Also gut«, sagte Mat und entrollte eine von Roidelles besten Karten auf dem Tisch. Talmanes, Thom, Noal, Juilin und Mandevwin hatten ihre Stühle darum geschart. Neben der Karte von der Gegend entrollte Mat den groben Plan einer mittelgroßen Stadt. Es hatte einige Mühe gekostet, einen Kaufmann zu finden, der bereit gewesen war, ihnen einen Stadtplan von Trustair zu skizzieren, aber nach Hinderstap verspürte Mat nicht das geringste Verlangen, eine Stadt zu betreten, ohne vorher zu wissen, was sie erwartete.
Mats Pavillon lag im Schatten des Kiefernwaldes, und der Tag war kühl. Gelegentlich wehte der Wind, und abgestorbene Kiefernadeln lösten sich von den Baumkronen und regneten zu Boden; einige prasselten dabei auch auf das Zeltdach. Draußen unterhielten sich Soldaten, und Geschirr schepperte, als das Mittagessen ausgeteilt wurde.
Mat studierte den Stadtplan. Es war Zeit aufzuhören, sich wie ein Narr zu verhalten. Die ganze Welt hatte sich entschieden, sich gegen ihn zu wenden - selbst Bergdörfer waren heutzutage Todesfallen. Soweit es ihn betraf, würden sich als Nächstes die Gänseblümchen am Straßenrand zusammenrotten und versuchen ihn zu fressen.
Der Gedanke ließ ihn innehalten, weil er an den armen Kesselflicker denken musste, der in der Phantomstadt in Shiota versunken war. Als der Geisterort verschwunden war, hatte er eine Wiese mit Schmetterlingen und Blumen hinterlassen. Einschließlich Gänseblümchen. Verflucht, dachte er.
Nun, Matrim Cauthon würde jedenfalls nicht sein Ende auf einer vergessenen Straße irgendwo im Nirgendwo finden. Dieses Mal würde er planen, und er würde bereit sein. Zufrieden mit sich nickte er.
»Dieses Gasthaus hier«, sagte er und zeigte auf den Plan, »das Zur drohenden Faust. Zwei verschiedene Reisende stimmten darin überein, dass es ein schönes Gasthaus ist, das schönste von den dreien in der Stadt. Die Frau, die nach mir sucht, hat sich keine Mühe gemacht, ihren Aufenthaltsort zu verbergen. Also bedeutet das, dass sie sich gut beschützt fühlt. Wir können mit Wächtern rechnen.«
Mat zog eine andere von Roidelles Karten hervor, auf der die Gegend um Trustair besser zu sehen war. Die von sanft ansteigenden Hügeln umgebene Stadt befand sich in einer Senke neben einem kleinen See, der von einer Quelle im Hochland gespeist wurde. Berichten zufolge wurde der See zur Aufzucht ausgezeichneter Forellen genutzt, die die Haupteinnahmequelle der Stadt darstellten.
»Ich will drei Kompanien leichter Kavallerie hier«, sagte Mat und zeigte auf einen Hang. »Die Bäume werden sie verbergen, aber sie werden einen guten Blick auf den Himmel haben. Wenn die rote Nachtblume hochgeht, werden sie direkt auf der Hauptstraße hier zur Rettung kommen. Als Verstärkung für die Kavallerie werden wir hundert Armbrustmänner zu beiden Seiten der Stadt stationieren. Ist die Nachtblume grün, soll die Kavallerie einmarschieren und die zur Stadt führenden Hauptstraßen sichern, hier, hier und hier.«
Mat schaute auf und zeigte auf Thom. »Thom, du nimmst Harnan, Fergin und Mandevwin als ›Lehrlinge‹ mit, und Noal kann dein Lakai sein.«
»Lakai?«, fragte Noal. Er war ein knorriger Mann mit fehlenden Zähnen und einer Hakennase. Aber er war so zäh wie ein altes, von Schlachten zerschrammtes Schwert, das vom Vater an den Sohn vererbt worden war. »Wozu braucht ein Gaukler einen Lakaien?«
»Also gut«, entgegnete Mat. »Dann seid Ihr eben sein Bruder, der als Diener arbeitet. Juilin, Ihr …«
»Wartet, Mat«, meldete sich Mandevwin zu Wort und kratzte sich neben der Augenklappe. »Ich soll Gauklerlehrling sein? Ich glaube kaum, dass ich mit meiner Stimme gut singen kann. Ich schätze, Ihr habt mich schon einmal gehört. Und mit nur einem Auge bezweifle ich, dass ich vernünftig jonglieren könnte.«
»Ihr seid ein neuer Lehrling«, sagte Mat. »Thom weiß, dass Ihr kein Talent habt, aber er hatte eben Mitleid mit Euch, weil Eure Großtante - bei der Ihr gelebt habt, seit Eure Eltern bei dieser tragischen Ochsenstampede gestorben sind - an den Kleepocken erkrankte und verrückt wurde. Sie fing an, Euch Essensreste aufzutischen und wie den Familienhund Marks zu behandeln, der weglief, als Ihr sieben Jahre alt wart.«
Mandevwin kratzte sich am Kopf. Sein Haar war mit grauen Strähnen durchzogen. »Aber bin ich nicht etwas zu alt für einen Lehrling?«
»Unsinn. Im Herzen seid Ihr jung geblieben, und da Ihr nie geheiratet habt - die einzige Frau, die Ihr je geliebt habt, brannte mit dem Sohn des Kürschners durch -, bot Euch Thoms Ankunft die Möglichkeit für einen neuen Anfang.«
»Aber ich will meine Großtante nicht verlassen!«, protestierte Mandevwin. » Sie hat sich um mich gekümmert, seit ich ein Kind war! Es gehört sich nicht für einen Mann, eine ältere Frau im Stich zu lassen, nur weil sie ein bisschen wirr im Kopf ist.«
»Es gibt doch gar keine Großtante«, sagte Mat verzweifelt. »Das ist doch nur eine Geschichte für Euren falschen Namen.«
»Kann ich denn nicht eine Geschichte haben, die mich etwas ehrenhafter aussehen lässt?«
»Zu spät«, sagte Mat und blätterte einen Papierstapel auf dem Tisch durch, suchte nach fünf dicht vollgekritzelten Seiten. »Ihr könnt das jetzt nicht mehr ändern. Ich habe die halbe Nacht damit verbracht, Eure Geschichte auszuarbeiten. Das ist die beste von dem ganzen Haufen. Hier, prägt Euch das ein.« Er gab Mandevwin die Seiten, dann nahm er einen anderen Stapel und fing an, ihn durchzusehen.
