XI

Es dauerte eine halbe Stunde, bevor er aufkreuzte.

Er spähte durch ein Fenster herein, sah, daß ich wach war, und schnappte sich sofort das Schreibzeug.

„Nachgedacht?“ war seine erste Frage. Ich nickte.

„Gut. Entschluß gefaßt?“

„Ich glaube ja“, rief ich zurück. „Ich — “, ich zögerte. Teils aus Effekthascherei, teils aus echter Unsicherheit heraus. Es war gut mö glich, daß ich mich in so vielfacher Hinsicht geirrt hatte. Dann raffte ich mich auf.

„Ich bleibe.“

Er war ein wenig erstaunt und fing zu schreiben an. Ich fuhr fort, noch ehe er fertig geschrieben hatte. „Zumindest bleibe ich, wenn du mir eines sicher sagen kannst.“

Er löschte das Geschriebene und sah mich erwartungsvoll an.

„Glaubst du wirklich — ich frage nicht, ob du weißt, sondern ob du glaubst —, daß diese Menschen sich mit Fug und Recht nicht dem Energienetz und der Rationierung anschließen?“

Berts Miene drückte Unwillen aus, als er schrieb:

„Ich sagte, du müßtest aus eigenem Willen zu einem Entschluß kommen. Ich übernehme keine Verantwortung.“

„Ich werde mich sicher aus freien Stücken entschließen“, erwiderte ich, „aber nicht ohne bestimmte Daten. Du sagst, wir hätten keine Zeit und du könntest mir nicht alles sagen, was ich wissen möchte, und ich bestreite dies. Ich möchte von dir eine Zusammenfassung, keine Information, die du nicht weitergeben darfst, sondern nur eine Schlußfolgerung — eine Meinung, also eine Zusamme nfassung der Information, die ich nicht bekommen darf.


Hast du deinen Entschluß mit demselben geringen Wissen gefaßt wie ich?“

Verneinendes Kopfschütteln.

„Dann tut es mir leid, wenn du meine Frage als Zweifel an deiner Moral aufgefaßt hast, aber ich möchte eine Antwort.“

Er runzelte die Stirn und sah mich zweifelnd an.

Ich wiederholte meine Frage, weil ich sichergehen wollte, daß er mich verstand.

„Ich bin davon überzeugt, daß man hier das Richtige tut“, schrieb er schließlich. Ich nickte.

„Schön, dann bleibe ich. Wie lange dauert es, bis man mich aus dieser Kokosnuß hier befreit hat?“

„Ich weiß nicht.“ Das Schreiben brauchte Zeit und wurde immer wieder von Denkpausen unterbrochen. „Es handelt sich um kein Standardverfahren. Unsere Gäste kommen meist in U-Booten, die über Druckschleusen oder zumindest irgendwelche Ausstiegsmöglichkeiten verfügen. Ich werde dem Rat Bericht erstatten, und wir werden ein paar Techniker damit befassen, die genügend Zeit haben. Ich bin sicher, daß es sich mache n läßt.“

„Soll das heißen — daß es länger dauern könnte?

Und wenn es länger dauert, als mein Luftvorrat ausreicht?“

„Dann werden wir dich nach oben abschieben müssen. Wenn du dann noch immer zurückko mmen möchtest, kannst du wie Marie in einem U-Boot kommen. Na, ich sehe lieber zu, daß die Sache anläuft.“

„Aber warum hast du das nicht schon früher gesagt? Ich dachte — nun ja…“

„Es gibt Dinge, die verstehen sich wohl von selbst. Du wirst doch nicht erwarten, daß wir die geeigneten Geräte aus dem Handgelenk schütteln, Geräte, mit denen man einen Menschen aus einer Hochdruck-Rettungskapsel in Hochdruck-Umgebung herausschält.“ Er legte das Schreibzeug weg und war verschwunden, noch ehe ich eine passende Antwort parat hatte.

Und als er nach einer Stunde wiederkam, hatte ich noch immer keine Antwort darauf. Ich bin sie ihm bis jetzt schuldig geblieben.

Bert seinerseits brachte bessere Nachrichten, als ich befürchtet hatte. Der Rat, oder zumindest die Mitglieder, die er angetroffen hatte — mir war nämlich klargeworden, daß es sich dabei um eine Körperschaft fluktuierender Zusamme nsetzung handelte und daß hier die Dinge offiziell erledigt wurden, indem man alles mit einem Ausschuß eigener Wahl regelte —, hatte meinem Ersuchen widerspruchslos stattgegeben. Mehrere Techniker der Gruppe interessierten sich so sehr für das Problem, das ich darstellte, daß sie sich unverzüglich an die Arbeit machten. Sie waren emsig am Werk und würden sicher bald zu einem Ergebnis kommen.

