IX

Auch er erkannte mich, daran gab es keinen Zweifel. Als er mich durchs Fenster sah, setzte er ein Karusselpferdgrinsen auf, trommelte mit den Knöcheln an den Tank und zog eine Braue mit einem Ausdruck hoch, der wohl bedeuten sollte: „Du liebe Güte, was machen wir bloß mit ihm!“ Ich war der Ansicht, die Situation rechtfertige den Einsatz meines letzten Stimmrestes und rief: „Bert! Hörst du mich?“

Er nickte und vollführte eine Handbewegung, Handflächen nach unten, die ich dahingehend interpretierte, daß ich nicht so laut schreien müßte.

Das war eine Erleichterung. Ich schraubte mein Volumen zurück, und nach einigem Hin und Her entdeckte ich, daß ich kaum lauter als im normalen Gesprächston sprechen mußte, damit er mich hörte.

Ich begann, ihm Fragen zu stellen, doch er gebot mir mit einer Handbewegung Einhalt und machte weitere Zeichen. Er hielt sich die Nase und mit der anderen Hand den Mund zu. Dann hielt er sich das linke Handgelenk vors Gesicht, als sähe er auf die Uhr, obwohl er gar keine trug.

Ich kapierte sofort. Er wollte wissen, wie viel Atemluft ich noch vorrätig hatte. Ich warf einen Blick auf die Instrumente, machte mich ans Kopfrechnen und rief dann hinaus, daß ich noch etwa Luft für fünfzig Stunden in den Tanks hätte.


Da steckte er einen Finger in den Mund und zog die Brauen hoch. Ich antwortete, indem ich die teilweise leere Schachtel mit den Dextrose-Pillen hochhob. Er nickte und machte ein nachdenkliches Gesicht. Dann folgte minutenlange Gesten-Sprache mit den ihn Umgebenden, deren Kopfbewegungen das einzige mir Verständliche waren. Als sie zu einem gemeinsamen Entschluß gekommen zu sein schienen, winkte er mir zu und verschwand wieder in dem Tunnel, aus dem er aufgetaucht war.

In der nächsten halben Stunde passierte gar nichts, nur die Schar der Neugierigen wurde immer größer. Auch Frauen waren unter den neu Hinzugekommenen, doch konnte ich nicht beurteilen, ob die eine von draußen darunter war. Ich hatte sie nicht so deutlich gesehen, als daß ich sie jetzt wiedererkannt hätte. Aber bei einigen sah ich sofort, daß sie es nicht sein konnten. Das Schwimmen scheint doch nicht der große Segen für die Figur zu sein, wie häufig behauptet wird.

Dann kehrte Bert zurück. Er hatte etwas bei sich, das zunächst wie ein gewöhnlicher Notizblock aussah. Als er das Ding an die Scheibe hielt, sah ich, daß die einzelnen Blätter nicht aus Papier waren. Er kritzelte auf dem obersten mit einem Griffel, der ein Zeichen hinterließ. Dann hob er das erste Blatt, und das Zeichen verschwand. Ich hatte vor Jahren Spielzeug dieser Art kennen gelernt. Offenbar hatte er sich die Zeit genommen, das hier zu improvisieren. Eine gute und deutliche Lösung des Problems des Unterwasser-Schreibens. Ein Wunder, daß nicht schon längst jemand dahintergekommen war.

Damit ich klar lesen konnte, mußte er ziemlich große Lettern schreiben, deswegen gestaltete sich unsere Unterhaltung ziemlich schleppend. Ich fing mit der Frage an, wozu die ganze Anlage diene, was unserem Gesprächstempo auch nicht sehr dienlich war. Bert ließ sich nicht darauf ein.

„Die Zeit ist zu knapp, als daß ich dir jetzt die ganze Geschichte erklären könnte“, schrieb er. „Du mußt eine Entscheidung treffen, bevor dir die Luft ausgeht — mindestens zwanzig Stunden vorher. Sie hängt damit zusammen, ob du an die Oberfläche zurückkehrst.“

Ich war sehr erstaunt und machte kein Geheimnis daraus.