»Bist du dir sicher, dass wir das nicht übertreiben, mein Junge?«, fragte Thom.
»Ich lasse mich nicht noch einmal überraschen, Thom«, erwiderte Mat. »Ich lasse es nicht zu, verdammt. Ich bin es leid, unvorbereitet in irgendwelche Fallen zu laufen. Ich nehme jetzt mein Schicksal in die eigenen Hände und höre auf, von einem Problem zum nächsten zu laufen. Der Augenblick ist gekommen, das Kommando zu übernehmen.«
»Und das macht Ihr mit…«, sagte Juilin.
»Decknamen mit ausführlichen Hintergrundgeschichten«, sagte Mat und gab Thom und Noal ihre Seiten. »O ja!«
»Was ist mit mir?«, fragte Talmanes. In seinem Blick lag wieder dieses Funkeln, auch wenn seine Stimme völlig ernst klang. »Lasst mich raten. Ich bin ein reisender Kaufmann, der sich einst mit den Aiel im Kampf geübt hat und nun zu diesem Dorf gereist ist, weil er gehört hatte, dass in dem See eine Forelle lebt, die seinen Vater beleidigt hat.«
»Unsinn.« Matt gab ihm seine Seiten. »Ihr seid Behüter. «
»Das ist ziemlich suspekt.«
»Ihr sollt ja auch suspekt sein. Es ist immer leichter, einen Mann in Kartenspiel zu schlagen, wenn er an etwas anderes denkt. Nun, Ihr werdet ›etwas anderes‹ sein. Ein Behüter, der auf einer mysteriösen Mission auf der Durchreise ist, wird kein so tolles Ereignis sein, dass er zu viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, aber für diejenigen, die wissen, worauf sie achten müssen, wird er eine gute Ablenkung darstellen. Ihr könnt Fens Umhang nehmen. Er hat versprochen, ihn mir zu leihen; er fühlt sich noch immer schuldig, weil er diese Dienerinnen entkommen ließ.«
»Natürlich hast du ihm nicht verraten, dass sie einfach verschwunden sind«, fügte Thom hinzu. »Und dass er es unmöglich hätte verhindern können.«
»Warum hätte ich ihm das sagen sollen?«, wollte Mat wissen. »Sinnlos, sich auf die Vergangenheit zu versteifen, sage ich immer.«
»Also ein Behüter?«, sagte Talmanes und blätterte seine Seiten durch. »Ich werde das Stirnrunzeln üben müssen.«
Mat sah ihn ausdruckslos an. »Ihr nehmt das nicht ernst.«
»Was? Gibt es hier jemanden, der es ernst nimmt?«
Dieses Funkeln sollte verflucht sein. Hatte Mat wirklich je geglaubt, dass dieser Mann nicht leicht zum Lachen zu bringen war? Er tat es bloß innerlich. Was einen wirklich zur Weißglut bringen konnte.
»Beim Licht, Talmanes«, sagte er. »In dieser Stadt sucht eine Frau nach mir und Perrin. Sie weiß, wie wir aussehen, und das so genau, dass sie eine Zeichnung anfertigen kann, die genauer ist, als meine Mutter sie zustande bringen könnte. Das verschafft mir eine Gänsehaut, als würde der Dunkle König hinter mir stehen. Und ich kann diesen verfluchten Ort nicht selbst betreten, weil jeder Mann, jede Frau und jedes Kind ein Bild mit meinem Gesicht besitzt und für diese Information viel Gold versprochen bekommen hat!
Möglicherweise habe ich es ja mit den Vorbereitungen übertrieben, aber ich will diese Person aufspüren, bevor sie eine Horde Schattenfreunde herbeiholen kann oder mir in der Nacht die Kehle durchschneidet. Verstanden?«
Mat schaute jedem der fünf Männer in die Augen, nickte und ging in Richtung Ausgang, verharrte dann aber neben Talmanes’ Stuhl. Er räusperte sich, dann murmelte er: »Insgeheim liebt Ihr die Malerei und wünschtet, Ihr könntet diesem Leben des Todes entrinnen, dem Ihr Euch verpflichtet habt. Ihr kamt auf dem Weg nach Süden durch Trustair, statt eine direktere Route zu nehmen, weil Ihr die Berge liebt. Ihr hofft, von Eurem jüngeren Bruder zu hören, den Ihr seit fahren nicht mehr gesehen habt und der auf einem jagdausflug im südlichen Andor verschwunden ist. Ihr habt eine sehr gequälte Vergangenheit. Lest Seite vier.«
Mat eilte hinaus in den schattigen Mittag, dabei entging ihm allerdings nicht, wie Talmanes mit den Augen rollte. Sollte man diesen Mann doch zu Asche verbrennen! Diese Seiten enthielten nun wirklich dramatische Geschehnisse!
