18 Eine eilige Botschaft

Siuan erstarrte in dem Augenblick, in dem sie das Lager der Aes Sedai mit einem Korb Schmutzwäsche in die Hüfte gestemmt betrat. Dieses Mal waren es ihre eigenen Sachen. Sie hatte endlich begriffen, dass sie sich nicht um Brynes Wäsche und ihre eigene kümmern musste. Warum ihre Wäsche nicht von den Novizinnen erledigen lassen? Heutzutage gab es nun wirklich genug von ihnen.

Und jede Einzelne von ihnen drängte sich auf dem Bretterweg um den Pavillon in der Lagermitte. Sie standen Arm an Arm, eine weiße Mauer mit Köpfen von jeder vorstellbaren Haarfarbe. Keine gewöhnliche Sitzung des Saals hätte solche Aufmerksamkeit erregt. Es musste etwas geschehen sein.

Siuan stellte den Weidenkorb auf einem Baumstumpf ab, dann deckte sie ihn mit einem Handtuch ab. Diesem Himmel vertraute sie einfach nicht, auch wenn es in der vergangenen Woche nur gelegentlich genieselt hatte. Vertraue keinem Hafenmeisterhimmel. Worte, an denen man sein Leben ausrichten konnte. Selbst wenn die Konsequenz nur aus einem Korb voller feuchter Wäsche bestand, die so noch schmutziger geworden war.

Sie eilte über die schlammige Straße und erklomm einen der Bretterwege. Die groben Bohlen gaben unter ihren Schritten quietschend nach, als sie auf den Pavillon zueilte. Es war im Gespräch, die Bretterwege durch etwas Dauerhafteres zu ersetzen, vielleicht sogar durch etwas so teures wie Pflastersteine.

Sie erreichte die hinterste Reihe der versammelten Frauen. Die letzte Zusammenkunft des Saals, die derartiges Interesse erweckt hatte, hatte enthüllt, dass Asha'man mit Schwestern den Bund eingegangen waren und die Quelle selbst vom Makel gereinigt worden war. Walte das Licht, dass keine Überraschungen dieses Ausmaßes warteten! Ihre Nerven waren strapaziert genug, durfte sie sich doch mit dem verdammten Gareth Bryne abplagen. Allein der Vorschlag, sich von ihm beibringen zu lassen, wie man mit einem Schwert umging, nur für alle Fälle. Noch nie war sie der Ansicht gewesen, dass Schwerter viel taugten. Davon abgesehen, wer hätte je von einer Aes Sedai mit einer Waffe gehört, die wie eine verrückte Aiel kämpfte? Also ehrlich, dieser Mann!

Sie bahnte sich einen Weg durch die Novizinnen, verärgert, dass sie ihre Aufmerksamkeit erregen musste, damit sie ihr den Weg frei machten. Natürlich machten sie Platz, sobald sie eine Schwester kommen sahen, aber sie waren so abgelenkt, dass es Mühe kostete, sie dazu zu bewegen. Ein paar von ihnen rügte sie, weil sie ihre Pflichten vernachlässigten. Wo steckte Tiana? Sie hätte dafür sorgen müssen, dass sich die Mädchen wieder an die Arbeit begaben. Und wenn Rand al'Thor höchstpersönlich im Lager erschienen wäre, die Novizinnen hatten mit ihrem Unterricht fortzufahren!

In der Nähe des Pavilloneingangs stieß sie endlich auf die Frau, die sie gesucht hatte. Als Egwenes Behüterin der Chroniken durfte Sheriam den Saal ohne die Amyrlin nicht betreten. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als draußen zu warten. Aber vermutlich war das besser, als allein in ihrem Zelt zu schmoren.

