13 Gezeitensturm minus zehn

… ein ständiges, orangefarbenes Glimmen am Horizont, der Feuerschein des brennenden Bodens spiegelte sich in den hoch aufragenden Staubwolken. Während sie noch zuschauten, stieg eine weitere karmesinrote Säule auf, kaum einen Kilometer von dem Ort entfernt, an dem sie standen. Ranken aus Rauch griffen in alle Richtungen, und die Säule wuchs und wuchs. Schon bald, reichte sie von der Erde bis zum Himmel. Während die Lava bis zum Rand der Kuppe kroch, wandte er sich Amy zu.

All seinen Warnungen zum Trotz stand sie neben dem Wagen. Als der Blitz der Explosion dem Glimmen rotglühender Lava wich, klatschte sie in die Hände, hypnotisiert, im Banne der Farben und Formen. Dröhnende Erschütterungswellen rollten heran und brachen sich an den Hügeln hinter ihnen. Der Flammenstrom überwand die Kuppe und rollte auf sie zu, so leicht und zügig wie Wasser. Wo er auf dem kühleren Boden auftraf, zischte und funkelte es weiß auf.

Max betrachtete Amys Gesicht. Er sah keine Furcht, nur die gebannte Verzückung eines Kindes auf einer Geburtstagsparty.

Genau das war es für sie auch. Sie sah nur ein Feuerwerk, sonst nichts. Für jegliche Vorsicht war er zuständig. Im Sessel des Wagens beugte er sich vor und zupfte an ihrem Ärmel.

»Rein mit dir!« Er musste schreien, damit sie ihn überhaupt hören konnte. »Wir müssen zurück zum Stängel. Du weißt, dass wir dafür fünf Stunden brauchen!«

Sie warf ihm einen finsteren Blick zu und befreite sich aus seinem Griff. Dieses Schmollen kannte er nur zu gut. »Nicht jetzt, Max!«

Er las ihr die Worte von den Lippen ab, doch hören konnte er sie, nicht. »Ich möchte warten, bis die Lava das Wasser erreicht.«

»Nein!« Jetzt schrie er. »Kommt überhaupt nicht in Frage! Ich werde keine weiteren Risiken mehr eingehen! Es ist hier draußen siedend heiß, und im Wagen wird es langsam fast genauso schlimm.«

Amy bewegte sich fort vom sicheren Wagen, achtete gar nicht auf ihn. Er hatte das Gefühl, irgendetwas würde ihm die Brust zuschnüren, und viel zu heiß war er es ihm auch, trotz des Luftvorhangs, der eine Schicht kühlere Luft vor der offenen Luke hielt. Es war vor allem Einbildung, das wusste er — diese feurige Esse seiner eigenen Sorgen, die ihn hier zu verschlingen drohte. Und doch war die Hitze dort draußen sehr wohl real. Er stolperte aus dem Wagen und folgte ihr über die dampfende Oberfläche.

»Hör auf, mich zu nerven! Ich komme ja gleich!« Amy hatte sich umgedreht, um diese ganze infernalische Szenerie besser beobachten zu können. Es gab — Gott sei dank! — keine Anzeichen einer weiteren Eruption, doch es konnte sich jeden Augenblick eine neue ereignen.

»Max, du musst dich endlich mal entspannen!« Sie kam näher, schrie ihm fast ins Ohr. »Du musst mal ein bisschen Spaß haben. Die ganze Zeit, die wir hier sind, hast du nur rumgesessen, als hätte man dich von der Unterseite einer Schlinge abgeschabt. Sei mal ein bisschen locker — lass dich doch mal treiben!«

Er griff nach ihrer Hand und zog sie in Richtung des Wagens. Nach kurzem Widerstand gestattete sie ihm, sie hinter sich her zu ziehen. Den Blick immer noch auf die gleißende Wut des Vulkans gerichtet, achtete sie nicht darauf, wohin sie gingen.