Der Himmel war bewölkt. Wieder einmal. Wann würde das aufhören? Kopfschüttelnd ging Mat durch das Lager und nickte den Gruppen von Soldaten zu, die ihm salutierten oder mit »Lord Mat!« grüßten. Die Bande würde den Rest des Tages hier verbringen - auf einem bewaldeten abgeschiedenen Hügel kampieren, der einen halben Tagesmarsch von der Stadt entfernt lag -, während sie die letzten Vorbereitungen für den Angriff trafen. Die Kiefern hier waren sehr hoch und die Äste ausladend, und der Schatten hielt das Unterholz auf ein Minimum begrenzt. Zelte drängten sich gruppenweise um die Bäume, und die Luft war kühl und schattig und roch nach Harz und Humus.
Er überprüfte die Arbeit seiner Männer und sah, dass alles effizient gemacht wurde. Diese alten Erinnerungen, die ihm die Eelfinn gegeben hatten, hatten angefangen, sich so nahtlos mit den seinen zu vermischen, dass er nur mühsam sagen konnte, welche Instinkte von ihnen kamen und welche von ihm selbst.
Es tat gut, wieder bei der Bande zu sein. Er war sich gar nicht bewusst gewesen, wie sehr er sie vermisst hatte. Es würde herrlich sein, wenn der Rest der Männer dazukam, die von Estean und Daerid angeführten Truppen. Hoffentlich hatten sie weniger Probleme als seine Streitmacht.
Die Kavallerie kam auf seinen Runden immer zuerst dran. Sie war vom Rest des Lagers getrennt. Reiter hielten sich immer für etwas Besseres als die Fußsoldaten. Wie viel zu oft sorgten sich die Männer heute um das Futter für die Pferde. Für einen guten Kavalleristen kam sein Pferd immer an erster Stelle. Der Ritt von Hinderstap war für die Tiere beschwerlich gewesen, vor allem, da es kaum etwas zu grasen gab. In diesem Frühling wuchs nur wenig, und die Winterreste waren seltsam knapp. Die Pferde verweigerten Heu, beinahe so, als wäre es genauso schlecht geworden wie andere Lebensmittel. Sie hatten nicht viel Getreide; sie hatten gehofft, sich vom Land ernähren zu können, da sie zu schnell für Futtermittelwagen reisten.
Nun, er würde sich eben etwas einfallen lassen müssen. Er versicherte den Kavalleristen, dass er sich darum kümmerte, und sie nahmen ihn beim Wort. Bis jetzt hatte Lord Mat sie noch nie im Stich gelassen. Natürlich verfaulten jene, die er im Stich gelassen hatte, in ihren Gräbern. Er lehnte die Bitte ab, die Banner flattern zu lassen. Vielleicht nach dem Angriff auf Trustair.
Im Augenblick hatte er eigentlich keine richtigen Infanteristen dabei; die waren alle bei Estean und Daerid. Talmanes hatte glücklicherweise begriffen, dass sie mobil sein mussten, und hatte drei Banner Pferde und beinahe viertausend berittene Armbrustmänner mitgebracht. Zu ihnen begab sich Mat als Nächstes, blieb stehen und sah zu, wie einige Abteilungen sich darin übten, in Formation zu schießen.
Er blieb neben einer hohen Kiefer stehen, deren niedrigste Äste gute zwei Fuß über seinem Kopf wuchsen, und lehnte sich gegen den Stamm. Die Reihe der Armbrustschützen übte weniger ihre Treffsicherheit als vielmehr ihre Koordination. Bei den meisten Schlachten kam es weniger auf das Zielen an, darum waren die Armbrüste ja auch so effektiv. Sie erforderten nur ein Zehntel der Ausbildung eines Langbogenschützen. Sicher, der Letztere konnte schneller und weiter schießen, aber wenn man keine Ewigkeiten zum Üben übrig hatte, dann waren diese Armbrüste ein guter Ersatz.
Darüber hinaus erleichterte es die Nachladeprozedur, die Ränge im Salvenschießen auszubilden. Der Hauptmann der Abteilung stand an der Seite und schlug alle zwei Sekunden mit einer Gerte gegen einen Baum, um einen Rhythmus vorzugeben, jeder Schlag war ein Befehl. Beim ersten hob man die Armbrust an die Schulter. Beim zweiten schoss man. Beim dritten senkte man die Armbrust. Beim vierten spannte man sie. Beim nächsten hob man sie wieder an die Schulter. Diese Männer wurden gut darin - in koordinierten Wellen zu feuern sorgte für beständigeres Töten, jeder zweite Schlag entließ einen Bolzenregen in den Wald.
Davon brauchen wir noch mehr, dachte Mat, dem auffiel, wie viele Bolzen bei den Übungsschüssen zerbrachen. Man verschwendete mehr Munition bei der Ausbildung als im Kampf, aber jeder jetzt benutzte Bolzen würde in der Schlacht zwei oder drei wert sein. Diese Männer beherrschten ihr Handwerk in der Tat immer besser. Hätte er bei dem Kampf bei den Blutfällen ein paar Banner dieser Männer gehabt, hätte Nashif seine Lektion vielleicht etwas früher gelernt.