Das war ermutigend. Ich bin selbst Techniker, habe aber mit der Technik eigentlich nur beiläufig und im Zusammenhang mit meiner Hauptaufgabe zu tun. Jede einzelne Idee, die ich gehabt hatte, knallte gegen eine leere Wand. Hier handelte es sich um grundlegende Vorgänge. Mir wollte einfach nicht in den Kopf, wie man in einer Flüssigkeit und unter einem Druck von mehr als einer Tonne pro Quadratzoll schweißen, bohren und anderes konnte. Beispielsweise haben die meisten Werkzeuge einen Motor mit hoher Umdrehungszahl. Solche Motoren kann man sich kaum funktionierend vorstellen, wenn die beweglichen Teile in eine auch nur mäßig dickflüssige Flüssigkeit getaucht waren. Und wie konnte man unter diesem Druck die Flüssigkeit ausschalten?

Klar, wenn diese Menschen schon achtzig Jahre hier lebten, wie Bert behauptet hatte, dann mußten sie sich die für das Überleben in dieser Umwelt nötigen Kniffe angeeignet haben, so wie der Mensch sich die Weltraumtechnik auf mühsame Weise angeeignet hatte. Dennoch wäre mir lieber gewesen, ich hätte gewußt, wie man hier mein Problem zu lösen gedachte.


Ich sollte es nicht in allen Einzelheiten erfahren, merkte aber, daß die Sache flott vonstatten ging.

Bert brachte ein ganzes Technikerteam mit, und man fing an, den Tank zu bewegen. Ein hübsch langer Weg. Wir gelangten nach draußen und legten etwa eine Meile zurück, bis wir zu einem anderen, größeren Eingang kamen. Dahinter lagen me hrere geräumige Gänge, die von einem Hauptraum abzweigten.

Man schleppte mich ein ganzes Stück in einen dieser Gänge hinein, und wir machten vor zwei Schleusen halt, den ersten richtigen Schleusen, die ich seit meiner Ankunft zu sehen bekam.

Die eine war ganz gewöhnlich, und ich widmete ihr kaum mehr als einen flüchtigen Blick. Die andere war kreisrund, knapp groß genug für meinen Tank. Sie war in derselben Wand angebracht wie die kleinere Schleuse, etwa zwanzig Yards entfernt.

Zwei schwammen voraus und öffneten sie, und dann wurde der Tank hindurchmanövriert. Die Wand, in der die Tür hing, war mehrere Fuß dick, die Tür selbst nur wenig dünner. Ich rechnete mir aus, daß der dahinterliegende Raum wohl derjenige war, in dem man den Druck verminderte.

Der Raum war von beträchtlicher Größe. An der einen Seite drängten sich Apparate verschiedener Art. Auf den ersten Blick zu erkennen war ein Operationstisch mit breiten Haltegurten und einem Paar ferngesteuerter Hände von viel feinerer Konstruktion als jene, die ich an den Arbeits-Booten gesehen hatte.

Der größere Teil des Raumes, in den man nun den Tank stellte, war fast leer. Der Operationsraum war ursprünglich wohl viel kleiner gewesen. Ich sah Anzeichen dafür, daß man eine Zwischenwand von gleicher Stärke wie die Türwand entfernt hatte. Ich hätte gern die Werkzeuge gesehen, die man dazu benutzt hatte.

Ich sollte recht behalten. Der kleinere Teil war der ursprüngliche Umwandlungsraum. Die kleinere Schleuse konnte mit dem Ausstieg eines Besuchs-Bootes gekoppelt werden. Zu dumm, daß mein Tank keine Luke hatte. Er ließ sich normalerweise durch bloße Zweiteilung öffnen.

Bert schrieb für mich Instruktionen auf, während die anderen sich aus dem Staub machten.

„Sobald wir alle draußen sind und die Tür versperrt ist, wird der Raum auf Oberflächendruck leergepumpt. Ein grünes Licht flackert über dem Tisch auf, aber du merkst es ohnehin — du wirst nämlich deinen Tank aufmachen können. Steig aus, und leg dich auf den Tisch. Befestige die Gurte an Leib und Beinen. Wenn du fertig bist, drück den roten Signalknopf, den du von hier aus siehst.“


Er zeigte auf den Knopf.