Und dann, als sie nur noch ein paar Meter vom Wagen entfernt waren, riss sie sich los und lief lachend über die glatte, dampfende Oberfläche von der Hitze zusammengebackener Steine hinweg. Sie war ihm zehn Schritte voraus, bevor er ihr folgen konnte. Doch da war es schon zu spät.


* * *

Graves und Perry hatten es so klingen lassen, als sei es ganz einfach. Rebka wies darauf hin, dass es unmöglich sei.

»Sehen Sie sich doch nur die Zahlen an!«, sagte er, während die Kapsel von ›Nabelschnur‹ sanft auf die Oberfläche von Erdstoß aufsetzte. »Wir haben einen planetaren Radius von fünftausendeinhundert Kilometern, und weniger als drei Prozent der Oberfläche ist von Wasser bedeckt. Damit kommen wir auf über dreihundert Millionen Quadratkilometer Land. Dreihundert Millionen! Jetzt denken Sie doch einmal daran, wie lange es dauern kann, auch nur einen einzigen Quadratkilometer abzusuchen! Wir können hier mehrere Jahre lang unterwegs sein und würden sie vielleicht doch nie finden.«

»Aber wir haben nicht mehrere Jahre Zeit«, bemerkte Perry. »Und ich weiß auch, dass es sich um ein wirklich großes Gebiet handelt. Aber Sie scheinen davon auszugehen, dass wir aufs Geratewohl suchen werden, aber genau das werden wir natürlich nicht tun. Ich kann die weitaus meisten Gebiete ausschließen, bevor wir mit der Suche überhaupt beginnen.«

»Und ich weiß, dass die Carmel-Zwillinge sämtliche offenen Gebiete meiden werden«, fügte Graves hinzu.

»Und woher wissen Sie das so genau?« Rebka blieb pessimistisch.

»Weil es über Erdstoß normalerweise kaum Wolken gibt.« Die Skepsis seines Gegenübers schien Graves nicht das Geringste auszumachen. »Auf Shasta, ihrer Heimatwelt, gibt es ein hochauflösendes Satellitensystem, das die Oberfläche des gesamten Planeten ständig überwacht.«

»Aber auf Erdstoß doch nicht.«

»Stimmt, aber das wissen die Zwillinge ja nicht. Sie werden davon ausgehen, dass sie, sobald sie sich einmal auf freies Feld wagen, sofort entdeckt und eingefangen werden. Die müssen sich eine richtig tiefe Deckung gesucht haben und dort geblieben sein.«

»Und ich kann Ihnen sagen«, übernahm nun Perry, »dass das unser Problem deutlich einschränkt. Es gibt nur drei Orte, an denen ein Mensch, der noch alle Sinne beisammen hat, auf Erdstoß Zuflucht suchen würde. Mit diesen drei Orten werden wir anfangen — und damit die Sache auch beenden.«

»Aber wenn wir sie dort nicht finden«, setzte Graves an, »dann können wir die Suche immer noch ausweiten, und zwar …«

»Nein, können wir nicht!«, schnitt Perry ihm das Wort ab. »Der Gezeitensturm, werter Allianzrat! Der wird in weniger als achtzig Stunden seinen Höhepunkt erreichen. Dann sollten wir lieber nicht mehr hier sein — nicht Sie, nicht ich und auch nicht die Zwillinge!«


Max Perry zählte die drei wahrscheinlichsten Aufenthaltsorte auf: in den Hochwäldern des Morgenstern-Hochlandes, auf — oder wahrscheinlich in — einem der Eintausend Seen oder in den tiefen Vegetationsnischen der Pentacline-Senke.

»Und das reduziert das abzusuchende Gebiet um den Faktor eintausend«, dozierte er.