Natürlich würden sie noch nützlicher sein, wenn sie schneller schießen konnten. Der Schwachpunkt lag beim Spannen. Nicht das Drehen der Winde selbst, sondern die Notwendigkeit, die Armbrust jedes Mal zu senken. Es kostete vier Sekunden, die Waffe zu bewegen. Diese neuen Winden, deren Konstruktion Talmanes von diesem Mechaniker aus Murandy kannte, beschleunigten den Ablauf sehr. Aber der Mann war auf dem Weg nach Caemlyn gewesen, um sie dort zu verkaufen, und wer vermochte schon zu sagen, wer sie ihm unterwegs alles abgekauft hatte? Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie jeder hatte, jeder Vorteil war vorbei, wenn sowohl der Feind wie man selbst die Waffe hatte.
Diese Kastenwinden hatten viel zu Mats Erfolg in Altara gegen die Seanchaner beigetragen. Er verabscheute den Gedanken, diesen Vorteil abgeben zu müssen. Gab es denn keine Möglichkeit, noch schneller mit den Bögen zu schießen?
Nachdenklich überprüfte er weitere Dinge im Lager - die Altaraner, die sie in die Bande aufgenommen hatten, lebten sich gut ein, und abgesehen vom Pferdefutter und vielleicht den Armbrustbolzen sahen die Vorräte gut aus. Zufrieden machte er sich auf den Weg zu Aludra.
Sie hatte sich im rückwärtigen Teil des Lagers niedergelassen, neben einer kleinen Spalte in dem felsigen Hang. Obwohl diese Stelle weit weniger Platz bot als die Lichtung der Aes Sedai und ihrer Diener, war sie auch bedeutend abgeschirmter. Mat musste um drei verschiedene, an Leinen hängenden Laken vorbei - die sorgfältig aufgehängt worden waren, um den Blick in Aludras Werkstatt zu versperren -, bevor er sie erreichte. Und er musste stehen bleiben, als Bayle Domon die Hand ausstreckte und ihn aufhielt, bis Aludra ihm den Zutritt gestattete.
Die schlanke und dunkelhaarige Iluminatorin saß auf einem Baumstumpf in der Mitte ihres Lagers und hatte auf dem Boden um sich herum Pulver, Papierrollen und Werkzeuge auf Tüchern arrangiert. Sie trug nicht länger ihre Zöpfe, und das lange Haar fiel ihr offen auf die Schultern. Soweit es Mat betraf, ließ sie das merkwürdig aussehen. Aber noch immer hübsch.
Verdammt, Mat. Du bist jetzt verheiratet, sagte er sich. Aber Aludra war hübsch.
Egeanin war auch da und hielt die Hülle einer Nachtblume aufrecht, damit Aludra daran arbeiten konnte. Aludras Gesicht war starr vor Konzentration, als sie leicht gegen die Hülle klopfte. Egeanins dunkles Haar wuchs wieder, was sie immer weniger wie eine seanchanische Adlige aussehen ließ. Mat wusste noch immer nicht genau, wie er die Frau ansprechen sollte. Sie wollte Leilwin genannt werden, und manchmal dachte er auch so an sie. Es war einfach idiotisch, den Namen zu ändern, nur weil einem jemand das befahl, aber er konnte es ihr nicht verdenken, dass sie Tuon nicht aufbringen wollte. Tuon war schon verdammt stur. Und wieder wollte er nach Süden schauen, unterdrückte es aber früh genug. Blut und Asche! Ihr würde es schon gut gehen.
Aber Tuon war weg. Also warum beharrte Egeanin auf der Scharade, sich Leilwin zu nennen? Nach Tuons Abreise hatte Mat sie ein paar Mal mit ihrem alten Namen angesprochen, was ihm aber nur eine wütende Zurechtweisung eingebracht hatte. Frauen! Ihr Verhalten ergab einfach keinen Sinn. Und was die aus Seanchan betraf, schon gar nicht.
Mat warf Bayle Domon einen Blick zu. Der muskulöse, bärtige Illianer lehnte in der Nähe von Aludras Lager an einem Baum in Reichweite von zwei flatternden weißen Laken. Er hob noch immer warnend die Hand. Als würde das ganze Lager nicht Mat gehören!
Aber Mat bahnte sich nicht den Weg. Er konnte es sich nicht erlauben, Aludra zu verärgern. Sie stand kurz davor, die Konstruktionspläne ihrer sogenannten Drachen zu vollenden, und er wollte sie haben. Aber beim Licht, es war schon ärgerlich, im eigenen Lager einen Kontrollpunkt passieren zu müssen!
Aludra schaute von der Arbeit auf und strich sich eine verirrte Haarsträhne hinters Ohr. Sie bemerkte Mat, dann wandte sie sich wieder ihrer Nachtblume zu und fing wieder an zu hämmern. Verdammte Asche! Dieser Anblick erinnerte ihn daran, warum er Aludra so selten besuchte. Der Kontrollpunkt war schlimm genug, aber warum musste die Frau mit einem Hammer auf etwas Explosivem herumschlagen? Hatte sie überhaupt keinen Verstand? Aber alle Iluminatoren waren so. Ihnen fehlten ein paar Fohlen zur vollen Herde, wie es Mats Vater ausgedrückt hätte.
