VII

Ich erwachte, weil ich wie wild herumgeschleudert wurde.

Das Gewitter war in vollem Gange. Genauer gesagt, ich erwachte, weil mir die Kante der Steuerkonsole eins über den Kopf gab.

Der Hieb war nicht hart genug, um meinen Schädel oder der Konsole ernsthaft Schaden zuzufügen.

Er war nur sehr unangenehm. Unangenehm war übrigens die ganze Situation. Schon in einem stabilen Boot ist das Auf— und Niederta nzen auf fünfzehn Fuß hohen Wellen kein Genuß. In einem beinahe kugelförmigen Behälter, der praktisch keine Neigung zu einem deutlichen Oben und Unten hat, ist dieser Zustand noch viel unerträglicher. Ich hatte bereits einiges erlebt, darunter den freien Fall im All, was wahrhaftig kein Vergnügen ist, aber ich ziehe ihn jederzeit dem Dasein als menschlicher Volleyball inmitten eines auch nur mittelmäßigen pazifischen Gewitters vor. Wieder so ein Punkt, dem bei der Konstruktion der Unterwasser-Rettungsbehälter zu wenig Beachtung geschenkt worden war. Man hatte das Aufsteigen an die Oberfläche als wichtiger eingestuft als das Wohlbefinden danach. Mir blieb nun nichts übrig, als das Sendegerät einzuschalten und dabei meinen Magen möglichst stabil zu halten.

Dabei konnte ich nicht mal sicher sein, daß jemand empfangen würde — meinen Funkspruch, versteht sich. Doch standen meine Chancen nicht zu schlecht, da meine Rückkehr ja erwartet wurde.

Aber bei mir hatten sich in jüngster Zeit mehrere recht gute Chancen als Pleiten erwiesen.

Nicht mal einschlafen konnte ich. Ein Glück, daß ich so viel Vernunft hatte, nichts zu essen, obwohl ich noch vor kurzem Appetit gehabt hätte. Mein leerer Magen machte sich jetzt bezahlt, weil er dem Brechreiz nicht nachgeben konnte. Ich war mome ntan völlig handlungsunfähig. Zu dieser physischen Zerreißprobe kam die psychische Belastung des Aufstiegs vom Meeresboden. Doch es hat wohl wenig Sinn, wenn ich mich weiter darüber verbreite. Ich könnte womöglich auf Verständnis stoßen.

Jetzt wünschte ich, ich hätte mir die Mühe gemacht festzustellen, wie lange das Gewitter noch andauern würde. In diesem Fall hätte ich mir durch einen gelegentlichen Blick auf die Uhr Trost verschaffen können. Wie die Dinge nun aber standen, war es besser, wenn ich diese Blicke vermied.

Denn die Zeit verging quälend langsam. Statt der Uhr behielt ich lieber die anderen Instrumente im Auge, obgleich ihre Werte auch keinen Trost darstellten — und ich war machtlos dagegen.

Nie hätte ich es für möglich gehalten, daß das Aufhören einer ständigen Bewegung etwas anderes bringen könnte als Erleichterung. Hätte jemand das Gegenteil behauptet, so wäre ich in diesem Auge nblick ausfällig geworden aus Angst, er könnte womöglich recht behalten. Leider stimmte es. Das Ende kam nämlich viel zu plötzlich.

Als erstes hörte das Schlingern auf. Der Tank hüpfte zwar noch immer auf und nieder, schien sich aber endlich ein Oben und Unten zugelegt zu haben. Schließlich hurte auch dieses Auf und Nieder auf. Zu diesem Zeitpunkt bestand eigentlich kein Grund für einen Blick zum Druckanzeiger, ich schaute trotzdem hin.


Ich hatte mich nicht getäuscht. Der Tank war wieder im Sinken begriffen.

Eines stand fest: es handelte sich um kein gewöhnliches Sinken. Der einzige Hohlraum, der dem Tank Schwimmkraft verlieh, war der, in dem ich hockte. Ich hätte ein Leck als Erster bemerken müssen. Nein, nein, ich wurde nach unten gezogen.

Und die Möglichkeit, ein Riesenkrake hätte mich erwischt, konnte ich ausschließen. Der Sonar-Monitor zeigte im Moment nichts an. Und eventuelle Anzeigen der letzten Stunde hatte ich verschlafen.