»Und es bleiben immer noch mehrere zehntausend Quadratkilometer übrig, die abgesucht werden müssen«, erwiderte Rebka. »Und zwar sehr gründlich. Und vergessen Sie bitte nicht, dass das hier keine Standard-Rettungsmission ist! Normalerweise wollen die Leute, die vermisst werden, ja gefunden werden. Also kooperieren sie, so gut sie nur können. Aber diese Zwillinge werden keine Notsignale aussenden, solange ihre Lage nicht völlig unerträglich ist. Und wenn sie das denn schließlich doch tun, dann wird es höchstwahrscheinlich bereits zu spät sein.«

Falls dieses Argument auf Julius Graves Eindruck gemacht haben sollte, dann hätte das angesichts seines breiten Grinsens zumindest niemand vermutet. Während Max Perry damit beschäftigt war, sich um die Flugwagen zu kümmern, zerrte Graves Rebka in Richtung der rauchverhangenen Vulkankette davon.

»Ich muss mit Ihnen reden, Captain«, sagte er leise. »Nur einen Augenblick.«

Warme Asche trieb durch die Luft, wie blassgrauer Schnee senkte sie sich auf Haare und Schultern. Der Boden war schon fast einen Zentimeter hoch davon bedeckt. Von den niedrig wachsenden Pflanzen und den friedlichen Pflanzenfressern, die Rebka bei seinem ersten Besuch auf Erdstoß gesehen hatte, war keine Spur mehr zu entdecken. Sogar der See selbst war verschwunden, verborgen unter einer schaumigen Schicht Vulkanasche. Statt des angekündigten Grollens und des Tosens seismischer Urgewalt hüllte sich der Planet in heißes, brütendes Schweigen.

»Ihnen ist doch wohl klar«, fuhr Graves fort, »dass wir nicht zusammenzubleiben brauchen? Flugwagen gibt es hier zur Genüge.«

»Ich weiß, dass wir ein dreimal so großes Gebiet würden absuchen können, wenn wir uns aufteilten«, gab Rebka zurück. »Aber ich weiß nicht, ob ich das wirklich gut fände. Perry kennt Erdstoß besser als jeder andere, und Sie waren noch nie zuvor hier.«

»Aha! Ihre Gedanken gehen in eine ähnliche Richtung wie meine eigenen.« Graves wischte sich ein Ascheflöckchen von der Nasenspitze. »Das logische Vorgehen ist also ganz klar: Perry hat drei Gebiete vorgegeben, in denen Flüchtlinge ganz selbstverständlich Unterschlupf zu finden versuchen würden. Diese Gebiete sind weit voneinander entfernt; aber es gibt genug Flugwagen für uns alle, sodass jeder ein eigenes Gebiet würde übernehmen können. Daher können wir also jeder unserer eigenen Wege gehen, und jeder sucht ein eigenes Gebiet ab. Das wäre das, was die Logik gebieten würde. Aber ich sage: Wer braucht denn schon Logik? Sie nicht, und ich auch nicht. Was wir brauchen, das sind Ergebnisse

Er beugte sich näher zu Rebka hinüber. »Und um ganz ehrlich zu sein: Ich mache mir ein wenig Sorgen um den Geisteszustand von Commander Perry. Man braucht ihm gegenüber nur die Worte ›Erdstoß‹ oder ›Gezeitensturm‹ zu erwähnen, und dem fallen fast die Augen aus dem Kopf. Wir können nicht zulassen, dass er allein unterwegs ist. Wie denken Sie darüber?«

Ich denke, dass Sie beide, Perry und Sie selbst, dringend ein Kindermädchen brauchen, aber das möchte ich nicht so geradeheraus sagen. Rebka wusste, was nun auf ihn zukommen würde. Er hätte jetzt gleich Perry am Hals — genau die gleiche blöde Aufgabe, die ihn überhaupt erst in das Dobelle-System verschlagen hatte —, während Graves, ohne dass er ihn hätte kontrollieren können, durch die Wildnis von Erdstoß jagte und dabei wahrscheinlich den Tod fände.