»Er darf eintreten«, sagte Aludra. »Danke, Meister Domon.«
»Ein Vergnügen, Frau Aludra«, sagte Bayle, senkte die Hand und nickte Mat freundlich zu. Mat strich den Mantel zurecht und wollte das Thema Armbrust anschneiden. Aber ihm stach sofort etwas ins Auge. Hinter Aludra lagen Seiten mit detaillierten Zeichnungen sauber aufgereiht auf dem Boden, zusammen mit einer Liste voller Anmerkungen und Zahlen.
»Sind das die Pläne für die Drachen?«, fragte Mat eifrig. Er ließ sich auf ein Knie nieder, um sich die Blätter genau anzusehen, aber ohne sie anzufassen. Aludra konnte sehr eigen sein, was das anging.
»Ja.« Sie hämmerte noch immer. Sie musterte ihn und erschien dabei irgendwie unbehaglich. Vermutlich war Tuon dafür der Grund.
»Und diese Zahlen?« Mat versuchte das Unbehagen zu ignorieren.
»Nachschubbedarf«, sagte sie. Dann legte sie den Hammer weg und inspizierte die zylindrische Nachtblume von allen Seiten. Sie nickte Leilwin zu.
Verdammte Asche, das waren aber große Zahlen! Ein Berg Holzkohle, Schwefel und … Fledermausguano? Den Anmerkungen zufolge gab es eine Stadt an den nördlichen Ausläufern der Verschleierten Berge, die sich auf die Beschaffung spezialisiert hatte. Welche Stadt spezialisierte sich denn ausgerechnet darauf, Fledermausguano zu sammeln? Kupfer und Zinn waren ebenfalls erforderlich, obwohl da aus irgendeinem Grund die Zahlen fehlten. Dort waren nur ein paar Sternchen aufgemalt.
Mat schüttelte den Kopf. Wie würde die normale Bevölkerung wohl reagieren, wenn sie wüsste, dass die majestätischen Nachtblumen bloß aus Papier, Pulver und ausgerecht Fledermausscheiße bestanden? Kein Wunder, dass die Illuminatoren so geheimnisvoll mit ihrem Handwerk umgingen. Es ging nicht nur darum, keine Konkurrenz zuzulassen. Je mehr man über die Machart des Feuerwerks wusste, desto gewöhnlicher wurde es.
»Das ist aber viel Material«, sagte Mat.
»Ein Wunder, das ist es, worum Ihr mich gebeten habt, Matrim Cauthon«, erwiderte Aludra, reichte die Nachtblume an Leilwin weiter und hob die Schreibtafel. Sie machte ein paar Eintragungen auf dem eingespannten Blatt. »Dieses Wunder habe ich in eine Liste der Zutaten dividiert. Ein Kunststück, das selbst ein Wunder ist. Beschwert Euch nicht über die Hitze, wenn Euch jemand die Sonne auf der Hand anbietet.«
»Mir erscheint das so nicht machbar«, murmelte Mat leise. »Sind das die Kosten?«
»Ich bin kein Buchhalter«, sagte Aludra. »Das sind lediglich Schätzungen. Die Berechnungen habe ich so weit gemacht, wie ich konnte, aber der Rest wird von denen erledigt werden müssen, die da sachkundiger sind. Der Wiedergeborene Drache kann sich das leisten.« Leilwin sah Mat mit einem seltsamen Ausdruck an. Auch mit ihr hatte sich der Umgang geändert, wegen Tuon. Aber nicht auf die Weise, mit der er gerechnet hätte.
Die Erwähnung von Rands Namen ließ die Farben durch Mats Sichtfeld wirbeln, und er unterdrückte ein Seufzen, als er sie verscheuchte. Vielleicht konnte sich Rand solche Kosten erlauben, aber er mit Sicherheit nicht. Für solche Summen würde er mit der Königin von Andor würfeln müssen!
Aber das war Rands Problem. Und er sollte besser zu würdigen wissen, was Mat für ihn alles durchmachte. »Da sind aber nicht die Schätzungen für das benötigte Personal dabei«, bemerkte Mat bei einem weiteren Blick auf die Seiten. »Wie viele Glockengießer braucht Ihr für dieses Projekt?«
»jeden, den Ihr bekommen könnt«, sagte Aludra kurz angebunden. »Habt Ihr mir das nicht versprochen? Jeder Glockengießer von Andor bis Tear?«
»Ich schätze schon«, erwiderte Mat. Eigentlich war er nicht davon ausgegangen, dass sie ihn wörtlich nahm. »Was ist mit Kupfer und Zinn? Da fehlen die Schätzungen.«
»Davon brauche ich alles.«
»Alles …? Wie meint Ihr das?«
»Alles«, wiederholte sie so ruhig, als würde sie noch um etwas Marmelade für ihren Haferbrei bitten. »Jedes Stück Kupfer und Zinn, das Ihr auf dieser Seite vom Rückgrat der Welt zusammenkratzen könnt.« Sie hielt inne. »Vielleicht erscheint das ja zu ambitioniert.«
»Und ob das verdammt ambitioniert ist«, murmelte Mat.
»Ja«, sagte Aludra. »Gehen wir einmal von der Annahme aus, dass der Drache Caemlyn, Cairhien, Illian und Tear kontrolliert. Würde er mir den Zugang zu jeder Mine und jedem Lager mit Kupfer und Zinn in diesen vier Städten gewähren, würde das vermutlich reichen.«
»Jedes Metalllager«, sagte Mat tonlos.
