NEW YORK: Alberto Brumado blinzelte, als die Overhead-Scheinwerfer eingeschaltet wurden; dann gewöhnten sich seine Augen an die Helligkeit. Wieviel Zeit meines Lebens habe ich wohl in Fernsehstudios verbracht, fragte er sich. Es müssen Jahre sein, viele Jahre, wenn man all die Minuten und Stunden zusammenzählt.
Zum ersten Mal, seit er sich erinnern konnte, war er jedoch nervös wegen des bevorstehenden Interviews. Nicht, weil es von einem der amerikanischen Networks ausgestrahlt wurde. Nicht, weil er mit einem Trio erfahrener, ranghoher Fragesteller von der Zeitung, dem Nachrichtenmagazin und der Network-Nachrichtenabteilung mit dem größten Prestige in den Vereinigten Staaten konfrontiert sein würde. Mit solchen Leuten hatte er schon öfters einen Strauß ausgefochten.
Die Nervosität, die ihn innerlich erzittern ließ, rührte daher, daß die Interviewer Blut gerochen hatten. Dr. Konoyes Tod hatte die Haie angelockt, und nun umkreisten sie sein Marsprojekt, das in ihren Augen schwer angeschlagen war und blutete. Bei diesem Interview würde es keine vornehme Zurückhaltung geben, keine Glacehandschuhe. Brumado wußte, daß ihm eine ziemliche Tortur bevorstand.
Die Mitglieder des technischen Teams waren alle gleichermaßen freundlich gewesen, wie üblich. Die mütterliche Maskenbildnerin lächelte und schwatzte mit Brumado, während sie ihm Naßschminke auf sein gebräuntes Gesicht klatschte. Als er noch auf dem Stuhl saß, der eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Friseursessel hatte, war die gestresst wirkende Produzentin hereingekommen. Sie blieb hinter ihm stehen, sprach mit Brumados Bild in dem großen Wandspiegel und erklärte ihm, er solle nur ganz natürlich sein, einfach er selbst, dann werde das Publikum ihn ›lieben‹. Die junge Produktionsassistentin, die jünger war als seine eigene Tochter, hatte alles in ihrer Kraft Stehende getan, damit Brumado sich wohlfühlte. An lächelnde, ausweichende Politiker und naßforsche Stars aus dem Showbusiness gewöhnt, die ihre Nervosität hinter Banalitäten versteckten, bot sie Brumado Kaffee, Säfte, ja sogar eine Bloody Mary an. Mit nervösem Lächeln lehnte er alles außer Mineralwasser ab.
Jetzt saß er im Studio. Das Team versteckte sich hinter den Kameras, und ein Studiotechniker befestigte ihm das kabellose Mikrofon direkt unter dem Kinn an der Krawatte.
Der Moderator der Sendung betrat die hell erleuchtete Kulisse und kam die beiden mit Teppich ausgelegten Stufen zu dem Sessel neben dem von Brumado herauf.
Er streckte eine Hand aus und sagte: »Bitte bleiben Sie sitzen, Doktor Brumado. Es ist nett von Ihnen, daß Sie auf eine so kurzfristige Einladung hin gekommen sind.«
»Ich möchte alle Zweifel zerstreuen, die wegen dieser schrecklichen Tragödie in der Öffentlichkeit vorhanden sein könnten«, erwiderte Brumado, als der Moderator Platz nahm. Sein Mikrofon war bereits an Ort und Stelle; auf seiner dunkelblauen Krawatte war es kaum zu sehen. Überdies trug er einen winzigen, fleischfarbenen Ohrstecker, der wie ein Hörgerät aussah.
»Gut, gut«, sagte der Moderator geistesabwesend. Sein Blick richtete sich auf den Text, der über den kleinen Monitor in dem Couchtisch vor ihnen lief. Man hatte den Monitor so eingebaut, daß er für die Kameras unsichtbar war.
Die drei Inquisitoren kamen zusammen herein, lächelnd und miteinander plaudernd. Zwei Männer und eine Frau, deren ebenholzschwarzes Haar wie ein Stahlhelm glänzte. Allgemeines Händeschütteln. Brumado dachte an einen Preiskampf. Jetzt geht in eure Ecken, und wenn ihr herauskommt, will ich euch boxen sehen.
