Unsere Party wurde direkt fröhlich, während wir auf Bert warteten. Marie und ich unternahmen Ve rständigungsversuche mit dem Mädchen und ihren Freunden, hatten aber nur mit den elementarsten Zeichen Glück, manchmal nicht mal mit diesen.
Wir versuchten ihnen sogar die Idee eines phonetischen Alphabets klarzumachen, wobei Marie die Geräusche und ich die Symbole beisteuerte. Es war hoffnungslos.
Das war nicht ausschließlich Schuld ihres ma ngelhaften Hintergr undes. Aber unter Wasser wurden die Laute so stark verzerrt, daß man beispielsweise ein „P“ und „S“ nicht genau unterscheiden konnte, geschweige denn die Lautverbindung „Sp“
verstehen. Das genügte, um Marie zu überzeugen, daß das Verständigungsproblem sehr ernst war und die Lösung nicht einfach.
Sie war nun gar nicht mehr sicher, daß sich eine Lösung lohnte. Denn sie neigte nun dazu, diese Menschen als Träger einer völlig andersgearteten Kultur zu sehen und nicht als Gruppe verbrecherischer Flüchtlinge unserer eigenen Kultur. Immerhin hielt sie von dieser Kultur so viel wie eine Bostoner Dame aus dem neunzehnten Jahrhundert von den Südseekannibalen, die sie von den Missionsvorträgen her kannte.
Zumindest wahrte sie ihnen gegenüber die Formen. Ihre guten Manieren wurden jedoch fadenscheinig, als Bert mit schlechten Neuigkeiten wiederkam. Der Rat wolle nichts davon wissen, Bert und mich gleichzeitig an die Oberfläche zu lassen.
Entweder der eine oder der andere, keinesfalls beide.
Ich war wie vor den Kopf geschlagen und konnte dies unmöglich mit dem Bild in Einklang bringen, das ich mir von der Situation gemacht hatte. Marie sagte nicht direkt „Hab ich doch gesagt“ aber ihr Blick sprach Doppelbände. Das war unfair, da sie zuvor überhaupt nichts dergleichen gesagt hatte.
Vielleicht hatte sie es vermutet, gesagt hatte sie mir nichts.
Vielleicht war es dieser Blick, der mich wieder aufrichtete. Ich sagte mir, die Hauptsache wäre, Marie gesund und wohlbehalten an die Oberfläche zurückzuschaffen. Sobald sie sich bei der Behörde zurückgemeldet hatte, würde man sicher mit dieser Anlage hier in Verbindung treten, gleichgültig was Bert darüber dachte, und es würden sich gewiß jede Menge Möglichkeiten für mich ergeben, wieder an die Oberfläche zu kommen.
Ich glaubte noch immer nicht an Berts Behauptung, die Behörde hätte frühere Berichte ignoriert oder totgeschwiegen. Mein Gefühl basierte größtenteils auf meinem persönlichen Urteil als langjähriger Behördenmitarbeiter. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, daß die Organisation dazu fähig gewesen wäre.
Mir erschien es daher als höchst vernünftig, die zwei anderen an die Oberfläche zurückgehen zu lassen, während ich vorübergehend hier blieb. Das teilte ich, ohne meine dazugehörigen Überlegungen, mit Hilfe der Tafel mit. Bert war sofort einverstanden.
Marie schien weniger begeistert, entschied aber schließlich, daß der Plan annehmbar wäre. Bert machte den Vorschlag, er wolle über die neue Lage dem Rat Bericht erstatten und Hilfe für das Abschleppen des Bootes suchen, aber sie widersprach ihm und meinte, sie wolle das Boot selbst steuern, wenn einer der Eingeborenen ihr als Führer vorausschwimme. Bert könne ja dem Führer klarmachen, wohin sie sollte.
Ich war ein wenig erstaunt, daß sie das Boot ohne Bert irgendwohin steuern wollte, aber vielleicht hatte sie bezüglich ihres Planes die Meinung geändert. Ich hoffte, sie würde statt dessen wollen, daß ich mit ihr zur Umwandlungsschleuse ginge, doch sie sagte nichts dergleichen. Wieder einmal fühlte ich mich ausgeschlossen von ihren Plänen und Gedanken. Wir warteten ab, bis Bert sich winkend mit den Leuten verständigt hatte, was eine ganze Weile dauerte. Dann schlug der Mann die Richtung durch den Hauptgang außerhalb des Raumes ein, und Marie ließ ihr Boot vom Boden abheben und schwamm ihm in seinem Kielwasser nach — kein guter Vergleich, da er ja keines hinter sich ließ.