»Ja.«
»In den vier größten Städten der Welt.«
»Ja.«
»Und Ihr glaubt, dass das ›vermutlich‹ reichen wird.«
»Ich glaube, genau das habe ich gesagt, Matrim Cauthon.«
»Toll. Ich sehe zu, was ich erreiche. Möchtet Ihr, dass der verdammte Dunkle König kommt und Eure Schuhe putzt, wenn wir schon einmal dabei sind? Vielleicht könnten wir auch Artur Falkenflügel ausgraben und ihn dazu bringen, für Euch zu tanzen.«
Artur Falkenflügels Erwähnung brachte Mat einen finsteren Blick von Leilwin ein. Aludra beendete ihre Aufzeichnungen, dann wandte sie sich Mat zu. Ihr Tonfall war ganz ruhig, nur ganz vage feindselig. »Meine Drachen werden für einen Mann des Krieges ein großes Machtinstrument sein. Ihr behauptet, ich habe Euch etwas Extravagantes vorgelegt. Es handelt sich um das Notwendige.« Sie musterte ihn. »Ich werde nicht lügen und behaupten, dass ich diese Respektlosigkeit nicht von Euch erwartet habe, Meister Cauthon. Pessimismus, das ist eine gute Freundin von Euch, nicht wahr?«
»Das ist übertrieben«, knurrte Mat und betrachtete wieder die Zeichnungen. »Ich kenne sie kaum. Bestenfalls ist sie bloß eine Bekannte. Das kann ich Euch schwören.«
Das brachte ihm ein Schnauben von Bayle ein. Ob es sich um Belustigung oder Spott handelte, war unmöglich zu sagen, ohne einen Blick auf sein Gesicht werfen zu können. Mat schaute nicht zu ihm hin. Aludra starrte ihn an. Einen Augenblick lang trafen sich ihre Blicke, und Mat erkannte, dass er möglicherweise zu grob zu ihr gewesen war. Vielleicht fühlte er sich in ihrer Nähe unwohl. Ein bisschen jedenfalls. Vor Tuon waren sie sich näher gekommen. Und lag da ein gewisser Schmerz in Aludras Augen verborgen?
»Es tut mir leid«, sagte er. »Ich hätte das nicht sagen sollen.«
Sie zuckte mit den Schultern.
Er holte tief Luft. »Seht mal, ich weiß, dass … nun, es ist schon seltsam, wie Tuon …«
Mit einer Handbewegung unterbrach sie ihn. »Es ist nichts. Ich habe meine Drachen. Ihr habt mir Gelegenheit gegeben, sie zu erschaffen. Andere Dinge spielen keine Rolle mehr. Ich wünsche Euch Glück.«
»Nun«, sagte er, rieb sich das Kinn und seufzte. Es war besser, das einfach zu vergessen. »Wie dem auch sei, ich hoffe, ich bekomme das hin. Ihr wollt da eine Menge an Ressourcen.«
»Diese Glockengießer und dieses Material«, sagte sie, »das ist es, was ich brauche. Nicht mehr und nicht weniger. Ich habe getan, was ich hier ohne das nötige Material tun konnte. Für die nötigen Tests werde ich noch viele Wochen brauchen - wir müssen zuerst einen einzigen Drachen herstellen, um alles zu überprüfen. Also habt Ihr Zeit, alles herbeizuschaffen. Aber das erfordert viel Zeit, und Ihr wollt mir nicht sagen, wann man die Drachen braucht.«
»Ich kann Euch nichts sagen, das ich selbst nicht weiß, Aludra«, sagte Mat und schaute nach Norden. Er fühlte ein seltsames Ziehen, als hätte jemand eine Angelschnur um seine Eingeweide gebunden und würde vorsichtig, aber beharrlich daran ziehen. Rand, verdammt, bist du das? Farben wirbelten. »Bald, Aludra«, hörte er sich sagen. »Die Zeit ist knapp. So knapp.«
Sie zögerte, als würde sie etwas in seiner Stimme spüren. »Nun, wenn das der Fall ist, dann sind meine Anforderungen doch nicht so extravagant, oder? Zieht die Welt in den Krieg, wird man die Schmiedeöfen bald für Pfeilspitzen und Hufeisen brauchen. Also sollte man sie besser jetzt für meine Drachen in Beschlag nehmen. Ich kann Euch versichern, dass jeder fertige Drache in der Schlacht tausend Schwerter wert sein wird.«
Mat seufzte, stand auf und tippte sich an den Hut. »Also gut«, sagte er dann. »Vorausgesetzt, Rand verbrennt mich nicht in dem Moment, in dem ich das vorschlage, zu einem Häufchen Asche, sehe ich zu, was ich tun kann.«
»Ihr tätet gut daran, Frau Aludra Respekt zu erweisen«, sagte Leilwin mit ihrem ausgeprägten seanchanischen Akzent. »Statt so leichtfertig zu sein.«
»Das war ehrlich gemeint!«, protestierte Mat. »Jedenfalls das Letztere. Verdammt, Frau. Merkt Ihr nicht, wann ein Mann ehrlich ist?«
Sie betrachtete ihn, als wollte sie entscheiden, ob diese Frage spöttisch gemeint war oder nicht. Mat verdrehte die Augen. Frauen!