Der Studioregisseur kam eilig aus dem Dunkel zwischen den Kameras und verschwand wieder darin. Auf der großen Uhr unter dem Monitorbildschirm tickten die letzten Sekunden dahin; der Sekundenzeiger blieb deutlich sichtbar auf jeder Markierung des Zifferblatts stehen.
Der Studioregisseur zeigte auf den Moderator.
»Guten Morgen, und willkommen bei Menschen im Scheinwerferlicht. Wir freuen uns, heute Doktor Alberto Brumado bei uns begrüßen zu dürfen …«
Brumado fühlte, wie sich sein Pulsschlag beschleunigte, als der Moderator die drei ›renommierten Journalisten‹ vorstellte, die ihn befragen würden.
»Zu Beginn«, sagte der Moderator und wandte sich an Alberto Brumado, »würde ich gern folgende grundsätzliche Frage stellen: Welche Bedeutung hat Doktor Konoyes Tod für das Marsprojekt?«
Brumado setzte sein väterliches Lächeln auf, wie er es bei Interviews immer tat. »Er wird die Forschungsarbeiten auf dem Mars nur geringfügig beeinträchtigen. Die Mission wurde von Anfang an in dem Wissen geplant, daß die Erforschung eines fernen Planeten gefährlich sein kann. Deshalb gibt es einen Ersatzmann für jeden Wissenschaftler und Astronauten. Das Team wird die Erkundung des Mars natürlich fortsetzen können, und selbst die Arbeiten auf Deimos und Phobos, die Doktor Konoye durchführen sollte …«
»Wollen Sie damit sagen, daß Ihnen der Tod eines Menschen egal ist?« warf der Zeitungsmann ein und verzog sein Gesicht zu einer finsteren Fratze.
»Natürlich ist er mir nicht egal«, erwiderte Brumado. »Er macht uns allen schwer zu schaffen, insbesondere Doktor Konoyes Frau und seinen Kindern. Aber er wird die Forschungsarbeiten auf dem Mars und seinen Monden nicht stoppen.«
»Was ist schiefgegangen, Doktor Brumado?« fragte die Fernsehreporterin. Sie trug einen eleganten, schicken roten Rock und eine streng wirkende weiße Bluse.
»Nichts ist schiefgegangen. Doktor Konoye hat einen Schlaganfall erlitten. Es hätte wohl auch in seinem Büro in Osaka passieren können. Oder zu Hause.«
»Aber es ist auf dem Mars passiert.«
»Es ist bei einem Weltraumspaziergang passiert«, bemerkte der Mann vom Nachrichtenmagazin. »Hat das zu der Gehirnblutung beigetragen? Spielte die Schwerelosigkeit eine Rolle?«
Brumado schüttelte den Kopf. »Die Schwerelosigkeit dürfte eigentlich nichts damit zu tun haben. Wenn überhaupt, ist stark reduzierte Schwerkraft gut für das kardiovaskuläre System.«
»Wie ist es möglich, daß er für diese gefährliche Arbeit ausgesucht wurde, wenn er ein kardiovaskuläres Problem hatte?«
»Er hatte kein kardiovaskuläres Problem.«
»Der Mann ist an einem Schlaganfall gestorben!«
»Aber es gibt keinerlei Hinweis darauf, daß bei ihm ein medizinisches Problem vorlag. Er ist gründlich untersucht und getestet worden, genau wie die anderen Besatzungsmitglieder auch. Er hat ein mehrjähriges Training mit regelmäßigen ärztlichen Untersuchungen absolviert und nie auch nur das geringste Problem gehabt. Er war erst zweiundvierzig Jahre alt. Auch in den ärztlichen Unterlagen seiner Familie deutet nirgends etwas auf eine genetische Neigung zu kardiovaskulärer Erkrankung hin.«
»Wie erklären Sie sich dann den Schlaganfall?«
»Niemand hat eine Erklärung dafür. Es ist passiert. Es ist schrecklich. Sehr traurig.«
»Aber Sie werden die Mission nicht abbrechen oder ihren Ablauf in irgendeiner Weise ändern?«
Brumado lächelte erneut, diesmal, um seinen wachsenden Ärger zu verbergen. »Zunächst einmal habe ich keine offizielle Funktion im Marsprojekt. Ich bin nur ein Berater.«
»Also wirklich! Die ganze Welt weiß, daß Sie die Seele des Marsprojekts sind.«
»Ich bin nicht in den täglichen Ablauf des Projekts involviert. Und ich habe auch keine offizielle Position. In Wirklichkeit ist es mit meinen Einwirkungsmöglichkeiten vorbei, seit die Raumschiffe zum Mars gestartet sind.«
»Wollen Sie uns wirklich erzählen, daß die Flugkontrolleure in Houston …«
»In Kaliningrad«, verbesserte Brumado.