In den vergangenen Wochen hatte die Frau mit dem Feuerhaar eine ordentliche Portion ihres Specks verloren. Sie musste sich wirklich ein paar neue Kleider besorgen; die alten fingen an, an ihrem Körper herunterzuhängen. Wenigstens schien sie etwas von ihrer Ruhe wiedergefunden zu haben, erschien weniger fahrig. Vielleicht hatte sich das erledigt, was ihr zu schaffen gemacht hatte. Sie hatte ja immer darauf beharrt, dass ihr nichts fehlte.

»Fischscheiße«, knurrte Siuan, als eine Novizin ihr zufällig den Ellbogen in den Leib rammte. Sie starrte das Mädchen böse an, das in sich zusammensackte und forteilte, zögernd begleitet von ihrer Novizinnenfamilie. Siuan wandte sich Sheriam zu. »Also, was ist es? Hat sich einer der Pferdeburschen als der König von Tear entpuppt?«

Sheriam hob eine Braue. »Elaida kann Reisen.«

»Was?« Siuan warf einen Blick ins Zelt. Die Sitze waren mit Aes Sedai gefüllt, und die schlanke Ashmanaille von den Grauen sprach gerade. Warum war diese Zusammenkunft nicht Versiegelt worden?

Sheriam nickte. »Wir haben es herausgefunden, als Ashmanaille ausgesandt wurde, um in Kandor den Tribut zu holen.« Tribute waren eine der Haupteinnahmequellen von Egwenes Aes Sedai. Viele Jahrhunderte lang hatte jedes Königreich derartige Zuwendungen nach Tar Valon geschickt. Die Weiße Burg war nicht länger auf dieses Einkommen angewiesen - ihr standen viel bessere Möglichkeiten zur Verfügung, sich zu finanzieren, Möglichkeiten, die nicht von der Großzügigkeit anderer abhängig waren. Dennoch lehnte man solche Zuwendungen nicht ab, und viele Königreiche in den Grenzlanden folgten noch immer den alten Bräuchen.

Vor der Spaltung der Weißen Burg hatte eine von Ashmanailles Pflichten darin bestanden, diese Spenden zu verwalten und im Namen der Amyrlin monatliche Dankschreiben zu versenden. Die Spaltung und die Entdeckung des Reisens hatten es für Egwenes Aes Sedai sehr einfach gemacht, Delegationen zu schicken und die Tribute persönlich abzuholen. Dem Schatzmeister der Kandori war es egal, welche der beiden Parteien er unterstützte, solange der Tribut nur geschickt wurde, und er hatte das Geld auch gern Ashmanaille persönlich ausgehändigt.

Die Belagerung von Tar Valon hatte es vereinfacht, dieses Geld von den Tributen abzuzweigen, die sonst an Elaida gegangen wären, und man hatte damit Brynes Soldaten bezahlt. Eine hübsche Wendung des Schicksals. Aber kein Meer blieb ewig ruhig.

»Der Schatzmeister war sehr aufgebracht«, berichtete Ashmanaille in ihrem sachlichen Tonfall. »›Ich habe diesen Monat bereits gezahlt‹, sagte er zu mir. ›Das Geld habe ich dieser Frau gegeben, die erst gestern kam. Die Frau hatte einen Brief von der Amyrlin, der das rechtmäßige Siegel trug und mich anwies, das Geld nur einer Angehörigen der Roten Ajah auszuhändigen‹.«

»Das besagt nicht mit Sicherheit, dass Elaida Reisen kann«, meinte Romanda im Inneren des Zeltes. »Die Rote Schwester könnte auch auf andere Weise nach Kandor gekommen sein.«

Ashmanaille schüttelte den Kopf. »Sie haben das Wegetor gesehen. Der Schatzmeister entdeckte einen Rechenfehler und schickte Elaidas Delegation einen Schreiber hinterher, um ihnen ein paar zusätzliche Münzen zu geben. Der Mann beschrieb perfekt, was er dort sah. Die Pferde ritten durch ein schwarzes Loch in der Luft. Es hat ihn so sehr verwirrt, dass er die Wache rief - aber da waren Elaidas Leute schon fort. Ich habe ihn selbst befragt.«

»Ich halte nichts davon, sich auf das Wort eines einzigen Mannes zu verlassen«, meinte Moria, die ziemlich weit vorn saß.