»Frau Aludra ist genial«, sagte Leilwin streng. »Ihr versteht nicht, welches Geschenk sie Euch mit diesen Plänen macht. Hätte das Kaiserreich diese Waffen …«
»Nun, dann passt auf, dass Ihr sie ihnen nicht ausliefert, Leilwin«, sagte Mat. »Ich will nicht eines Morgens aufwachen und feststellen müssen, dass Ihr mit diesen Plänen geflohen seid, um zu versuchen, Euren Titel zurückzugewinnen!«
Sie schien beleidigt zu sein, dass er so etwas überhaupt sagte, obwohl es doch ganz logisch erschien. Seanchaner hatten einen seltsamen Sinn für Ehre - Tuon hatte nicht einmal versucht zu fliehen, obwohl sie dafür ausreichend Gelegenheit gehabt hatte.
Natürlich hatte Tuon so gut wie von Anfang an vermutet, dass sie heiraten würden. Eine Damane hatte ihr eine Vorhersage gemacht. Verflucht, er würde nicht wieder nach Süden blicken. Er würde es nicht tun!
»Meister Cauthon, mein Schiff wird jetzt von anderen Winden getrieben«, sagte Leilwin bloß, wandte sich von ihm ab und schaute Bayle an.
»Aber ihr wolltet uns nicht helfen, gegen die Seanchaner zu kämpfen«, protestierte Mat. »Es hat den Anschein, als würdet Ihr …«
»Ihr jetzt schwimmen in tiefen Wasser, junge«, warf Bayle leise ein. »Aye, tiefes Wasser voller Löwenfische. Vielleicht besser aufhören, so laut zu planschen.«
Mat machte den Mund zu. »Also gut«, sagte er. Sollten ihn die beiden nicht mit etwas mehr Respekt behandeln? War er jetzt nicht irgendeine Art bedeutender seanchanischer Prinz oder so? Er hätte wissen müssen, dass ihm das bei Leilwin oder dem bärtigen Seemann nicht helfen würde.
Davon abgesehen war er ehrlich gewesen. Aludras Worte machten Sinn, so verrückt sich das zunächst auch anhörte. Sie würden für die Arbeit viele Gießereien benötigen. Die Wochen, die sie für die Reise nach Caemlyn brauchten, erschienen jetzt noch bitterer. Diese Wochen auf der Straße hätte man für die Konstruktion von Drachen nutzen können! Ein weiser Mann lernte, dass es sinnlos war, sich wegen langer Märsche zu ärgern - aber in letzter Zeit fühlte sich Mat alles andere als weise.
»Also gut«, sagte er erneut. Er sah Aludra an. »Aber ich würde diese Pläne gern mit mir nehmen und sicher aufbewahren; aber aus völlig anderen Gründen.«
»Völlig anderen Gründen?«, fragte Leilwin so ausdruckslos, als würde sie nach einer anderen Beleidigung suchen.
»Ja. Ich will nämlich nicht, dass sie hier liegen, wenn Aludra auf die falsche Weise gegen eine dieser Nachtblumen hämmert und sich bis zum Tarwin-Pass katapultiert.«
Das ließ Aludra kichern, obwohl Leilwin schon wieder beleidigt aussah. Es war schwer, einen Seanchaner nicht zu beleidigen. Sie und die verdammten Aiel. Schon merkwürdig, wie gegensätzlich sie in vielerlei Hinsicht waren, und sich doch in manch anderem so sehr glichen.
»Ihr dürft die Pläne mitnehmen, Mat«, sagte Aludra. »Solange Ihr sie in der Truhe mit Eurem Gold aufbewahrt. Das ist der Gegenstand in diesem Lager, dem Ihr die größte Aufmerksamkeit widmet.«
»Vielen Dank«, erwiderte er und bückte sich, um die Seiten aufzusammeln. Die verschleierte Beleidigung ignorierte er. Hatten sie sich nicht gerade versöhnt? Verdammte Frauen. »Übrigens, das hätte ich beinahe vergessen. Wisst Ihr etwas über Armbrüste, Aludra?«
»Armbrüste?«
»Ja.« Mat schob die Seiten zusammen. »Ich bin der Ansicht, dass es eine Möglichkeit geben müsste, sie schneller zu laden. Ihr wisst schon, wie diese neuen Winden, nur mit irgendeiner Feder oder so. Vielleicht eine Winde, die man benutzen kann, ohne vorher die Waffe senken zu müssen.«
»Das liegt kaum auf meinem Gebiet, Mat.«
»Ich weiß. Aber Ihr seid schlau, was solche Dinge angeht, und vielleicht…«
»Da werdet Ihr jemand anderen finden müssen«, sagte Aludra und wandte sich einer weiteren, zur Hälfte fertig gestellten Nachtblume zu. »Ich bin viel zu beschäftigt.«
Mat schob den Finger unter den Hut und kratzte sich. »Das …«
»Mat!«, rief da eine Stimme. »Mat, du musst mich begleiten!« Mat drehte sich um, als Olver in Aludras Lager gerannt kann. Bayle hob warnend die Hand, aber natürlich lief der funge darunter hindurch.
»Was ist los?«, wollte Mat wissen.
»Jemand kommt ins Lager«, sagte Olver. Vor Aufregung war sein Gesicht gerötet. Und was für ein Gesicht das war. Ohren, die zu groß für den Kopf waren, eine flache Nase, ein zu breiter Mund. Bei einem Kind seines Alters war Hässlichkeit etwas Süßes. Aber wenn er älter wurde, würde er das Glück nicht mehr haben. Vielleicht hatten die Männer im Lager ja damit recht, ihn an den Waffen auszubilden. Mit einem solchen Gesicht sollte er sich besser verteidigen können.
