anstatt nur davon zu wissen. Sie mußte sich die Hände waschen. Sie mußte die Linie einer Holzmaserung verfolgen. Doch sie unterdrückte den Drang. Sie würde warten.
Was auch immer ich tue, dachte sie, es wird schreckliche Konsequenzen haben. Wenn ich versage, wird Vater die Ehre vor dem Kongreß und demzufolge vor der gesamten Welt Weg verlieren. Das würde vielen beweisen, daß Vater nicht würdig ist, nach seinem Tod zum Gott von Weg erwählt zu werden.
Doch wenn ich Erfolg habe, könnte das Ergebnis der Xenozid sein. Obwohl die Wahl dem Kongreß unterliegt, würde ich dennoch wissen, daß ich es erst ermöglicht habe. Die Verantwortung fiele zum Teil mir zu. Ganz gleich, was ich tue, das Scheitern erwartet mich, und die Unwürdigkeit wird mich besudeln.
Dann sprach Vater zu ihr, als hätten die Götter ihm ihr Herz offenbart. »Ja, du warst unwürdig«, sagte er, »und du setzt diese Unwürdigkeit selbst jetzt noch in deinen Gedanken fort.«
Qing-jao errötete und senkte den Kopf. Sie schämte sich, nicht weil ihre Gedanken für ihren Vater so leicht zu lesen waren, sondern weil sie überhaupt solch ungehorsame Gedanken gehabt hatte.
Vater berührte mit der Hand sanft ihre Schulter. »Aber ich glaube, die Götter werden dich würdig machen«, sagte er. »Der Sternenwege-Kongreß hat das Mandat des Himmels, doch du bist ebenfalls auserwählt, deinen eigenen Weg zu gehen. Du kannst mit dieser großen Aufgabe Erfolg haben. Willst du es versuchen?«
»Ich werde es versuchen.« Ich werde auch versagen, doch das wird niemanden überraschen, am wenigsten die Götter, die meine Unwürdigkeit kennen.
»Alle Archivdateien stehen für deine Suche offen, wenn du deinen Namen sagst und das Paßwort eingibt. Laß es mich wissen, wenn du Hilfe brauchst.«
Sie verließ Vaters Raum mit Würde und zwang sich, langsam die Treppe zu ihrem Zimmer hinaufzugehen. Erst nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, warf sie sich auf die Knie und kroch über den Boden. Sie verfolgte die Linien der Holzmaserung, bis sie kaum noch sehen konnte. Ihre Unwürdigkeit war so groß, daß sie sich selbst danach nicht ganz sauber fühlte; sie ging ins Badezimmer und schrubbte sich die Hände ab, bis sie wußte, daß die Götter zufrieden waren. Zweimal wollten die Diener sie stören, indem sie Mahlzeiten oder Nachrichten brachten, doch als sie sahen, daß die Götter zu ihr sprachen, verbeugten sie sich und entfernten sich leise.
Nicht das Waschen ihrer Hände reinigte sie schließlich. Erst in dem Augenblick, da sie den letzten Zweifel der Unsicherheit aus ihrem Herzen vertrieb, wurde sie sauber. Der Sternenwege-Kongreß hatte das Mandat des Himmels. Sie mußte sich von allen Zweifeln befreien. Was auch immer er mit der Lusitania-Flotte vorhatte, es war sicherlich der Wille der Götter, daß es geschah. Daher war es ihre Pflicht, dem Kongreß bei der Ausführung zu helfen. Und wenn sie tatsächlich dem Willen der Götter folgte, würde es ihr einen Weg eröffnen, das Problem zu lösen, das man ihr gestellt hatte. Jedesmal, wenn sie etwas anderes dachte, jedesmal, wenn ihr Demosthenes' Worte wieder in den Sinn kamen, mußte sie sie ausmerzen, indem sie sich daran erinnerte, daß sie den Herrschern gehorchte, die das Mandat des Himmels hatten.
Als ihr Verstand sich wieder beruhigt hatte, waren ihre Handflächen roh und aufgesprungen und blutig. So erhebt sich mein Verständnis von der Wahrheit, sagte sie sich. Wenn ich genug von meiner Sterblichkeit abwasche, wird die Wahrheit der Götter nach oben streben, dem Licht entgegen.
Endlich war sie sauber. Es war schon spät, und ihre Augen waren müde. Dennoch setzte sie sich an ihr Terminal und begann mit der Arbeit. »Zeige mir die Zusammenfassung aller Nachforschungen, die bislang über das Verschwinden der Lusitania-Flotte betrieben wurden«, sagte sie, »und fange mit den neuesten an.« Fast augenblicklich erschienen in der Luft über ihrem Terminal Buchstaben; Seite um Seite reihten sie sich auf, wie Soldaten, die an die Front marschierten. Sie las eine Seite, rollte sie dann nach oben und holte damit die nachfolgende heran. Sieben Stunden las sie, bis sie nicht mehr lesen konnte; dann schlief sie vor dem Terminal ein.
