HOUSTON: »Es muß schlimm sein«, sagte Alberto Brumado. »Sehr schlimm. Joanna will nicht mit mir sprechen. Ich glaube, es sieht wirklich böse aus.«
Zum ersten Mal, seit Edith ihn kennengelernt hatte, sah man Brumado an, daß er über Sechzig war. Sein Gesicht war von Sorge gezeichnet; sein jungenhaftes Grinsen war einem düsteren, bangen Stirnrunzeln gewichen.
Sie setzte sich neben ihn aufs Bett. »Glaubst du, die Leute vom Projekt sagen dir vielleicht nicht die ganze Wahrheit?«
Sie hatten nebeneinanderliegende Zimmer in einem der Dutzend Hotels an der Straße genommen, die am Johnson Space Center vorbeiführte. Weder Brumado noch Edith hatten so weit vorausgeplant, daß sie sich Gedanken darüber gemacht hätten, wer Ediths Zimmer bezahlen würde. Beim Einchecken hatte Edith bemerkt, daß sich das Foyer mit Reportern und Kamerateams füllte. Sie spürten, daß etwas vorging, daß eine Sensation in der Luft lag. Irgend jemand ließ Informationen durchsickern.
Brumado rang die Hände. »Joanna sitzt im Rover fest, und sie sind alle krank. Anscheinend haben sie eine Art Vitaminmangel-Krankheit bekommen.«
»Du lieber Gott!« hauchte Edith. »Wie schlimm ist es?«
»Das weiß ich ja eben nicht. Ich wollte mit Joanna sprechen, aber sie hat sich geweigert, mit mir zu reden.«
»Geweigert? Warum?«
»Ich weiß es nicht!« erwiderte er gereizt.
Ediths Gedanken rasten. Dann muß Jamie auch krank sein. Er sitzt dort draußen in der Wüste fest und ist krank. Stirbt vielleicht sogar. Und all diese Reporter, die sich im Foyer versammeln. Wie Geier, die über einem verletzten Tier kreisen.
»Und das Projekt will trotzdem eine Nachrichtensperre aufrechterhalten?« fragte sie.
Brumado nickte. Sein Gesicht war ein Bild des Jammers. »Meine Kleine stirbt da draußen, und sie will nicht einmal mit mir sprechen.«
»Alberto — das mit der Nachrichtensperre wird nicht funktionieren. Die Reporter wissen schon, daß etwas Großes im Gange ist. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis jemand auspackt, und dann wird hier die Hölle los sein.«
Seine tiefen, dunklen Augen richteten sich auf sie, als sähe er sie zum ersten Mal. »Du willst die Story bringen, ist es so?«
»Wenn ich es nicht mache, tut es jemand anders.«
»Unsere Abmachung — gilt sie für dich nicht mehr?«
»Verstehst du das denn nicht, Alberto? Das ist meine große Chance. Und deine.«
»Meine?«
»Du bist die Seele des Marsprojekts. So nennen dich alle, stimmt’s? Also, jetzt es ist an der Zeit, daß du vor diese Kameras trittst und der Welt erzählst, was da oben auf dem Mars vor sich geht. Erzähl es auf deine eigene Weise. Du mußt jetzt der Sprecher des Projekts sein, das Bindeglied zwischen ihm und dem Rest der Welt.«
»Ich kann nicht … die Projektleitung würde das niemals erlauben. Die haben ihre eigenen Pressestäbe, ihre eigenen Sprecher …«
Edith schüttelte ihre goldenen Locken. »Du mußt es tun, Alberto. Alle Welt kennt dich und vertraut dir; die Leute sehen dich seit über dreißig Jahren im Fernsehen. Du wirst respektiert wie der gute alte Walter Cronkite, Herrgott noch mal. Du mußt dich den Reportern stellen.«
Er stand vom Bett auf und ging zum Fenster mit den zugezogenen Vorhängen hinüber.
»Du kannst der Welt ruhig sagen, was vorgeht, Alberto. Sag es auf deine Art, auf die richtige Art. Sonst sickert immer mehr durch, die Reporter kriegen Tips, hören hier und dort etwas, und dann senden sie irgendwann ihre eigenen Hypothesen und Vermutungen. Es wird ein Fiasko werden, ein Eins-A-Mega-Debakel für das Marsprojekt. Jeder Feind, den das Projekt jemals gehabt hat, wird im Fernsehen auftreten und ein Riesengeschrei veranstalten. Du weißt, wie die arbeiten. Wenn du nicht vor die Kameras trittst, und zwar verdammt schnell, werden sie es tun.«
»Aber meine Tochter …«
»Tu’s für sie!« fauchte Edith. »Willst du, daß sie da oben stirbt, während die Leute hier unten sagen, daß die Erforschung des Mars ein einziger großer Fehler war? Eine ungeheure Geldverschwendung?«
»Ich weiß nicht, ob ich das kann.«
»Niemand sonst kann es.«
Er hatte ihr immer noch den Rücken zugekehrt. Nun zog er den Vorhang vor dem Fenster ein kleines Stück auf. »Mein Gott, da unten stehen drei Ü-Wagen auf dem Parkplatz — und da kommt gerade noch einer.«
»Jemand hat ihnen bereits gesteckt, was los ist«, sagte Edith.
Brumado drehte sich wieder zu ihr um. Seine Miene war grimmig und skeptisch. »Ich könnte Kaliningrad anrufen. Wenn sie keine Einwände gegen deinen Plan haben …«
»Ob sie welche haben oder nicht, du mußt es tun.
Offiziell gehörst du nicht zum Projekt. Sie können dir keinen Maulkorb anlegen.«
Er machte ein Gesicht, als wollte er widersprechen, ging jedoch statt dessen zum Telefon.
»Ich gehe runter und sage den Leuten im Foyer, daß du mit ihnen sprechen wirst«, sagte Edith.
Brumado blickte zu ihr auf, zögerte einen Sekundenbruchteil und nickte dann unglücklich.
Edith ging auf den Flur hinaus und lenkte ihre Schritte zum Fahrstuhl. Es ist das Richtige, sagte sie sich immer wieder. Ob es mir hilft oder nicht, es ist das Richtige. Und vielleicht komme ich zu Jamie durch. Vielleicht lassen sie uns mit ihnen reden, wenn wir die Story gebracht haben.