»Der Schatzmeister hat die Frau genau beschrieben, der er das Geld gab. Ich bin sicher, dass es Nesita war. Vielleicht könnten wir herausfinden, ob sie in der Burg ist? Dann hätten wir einen weiteren Beweis.«

Die anderen erhoben weitere Bedenken, aber Siuan hörte nur noch mit halbem Ohr zu. Vielleicht war das eine sehr kluge List, um sie abzulenken, aber dieses Risiko konnten sie nicht eingehen. Beim Licht! War sie denn die Einzige, die einen Kopf auf den Schultern sitzen hatte?

Sie schnappte sich die nächste Novizin, ein maushaftes Mädchen, das vermutlich älter war, als es aussah - das musste sie auch sein, denn sie sah nicht älter als neun aus. »Ich brauche einen Kurier«, sagte sie. »Holt einen der Kuriere, die Lord Bryne im Lager stationiert hat, um ihm etwas mitzuteilen. Schnell

Das Mädchen quiekte leise und rannte los.

»Worum ging es?«, fragte Sheriam.

»Darum, unser Leben zu retten«, erwiderte Siuan und starrte die dicht zusammengedrängt stehenden Novizinnen finster an. »Also gut!«, knurrte sie. »Genug geglotzt! Sollte euer Unterricht wegen dieses Fiaskos ausgefallen sein, dann sucht euch etwas zu tun. Jede Novizin, die noch in zehn Sekunden auf diesem Weg steht, wird Buße tun, bis sie nicht mehr geradeaus gucken kann!«

Das löste einen weißen Massenexodus aus, als die Familien aus Frauen loseilten. Augenblicke später standen dort nur noch die kleine Gruppe Aufgenommene sowie Sheriam und Siuan. Die Aufgenommenen zuckten zusammen, als Siuan sie ansah, aber sie sagte nichts. Aufgenommene genossen unter anderem das Privileg größerer Freiheiten. Davon abgesehen war Siuan zufrieden, wenn sie sich bewegen konnte, ohne ständig mit jemanden zusammenzustoßen.

»Warum wurde die Zusammenkunft nicht Versiegelt?«

»Das weiß ich nicht«, gab Sheriam zu und warf einen Blick in das große Zelt. »Das sind beängstigende Neuigkeiten, wenn es denn stimmt.«

»Das musste irgendwann geschehen«, meinte Siuan, auch wenn sie innerlich nicht annähernd so ruhig war, wie ihre Worte hätten vermuten lassen. »Die Nachricht über das Reisen musste sich verbreiten.«

Was ist geschehen?, dachte sie. Sie haben Egwene doch nicht gebrochen, oder? Helfe das Licht, dass weder sie noch Leane gezwungen waren, dieses Geheimnis zu verraten. Beonin. Sie muss es gewesen sein. Soll sie zu Asche verbrennen!

Sie schüttelte den Kopf. »Möge das Licht dafür sorgen, dass wir das Reisen vor den Seanchanern geheim halten können. Wenn sie die Weiße Burg angreifen, dann werden wir zumindest diesen Vorteil brauchen.«

Sheriam musterte sie skeptisch. Die meisten Schwestern glaubten nicht an Egwenes Traum von dem Angriff. Närrinnen - sie wollten den Fisch fangen, aber ihn ausnehmen wollten sie nicht. Man erhob eine Frau nicht zur Amyrlin, um dann ihre Warnungen zu ignorieren.