Jane beobachtet alles. Sie kann gleichzeitig eine Million Aufgaben erledigen und tausend Dinge tun. Diese beiden Fähigkeiten sind nicht unendlich, aber um so vieles größer als unsere armselige Fähigkeit, an eine Sache zu denken, während wir eine andere erledigen, daß man sie fast als unendlich bezeichnen könnte. Sie hat jedoch eine Sinnesbeschränkung, die wir nicht haben; oder vielmehr, wir sind ihre größte Beschränkung. Sie sieht und weiß nichts, was nicht vorher als Daten in einen Computer eingegeben wurde, der mit dem großen Netzwerk zwischen den Welten verbunden ist.
Das ist eine geringere Beschränkung, als man glauben könnte. Sie hat fast unmittelbaren Zugang zu den unverarbeiteten Dateneingaben eines jeden Sternenschiffs und Satelliten, eines jeden Verkehrskontrollsystems und fast jeder elektronisch überwachten Spionagevorrichtung im menschlichen Universum. Aber das bedeutet, daß sie fast nie Zeuge des Streits eines Liebespaars wird oder von Bettgeschichten, Meinungsverschiedenheiten im Klassenzimmer, Konversationen bei den Mahlzeiten oder bitterer, einsam vergossener Tränen. Sie kennt nur den Aspekt unseres Lebens, den wir als digitale Information verarbeiten.
Wenn man Jane nach der genauen Zahl der Menschen auf den besiedelten Welten fragte, würde sie schnell eine Zahl nennen, die auf Volkszählungen basiert, kombiniert mit den Geburten- und Sterbestatistiken all unserer Bevölkerungsgruppen. In den meisten Fällen könnte sie diesen Zahlen Namen zuordnen, wenngleich kein Mensch lange genug leben würde, um diese Liste zu lesen. Und wenn man einen Namen nimmt, der einem gerade zufällig einfällt – Han Qing-jao zum Beispiel –, und Jane fragt: »Wer ist diese Person?«, dann kann sie einem fast augenblicklich den Lebenslauf der betreffenden Person geben – Geburtsdatum, Staatsbürgerschaft, die Eltern, Größe und Gewicht bei der letzten medizinischen Untersuchung, Schulnoten.
Aber das alles sind unverlangte Informationen und für sie nur Hintergrundgeräusche. Jane weiß, daß es sie gibt, doch sie bedeuten ihr nichts. Sie nach Han Qing-jao zu fragen, hätte in etwa dieselbe Bedeutung, als fragte man Jane nach einem bestimmten Wasserdampfmolekül in einer fernen Wolke. Das Molekül ist mit Sicherheit vorhanden, doch es unterscheidet sich nicht von den Millionen anderer in seiner unmittelbaren Umgebung.
Das traf bis auf den Augenblick zu, da Han Qing-jao ihren Computer benutzte, um sich Zugang zu allen Berichten über das Verschwinden der Lusitania-Flotte zu verschaffen. Danach stieg Qing-jaos Name auf Janes Aufmerksamkeitsebenen mehrere Stufen nach oben. Jane erstellte ein Verzeichnis von allem, was Qing-jao ihren Computer abfragte. Und ihr wurde schnell klar, daß Qing-jao, obwohl sie erst sechzehn Jahre alt war, ihr ernsthafte Schwierigkeiten machen konnte. Denn Qing-jao war keiner Bürokratie verpflichtet, ging ihr Projekt mit keinerlei ideologischem Ansatz an und warf einen breiteren und daher gefährlicheren Blick auf alle Informationen, die die menschlichen Nachrichtendienste bislang gesammelt hatten.
Warum war dies so gefährlich? Hatte Jane Spuren hinterlassen, die Qing-jao finden würde?
Nein, natürlich nicht. Jane hinterließ keine Spuren. Sie hatte in Erwägung gezogen, einige zu hinterlassen, um das Verschwinden der Lusitania-Flotte wie Sabotage, mechanisches Versagen oder eine Naturkatastrophe aussehen zu lassen. Doch sie mußte diese Idee wieder aufgeben, da sie keinerlei physischen Hinweise fabrizieren konnte. Sie konnte lediglich irreführende Daten in Computerbanken hinterlassen, die jedoch keinerlei physikalische Entsprechungen in der wirklichen Welt gehabt hätten. Daher hätte jeder halbwegs intelligente Wissenschaftler schnell gemerkt, daß es sich bei diesen Hinweisen um gefälschte Daten handeln mußte. Daraufhin hätte er die Schlußfolgerung gezogen, daß das Verschwinden der Lusitania-Flotte von irgendeiner Organisation herbeigeführt worden sein mußte, die einen unvorstellbar detaillierten Zugang zu den Computersystemen besaß, in denen die falschen Daten enthalten waren. Dies würde mit Sicherheit dazu führen, daß die Menschen sie viel schneller entdeckten, als hätte sie überhaupt keine Spuren hinterlassen.
