ERDE

HOUSTON: Edith hatte zwei Tage gebraucht, um eine Entscheidung zu treffen. Zwei Tage und auch ihren ganzen Mut.

Als Jamie mit seinem Navajogruß vom Mars über den Bildschirm geflimmert war, hatte sie in sich hineingelächelt. An jenem Morgen hatte sie im brechend vollen Nachrichtenraum von KHTV gestanden und keine Ahnung gehabt, was für einen Aufruhr seine wenigen Worte auslösen würden. Eine ihrer Kolleginnen stieß sie leicht an der Schulter an, als sein himmelblauer Raumanzug groß ins Bild kam.

»Das ist dein großer … na, du weißt schon, stimmt’s?« fragte die Frau im Flüsterton.

Sie nickte und dachte: Er war es. Er war es.

Überrascht sah Edith, wieviel Zeit die Network-Nachrichten an jenem Abend darauf verwendeten, daß ein amerikanischer Ureinwohner auf dem Mars war. Als sie am nächsten Morgen allein war, rief sie einige ihrer Kontaktpersonen beim Johnson Space Center an und fand heraus, daß Jamies improvisierte kleine Ansprache in den oberen Rängen der NASA beträchtliche Bestürzung ausgelöst hatte.

»Die drehen da oben total durch«, erzählte ihr einer ihrer Informanten. »Aber von mir haben Sie das nicht, ist das klar?«

Am zweiten Tag waren Gerüchte in Umlauf, denen zufolge der Space Council in Washington sich noch einmal mit der Weigerung des Indianers befaßte, den von der NASA für ihn vorbereiteten Text aufzusagen.

Die Vizepräsidentin sei empört, hieß es. Was sie tat, hatte Nachrichtenwert. Jeder wußte, daß sie nächstes Jahr die Kandidatin ihrer Partei für die Präsidentschaftswahl werden wollte.

Edith sah sich noch einmal die üblichen, langweiligen Interviews mit Jamies Eltern in Berkeley und mit nichtssagend-höflichen, ausweichenden NASA-Vertretern an. Als sie an diesem zweiten Abend ins Bett ging, überlegte sie, was sie tun sollte.

Am nächsten Morgen stand ihre Entscheidung fest. Sie rief im Sender an und erklärte ihrem sprachlosen Nachrichtenchef, sie werde den Rest der Woche freinehmen.

»Das geht nicht! Ich lasse nicht zu, daß …«

»Ich habe noch zwei Wochen Urlaub und einen Haufen Krankheitstage, die ich nicht genommen habe«, sagte Edith zuckersüß ins Telefon. »Am Montag bin ich wieder da.«

»Verdammt noch mal, Edie, die werden dich feuern! Du weißt doch, wie die da oben sind!«

Sie stieß einen Seufzer aus, den er nicht überhören konnte. »Dann werden sie mich wohl feuern und mir meine Abfindung auszahlen müssen.«

Sie legte auf und reservierte sich dann sofort telefonisch einen Platz in einer Maschine nach New York.

Als sie in zehntausend Metern Höhe über die Appalachen hinwegflog, ging Edith im Geist noch einmal durch, was sie dem Nachrichtenchef des Network erzählen würde. Ich komme an James Watermans Eltern heran. Und an seinen Großvater. Und an die Leute, mit denen er trainiert hat und die nicht für den Flug zum Mars ausgewählt worden sind. Ich kenne seine Geschichte, und ich weiß, wie es beim Marsprojekt zugeht. Ich kann Ihnen eine Insider-Story darüber liefern, wie diese Sache läuft. Die menschliche Seite des Mars-Projekts. Nicht bloß leuchtende Wissenschaft, sondern die internen Machtkämpfe, die Konkurrenz, die ganzen saftigen Details.

Während sie sich innerlich auf das Gespräch vorbereitete, dachte sie an Jamie. Er wird mich dafür hassen, daß ich das tue. Er wird mich wirklich hassen.

Aber es ist meine Eintrittskarte für einen Job beim Network. Er hat den Mars. Er hat mich für den Mars sitzenlassen. Jetzt kann ich mir den Mars auf meine Weise zunutze machen, damit auch ich etwas davon habe.

Загрузка...