Siuan wartete ungeduldig und tippte mit dem Fuß auf, lauschte der Unterhaltung im Zelt. Gerade als sie anfing, sich zu fragen, ob sie noch eine Novizin schicken sollte, ritt einer von Brynes Kurieren auf das Zelt zu. Die schlecht gelaunte Bestie, auf der er saß, war mitternachtsschwarz mit weißen Flecken direkt über den Hufen, und sie schnaubte Siuan an, als der Reiter anhielt. Er trug eine ordentliche Uniform und hatte kurz geschnittenes braunes Haar. Musste er diese Kreatur unbedingt mitbringen?

»Aes Sedai?«, fragte der Mann und verneigte sich auf dem Pferderücken vor ihr. »Ihr habt eine Botschaft für Lord Bryne?«

»Ja«, sagte Siuan. »Und sorgt dafür, dass sie so schnell wie möglich überbracht wird. Habt Ihr verstanden? Unser aller Leben hängt davon ab.«

Der Soldat nickte knapp.

»Sagt Lord Bryne ...«, fing Siuan an. »Sagt ihm, er soll auf seine Flanken achten. Unser Feind hat die Methode gelernt, die wir benutzt haben, um herzukommen.«

»Das wird erledigt.«

»Wiederholt sie mir«, verlangte Siuan.

»Natürlich, Aes Sedai.« Der schlanke Mann verneigte sich erneut. »Nur damit Ihr es wisst, ich bin schon über ein Jahrzehnt Kurier beim Kommando des Generals. Mein Gedächtnis ...«

»Halt«, unterbrach ihn Siuan. »Mir ist egal, wie lange Ihr das schon macht. Mir ist egal, wie gut Euer Gedächtnis ist. Mir ist egal, ob Ihr durch eine Laune des Schicksals dieselbe Botschaft schon tausendmal zuvor überbracht habt. Ihr werdet sie mir jetzt wiederholen.«

»Äh, ja, Aes Sedai. Ich soll dem Lord General sagen, dass er auf seine Flanken achten soll. Unser Feind hat die Methode gelernt, die wir benutzt haben, um herzukommen.«

»Gut. Geht.«

Der Mann nickte.

»Jetzt!«

Er ließ das schreckliche Pferd auf die Hinterbeine steigen und galoppierte mit wehendem Umhang aus dem Lager.

»Was sollte das denn?«, fragte Sheriam und wandte den Blick von den Aktivitäten im Saal.

»Ich habe dafür gesorgt, dass wir nicht von Elaidas Armee umzingelt aufwachen«, sagte Siuan. »Ich wette, ich bin die Einzige, die daran gedacht hat, unseren General davor zu warnen, dass der Feind womöglich gerade unseren größten taktischen Vorteil zunichtegemacht hat. So viel also zur Belagerung.«

Sheriam runzelte die Stirn, als hätte sie daran noch gar nicht gedacht. Da würde sie nicht die Einzige sein. Oh, irgendwann würde jemand an Bryne denken und sich vornehmen, den General zu informieren. Aber für viele bestand die Katastrophe nicht in der Tatsache, dass Elaida sie jetzt mit ihren Armeen von der Flanke aus angreifen konnte oder dass Brynes Belagerung nun sinnlos geworden war. Für sie würde die Katastrophe viel persönlicher sein: das Wissen, das sie sich so bemüht hatten, geheim zu halten, war in andere Hände gefallen. Das Reisen gehörte ihnen, und jetzt hatte Elaida es! Das war typisch Aes Sedai. Die Entrüstung kam an erster Stelle, dann erst die Bedeutung.

Aber vielleicht war es auch nur Verbitterung, die sie da verspürte. Dann dachte jemand im Zelt daran, die Zusammenkunft zu Versiegeln, also zog sich Siuan zurück, verließ den Bretterweg und trat auf den festgestampften Boden. Überall huschten Novizinnen umher, die Köpfe gesenkt, um ihren Blick zu meiden, obwohl sie schnell einen Knicks machten. Heute war ich wirklich nicht gut darin, schwach zu erscheinen, dachte Siuan und verzog das Gesicht.