Dann machte sich Bert auf den Weg, um mit dem Rat ins reine zu kommen.
Er war schon fast verschwunden, als mir etwas einfiel und ich ihm schleunigst nachschwamm. Ein Glück, daß er selbst nicht sehr behände war, weil ich ihn andernfalls nicht eingeholt hätte. Ein Jammer, daß man hier niemanden per Zuruf aufhalten konnte. Na, als ich ihn einholte, schrieb ich eilig eine Mitteilung auf.
„Sollte man Joey nicht davon in Kenntnis setzen, wohin du gehst? Ohne dich gerät er in einen ähnlichen Schlamassel wie ich.“
Bert überlegte und nickte. „Ja, wahrscheinlich ist es am besten. Sag du es ihm, während ich dem Rat Bericht erstatte. Gib um Himmels willen acht, daß du von Maries Hiersein nichts verlauten läßt.“ Ich machte ein beleidigtes Gesicht. „Einer von diesen Typen soll dir den Weg zeigen. Joey müßte im Moment frei haben, obwohl er oft länger arbeitet, als er müßte. Versuch es zuerst in seiner Unterkunft, dann auf dem Anbaugelände und erst nachher in der Kraftwerkze ntrale.“ Er wandte sich an die anderen und gestikulierte wild. Schließlich hatte er ihnen seine Wünsche verdeutlicht, aber ich hatte gemerkt, daß er über seine geringen Kenntnisse der Gesten-Sprache die Wahrheit gesagt hatte.
Ich war gar nicht enttäuscht, als das Mädchen mich am Arm faßte und mir bedeutete, ich solle ihr folgen. Wir hatten also noch immer Begleitung, aber es hätte schlimmer sein können.
Bert hatte sich mit seinen Gesten so verständlich gemacht wie mit seinem Geschreibsel. Wir schwammen erst zu einem Raum, der offensichtlich als Privatunterkunft diente — das merkte ich, als wir drinnen waren. Die Tür war nämlich nicht anders wie viele andere entlang der Gänge. Das Mädchen wandte nun das erste Geräuschsignal an, das ich hier zu hören bekommen hatte — ein ganz gewöhnliches, aber leises Pochen auf einem runden Panel neben der Tür.
Als niemand darauf reagierte, öffnete sie die Tür und schwamm hinein.
Offenbar legte man hier an Begriffe wie Privatsphäre einen anderen Maßstab an. Die Wohnung war in drei Bereiche unterteilt.
Eine Abteilung diente dem Schlafen, die andere dem Lesen und ähnlichen Solo-Aktivitäten, während der größte Bereich für geselligere Anlässe gedacht war. Joey war nicht da, und das Mädchen schwamm uns wieder voraus, diesmal in eine andere Richtung. Wir gelangten an einen der nach oben geneigten Tunnels, die zum Anbaugebiet führten.
Diesmal war ich mehr auf Draht und erwischte den veränderten Winkel richtig.
Draußen im Freien, hielt sie inne und sah sich nach Joey um. Inzwischen versuchte ich die Größe des Anbaugebietes an Hand der Bevölkerungszahl zu errechnen, kam aber nicht weit, da ich nicht wußte, wie viel Nahrung pro Kopf vorgesehen war.
Nach fünf Minuten des Umsehens und Herumfragens hatten wir Joey gefunden. Die Wartezeit hatte ich damit verbracht, ihm meine Nachricht fein säuberlich aufzuschreiben, so daß nun keine Zeit verlorenging, als wir ihn einholten. Meine Mitteilung besagte nur, daß Bert an die Oberfläche wollte, und daß ich mit Joey zusammenarbeiten würde, sobald er mich brauchen konnte.
Elfven nickte. Er nahm die Tafel und schrieb.