„Er liegt in Reichweite deiner rechten Hand. Eine der Hände wird dir einen Behälter mit einem Schlafmittel verabreichen. Trink aus und entspann dich. Während du noch bei Bewußtsein bist, kö nnen wir nicht mehr machen.“

„Warum nicht?“

„Man muß dich während der Umwandlung an eine Herz-Lungen-Maschine anschließen. Keine Angst. Eine reine Routinesache. Sobald du aus dem Tank draußen bist und auf dem Tisch liegst, haben wir das einzig ungewöhnliche Problem, das du mit dir bringst, gelöst. Alles in Ordnung?“

„Verstehe. Ja, alles bestens.“ Er legte das Täfelchen weg und schwamm durch die gewichtige Schleuse, hinaus, die hinter ihm langsam zuschwang. Die Tür hatte weder Sperre noch Klammern, doch sie ließ sich nur hinaus auf den Gang öffnen und brauchte keinen Sperrmechanismus.

Kaum war nämlich der Druck gesenkt, würde höchstens ein Erdbeben imstande sein, die Tür zu öffnen.

Ich merkte genau, wann die Pumpen einsetzten.

Um mich herum erzitterte alles, und die Vibration war durch den Tank hindurch zu spüren. Ich verbrachte eine geraume Zeit mit Schätzungen bezü glich der benötigten Leistung, um einen Raum dieser Größe unter einem Druck einer Wassersäule von einer Meile zu leeren, und noch mehr Zeit, mir die Frage zu stellen, wie die geheimnisvolle Flüssigkeit, die das Wasser ersetzte, sich bei vermindertem Druck verhalten würde. Falls der Dampfdruck sehr hoch war, mußte nach dem Leerpumpen eine Säuberung stattfinden — nein, nicht unbedingt, wenn man genauer überlegte. Das Zeug mußte ja physiologisch harmlos sein, so daß man den Dampf im Raum belassen konnte. Wenn er aber leicht brennbar war, dann würde es Schwierigkeiten geben, sobald man für mich Sauerstoff einleitete. Ach was, die waren doch seit Jahrzehnten mit diesem Problem vertraut. Ich brauchte mir deswegen keine grauen Haare wachsen zu lassen.

Trotz der reichlich vorhandenen freien Energie, die mich zu umgeben schien, dauerte das Leerpumpen fast eine halbe Stunde. Der Flüssigkeitspegel sank stetig. Die Oberfläche blieb unbewegt. Es gab kein Brodeln oder ein etwaiges anderes auffälliges Verhalten. Es hätte sich ebenso gut um Wasser handeln können. Das Zeug ließ sich ohne Schwierigkeiten ableiten. Als es hell wurde, sah ich me hrere Pfützen auf dem ziemlich unebenen Boden.

Beim öffnen des Tanks beeilte ich mich sehr. Das Aussteigen gestaltete sich nicht ganz einfach. Ich bekam Ohrenschmerzen, als die zwei Hälften auseinander fielen. Den Druck hatten sie nicht ganz hingekriegt, doch war der Unterschied nicht so groß, daß es mir ernsthaft Schwierigkeiten bereitet hätte. Draußen hieß es dann Eile mit Weile. Arme und Beine waren so verkrampft, daß ich eine gewisse Zeit brauchte, um mich zu entspannen, und es zunächst kaum bis zum Tisch schaffte.

Der Tisch war sehr bequem. Aber in diesem Augenblick wäre mir buchstäblich alles, worauf ich mich ausstrecken konnte, einschließlich des Steinfußbodens, bequem erschienen. Ich machte den breiten Gurt um Mitte und Brust fest und entdeckte prompt, daß ich nun den für die Beine bestimmten nicht mehr erreichen konnte. Ich lockerte also den Gurt, versorgte die Beine, zog den oberen Gurt wieder fester und konnte nun das rote Signalknöpfchen drücken.

Wie versprochen streckte sich eine der mechanischen Hände mir entgegen und reichte mir einen Becher mit einer Flüssigkeit und einer biegsamen Röhre, damit ich im Liegen trinken konnte. Ich befolgte die Anordnungen, und das ist auch alles, was mir von dem ganzen Vorgang im Gedächtnis blieb.

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