„Willst du damit sagen, daß man mich zurückgehen läßt? Warum hat man mich so mühsam eingefangen und abgeschleppt? Ich war doch schon ganz oben.“

„Weil deine Entscheidung in ihren Einzelheiten viele Menschen betrifft, und du solltest wissen wen und wie. Man hatte keine Ahnung, daß du Angestellter der Aufsichtsbehörde bist. Ich habe es ihnen gesagt. Aber es war ohnehin klar, daß dein Bericht bei der Behörde landen würde. Und es ist sehr wichtig, was die Behörde von dieser Anlage hier erfährt.“

„Ich nehme an, man will mich freilassen, wenn ich verspreche, nichts zu berichten. Du weißt, daß ich das nicht könnte.“

„Natürlich nicht. Ich auch nicht. Das erwartet man nicht von dir. Man weiß, daß du nicht zurück könntest, ohne einen Bericht zu liefern. Es gäbe ja keine vernünftige Erklärung dafür, wo du dich aufgehalten hast und warum. Du kannst also erzählen, was dir passiert ist und was du sehen konntest, aber man möchte sicher sein, daß du bei deinem Bericht gewisse andere Dinge berücksichtigst. Wir müssen sichergehen, daß du darüber Bescheid weißt.“

Ich stürzte mich auf das Pronomen.

„Du bist von „man“ zu „wir“ übergegangen.

Heißt das, du hättest dich entschieden, hier zu bleiben?“

„Ja.“ Das war ein Nicken, kein geschriebenes Wort. „Jedenfalls für eine Weile“, ergänzte er mit seinem Griffel.

„Dann hast du dir die Moral von Menschen zu eigen gemacht, die Tausende Kilowatt verschwenden, nur um den Meeresgrund zu beleuchten? Hast du eine Erziehung vergessen und…“


Er unterbrach mich mit heftigem Kopf schütteln und fing an zu schreiben.

„So ist es nicht. Ich weiß, es sieht schrecklich aus, aber wir verschwenden nicht mehr Energie als die Aufsichtsbehörde, die das Sonnenlicht verschwendet, das auf die Sahara fällt. Vielleicht bleibt Zeit, dir vor deiner Entscheidung mehr zu erklären, aber du bist schließlich Physiker genug, um diesen Vergleich zu verstehen, oder du wärest kein Angestellter der Behörde.“

Das mußte ich erst mal verdauen. Die Sache mit der Sahara war verständlich. Die Behörde war immer dagegen, diese Unmengen von Sonnenenergie ungenutzt zu lassen. Das Schwierige dabei ist natürlich die Entscheidung, wann sich eine Energieinvestition in ein Projekt lohnt, in der Hoffnung, mehr Energie herauszuschlagen. Jahrzehntelang hatte man der Ansicht angehangen, die einzige Hoffnung des Menschen läge in der Wasserstofffusion, und der Großteil der für Forschung verwendeten Gelder geht in diese Richtung. Von Zeit zu Zeit aber wird sehr beredt das Wort für ein Solarenergie-Projekt erhoben. Manchmal wird ein besonders vielversprechendes sogar gebilligt, und von diesen haben sich eines oder zwei bezahlt gemacht, seitdem ich für die Behörde tätig bin.


Dennoch sah ich nicht recht ein, wie natürliches, auf eine Wüste scheinendes Sonnenlicht mit dem künstlichen Licht auf dem Meeresgrund zu vergleichen sei. Und das sagte ich auch.

Er hob die Schultern hoch und fing an zu schreiben.

„Die hier gebrauchte Energie kommt von unterhalb der Erdkruste — direkte Hitze, obgleich ich es eigentlich nicht vulkanische Hitze nennen kann.

Wenn man das Arbeitsmedium nicht hinunter in den Kollektor zirkulieren ließe und ihm die Hitze entzöge, wenn es wieder heraufkommt, würde die Heizfläche des Aggregates schmelzen. Deine Beschwerde — falls du eine äußern mußt — bezieht sich auf die Tatsache, daß wir nicht an das planetarische Energienetz angeschlossen sind und nicht wie alle anderen die Rationierungsregeln beachten. Wir tun es hier aus guten Gründen nicht, ich habe bloß keine Zeit, mich näher darüber zu verbreiten — dazu bedarf es vieler historischer und technischer Erklärungen, die bei unserem Gekritzel endlos dauern würden. Ich soll dir nur beibringen, was du wissen mußt, wenn du zurückkehrst.“