Es gab nur eine einzige vernünftige Erklärung für das Sinken. Ich sah nach unten, ohne zu wissen, was ich zu sehen hoffte, und sah tatsächlich nicht viel. Das U-Boot hatte seine Lichter nicht eingeschaltet. Ich selbst machte Licht, konnte aber nur die Leine sehen, die nun straff nach unten führte von dem Netz aus, das fest um mich gewickelt war, bis hin zu einem undeutlichen Rumpf, der kaum mehr auszumachen war.

Die Leine war für das Vorhaben genau richtig.

Wir sanken nun viel schneller, als mein ursprünglicher Ballast mich hinuntergezogen hatte. Wenn die Eigentümer des Seils ihm unter so großer Beanspruchung Vertrauen schenkten, war es wohl zwecklos, ihrem Urteil mit Zweifeln zu begegnen.


Die Hoffnung, das Seil könne reißen, konnte ich fahren lassen. Ich rechnete damit, in etwa zwanzig Minuten auf dem Meeresgrund anzukommen und ließ es dabei bewenden.

Wenigstens konnte ich jetzt etwas essen. Ich nahm also eine Dextrose-Kapsel mit soviel Ruhe zu mir, wie ich aufbringen konnte. Mir blieb nichts anderes übrig. Sie hatten mich geschnappt.

Wir befanden uns noch einige hundert Fuß über dem Grund, als sich Gesellschaft zeigte. Zwei weitere U-Boote, hellerleuchtet, glitten näher. Es waren Arbeitskähne, ähnlich dem, mit dem ich mich vor einigen Stunden herumgeschlagen hatte. Falls sie mit dem, der mich schleppte, in Verbindung standen, dann war es einer, den meine Instrumente nicht registrieren konnten. Ihre Manöver waren jedenfalls hervorragend koordiniert. Erst ging der eine, dann der andere Neuankömmling längsseits und benutzte seine ›Hände‹ um an meinem Netz mehrere hakenbewehrte Metallstücke anzuhängen.

Die Gewichte entlasteten nun das Schleppseil so stark, daß damit jede, auch noch so kleine geheime Hoffnung, es könnte reißen, erledigt war.

Dann löste sich ein Schwimmer von jedem Boot und bezog neben mir Stellung. Sie hielten sich ebenfalls an dem Netz fest. Ich machte schnell Licht, konnte aber keines der Gesichter erkennen.


Ich fragte mich schon, was aus dem Burschen geworden war, den ich so schwer getroffe n hatte, und was seine Freunde wohl von mir denken mochten.

Das menschliche Bewußtsein schweift oft auf den seltsamsten Seitenwegen ab.

Nicht ein einziges Mal während dieser Abschleppaktion dachte ich an ihre Reaktion darauf, daß ich ihre offensichtlich ge heime Anlage entdeckt hatte. Hätte ich daran gedacht, so hätte ich mir wahrscheinlich sagen müssen, daß sie den Tank mühelos hätten knacken können, wenn sie ernsthaft etwas gegen mich unternehmen wollten.

Schließlich kam der Meeresboden in Sicht.

Diesmal war er unbeleuchtet. Zuerst dachte ich, sie hätten ihre Lichter ausgemacht. Dann wurde mir klar, daß der Sturm mich ein Stück abgetrieben haben mußte, wahrscheinlich befand sich das Zelt in einiger Entfernung von uns. Hier gab es nun einen ganz gewöhnliche n Meeresboden mit Krabbenhöhlen. Das konnte ich beurteilen, weil das Boot nach dem Aufsetzen das Seil einholte und mich etwa zwanzig Fuß über dem Boden schweben ließ. So konnte ich mir das Boot auch gründlich ansehen und feststellen, daß es nicht das von früher war. Es war nämlich doppelt so groß.

Ansonsten unterschied es sich nicht sehr stark vom allgemeinen Typ. Außen herum jede Menge Zusatzgeräte — womöglich sogar noch mehr. Es war ein Arbeits— und kein Reiseboot. Auch ohne meinen Tank hätte es keine große Geschwindigkeit machen können, doch ich bemerkte immerhin, daß wir uns bewegten. Zweifellos ging es nun entweder zu dem Eingang, den ich schon kannte, oder zu einem anderen. Ich hielt aufmerksam nach den Lichtern Ausschau.