Die Weiße Burg zerfiel. Die Ajahs schwächten einander mit kleinlichen Machtkämpfen. Selbst hier, in Egwenes Lager, verbrachte man mehr Zeit mit Politik als mit der Vorbereitung auf den kommenden Sturm.

Und Siuan war teilweise für diese Fehler verantwortlich.

Natürlich trugen Elaida und ihre Ajah den Löwenfischanteil an Schuld. Aber hätte sich die Burg überhaupt entzweit, wenn Siuan die Zusammenarbeit zwischen den Ajahs gefördert hätte? Elaida hatte nicht so viel Zeit für ihr Werk gehabt. Jeder Abgrund in der Burg konnte vermutlich zu winzigen Rissen während Siuans Herrschaft als Amyrlin zurückverfolgt werden. Hätte sie diesen Frauen mehr Stärke in die Knochen hämmern können, wenn sie sich mehr für die Rolle als Vermittlerin interessiert hätte? Hätte sie sie davon abhalten können, sich aufeinanderzustürzen wie Rasierklingenfische im Blutrausch?

Der Wiedergeborene Drache war wichtig. Aber er war nur eine Figur im Gewebe dieser letzten Tage. Das vergaßen alle nur viel zu leicht, denn es war viel einfacher, die dramatische Gestalt aus den Legenden zu beobachten und alle anderen zu vergessen.

Sie seufzte, hob ihren Wäschekorb auf und überprüfte ihn aus reiner Gewohnheit, um sicherzugehen, dass noch alles vorhanden war. Dabei kam eine Gestalt in Weiß aus einem der abzweigenden Wege und trat auf sie zu. »Siuan Sedai?«

Siuan schaute stirnrunzelnd auf. Die vor ihr stehende Novizin gehörte zu den seltsamsten im Lager. Mit fast siebzig Jahren hatte Sharina das faltige Gesicht einer Großmutter. Sie trug das graue Haar zu einem Knoten gebunden, und auch wenn sie keineswegs gebeugt ging, vermittelte sie dennoch eine gewisse Erfahrung. Sie hatte so viel gesehen, hatte so viel getan, hatte so viele Jahre erlebt. Und im Gegensatz zu einer Aes Sedai hatte Sharina in diesen vielen Jahren ein ganz normales Leben gelebt. Hatte gearbeitet, eine Familie gegründet, sogar Kinder begraben.

Sie war stark in der Macht. Sogar bemerkenswert stark; mit Sicherheit würde sie die Stola erringen, und sobald sie das getan hatte, würde sie hoch über Siuan stehen. Aber jetzt machte sie einen tiefen Knicks, gab ein fast perfektes Beispiel an Ehrerbietung. Von allen Novizinnen was sie dafür bekannt, sich am seltensten zu beklagen, den geringsten Ärger zu machen und am gewissenhaftesten zu lernen. Als Novizin begriff sie Dinge, die die meisten Aes Sedai niemals gelernt hatten - oder in dem Augenblick vergaßen, in dem sie die Stola erhielten. Wie man demütig war, wenn es darauf ankam, wie man eine Strafe annahm und wann man wusste, dass man etwas lernen musste, statt so zu tun, als wüsste man bereits alles. Hätten wir doch nur ein Dutzend mehr wie sie, dachte Siuan, und ein paar Dutzend weniger Elaidas und Romandas.

»Ja, Kind?«, fragte sie. »Was ist?«

»Ich sah, wie Ihr die Wäsche nehmt, Siuan Sedai«, sagte Sharina. »Und ich dachte, dass vielleicht ich sie für Euch tragen sollte.«

Siuan zögerte. »Ich möchte nicht, dass Ihr Euch verausgabt.«

Sharina hob in einem sehr unnovizinnenhaften Ausdruck eine Braue. »Diese alten Arme haben noch letztes Jahr doppelt so schwere Ladungen Wäsche zum Fluss und wieder zurück getragen, Siuan Sedai, und dabei drei Enkel jongliert. Ich glaube, das schaffe ich schon.« Da lag etwas in ihrem Blick, eine Andeutung, dass noch mehr hinter ihrem Angebot steckte. Anscheinend war diese Frau nicht nur in der Erschaffung von Heilgeweben geschickt.