„Ich nehme an, daß auch Joey und Marie sich zum Bleiben entschlossen haben.“


„Joey war niemals da. Und Marie glaubt mir nicht und streitet mit mir herum. In ihrem Fall ist noch keine Entscheidung gefallen.“

„Wenn aber Marie noch da ist und ihre Zukunft ungeklärt, warum muß ich meine Entscheidung innerhalb von dreißig Stunden treffen? Sie ist doch schon wochenlang hier unten. Offenbar habt ihr hier Mittel und Wege, unsere Probleme zu lösen.“

„Wir ›haben‹ sie nicht. Diese Mittel und Wege wurden eigens für sie gemacht — was Ernährung und Luft betrifft. Sie ist noch immer in ihrem U-Boot. Bei deinem Tank, der keine Schleusen oder Luft-Austausch-Düsen hat, würden wir uns mit den Vorräten schwerer tun. Außerdem bist du nicht in Maries Lage, daß man sich besonders um sie bemüht.“

„Warum das?“

„Du bist weder weiblich noch hübsch.“ Darauf hatte ich keine Antwort parat.

„Na denn.“ Mehr brachte ich nicht heraus. „Dann gehen wir zum offiziellen Teil über. Was darf ich wissen, wenn ich zurückgehe?“

„Du sollst deinen Boß in der Behörde wissen lassen, daß wir hier unten große Energievorräte haben…“

„Das hätte ich ihm ohnehin gesagt.“

„… und daß diese nicht rationiert werden.“


„Das ist mir klar. Warum soll ich diese Punkte besonders betonen? Ich wüßte keine bessere Methode, um hier eine behördliche Untersuc hung zu konzentrieren.“

„Glaub mir, es wird nicht dazu kommen. Falls die Behörde meint, es handle sich um eine gewöhnliche Gruppe von Energiedieben, dann hättest du recht. Aber fünfzehntausend Menschen sind nicht einfach irgendeine Bande. Das ist schon eine Nation, wenn du das Wort noch kennen solltest.“

„Ich habe es in keiner angenehmen Erinnerung.“

„Na, diese geschichtliche Periode hat uns jetzt nicht zu kümmern. Tatsache ist, daß die Behörde in der Vergangenheit diese Sache hier vertuscht hat und es sicher wieder tun wird.“

„Vertuscht? Du bist verrückt. Es gibt eine einzige Methode, wie man mit einem Kraftwerk, und sei es ein illegal erbautes, verfährt: man schließt es an das allgemeine Verbundnetz an. Der Gedanke, man könnte es unabhängig und nicht rationiert weiterlaufen lassen, ist lächerlich.“

„Warum hast du dann von dieser Anlage noch nichts gehört? Sie besteht seit achtzig oder mehr Jahren.“

„Vermutlich deswegen, weil niemand sie entdeckt hat. Das ist sehr wahrscheinlich. Der Boden des Pazifik ist schließlich nicht das am besten erschlossene Gebiet des Planeten.“

„Die Anlage wurde schon mehrmals entdeckt. Allein im vergangenen Jahr ein paar Mal, wenn du dich erinnerst. Zwölfmal seit ihrem Bestehen wurde die Anlage der Behörde als betriebsbereites und in Betrieb gegangenes Projekt gemeldet, soviel ich weiß. Aber nichts hat sich bis heute getan.“

„Soll das heißen, die Behörde wüßte, wo die Anlage ist, und schickt mich auf die Suche nach dir und…“

„Vielleicht kennt man den genauen Standort nicht. Ich bin nicht sicher, ob die gegenwärtigen Amtsträger davon wissen. Ich weiß nicht, was ihre Vorgänger mit den früheren Berichten machten.