»Wo auch immer — daß sie nicht auf Sie hören würden, wenn Sie zu ihnen gingen und ihnen rieten, das Projekt abzubrechen und diese Leute sicher heimzuholen?«
»Hoffentlich nicht. Wenn ich ihnen einen solchen Rat gäbe, wären sie hoffentlich klug genug, ihn zu ignorieren.«
»Machen Sie sich keine Sorgen um die Sicherheit dieser Männer und Frauen auf dem Mars?«
Brumado zögerte nur einen Sekundenbruchteil — genug, um sich zu ermahnen, daß er sich von ihnen nicht zu ungewollten Äußerungen verleiten lassen durfte.
»Sie müssen sich vergegenwärtigen, daß Doktor Konoyes Tod kein Unfall war, daß er nicht auf technischem Versagen oder auch nur auf einem Fehler in unserer Planung beruhte. Der Mann hat einen Schlaganfall erlitten. Er war hundert Millionen Kilometer von der Erde entfernt, als das geschehen ist, aber es wäre nicht anders gewesen, wenn es ihn in seinem Bett getroffen hätte.«
Brumado drehte sich um und schaute direkt in die Kamera, deren rotes Licht brannte. »Sollen wir aufhören, den Mars zu erforschen, weil ein Mensch gestorben ist? Haben die Amerikaner aufgehört, ihr Siedlungsgebiet nach Westen auszudehnen, weil an der Grenze Menschen ums Leben gekommen sind? Hat man aufgehört, die Welt zu erforschen, weil einige Schiffe gesunken sind? Wenn wir aus Angst vor der Gefahr aufgehört hätten, uns ins Unbekannte hinauszuwagen, würden wir immer noch in Höhlen hocken und uns jedesmal auf den Boden werfen, wenn es draußen donnert.«
Der Moderator lächelte breit und sagte: »Gleich nach der folgenden wichtigen Botschaft machen wir weiter.«
Die Overhead-Scheinwerfer wurden gedimmt. Brumado griff nach dem Glas Wasser auf dem Couchtisch.
»Gutes Timing. Es läuft sehr gut«, sagte der Moderator. »Nur weiter so.«
Der zweite Teil der Sendung war weitgehend genauso wie der erste: Die Interviewer klagten Brumado fast schon an, und dieser verteidigte das Marsprojekt gegen ihre plumpen Andeutungen, er sei unsensibel oder geradezu inkompetent.
»Und obwohl dies passiert ist«, hämmerte der Fratzenmann von der Zeitung auf ihn ein, »weisen Sie den Gedanken, daß es da draußen für Menschen zu gefährlich ist, nach wie vor von sich?«
Brumado spielte seine Trumpfkarte aus. »Einer dieser Menschen ist meine Tochter. Wenn ich der Meinung wäre, sie sei in einer Situation, die in nicht mehr tragbarem Maß gefährlich ist, würde ich alles tun, was in meiner Macht steht, um das gesamte Forschungsteam sicher nach Hause zu holen, glauben Sie mir.«
Bei der nächsten Werbeunterbrechung sagte der Moderator: »Okay, wir haben zum Schluß noch vier Minuten. Gibt es etwas Wichtiges, worüber wir noch nicht gesprochen haben?«
»Wir haben noch kein Wort darüber gesagt, was bisher auf dem Mars entdeckt worden ist«, erwiderte Brumado milde.
»Okay. Das ist nur recht und billig.« Der Moderator sah die drei Interviewer an. Sie nickten ohne große Begeisterung.