„Ich arbeite in ein paar Stunden weiter. Nach dem Essen muß ich schlafen. Findest du allein ins Kontrollzentrum zurück?“
„Ich weiß nicht recht. Aber schließlich habe ich eine gute Führerin bei mir“, erwiderte ich. Er sah das Mädchen an und nickte.
„Es wäre gut, ich könnte mir diese Verständigungsmethode aneignen“, schrieb er. „Ohne Bert wird es uns lausig gehen. Warum geht er selbst, anstatt dich zu schicken?“
„Er glaubt wohl, sein Bericht würde vollständiger ausfallen als meiner. Wahrscheinlich stimmt es.
Solange wir bei der Arbeit miteinander zu tun haben, wird uns die Sprache nicht allzu sehr fehlen.“
Joeys Achselzucken zeigte an, daß er mir nicht völlig recht geben konnte, daß ihm aber die Sache nicht so wichtig war. Er setzte seine Nahrungsaufnahme fort.
Ich genehmigte mir selbst ein paar Happen, hatte aber mehr meine Rückkehr zu Marie im Sinn. Ich berührte das Mädchen an der Schulter — auch sie kaute — und deutete auf die Tunnelöffnung, aus der wir gekommen waren. Ich hatte mir die Richtung gemerkt. Sie nickte und schwamm voraus. Na, wenigstens gab es das eine oder andere Zeichen, das wir beide verstanden.
Wir brauchten zehn oder fünfzehn Minuten bis zu der Stelle, wo wir Marie zurückgelassen hatten. Sie war natürlich nicht da. Ich hatte den Eindruck, meine Führerin hätte vergessen, daß das Boot schon vor uns gestartet war, aber ich tat ihr vielleicht unrecht. Sie setzte sich jedenfalls schleunigst in jene Richtung in Bewegung, die das Boot eingeschlagen hatte, und in einer weiteren Viertelstunde hatten wir eine Stelle erreicht, an die ich mich erinnern konnte — den Gang mit dem großen Ventil, durch das mein Tank hineingeschafft worden war, als ich der Druckbehandlung unterzogen wurde.
Da ich die allgemeine Lage nun besser kannte, widmete ich der kleineren Schleuse mehr Aufmerksamkeit. Ein genauerer Blick zeigte mir, daß sie mit einem schwer gepanzerten ausfahrbaren Anschlußteil ausgestattet war, der im Moment zurückgezogen war. Diese Manschette konnte ganz einfach an die Einstiegluke eines jeden gewöhnlichen Arbeitsbootes angepaßt werden.
Es wunderte mich ein wenig, daß Maries Boot noch nicht da war. Ich glaube, das Mädchen wunderte sich auch. Sie sah sich ratlos um, als wüßte sie nicht, was zu tun wäre. Dann sah sie mich an, als erwarte sie von mir weitere Anweisungen.
Ich beschränkte mich auf ein Nicken. Ich war ganz sicher, daß dies die richtige Stelle war. Vielleicht hatte die Tunnelgröße die anderen zu einem Umweg gezwungen, aber dies konnte ich meinen Begleitern nicht verdeutlichen. Außerdem hätten sie ja selbst auf diese Idee kommen können. Sie kannten sich hier wesentlich besser aus als ich.
Bert kreuzte als erster auf, begleitet von einem Mann in mittleren Jahren und von intelligentem Aussehen. Er stellte mir den Menschen nicht direkt vor, schrieb aber, daß dies der Arzt sei, der die Herz-Lungen-Maschine bedienen könne und dafür sorgen würde, daß Nebenhöhlen und Mittelohr während der Druckänderung ständig unter Beobachtung wären.
Es vergingen zehn Minuten, als das Boot aus der Richtung des Meeres-Einganges her auftauchte.
Fast gleichzeitig gesellte sich noch ein Schwimmer aus der entgegengesetzten Richtung zu uns. Ich bedachte ihn mit einem beiläufigen Blick in der Annahme, es handle sich um einen der Techniker, der bei dem Vorgang gebraucht wurde. Doch dann schlossen sich meine Augen jäh, als ich von der Netzhaut jenes Bild löschen wollte, das sich, wie ich hoffte, als falsch erweisen würde.
Als ich die Augen wieder öffnete, war es aber noch immer Joey Elfven. Ich mußte zugeben, daß der Regisseur, wer immer das sein mochte, sein Geschäft blendend verstand.