Das letzte Mal liegt mehr als fünfzehn Jahre zurück.“

„Sind das gesicherte Tatsachen?“

„Objektiv gesehen nicht. Ich habe es in glaubwürdigen Berichten gelesen. Ich bin als Historiker kein Experte und habe keine sachgemäßen Überprüfungen vorgenommen. Mir erscheint das alles jedoch sehr wahrscheinlich.“

„Mir nicht. Hast du Marie davon gesagt?“

„Ja.“

„Glaubt sie es?“


„Sie glaubt mir überhaupt nichts, seitdem ich sagte, Joey wäre nicht hier gewesen. Sie behauptet, ich wäre ein dreckiger Lügner, ein Verräter an der Menschheit, ein unmoralisches Stinktier. Wir hätten uns Joeys entledigt, weil er unsere lächerlichen Lügen nicht schlucken wollte.“

„Könnte ich mit ihr sprechen?“

„Meinen Segen hast du, aber ich wüßte nicht, wie sich das machen ließe. Sie befindet sich sehr weit entfernt von hier, da ihr Boot bei einem anderen Eingang ankam. Ich glaube nicht, daß man deinen Tank dorthin schaffen könnte, ohne dich herauszunehmen. Das alles braucht mehr Zeit, als du dir leisten kannst, und ich hätte Schwierigkeiten, ausreichend Leute zu finden, die dich befördern.“

„Kann denn der, der hier das Reden hat, keine Mannschaft zusammenstellen?“

„Wie stellst du dir denn vor, wie das hier läuft?

Hier gibt es niemanden, der einem anderen einen solchen Befehl geben könnte, da der Auftrag ja nicht dem Gemeinwohl dient, sondern nur deiner Bequemlichkeit. Außerdem ist, wie gesagt, die Zeit knapp.“

Das ließ ich mir eine Weile durch den Kopf gehen. Seine Andeutung über die Art und Weise, wie die Anlage hier geführt wurde, war erstaunlich, aber im Augenblick war nicht die Zeit, sich über Lokalpolitik zu verbreiten. Daneben war etwas noch Erstaunlicheres zum Ausdruck gekommen.

Wenn man dem Gesagten glauben wollte, schien es so zu sein, daß es für diese Menschen besser war, wenn Marie und ich zurückgingen, anstatt zu bleiben. Warum hatte man uns diese Alterna tive überhaupt geboten? Ich fragte Bert.

„Was werden deine Freunde machen, wenn ich nicht zurückgehe? Dann werden nämlich weitere Suchexpeditionen nach uns ausgeschickt. Auch wenn ich nicht die Oberfläche erreicht und meinen Hilferuf ausgestrahlt hätte, weiß die Behörde, wo mein Ziel lag und kannte den Grund meiner Expedition.“

Er zog wieder die Schultern hoch. „Wie viele da herunterkommen, kümmert niemanden. Wenn nicht gleich eine ganze Flotte kommt, können wir alle abschleppen und sie vor die Wahl stellen wie dich.

Das passiert schon des öfteren, wie ich schon sagte.“

„Angenommen, es kommt nun eine ganze Flotte und zerstört die Lichter und dieses Zelt, oder was immer das sein mag, ohne viel Zeit mit der Suche nach Marie oder mir zu vergeuden? Früher oder später wird es nämlich dazu ko mmen, wenn hier unten immer wieder Menschen verschwinden.“


„Ich habe keinen Einblick in alle Überlegungen des hiesigen Rates“, antwortete er, „und ich weiß auch nicht, ob man diesem Punkt bisher viel Aufmerksamkeit geschenkt ha t. Ich wiederhole: es sind schon etliche hier unten geblieben, ohne daß die Aufsichtsbehörde oben deswegen aus dem Hä uschen geraten wäre. Ich persönlich glaube eher, daß man diesen Teil des Pazifiks für die allgemeine Öffentlichkeit eher sperren wird, als eine Flotte hier herunterzuschicken und viel Energie zu verschwenden. In jedem Fall ist es Sache des Rates.

Im Moment interessiert uns mehr, daß du und Marie euch frei entscheiden könnt.“

„Und wenn ich nicht bleiben will?“

„Sobald wir dir alles Nötige erklärt haben, werden wir dich an dem Eingang, durch den du gekommen bist, wieder freilassen. Du bist kaum in der Lage, hier unten rumzuhängen und nicht aufzusteigen. Also gar kein Problem.“ Er zeigte in die Richtung, aus der er durch den Tunnel gekommen war. „Was mich betrifft, so wäre mir lieber, du bliebest hier — und natürlich auch Marie. Ich habe hier unten zwar ein paar gute Freunde, das ist aber doch nicht dasselbe wie die alten Freunde.“

Ich dachte nach und sah ihm in die Augen, als ich die nächste Frage stellte.