Der Studioregisseur zeigte auf den Moderator, und das rote Licht an der auf ihn gerichteten Kamera leuchtete wieder auf. Bevor er jedoch den Mund aufmachen konnte, kam ihm der Mann von der Zeitung zuvor: »Ich wüßte gern, was uns diese Mission eigentlich bringt. Haben die Wissenschaftler auf dem Mars etwas gefunden, was fünfhundert Milliarden Dollar wert ist?«
Brumado setzte wieder sein Lächeln auf. »Diese Zahl ist stark übertrieben. Außerdem werden die Missionskosten natürlich von über zwei Dutzend Ländern gemeinsam bezahlt; die Vereinigten Staaten tragen die Last nicht allein.«
»Ja, aber …«
»Wir haben wichtige Entdeckungen auf dem Mars gemacht«, schnitt Brumado ihm das Wort ab. »Sehr wichtige Entdeckungen. Die Landeteams sind erst seit etwas über einer Woche auf dem Boden, und sie haben bereits Wasser gefunden — das Elixier des Lebens.«
»Unter der Oberfläche, gefroren«, sagte die Nachrichtenfrau vom Fernsehen.
»Aber keine Spuren von Leben selbst«, sagte der Reporter des Magazins.
»Noch nicht.«
»Rechnen Sie denn damit, auf dem Mars Leben zu finden?«
»Ich bin jetzt optimistischer als noch vor einer Woche«, sagte Brumado, und nun war sein Lächeln echt. »Es scheint, als gäbe es ausgedehnte Permafrostgebiete. Und den allerletzten Berichten des Geologen zufolge, der eine Exkursion zu den Valles Marineris — dem Grand Canyon des Mars — unternommen hat, hängen dort jeden Morgen Nebelschleier in der Luft. Das heißt, dort gibt es Feuchtigkeit. Und unten am Grund dieses Tals sind die Temperaturen vielleicht erheblich höher als anderswo. Kann sein, daß es dort Leben gibt.«
Der Zeitungsmann fixierte Brumado mit glitzernden Augen. »Geben wir es doch zu — Sie müssen Leben auf dem Mars finden, um dieses sündhaft teure Programm zu rechtfertigen. Sie müssen optimistisch sein, nicht wahr?«
»Ich möchte natürlich, daß das Programm weitergeführt wird. Was wir bei dieser ersten Mission bereits entdeckt haben, rechtfertigt die nächste Mission allemal.«
»Noch einmal fünfhundert Milliarden?«
»Auch nicht annähernd soviel. Der größte Teil der Entwicklungs- und Konstruktionskosten ist bereits bezahlt. Die zweite Expedition wird nur einen Bruchteil der ersten kosten. Unsere bisherigen Ausgaben werden sich durch weitere Missionen sogar amortisieren, und wir werden wesentlich mehr für das Geld bekommen, das wir bereits investiert haben.«
»Und damit müssen wir uns verabschieden«, sagte der Moderator und beugte sich zwischen Brumado und dem Reporter nach vorn. »Unsere Zeit ist um. Ich möchte mich bei unseren Gästen bedanken …«
Brumado lehnte sich in seinen Sessel zurück und entspannte sich. Später würde er sich ein Band von der Sendung ansehen, aber im Moment hatte er den Eindruck, daß er seine Argumente recht gut herübergebracht hatte.
Und die Sache mit dem Indianer und deren Auswirkungen auf die politische Situation hier in den Staaten haben sie nicht einmal angesprochen. Dafür können wir uns bei Konoye bedanken. Er ist nicht umsonst gestorben.
Die Overhead-Scheinwerfer erloschen, und Brumado ließ sich von dem Studiotechniker das Mikrofon abnehmen. Die drei Journalisten lächelten und sagten ein paar verbindliche Worte, wie es sich gehörte, dann gingen sie rasch zu der kleinen Bar, die im hinteren Teil des Studios aufgebaut worden war.
»Sie haben sich einen Drink verdient«, sagte der Moderator.
»Danke. Ich könnte einen gebrauchen.«
Brumado hatte vor, diese paar informellen Minuten zu nutzen, um seine Fragesteller ein wenig zu erziehen. Ohne es zu merken, waren Hunderte von Zeitungs- und Fernsehleuten bei geselligen Anlässen wie diesem auf raffinierte Weise von ihm bekehrt worden.