Neugierig geworden, überließ Siuan der alten Frau den Korb. Dann gingen sie den Pfad in Richtung der Novizinnenzelte.

»Es erscheint seltsam«, sagte Sharina, »dass eine scheinbar so simple Enthüllung einen so großen Aufruhr verursachen kann, findet Ihr nicht, Siuan Sedai?«

»Elaidas Entdeckung des Reisens ist eine wichtige Enthüllung.«

»Und doch nicht einmal annähernd so wichtig wie jene, die Gerüchten zufolge während der Zusammenkunft vor ein paar Monaten erfolgten, bei dem Besuch des Mannes, der die Macht lenken kann. Seltsam, dass das hier eine solche Szene zur Folge hat.«

Siuan schüttelte den Kopf. »Die Motivation von Menschenmengen erscheint auf den ersten Blick oft seltsam, Sharina. Alle sprechen noch immer von dem Besuch des Asha'man, und sie können es kaum erwarten, dass noch mehr solcher Dinge geschehen. Also reagieren sie aufgeregt bei der Gelegenheit, etwas Neues zu hören. Und so erfolgen die großen Enthüllungen dann im Verborgenen, und die weniger wichtigen verursachen riesige Aufregung.«

»Ich glaube, diese Beobachtung könnte einem sehr nützlich sein.« Sharina nickte einer vorbeigehenden Gruppe Novizinnen zu. »Falls man Unruhe verbreiten wollte.«

»Was meint Ihr?« Siuan kniff die Augen zusammen.

»Ashmanaille hat zuerst Lelaine Sedai Bericht erstattet«, sagte Sharina leise. »Ich habe gehört, dass Lelaine diejenige war, die die Neuigkeit durchsickern ließ. Sie sprach sie laut in Anwesenheit einer Novizinnenfamilie aus, während sie den Saal zur Zusammenkunft rief. Außerdem wimmelte sie mehrere Forderungen nach der Versiegelung der Zusammenkunft ab.«

»Ah«, sagte Siuan. »Darum also!«

»Natürlich ist das alles nur Hörensagen«, erklärte Sharina und blieb im Schatten eines knorrigen Schwarzholzbaumes stehen. »Vermutlich ist es bloß Unsinn. Selbstverständlich würde eine Aes Sedai von Lelaines Format wissen, dass, sollte sie Informationen vor den Ohren von Novizinnen preisgeben, sie bald alle willigen Ohren erreicht hätten.«

»Und in der Burg ist jedes Ohr willig.«

»Ganz genau, Siuan Sedai.« Sharina lächelte.

Lelaine hatte die Zusammenkunft zu einem Zirkus machen wollen - sie hatte gewollt, dass die Novizinnen zuhörten und sich jede Schwester im Lager an der Diskussion beteiligte. Warum? Und warum vertraute ihr Sharina ihre ausgesprochen unnovizinnenhafte Meinung an?

Die Antwort war offensichtlich. Je bedrohter sich die Frauen im Lager fühlten - je größer sie die Gefahr erachteten, die von Elaida ausging -, umso einfacher würde es für eine energische Hand sein, die Kontrolle zu ergreifen. Auch wenn die Schwestern im Augenblick lediglich über den bloßen Verlust eines wohlbehüteten Geheimnisses empört waren, würden sie bald die Gefahr erkennen, die Siuan bereits gesehen hatte. Bald würde die Angst da sein. Sorge. Nervosität. Die Belagerung würde niemals funktionieren, jetzt nicht mehr, wo die Aes Sedai in der Stadt Reisen konnten, wann immer und wohin sie wollten. Brynes Heer an den Brücken war nutzlos geworden.