„Bert, warum hast du dich entschlossen, hier unten zu bleiben?“

Er schüttelte bloß den Kopf.

„Soll das heißen, daß die Erklärung zu lange dauern würde oder willst du es mir nicht sagen, oder ist es etwas anderes?“ bohrte ich nach.

Er hob einen Finger in die Höhe, dann drei, schrieb aber nichts auf.

„Andersherum gesagt, ich muß mir also selbst über meinen Entschluß klar werden.“ Er nickte nachdrücklich. „Und Marie auch?“ Wieder ein Nicken.

Jetzt hatte ich nur mehr eine Frage, die mich weiterbringen konnte, und die schleuderte ich ihm entgegen.

„Bert, könntest du auch jetzt noch nach oben, falls du deine Meinung änderst und nicht mehr bleiben willst? Oder ist der Eingriff, dank dessen du Wasser atmen kannst, unabänderlich?“

Er lächelte, und nun trat der Griffel wieder in Aktion.

„Wir atmen kein Wasser ein. Diese Folgerung geht an zwei Punkten vorbei. Man hat zwar eine irreversible Veränderung an mir vorgenommen, die aber nicht allzu schwerwiegend ist. Ich könnte noch immer an der Oberfläche leben, wenn auch der Wechsel zur Luftatmung etwas langwierig und kompliziert wäre.“

„Du sagtest eben, du atmest kein Wasser ein!“

„Ich wiederhole es: ich atme kein Wasser ein.“

„Aber du sagtest eben…“ Er gebot mir mit einer Handbewegung Einhalt und fing zu schreiben an.

„Ich will dich nicht auf die Folter spannen. Der Rat hier ist weder diktatorisch noch sehr entschieden, ist sich aber nachdrücklich darin einig, daß die Einzelheiten unserer Lebensbedingungen hier mit niemandem besprochen werden dürfen, der sich nicht zum Bleiben entschlossen hat. Ich habe vielleicht schon mehr gesagt, als denen recht sein könnte und werde nicht mehr deutlicher werden.“

„Und die Menschen da draußen — sind sie mit dieser Haltung des Rates einverstanden?“

„Ja. In diesem Punkt ist sich die Bevölkerung hier ziemlich einig.“

„Warum hast du dann das Risiko auf dich genommen, mir so viel zu sagen?“

„Die meisten konnten nicht sehen, was ich da schrieb, außerdem hätte es keiner lesen können, und niemand versteht auch nur eines deiner Worte.“

„Dann ist die Sprache hier nicht…“

„Nein.“


Er unterbrach mich mit einer Handbewegung, noch ehe ich eine Sprache ne nnen konnte.

„Warum also befolgst du die Richtlinien des Rates und erklärst mir nichts?“

„Weil ich diese Richtlinien für völlig richtig halte.“

Dagegen gab es kein Argument, und ich beließ es dabei. Schließlich war er nach einer Weile wieder am Schreiben.

„Ich habe viel zu tun und muß jetzt gehen, komme aber stündlich oder alle zwei Stunden wieder.

Solltest du mich dringend brauchen, so klopfe an den Tank — aber nicht zu stark, wenn ich bitten darf. Auch wenn niemand in Sichtweite sein sollte, was sehr unwahrscheinlich ist, wird man dich auf weite Entfernung hören und mich verständigen.

Überleg es dir gut. Ich möchte, daß du bleibst, aber nur, wenn du wirklich möchtest.“ Er legte das Schreibmaterial neben den Tank und schwamm davon. Auch ein paar andere verschwanden, wenn auch nicht im selben Tunnel. Die kleine Schar, die noch blieb, setzte sich offenbar aus den zuletzt Gekommenen zusammen, die sich an dem Tank noch nicht sattgesehen hatten. Sie unternahmen jedoch nichts, was mich hätte interessieren oder ablenken können, und ich konnte mich zu einer konzentrierten Denkpause zurückziehen. Es gab sehr viel zu überdenke n, und ich lege bei dieser Tätigkeit manchmal ein Schneckentempo an den Tag.