Es stellte sich heraus, daß wir einem anderen Eingang zustrebten. Wir brauc hten dazu zwei Stunden, obwohl die Schätzung rein akademisch ist, da ich ja nicht wußte, wann und wo wir gestartet waren.

Dieser Schacht war kleiner als der andere, das beleuchtete Zeltdach nirgendwo zu sehen.

Dieser Eingang maß nur etwa fünfundzwanzig Fuß im Durchmesser, war also viel zu klein für mein Abschleppboot. Für die beiden anderen hätte es eben gereicht. Er war vollkommen zylindrisch, mit vertikalen Seiten und öffnete sich wie der andere Eingang am Grunde einer flachen Senke. Ich hatte keine Mühe, alle Einzelheiten auszumachen, da er hell erleuchtet war.

Zahlreiche Leitern führten vom Rand hinunter.

Als ich näher herankam, sah ich, daß sie nicht ins Nichts führten. Ich konnte die unteren Enden der Leiter auf der gegenüberliegenden Seite des Schachtes sehen.


Im Loch und drumherum tummelten sich Schwimmer, die offenbar auf uns gewartet hatten.

Als wir näherkamen, paddelten sie gemächlich daher und drängelten sich um den Tank. Mein Abschleppboot hatte neben dem Eingang auf dem Boden aufgesetzt.

Mein Tank trieb nun nach oben, leicht in Vorwärtsrichtung, bis das Schleppseil vertikal war.

Einer der Schwimmer gab winkend ein Signal, und ich bekam wieder ein Stück Ballast an mein Netz gehängt. Damit war das Seil entspannt, und ich sank tiefer.

Wieder gab der Schwimmer ein Zeichen, und das große Boot ließ die Leine frei. Ein paar Männer packten das Seil. Die anderen faßten nach dem Netz, und alle zusammen schoben mich auf den Schacht zu. Das schien mir nun das Allerletzte.

Falls die nicht so dämlich waren, mich genau unter ihrem Loch im Dach stehenzulassen, was auch in der realistischen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts nicht als glaubwürdig gegolten hätte, wäre auch die entfernteste Cha nce einer Rückkehr ohne ihre Einwilligung und Hilfe geschwunden, sobald ich den Eingang passiert hatte.

Beinahe wäre ich in Panik geraten. Man möge mir die Frage erlassen, warum ich manchmal solche Ängste verspürte und im nächsten Moment wieder ganz ruhig und ausgeglichen war. Ich könnte es nicht erklären. So bin ich eben, und wem dies nicht gefällt, der möge sich damit trösten, daß es nicht sein eigenes Problem ist.

Was ich in diesen wenigen Minuten überlegte oder tat, weiß ich nicht mehr. Und wenn ich mich erinnern könnte, würde ich es vermutlich niema ndem sagen wollen. Eines stand jedenfalls fest: ich konnte überhaupt nichts tun. Ich verfü gte über soviel Handlungsfreiheit wie ein Goldfisch in seinem Glas, und das ist ein Zustand, der einen Menschen ganz schön auf Touren bringen kann, einen Me nschen, der schließlich daran gewöhnt ist, seine Umgebung wenigstens annähernd im Griff zu haben.

Am Rande des Schachtes hatte ich mich wieder beruhigt. Auch dafür kann ich keinen Grund angeben, bin aber imstande, in diesem Fall wenigstens des Ergebnis zu registrieren. Als wir die oberen Enden der Leitern erreichten, trat eine Pause ein.

Man umdrängelte mich und hängte, um das Maß voll zu machen, weiteren Ballast an mein Netz. Die Schwimmer ihrerseits holten sich Werkzeuggürtel von den Haken an den Leiterenden und banden sich die Gürtel um die Mitte. Ich konnte nicht recht einsehen, warum die diese Dinge drinnen mehr brauchten als draußen. Dann aber kam mir der Gedanke, das die Werkzeuge womöglich dazu dienen sollten, meinen Tank zu knacken. Ich schob diesen Gedanken für den Augenblick entschieden beiseite.

Von innen war der Schacht einem Loch in der Decke noch ähnlicher. Die darunterliegende Ka mmer war viel größer, als ich es mir vorgestellt hatte.

Sie maß hundert Fuß im Geviert. Der Eingang war einfach ein schwarzer Kreis über mir, der immer kleiner wurde. Die Schwimmer drückten mich gegen eine der Wände.