Eine jüngere Frau sprach bereits mit den Reportern, eine kesse, sportliche Blondine, die typisch amerikanisch aussah. Sie stellte sich als Edie Elgin vor und erzählte, sie sei neu in New York — und eine persönliche Freundin von James Waterman.
Bei der Erwähnung von Watermans Namen leuchteten bei Brumado sämtliche Warnlämpchen auf.
»Wie geht es ihm?« fragte Edith. »Man hat mich nicht mit ihm sprechen lassen, seit er auf dem Mars gelandet ist.«
»Sind Sie Journalistin?« fragte Brumado.
Edith zeigte ihm ihr schönstes Texas-Lächeln. »Ich bin Beraterin in der Nachrichtenabteilung. Um die ganze Wahrheit zu sagen, Doktor Brumado, ich suche einen Job.«
»Kennen Sie Doktor Waterman aus Houston?«
»Wir waren sehr eng befreundet. Und jetzt will man mich nicht einmal mit ihm reden lassen.«
Bei ihrem Lächeln wurde Brumado warm ums Herz, und sein Mißtrauen schmolz dahin. »Sie wollen ihn nicht für irgendwen interviewen?«
»Ich will nur ein paar Minuten mit ihm reden, um zu erfahren, ob es ihm gut geht, und … na ja, um zu sehen, ob er immer noch …« Edith ließ den Satz vielsagend unbeendet.
Die Missionsadministratoren können den Mann nicht auf Dauer von sämtlichen Verbindungen zur Außenwelt abschneiden, sagte sich Brumado. Er erwiderte Ediths Lächeln. »Ich will sehen, was ich tun kann.«
»Oh, vielen Dank! Sie sind wirklich süß, der netteste Mann im ganzen Marsprojekt!«
WASHINGTON: Es gefiel Alberto Brumado, daß eine hübsche junge Frau ihn nett und süß fand. Und daß sie ihn für einflußreich hielt. Aber in Wahrheit glaubte er nicht, daß er eine so überaus wichtige Persönlichkeit war. »Niemand ist unersetzlich«, hatte er oft gesagt. »Wenn ich mich nicht an vorderster Front für das Marsprojekt eingesetzt hätte, dann hätte es jemand anders getan.«
Doch sowohl der japanische als auch der russische Projektleiter erklärten sich sofort bereit, nach Washington zu kommen, um sich mit ihrem amerikanischen Pendant und Dr. Brumado zu treffen — nicht nur, weil sie dringende Probleme zu besprechen hatten, sondern weil sie Brumado tatsächlich einen weiteren langen Interkontinentalflug ersparen wollten. Überschallflugzeuge konnten in zwei Stunden den halben Globus umrunden, aber die menschlichen Passagiere, die sie beförderten, litten trotzdem unter der Zeitumstellung. Der russische und der japanische Projektleiter beschlossen daher gleichzeitig und unabhängig voneinander, ihrem verehrten Mentor solch eine Anstrengung zu ersparen.
Gleich im Anschluß an sein Fernsehinterview in New York flog Brumado nach Washington, um sich im Büro des amerikanischen Projektleiters, der im alten NASA-Hauptquartier an der Independence Avenue residierte, mit ihnen zu treffen. Für ein Regierungsbüro machte es nicht viel her: ein Raum mit genug Platz für einen rechteckigen Konferenztisch, der wie der lange Schenkel eines T an einen breiten Mahagonischreibtisch stieß. Die Wände waren mit Karten und Fotos vom Mars und anderen Fotos von Raketentriebwerken bedeckt, die auf Säulen aus Flammen und Rauch vom Erdboden abhoben. Auf einem Tisch hinter dem Schreibtisch des Projektleiters standen persönliche Fotografien, die ihn mit den Großen und Mächtigen zeigten, mit Präsidenten und Ministern, aber auch mit Prominenz aus dem Fernsehen.
