Zum ersten Mal, seit die Expedition die Erdumlaufbahn verlassen hatte, war Pete Connors so richtig entspannt.
Er lehnte sich im Cockpitsitz zurück und schaute auf die rosafarbene und rote Landschaft hinunter, die rund fünfzehn Kilometer unter ihm vorbeizog. Der kleine Schwebegleiter flog wie ein Traum und reagierte so einfühlsam auf seine Hände wie eine liebende Frau.
Der Schwebegleiter war ein winziges Gazeflugzeug, so leicht, wie es mit seinen Plastikrippen und seiner Mylar-Haut nur sein konnte. Das Schwerste an ihm war der kleine Elektromotor, der seinen träge schnurrenden Propeller antrieb. Der Motor wurde von Solarzellen aus Plastik und Silizium mit Energie versorgt. Die Solarzellen schmiegten sich an die Krümmungen der breiten, langen Tragflächen des Schwebegleiters und verwandelten das reichlich vorhandene marsianische Sonnenlicht unablässig und geräuschlos in Strom, während er durch die saubere, helle, dünne Marsatmosphäre flog.
Der offizielle Name des Schwebegleiters war RPV-1. Es gab einen RPV-2, der mit zusammengeklappten Tragflächen in der Ladebucht eines der unbemannten Lander verstaut war und noch auf seinen Einsatz wartete. Connors hatte jedoch seinen eigenen Namen für das Flugzeug. Er nannte es Little Beauty. Und das war es auch für ihn: eine kleine Schönheit.
Die kleine Schönheit bereitete ihm viel Freude. Connors genoß es, wie sie sich unter seinen Händen bewegte, er genoß den weiträumigen, wunderschönen Ausblick auf die vorbeiziehende Marslandschaft, deren Panorama er überall um sich herum sehen konnte.
Ein Teil des Bildes wurde plötzlich dunkel. An dieser Stelle klappte der Videoschirm nach oben, und Paul Abells Froschaugengesicht erschien. Seine hohe Stirn war fragend gerunzelt.
»Kommst du nicht zum Lunch raus?« fragte Abell seinen Kollegen.
Connors schüttelte den Kopf. »Nee, ich hab zuviel Spaß mit ihr. Kannst du mir ein Sandwich machen?«
Abell warf einen Blick auf die Kontrolltafel und die anderen Bildschirme mit den Ausschnitten der fernen Marslandschaft. »Okay. Aber ich würde gern auch mal ’ne Runde mit ihr einlegen, weißt du.«
»Später«, murmelte Connors. »Du kannst sie auf dem Rückweg fliegen.«
Abell machte ein skeptisches Gesicht, ließ jedoch den Bildschirm wieder herunter. Connors fühlte sich erneut allein, als würde er tatsächlich über Chryse Planitia hinweggleiten, die Ebene des Goldes, und nicht im Innern der Basiskuppel in der Teleoperator-Simulation des Schwebegleitercockpits sitzen.
In einem elektronischen Sinn flog Connors seine Little Beauty wirklich. Er war auf so umfassende Weise mit der ferngelenkten Flugmaschine verbunden, daß er jedes Erzittern ihres schlanken Rumpfes spürte, jede leichte Windbö, die ihren Gazeflügeln Auftrieb gab. Faust tausend Kilometer trennten Pilot und Flugzeug, aber Connors beherrschte RPV-1 ebensosehr, als ob ihn das winzige Flugzeug tatsächlich durch den Himmel tragen würde.
Die Ingenieure nannten es Teleoperation, die Technik, Mensch und Maschine elektronisch zu verbinden, obwohl sie physisch nicht zusammen waren. Dank der Teleoperation konnte ein Flugzeug Tausende von Kilometern über den Mars hinwegstreifen, ohne einen Piloten und die ganze für einen menschlichen Lenker erforderliche Lebenserhaltungsausrüstung transportieren zu müssen. Der Pilot konnte am Boden oder in einem der Raumschiffe in der Marsumlaufbahn bleiben, wo er in Sicherheit war, während das Flugzeug den unbekannten Gefahren des unerforschten Planeten die Stirn bot.
Tief in seinem Innern verspürte Connors fast das genaue Gegenteil der Raumkrankheitssymptome. In der Schwerelosigkeit schrien die Ohren, daß man fiel, während die Augen einem sagten, daß man sicher in der Kabine eines Raumschiffs saß. Wenn Connors jedoch Little Beauty flog, sagten ihm seine Augen, daß er in fünfzehn Kilometer Höhe dahinglitt, aber sein Hintern und alle anderen Körpersinne erinnerten ihn daran, daß er auf dem Boden hockte.