Zunächst dachte ich, das das Rollen über die De kke einfacher sein würde als dieselbe Aktion auf dem Meeresgrund, doch ließ ich den Punkt als irrelevant und akademisch gleich wieder fallen. Meine Moral hob sich, war aber immer noch ziemlich mies.

Na, wenigstens war ich noch am Leben und hatte sogar meine Aufgabe teilweise erfüllt. Ich hatte den Transponder in der Nähe eines Eingangs abgesetzt, und die Chance, das er nicht entdeckt worden war, schien nicht so gering. Mein Rettungsruf an der Oberfläche war einige Stunden lang gelaufen, und die Chancen, daß er gehört worden war, waren ausgezeichnet. Die Aufsichtsbehörde würde nun wissen, das ich etwas unternommen hatte, und würde gewiß Nachforschungen nach meinem Verbleib anstellen. Und wenn man den Meeresgrund mit weitgestreutem Sonar absuchte, würde man kaum die glatte Zeltoberfläche übersehen, auch für den Fall, daß die Transponder nicht funktionierten. Eigentlich war es in Anbetracht der Größe des Zeltes erstaunlich, daß ganz gewöhnliche Tiefenmesser es nicht bereits registriert hatten.

Diesem Punkt hätte ich mehr Überlegung widmen sollen, obgleich meine Moral damit sofort wieder eine Talfahrt ange treten hätte. Aber so konnte ich mich der Hoffnung hingeben, daß man diese Einrichtung ziemlich bald entdecken würde, auch wenn man mich zunächst nicht finden sollte.

In dem großen Raum gab es wenig Bemerkenswertes. Zunächst nahm ich an, es handle sich dabei um eine Druckschleuse oder den Vorraum zu einer solchen, doch der große Tunnel, der hier abzweigte, hatte keine Tür. An den Wänden waren kleinere Paneele, die Schleusen hätten sein können — einige waren so groß, daß ein Mensch darin Platz gehabt hätte.

Die Schwimmer schleppten mich an den Tunneleingang und dann hinein. Der Durchmesser betrug hier zwanzig Fuß, mehr als genug für den Tank.

Der Tunnel war fast ebenso gut beleuchtet wie der Raum, den wir eben verlassen hatten. Wieder packte mich Wut auf dieses Pack, das hier so verschwenderisch mit seiner Energie umging. Auch fragte ich mich, woher sie soviel Energie gewannen. Meine Arbeit brachte es natürlich mit sich, daß ich schon öfters mit Energie-Schmugglern zu tun gehabt hatte. Noch nie hatte ich es mit einer Vergeudung dieser Größenordnung zu tun gehabt.

Wir bewegten uns nur wenige Yards — etwa zwanzig — den Tunnel entlang, bis wir wieder einen großen Raum erreichten. Dort zerrte man mich hinein. Von seinem Boden aus verliefen mehrere kleinere Tunnels — oder vielleicht sollte ich sagen Schächte. Auf den ersten Blick zählte ich acht.

Keine dieser Öffnungen hatte Klappen oder Türen.

Offenbar stand ein großer Teil der Installation unter Wasser und unter Außendruck. Vielleicht war es eine Mine. Das hätte die Herkunft der Energie erklärt, wenn es sich bei dem geförderten Produkt um Uran oder Thorium handelte. Das Freihalten aller Windungen und Tunnels einer Unterwassermine von Wasser wäre höchst unpraktisch gewesen.

Mir blieb kaum Zeit, diesen Gedanken durch mein Gehirn jagen zu lassen, während die Schwimmer mich samt meinem Tank auf den Boden setzten. Der Tank wollte ein Stück wegrollen, und ich ließ drei Beine ausfahren, die uns stützen sollten. Ein Glück, daß alle drei durch die Netzmaschen hindurchfa nden. Das war also erledigt, und ich konnte mir die Menschen um mich herum ansehen und abwarten, was sie als nächstes tun würden.

Jetzt waren sie dran.

Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, aber allein die Erinnerung daran, was sie nun taten und die Wirkung auf mich gefällt mir gar nicht.

Sie nahmen ihre Helme ab. Eine Meile unter der Meeresoberfläche, unter einem Druck, der Meeresschwämme zerquetscht und Metall zu dünner Folie plattgedrückt hätte, nahmen sie ihre Helme ab.

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