Der amerikanische Leiter des Marsprojekts war vor vielen Jahren einmal ein hervorragender Ingenieur gewesen. Jetzt war er ein hervorragender Politiker, der es geschickt verstand, im Dschungel von Washington zu überleben und dafür zu sorgen, daß der lebensspendende Geldstrom in sein Projekt nicht versiegte. Er sah jedoch nicht wie der archetypische ›gesichtslose Bürokrat‹ aus. Zu seinem zerknitterten grauen Geschäftsanzug trug er äußerst bequeme Cowboystiefel aus Schlangenleder und eine konservative blaue Krawatte. Sein fleischiges Gesicht war gerötet, sein Haar dicht und trotz der grauen Strähnen darin immer noch feuerrot. Die Augen hinter den randlosen Brillengläsern leuchteten vor Eifer; seine Arbeit bedeutete ihm noch etwas. Für ihn war der Mars kein Programm, sondern ein Lebenswerk.
»Ich weiß es zu schätzen, Gentlemen, daß Sie hierher in mein bescheidenes Reich gekommen sind«, sagte er zu den anderen. In seiner rauhen Stimme klang die schleppende Sprechweise des südlichen Texas durch, die selbst jahrelange Auftritte vor dem Kongreß nicht ganz ausgelöscht hatten.
Er lehnte sich auf seinem Stuhl an einer Seite des Konferenztisches bedenklich weit zurück, die Stiefel auf dem Tisch, die Krawatte am Kragen gelockert. Brumado saß neben ihm. Der russische und der japanische Projektleiter saßen steif auf der anderen Seite des Tisches.
Keiner von ihnen lächelte; beide trugen maßgeschneiderte Geschäftsanzüge mit ordentlich geknoteten Krawatten; aber damit hörten die Ähnlichkeiten auch schon auf. Der Russe war kahlköpfig, blaß, hager und trübselig. Er erinnerte Brumado an einen schwermütigen Filmschauspieler aus seiner Jugend, der immer Emigranten gespielt hatte, die sich nach Mütterchen Rußland sehnten. Der Japaner war ein kompaktes Bündel kaum gezähmter Energie, seine dunklen Augen zuckten in alle Richtungen, seine Finger trommelten nervös auf die Tischplatte.
»Wie Sie alle wissen«, sagte der Amerikaner, das Mehrfachkinn auf der Brust, und hob ein einzelnes Blatt Papier auf, das vor ihm auf dem Tisch lag, »haben wir da so ’n gewisses Problem mit der liebreizenden, blauäugigen Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten.«
»Ich glaube, ich sollte gleich zu Beginn sagen«, warf der Russe ein, »daß in der russischen Föderation ernstzunehmende Einwände dagegen erhoben worden sind, daß es klug wäre, sich so bald schon auf eine zweite Expedition festzulegen.«
Der Japaner sagte rasch: »Der Tod von Professor Konoye hat Japans Begeisterung in bezug auf weitere Mission nicht getrübt. Wenn überhaupt, sind meine Landsleute eher der Meinung, daß wir weitermachen müssen, um sein Andenken zu ehren.«
Der Ex-Texaner warf Brumado einen Blick zu und sah dann seine Kollegen auf der anderen Seite des Tisches an. »Na, dann wollen wir hier doch zunächst mal eins klären: Wie stehen Sie alle zu der nächsten Mission?«
»Ich bin natürlich dafür«, antwortete der Russe sofort. »Ich würde selbst mitfliegen, wenn man es mir erlauben würde!«
Der Japaner grinste. »Ja, natürlich.«
»Wie ich es sehe«, sagte Brumado sanft, »haben wir eine heilige Verpflichtung. Das Marsprojekt darf nicht so enden wie das Apollo-Projekt. Wir müssen die Erforschung des Planeten und seiner Monde weiterführen.«
Der Amerikaner schob seinen Stuhl zurück. Er schabte über den nicht ausgelegten Boden. »Okay«, sagte er, während er schwerfällig aufstand. »Wir sind uns also einig, was wir wollen. Jetzt müssen wir rausfinden, wie wir’s kriegen.« Er ging um seinen Schreibtisch herum, bückte sich, machte eine Tür auf und holte vier Gläser und eine Flasche Bourbon heraus.
»Treibstoff fürs Gehirn«, sagte er. Ein fröhliches Grinsen breitete sich auf seinem roten Gesicht aus.