Ober meine Entscheidung konnte kein Zweifel bestehen, das versteht sich. Natürlich mußte ich zurück und Bericht erstatten.

Wenn ich hier unten blieb, dann schob ich, wie Bert gesagt hatte, den Schwarzen Peter einfach einem anderen Ermittler zu. Und die Entsendung eines anderen wäre eine klare Verschwendung von Energie, egal, welchen Trick man sich diesmal ausdachte, um ihn hierher zu schaffen. Außerdem war ich längst nicht so sicher wie Bert, daß die Behörde nicht ein paar Tonnen Sprengstoff auf diese Anlage verteilen würde, falls man sie entdeckte und Grund zu der Annahme hatte, daß hier drei Agenten den Tod gefunden hatten. Das Problem bestand nicht darin ob, sondern wann ich zurückging. Und das „Wann“ hing wiederum davon ab, was ich als erstes schaffte.

Was ich wirklich wollte, war ein Kontakt mit Marie. Und zusätzlich wäre es nett gewesen, etwas über Joey zu erfahren, falls man sich hier überhaupt Informationen verschaffen konnte. Ich wollte nicht glauben, daß Bert in bezug auf Joey gelogen hatte, und es war gut möglich, daß Maries Ungläubigkeit ihrem Widerstreben entstammte, die Tatsache hinzunehmen, daß Joey einem echten Unfall zum Opfer gefallen war. Andererseits war sie nicht dumm.

Ich mußte die Möglichkeit ins Kalkül ziehen, daß sie guten Grund hatte, Bert zu mißtrauen.

Joey hatte wie Marie ein Ein-Mann-Boot gehabt.

Vielleicht hatte er Dinge herausgefunden, welche diese Menschen nicht an die Oberfläche dringen lassen wollten. Was sie mir und Marie für den Fall unserer Rückkehr als Information oder Propaganda mitgeben wollten, schien dazu bestimmt, die Behörde von weiteren Untersuchungen abzuhalten.

Aufgepaßt! Das traf nur zu, wenn Bert damit recht hatte, daß die Aufsichtsbehörde von den Vorgängen hier unten nichts an die Öffentlichkeit dringen lassen wollte.

Falls er sich irrte —, falls meine eigene, zugegebenermaßen voreingenommene Vorstellung der Reaktion der Wahrheit näherkam — dann war von Verheimlichung keine Rede. Die Aufsichtsbehörde würde unverzüglich nach unserer Rückkehr gegen diese Anlage hier mit allen Mitteln vorgehen. Und das lag sicher nicht in der Absicht dieses „Rates“, von dem Bert gesprochen hatte. Möglich, daß das, was er gesagt hatte, doch etwas auf sich hatte.

Immerhin konnte es Dinge geben, die man hier lieber verheimlichen wollte, ob man Bert nun die Wahrheit von den Absichten des „Rates“ mitteilte oder nicht. Joey konnte hier oder auch tot sein, obwohl letztere Möglichkeit sehr unwahrscheinlich war. Auch wenn Bert damit recht hatte, daß Joey nie angekommen war — vielleicht besonders, wenn er recht hatte —, dann war da noch immer Marie, die Schwierigkeiten machte. Wenn sie sich hartnäckig weigerte, aus freien Stücken zurückzukehren, konnte man sie nicht einfach nach oben treiben lassen wie mich. Sie steckte in einem U-Boot. Natürlich bestand nun die Möglichkeit, daß man ihr Boot gewaltsam öffnete, den Ballast entfernte und uns beide gleichzeitig nach oben treiben ließ. Vielleicht sollte ich das abwarten. Vielleicht…

Sollte meine Erzählweise Sie verwirren, so haben Sie einen zutreffenden Begriff von meinen Gefühlen bekommen. Wenn man überdies bedenkt, daß mein Gedächtnis seit Beginn der Ereignisse einiges an Organisations— und Berichterstattertätigkeit geleistet hatte, bekommt man einen noch genaueren Eindruck. Langsam wurde es mir zuviel. Ich merkte ganz plötzlich, daß ich mich schon sehr lange nicht richtig ausgeschlafen hatte. Der Tank war dazu nicht der geeignete Ort, doch gibt es Zeiten, da man sich nicht mit Kleinigkeiten abgeben kann.

Ich schlief ein.

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