Egal. Er lächelte jungenhaft in sich hinein. Das ist das Beste, was diese Rostkugel zu bieten hat. Für den Augenblick reicht das. Nicht schlecht für den Sohn eines Pfarrers. Er erinnerte sich an seine ersten Flüge auf dem Rücksitz eines uralten Doppeldeckers, der über den flachen Weizenfeldern von Nebraska Schädlingsbekämpfungsmittel versprüht hatte. Alles quadratisch, ordentlich und präzise. Der kahle rote Boden, der jetzt unter ihm lag, war noch nie von der zielstrebigen Hand eines Menschen berührt worden.
Abell öffnete abrupt die Luke, streckte ein zusammengehauenes Sandwich herein und bat erneut darum, die Maschine fliegen zu dürfen. Connors vertröstete ihn auf später und schloß sich wieder im Cockpit ein.
Tief unten sah er einen dunkelroteren Schatten langsam über das kahle Land ziehen. Er legte das kleine Flugzeug ein bißchen in die Kurve, um einen besseren Blick auf den Boden zu erhaschen.
Ein Sandsturm. Groß. Mit einer Front, die bestimmt ein paar hundert Kilometer breit war. Connors wußte, daß alles, was seine Kameras einfingen, automatisch zu den Schiffen im Orbit und durch sie zur Erde übertragen wurde. Trotzdem führte er im Kopf ein paar eigene Berechnungen durch und sprach ins Mikrofon seiner Kopfhörergarnitur. Toshima würde sich über alle Informationen freuen, die er bekommen konnte; der japanische Meteorologe versuchte, ein den ganzen Planeten umspannendes Netz aus Wettersensoren zu errichten.
»Sieht aus wie ein großer Sandsturm aus Nordwest, Richtung Südost. Front ist mindestens drei- bis vierhundert Klicks breit.« Er warf einen Blick auf den Navigationsschirm rechts an der Kontrolltafel. »Position ungefähr sechzig Grad Länge, dreißig, einunddreißig Grad Breite. Bewegt sich schätzungsweise mit fünfzig bis hundert Stundenkilometern voran.« Dann fügte er grinsend hinzu: »Pflockt die Kamele an.«
Zusätzlich zu der üblichen Ausstattung an sensorischen Instrumenten trug die RPV-1 noch eine besondere Fracht unter ihrem Bauch, eine winzige, rechteckige Box aus Aluminium. Im Innern war eine Plakette aus rostfreiem Stahl, so klein, daß sie in die Hand eines Mannes paßte. Sie trug die Inschrift:
Connors hatte Thomas A. Mutch nicht mehr kennengelernt. Der NASA-Wissenschaftler war nur wenige Jahre, nachdem der erste automatische Lander auf der Oberfläche des Mars aufgesetzt hatte — 1976 war das gewesen — bei einem Bergunfall ums Leben gekommen. Jener primitive Lander, der ursprünglich Viking 1 geheißen hatte, war kurz darauf in ›Thomas A. Mutch Memorial Station‹ umbenannt worden. Die Plakette hatte man damals angefertigt, als Connors noch ein Kind gewesen war, das gerade anfing, mit dem Flugzeug über den Farmen von Cheyenne County, Nebraska, herumzufliegen.
Jetzt steuerte er die ferngelenkte Little Beauty zum 47°97’ Grad nördlicher Länge und 22°49’ Grad nördlicher Breite, wo die treue alte Viking-Sonde noch nach über dreißig Jahren breitbeinig stand. Connors sollte das kleine Flugzeug dort landen, die Box mit der Plakette darin ablegen und es erst am nächsten Morgen wieder starten und zur Heimatbasis zurückfliegen.
In die Plakette aus rostfreiem Stahl war noch eine weitere Zeile eingraviert. Sie lautete: ›Angebracht am‹, und der Platz dahinter war leer. Das Datum sollte eingetragen werden, wenn Forscher von der Erde irgendwann einmal den Viking-Lander erreichten, eine Aufgabe, die nicht auf dem Programm dieser ersten Forschungsmission stand.
Connors’ Gesicht umwölkte sich ein wenig. Er wünschte, er würde dieses Flugzeug wirklich fliegen, säße tatsächlich an den Kontrollen an Bord der Maschine, wäre wirklich dort, so daß er mit der kleinen Lady landen, die Plakette an das alte Raumfahrzeug anschrauben und das Datum einritzen könnte.