VIII

Aus dem Gesagten geht bis jetzt wohl klar hervor, daß ich kein Psychologe bin, wenn ich auf diesem Gebiet auch über gewisse angelesene Kenntnisse verfüge. Soviel ich weiß, ist es möglich, daß eine Person ihren Sinnen schlicht und einfach mißtraut, wenn das, was sie ihr melden, stark von dem abweicht, was sie zu glauben meinte. Tatsächlich bin ich Menschen begegnet, die behaupteten, daß diese Fähigkeit das einzige sei, was die meisten von uns bei gesundem Verstand erhält. Bis zu diesem Augenblick war ich beiden Behauptungen mit Zweifel begegnet. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.

Ich hatte gesehen, daß wir vom definitiven und erkennbaren Meeresgrund und seinen Bedingungen an den Ort gelangt waren, an dem wir uns nunmehr befanden. Ich hatte weder vor noch hinter uns etwas bemerkt, was einer Tür, einem Ventil oder einer Schleuse auch nur annähernd ähnlich gesehen hätte, und dabei hatte ich gut achtgegeben. Meines Wissens und Glaubens befand sich der Tank daher nun in einem mit Meerwasser gefüllten Raum unter einem Druck, der ungefähr einer Meile Tiefe entsprach.

Ich hatte die Menschen, die nun mit mir in dem Raum waren, draußen im Meer schwimmen gesehen — zum Großteil dieselben Menschen. Ich hatte sie gesehen, wie sie mich hier hineingeschafft hatten. Auch sie befanden sich unter hohem Wasserdruck, hatten sich die ganze Zeit über darin befunden. Im Augenblick vergaß ich, wie deutlich ich draußen im Wasser dieselben Gesichter gesehen hatte, aber auch wenn ich mich erinnert hätte, wäre mir die Ähnlichkeit im Moment nicht aufgefallen.

Ich hatte gesehen, wie sie die Helme abnahmen, noch immer im Hochdruc kwasser. Nein, das alles konnte ich nicht auf einmal glauben. Da fehlte etwas, doch ich konnte nicht glauben, daß es sich neuerdings um eine sichtbare Tatsache handelte.

Während des Sturmes war ich ganz schön herumgeschubst worden, und mir war die Technik entgangen, mittels derer man mich gefunden ha tte, aber ich war weder damals noch später ohne Bewußtsein gewesen. Ich litt unter Schlafmangel, war aber noch nicht so benommen, daß mir etwas Wichtiges entgangen wäre. Ich konnte davon ausgehen, daß meine Beobachtungen vollständig und vernünftig waren. Da ich aber trotz dieses Glaubens von der Wirklichkeit um eine Phase verschoben war, mußte es etwas geben, das ich nicht wußte. Es war höchste Zeit, sich um meine Weiterbildung zu kümmern.

Meine persönliche Zukunft machte mir keine großen Sorgen. Falls überhaupt die Absicht bestand, sich meiner zu entledigen, dann hätte man es schon früher und viel müheloser machen können — und wie schon gesagt, hegte ich tiefinnerlich die Überzeugung, daß man hier etwas Endgültiges mit mir anstellen würde. Falls jemand meint, das passe nicht zu meiner geistigen Verfassung von vorhin, so möge er gefälligst einen Psychiater aufsuchen.

Ich hatte noch Atemluft für zwei Tage im Tank.

Wahrscheinlich würden me ine neuen Freunde noch vor Ablauf dieser Zeit etwas tun, um mich herauszukriegen — obwohl mir nicht so ohne weiteres klar war, was das sein würde, wenn ich mir das Problem näher überlegte. Wie immer ich es ansah, den nächsten Schritt mußten die anderen tun. Vielleicht nicht sehr tröstlich klingend, und doch tröstete es mich.