»Warte, beruhige dich«, sagte Mat und schob Aludras Pläne unter den Gürtel. »Jemand ist eingetroffen? Wer? Warum braucht ihr mich?«
»Talmanes hat mich losgeschickt, damit ich dich hole«, sagte Olver. » Er glaubt, es ist jemand Wichtiges. Ich soll dir sagen, dass sie Blätter mit deinem Bild darauf hat und dass sie ein ›charakteristisches Gesicht‹ hat, was auch immer das heißen soll. Dass …«
Olver redete weiter, aber Mat hörte nicht länger zu. Er nickte Aludra und den anderen zu, dann schob er sich an den Laken vorbei in den Wald hinein. Olver lief neben ihm her, als Mat zum vorderen Teil des Lagers eilte.
Dort saß eine pummelige Frau mit einer großmütterlichen Ausstrahlung auf einer weißen Stute mit kurzen Beinen. Sie trug ein braunes Kleid, und das zu einem Knoten zusammengefasste Haar wies graue Strähnen auf. Eine Gruppe Soldaten umgab sie, und Talmanes und Mandevwin standen wie zwei einen Hafeneingang blockierende Steinsäulen direkt vor ihr.
Die Frau hatte das Gesicht einer Aes Sedai, und neben ihrem Pferd stand ein älterer Behüter. Trotz seines ergrauenden Haares strahlte der stämmige Mann den Ausdruck von Gefahr aus, den alle Behüter hatten. Er musterte die Soldaten der Bande mit stählernem Blick und verschränkten Armen.
Die Aes Sedai lächelte, als Mat herankam. »Ah, sehr schön«, sagte sie affektiert. »Ihr seid gewachsen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, Matrim Cauthon.«
»Verin«, sagte Mat etwas außer Atem geraten. Er warf Talmanes einen Blick zu, der eines jener Blätter mit Mats Gesicht in der Hand hielt. »Ihr habt also entdeckt, dass in Trustair jemand Bilder von mir verteilt.«
Sie lachte. »So könnte man es sagen.«
Er erwiderte den Blick aus diesen dunkelbraunen Aes Sedai-Augen. »Blut und verdammte Asche«, murmelte er. »Ihr wart das, oder? Ihr seid diejenige, die nach mir sucht!«
»Und das seit einiger Zeit, möchte ich hinzufügen«, sagte Verin leichthin. »Und eigentlich gegen meinen Willen.«
Mat schloss die Augen. So viel zu seinem schönen Plan mit dem Stoßtrupp. Verflucht! Und es war ein so guter Plan gewesen. »Wie habt Ihr herausgefunden, dass ich hier bin?«, fragte er und öffnete die Augen wieder.
»Vor einer Stunde besuchte mich ein freundlicher Kaufmann in Trustair und erklärte, er hätte Euch eben getroffen und dass Ihr ihn großzügig für einen Plan von Trustair bezahlt habt. Ich dachte mir, ich erspare der armen Stadt einen Angriff von Euren … Begleitern und komme selbst zu Euch.«
»Vor einer Stunde?« Mat runzelte die Stirn. »Aber Trustair ist einen halben Tagesmarsch entfernt!«
»Das ist es.« Verin lächelte.
»Ich will verbrannt sein«, sagte er. »Ihr beherrscht das Reisen, richtig?«
Ihr Lächeln verbreiterte sich. »Ich vermute einmal, Ihr wollt mit diesem Heer nach Andor, Meister Cauthon.«
»Das kommt darauf an«, erwiderte Mat. »Könnt Ihr uns dorthin bringen?«
»In einer sehr kurzen Zeit«, sagte Verin. »Ich könnte Eure Männer am Abend in Caemlyn haben.«
Beim Licht! Zwanzig Tagesmärsche weniger? Vielleicht könnte er Aludras Drachen ja doch bald anfertigen lassen! Dann zögerte er, musterte Verin und zwang sich, sich seine Aufregung nicht anmerken zu lassen. Wenn Aes Sedai im Spiel waren, gab es immer einen Preis.
»Was wollt Ihr dafür haben?«, fragte er.
»Immer geradeheraus«, erwiderte sie und seufzte leicht. »Was ich will, Matrim Cauthon, ist, von Eurem Ta’veren-Netz losgeschnitten zu werden! Habt Ihr auch nur eine Ahnung, wie lange Ihr mich gezwungen habt, in diesen Bergen zu warten?«
»Gezwungen?«
»Ja. Kommt, wir haben viel zu besprechen.« Sie schnalzte mit den Zügeln und trieb ihr Pferd ins Lager, und Talmanes und Mandevwin traten zögernd zur Seite und gaben den Weg frei. Mat gesellte sich zu ihnen und sah zu, wie die Aes Sedai direkt auf die Kochfeuer zuhielt.
»Ich schätze, es wird keinen Stoßtrupp geben«, sagte Talmanes. Er klang nicht betrübt.
Mandevwin fummelte an seiner Augenklappe herum. »Heißt das, ich kann zu meiner armen alten Tante zurück?«
»Ihr habt keine arme alte Tante«, knurrte Mat. »Kommt, wollen wir hören, was die Frau zu sagen hat.«
»Schön«, sagte Mandevwin. »Aber das nächste Mal darf ich der Behüter sein, einverstanden, Mat?«
Mat seufzte bloß und eilte hinter Verin her.