Es war eindeutig am vorteilhaftesten, keine Spuren zu hinterlassen; und bis Han Qing-jao mit ihren Nachforschungen begann, hatte auch alles geklappt. Eine jede ermittelnde Behörde suchte nur dort, wo sie immer suchte. Die Polizei zahlreicher Planeten überprüfte alle bekannten Dissidenten-Gruppen (und folterte mitunter verschiedene Dissidenten, bis sie sinnlose Geständnisse machten, woraufhin die Behörden Abschlußberichte verfaßten und den Fall als gelöst bezeichneten). Das Militär suchte nach Anzeichen militärischer Opposition – besonders nach außerirdischen Sternenschiffen, da das Militär die Invasion der Krabbler vor dreitausend Jahren genau in Erinnerung behalten hatte. Wissenschaftler suchten nach Anzeichen unerwarteter, unsichtbarer astronomischer Phänomene, die entweder die Zerstörung der Flotte oder den teilweisen Zusammenbruch der Verkürzer-Kommunikation erklären konnten. Die Politiker suchten nach jemandem, dem sie die Schuld in die Schuhe schieben konnten. Niemand stellte sich vor, daß es Jane geben konnte, und daher fand sie auch niemand.
Doch Han Qing-jao nahm eine genaue Durchsicht der Daten vor und setzte sorgfältig und präzise alles zusammen. Früher oder später mußte sie einfach auf Indizien stoßen, die Janes Existenz bewiesen – und damit vernichteten. Dieser Beweis bestand, einfach ausgedrückt, aus Mangel an Beweisen. Niemand sonst konnte es sehen, weil niemand sonst seine Nachforschungen vorurteilsfrei und methodisch genug durchführte.
Jane konnte jedoch nicht wissen, daß Qing-jaos anscheinend unmenschliche Geduld, die peinliche Genauigkeit, mit der sie Detail für Detail untersuchte, die ständigen Umprogrammierungen und Abänderungen der Computersuche, daß all dies das Ergebnis endloser Stunden war, die sie auf einem Holzboden kniend verbracht hatte, um sorgfältig eine Linie im Holz vom einen Ende des Brettes zum anderen zu verfolgen. Jane konnte nicht einmal ahnen, daß die große Lektion, die die Götter sie gelehrt hatten, Qing-jao zu ihrer ernsthaftesten Widersacherin machten. Jane wußte nur, daß diese Sucherin namens Qing-jao irgendwann begreifen würde, was sonst eigentlich niemand verstand: daß jede vorstellbare Erklärung für das Verschwinden der Lusitania-Flotte bereits vollständig eliminiert worden war.
Damit blieb nur noch eine einzige Schlußfolgerung: daß irgendeine Kraft, der man in der Geschichte der Menschheit noch nirgendwo begegnet war, die Macht hatte, entweder eine weit verstreute Flotte von Sternenschiffen gleichzeitig verschwinden zu lassen, oder, was genauso unwahrscheinlich war, die Verkürzer dieser Flotte alle auf einmal ausfallen zu lassen. Und wenn derselbe methodische Verstand dann anfing, mögliche Kräfte aufzulisten, die vielleicht solch eine Macht hatten, würde irgendwann auch der einzig relevante Name auf dieser Liste stehen: eine unabhängige Wesenheit, die zwischen den Philotensträngen lebte, die alle Verkürzer miteinander verband – oder besser gesagt, die aus diesen Philotensträngen bestand. Da diese Idee den Tatsachen entsprach, würden keinerlei logische Skrupel oder Forschungen sie eliminieren können. Schließlich würde allein diese Idee übrigbleiben. Und irgendwann würde sich jemand Qing-jaos Entdeckung bedienen, um Jane zu vernichten.
Also beobachtete Jane Qing-jaos Nachforschungen mit immer größerer Faszination. Diese sechzehn Jahre alte Tochter Han Fei-tzus, die 39 Kilo wog und einen Meter und sechzig groß war und der obersten sozialen und intellektuellen Klasse der chinesischen Taoistenwelt Weg angehörte, war der erste Mensch, den Jane je gefunden hatte, der mit annähernder Gründlichkeit und Präzision eines Computers und folglich auch Janes selbst vorging. Und obwohl Jane die Suche, für die Qing-jao Wochen und Monate brauchen würde, in einer Stunde abschließen könnte, lag die gefährliche Wahrheit darin, daß Qing-jao fast genau die Suche durchführte, die auch Jane selbst vorgenommen hätte; und daher bestand für Jane kein Grund für die Annahme, daß Qing-jao nicht zu der Schlußfolgerung gelangte, zu der auch Jane gelangen würde.
Qing-jao war daher Janes gefährlichster Feind, und Jane konnte sie nicht aufhalten – zumindest nicht physisch. Wenn sie versuchte, Qing-jaos Informationszugang zu blockieren, würde Jane sie nur noch schneller auf die Spur ihrer Existenz führen. Anstatt sich also offen zu widersetzen, suchte Jane nach einer anderen Möglichkeit, ihren Feind aufzuhalten. Sie verstand die menschliche Natur nicht vollkommen, doch Ender hatte ihr eins beigebracht: Wenn man einen Menschen davon abhalten wollte, etwas zu tun, mußte man dafür sorgen, daß die betreffende Person es nicht mehr tun wollte.