Offenbar hegte die Gegenseite ähnliche Gefühl — nicht was den Trost betrifft, meine ich, sondern, daß der nächste Schritt bei ihnen lag. Sie sta nden in einer Gruppe beisammen zwischen dem Tank und der Öffnung, durch die wir hereingekommen waren, und diskutierten miteinander. Ihre Stimmen konnte ich nicht hören und kam nach einer Weile zu dem Schluß, daß sie nicht richtig sprachen. Das alles ging mit einem gewaltigen Aufwand an Gesten vor sich. Es mußte sich um eine sehr umfassende Zeichensprache handeln. Sehr vernünftig, wenn man viel Zeit unter Wasser verbrachte und dort auch arbeitete. Ich begriff aber nicht, warum sie sich jetzt dieser Sprache bedienten, da mein gesunder Me nschenverstand nur ungern eingestand, daß sie sich momentan im Wasser befanden.

Nach einer Weile hatten sie sich jedenfalls geeinigt, und zwei aus der Gruppe schwammen — jawohl, sie schwammen — in einen der kleineren Schächte hinein.

Mir fiel ein, daß sie unter Wasser wenigstens hören müßten, wenn sie schon nicht sprechen konnten.

Ich versuchte es mit Klopfzeichen an den Tankwänden, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen — leise, im Hinblick auf meine erst kurz zurückliegende Erfahrung mit Tank-Pochen. Ja, sie konnten hören, obwohl sie, wie erwartet, Schwierigkeiten hatten, die Richtung des Geräusches festzustellen.

Sie brauchten eine Weile, bis sie erkannt hatten, daß ich der Schuldige war. Sie kamen geschwommen und nahmen um den Tank herum Aufstellung und guckten durch die Bullaugen herein. Ich schaltete meine Innenbeleuchtung ein. Keiner schien erstaunt über das, was er sah, obgleich die Zeiche nsprache ununterbrochen und lebhaft weitergeführt wurde.

Ich versuchte zu schreien. Das tat den eigenen Ohren weh, da das Geräusch von den Tankwänden zurückgeworfen wurde, ein bißchen aber hätte auch hinausdringen müssen. So war es denn auch. Einige schüttelten den Kopf und wollten mir wohl andeuten, daß sie mich nicht verstanden. Da ich keine Wörter geäußert hatte, war es nicht weiter verwunderlich. Ich versuchte ihnen mitzuteilen, wer ich war — indem ich meinen Namen natürlich ungenannt ließ — und das in allen drei Sprachen, die ich angeblich fließend beherrsche. Dasselbe versuchte ich in zwei anderen, in denen ich mich lediglich mittelprächtiger Kenntnisse rühmen kann. Mehr als ein Kopfschütteln erreichte ich damit nicht, zwei oder drei schwammen sogar fort. Offenbar ließen sie mich als hoffnungslosen Fall links liegen. Kein einziger machte einen Versuch, mit mir mittels Zeichen oder Geräusch in Verbindung zu treten.

Schließlich wurde ich heiser und mußte aufhören.

In den nächsten zehn Minuten geschah nicht viel.

Ein paar weitere trollten sich, andere kamen. Wieder Zeichensprache. Zweifellos wurden die Neua nkömmlinge über mich informiert. Sie alle trugen Overalls ähnlich denen, die ich draußen gesehen hatte, einige davon in grellen Farben. Ich gewann den Eindruck, es handle sich um die Unterscheidung zwischen Arbeitskleidung und gehobenerem Anzugstil, obwohl ich keinen objektiven Grund für diese Annahme geben kann.

Dann tauchten aus den Tunnels neue Schwimmer auf, weniger komplett gekleidet, und die Dinge gerieten in Schwung. Einer drängelte sich durch die Schar der Neugierigen an den Tank und klopfte sachte. Sehr erholsam, daß jemand meine Aufmerksamkeit suchte, statt andersherum, aber die richtige Überraschung kam erst, als ich den Ne uhinzugekommenen erkannte.

Es war Bert Whelstrahl, der vor einem Jahr verschwunden war.

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