Drei Stunden später stand die Flasche leer auf dem Konferenztisch, und Brumado, der kaum das eine Glas angerührt hatte, das ihm eingeschenkt worden war, faßte zusammen: »Die Vizepräsidentin hat mir persönlich erklärt, sie sei bereit, sich öffentlich für die weitere Erforschung des Mars auszusprechen, wenn wir von uns aus Doktor Waterman dazu bewegen können, seine Unterstützung für ihre Kandidatur zu bekunden.«
»Das lassen Sie sich mal lieber schriftlich geben«, brummte der Amerikaner. »Und zwar, bevor Sie dem Indianer sagen, daß er den Mund aufmachen soll.«
»Ich bin wirklich nicht sicher, daß Doktor Waterman bereit wäre, eine solche Erklärung abzugeben«, gestand Brumado.
»Dann müssen Sie ihn überzeugen. Machen Sie von Ihren Überredungskünsten Gebrauch. Ich würde es selber tun«, sagte der ehemalige Texaner, »aber wenn das jemand im Kongress rauskriegt, nageln sie meine Eier an die Wand, und das Marsprojekt geht in null Komma nichts den Bach runter.«
Der Japaner wandte sich an den Russen. »Wie würde die russische Föderation reagieren, wenn die Vereinigten Staaten ausdrücklich ihre Unterstützung für weitere Missionen bekunden?«
Der Russe zuckte umständlich die Achseln. »Wenn sowohl die USA als auch Japan dafür sind, würden die Kräfte der Erleuchtung in Moskau meiner Ansicht nach genügend Auftrieb bekommen, um die Einwände der Obstruktionspolitiker zu überwinden.«
Der Amerikaner zog eine zottige Augenbraue hoch. »Heißt das ja oder nein?«
Sie brachen alle in Gelächter aus. »Ja«, sagte der Russe. »Definitiv ja.«
Daraufhin richteten alle drei Projektleiter ihre Blicke auf Brumado.
»Dann liegt es also an Ihnen, Alberto, alter Knabe«, sagte der Amerikaner. »Keiner von uns kann es tun. Sie müssen die Rothaut dazu überreden, die Vizepräsidentin zu unterstützen.«
»Ich hoffe, es gelingt mir«, sagte Brumado.
»Wenn nicht, ist Schluß mit dem Programm, sobald das Team zur Erde zurückkehrt.«
Brumado nickte zustimmend. Dann fragte er: »Hat man verhindert, daß Waterman persönliche Botschaften bekommt? Isoliert man ihn während seines Aufenthalts auf dem Mars von der Außenwelt?«
Die drei Projektleiter sahen einander unbehaglich an. Der Russe sagte: »Nachdem die amerikanische Regierung es abgelehnt hat, das Band mit seinem Interview freizugeben, haben wir angenommen, daß er keine Kontakte mit den Medien haben soll.«
»Soweit ich weiß«, sagte der Amerikaner, »hat er sich nicht beschwert. Hat nicht mal drum gebeten, irgendwelche persönlichen Botschaften schicken zu dürfen, glaube ich.«
»Überhaupt keine privaten Mitteilungen?« fragte Brumado. »Weder an seine Angehörigen noch an seine Freunde?«
Der Russe zuckte die Achseln. »Anscheinend hat niemand versucht, ihn zu erreichen, und er hat auch nicht versucht, jemanden anzurufen.«
»Nicht einmal seine Eltern?«
»Offenbar nicht.«
»Warum fragen Sie?« erkundigte sich der Japaner.
»Ich habe eine junge Frau kennengelernt, die behauptet, sie sei eine Freundin von Waterman«, antwortete Brumado, »und man habe ihr die Erlaubnis verweigert, mit ihm zu sprechen.«
Der Amerikaner lehnte sich wieder auf seinem Stuhl zurück. »Ich verstehe nicht, weshalb sie nicht einfach ein Band aufnehmen kann, wie die Freunde und Verwandten von allen anderen auch. Dann kann Waterman entscheiden, ob er ihr antworten will oder nicht. So haben wir das mit den privaten Botschaften bisher immer gehandhabt, wegen der Zeitverzögerung und dem vollen Programm der Jungs unten auf dem Planeten.«
»Das klingt vernünftig«, sagte Brumado. »Ich werde es ihr raten.«