Und wenn sich Siuan nicht sehr irrte, würde Lelaine schon dafür sorgen, dass sich auch alle anderen der Probleme bewusst wurden, die das mit sich brachte.

»Sie will, dass wir Angst haben«, sagte Siuan. »Sie will eine Krise.« Das war schlau. Eigentlich hätte sie das kommen sehen müssen. Dass sie es nicht getan hatte - und auch nichts von Lelaines Plänen mitbekommen hatte -, verriet eine wichtige Tatsache. Die Frau vertraute ihr doch nicht so sehr, wie es den Anschein gehabt hatte. Verflucht!

Sie schaute Sharina an. Die grauhaarige Frau stand geduldig da und wartete darauf, dass Siuan begriff, was ihre Enthüllungen bedeuteten.

»Warum habt Ihr mir das alles erzählt? Soweit Ihr wisst, bin ich doch Lelaines Lakai.«

Sharina hob die Brauen. »Bitte, Siuan Sedai. Diese Augen sind nicht blind, und sie sehen eine Frau, die sehr hart daran arbeitet, die Feinde der Amyrlin zu beschäftigen.«

»Gut«, erwiderte Siuan. »Aber Ihr gebt Euch für einen geringen Lohn zu erkennen.«

»Einen geringen Lohn?«, fragte Sharina. »Entschuldigt bitte, Siuan Sedai, aber wie wird wohl mein Schicksal aussehen, sollte die Amyrlin nicht zurückkehren? Was glaubt Ihr? Ganz egal, was sie im Augenblick sagt, wir können Lelaine Sedais tatsächliche Ansichten genau erkennen.«

Siuan zögerte. Auch wenn Lelaine im Moment die Rolle von Egwenes andächtiger Befürworterin spielte, war es nicht lange her, dass sie über die zu alten Novizinnen erbost gewesen war. Nur wenigen gefiel es, wenn sich Traditionen veränderten.

Jetzt, da man die neuen Novizinnen in das Novizinnenbuch eingetragen hatte, würde es sehr schwer werden, sie wieder aus der Burg zu entfernen. Aber das bedeutete nicht, dass die Aes Sedai auch weiterhin ältere Frauen zulassen würden. Darüber hinaus bestand die reelle Möglichkeit, dass Lelaine - oder wer auch immer auf dem Amyrlin-Sitz endete - einen Weg finden würde, das Weiterkommen der Frauen, die entgegen der Tradition aufgenommen worden waren, zu verzögern oder ganz zu verhindern. Und das würde mit Sicherheit Sharina mit einschließen.

»Ich werde die Amyrlin von Euren Bemühungen hier unterrichten«, sagte Siuan. »Ihr werdet belohnt werden.«

»Meine Belohnung wird Egwene Sedais Rückkehr sein, Siuan Sedai. Beten wir, dass sie bald erfolgt. In dem Augenblick, in dem sie uns aufnahm, hat sie unser Schicksal mit dem ihren verbunden. Nach allem, was ich gesehen und gefühlt habe, habe ich nicht die Absicht, meine Ausbildung abzubrechen.« Sie wog den Korb. »Ich nehme an, Ihr wollt das hier gewaschen und zurückgebracht haben?«

»Ja. Vielen Dank.«

»Ich bin eine Novizin, Siuan Sedai. Es ist meine Pflicht und mein Vergnügen.« Die alte Frau verneigte sich respektvoll und ging weiter, ging mit einem Schritt, der viel jünger war, als es ihrem Alter entsprach.

Siuan schaute ihr nach, dann hielt sie eine andere Novizin an. Noch ein Kurier an Bryne. Beeil dich, Mädchen, richtete sie ihre Gedanken an Egwene und schaute zu dem hohen Turm der Weißen Burg in der Ferne. Sharina ist nicht die Einzige, deren Schicksal mit dem deinen verbunden ist. Du hast uns alle in dein Netz gezogen.

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