»Sie haben Recht, Allianzrat: Perry sollte nicht allein unterwegs sein. Aber ich möchte keine Verschwendung von …«

»Dann meinen Sie also auch, dass ich bei Perry bleiben sollte«, fuhr Graves fort und ignorierte Rebkas Einwände einfach. »Verstehen Sie, wenn er in Schwierigkeiten geraten sollte, dann kann ich ihm helfen. Niemand sonst kann das. Also werden er und ich uns das Morgenstern-Hochland vornehmen, während Sie die Eintausend Seen übernehmen — Perry sagt, das sei das Gebiet, das sich am schnellsten und am einfachsten absuchen lasse. Und wenn keiner von uns die Zwillinge findet, dann macht sich derjenige, der als Erster mit seinem Terrain fertig ist, auf zur Pentacline-Senke.«

Was macht man, wenn ein Wahnsinniger einen durchaus ansprechenden Vorschlag unterbreitet? Man macht sich Sorgen — aber wahrscheinlich wird man den Vorschlag trotzdem annehmen. Außerdem war Graves sowieso sichtlich unwillig, sich Gegenargumente anzuhören. Als Rebka erneut darauf hinwies, wie schlecht die Chancen standen, die Zwillinge überhaupt zu finden, schnippte der Allianzrat nur mit den Fingern.

»Unfug! Ich weiß, dass wir sie finden werden. Sie müssen positiv denken, Captain Rebka: Seien Sie optimistisch! Nur so kann man das Leben ertragen!«

Und sehr leicht auch verlieren, dachte Rebka. Doch er gab seinen Widerstand auf. Graves ließ sich von seinem Plan schlichtweg nicht abbringen, und vielleicht hatten Perry und er ja einander verdient.

Und außerdem war das eine der ersten Regeln gewesen, die Rebka fürs Leben gelernt hatte, bereits als Sechsjähriger, damals, in den heißen Salzbergwerken von Teufel: Wenn dir jemand etwas gibt, was du haben möchtest, dann nimm es und geh — bevor der andere noch Zeit hat, es sich anders zu überlegen und es dir wieder wegzunehmen!

»Also gut, Allianzrat Graves: sobald mein Wagen fertig ist, mache ich mich auf den Weg.«

Rebka war den anderen etwa eine halbe Stunde voraus. Der Laderaum der schnellsten Flugwagen war nicht auf große, schwere Gepäckstücke ausgelegt, und Julius Graves betrachtete lange nachdenklich sein Gepäck, bis er schließlich alles zurückließ, von einer kleinen Tasche abgesehen. Den Rest verstaute er in einer Kapsel von ›Nabelschnur‹. Schließlich verkündete er, bereit zum Aufbruch zu sein.

Nach dem Start stellte Max Perry den Wagen auf Autopilot und steuerte das Morgenstern-Hochland an. Als dieses dann in Reichweite ihrer Scanner kam, kauerten sich beide über die Bildschirme.

»Primitive Gerätschaften«, meinte Graves. Er konzentrierte sich so sehr, dass er das Gesicht zu einer Grimasse verzogen hatte, und seine Gesichtsmuskeln zuckten, während er die Bilddarstellungen studierte. Die Displays durchzugehen war eine langwierige, ermüdende Aufgabe. »Wenn das hier ein Wagen der Allianz wäre, dann würden wir nicht selbst aufpassen müssen — wir könnten uns einfach zurücklehnen und darauf warten, dass das System uns davon in Kenntnis setzt, dass es die Zwillinge gefunden hat. Und hier ist es genau anders herum! Ich muss mich hier konzentrieren und dieses Ding anstarren und ihm auch noch erklären, was es sieht! Primitiv!«

»Das ist das Beste, was wir auf Opal oder Erdstoß zur Verfügung haben.«

»Das glaube ich Ihnen. Aber haben Sie sich noch nie gefragt, warum all die Welten des Spiralarms nicht so reich sind wie die Erde und die anderen alten Regionen aus dem Kriechraum? Warum wird nicht auf jedem Planeten die neueste Technik verwendet? Warum gibt es nicht auf allen Planeten mehr Dienstroboter als Menschen — so wie auf der Erde? Warum sind die Menschen nicht alle reich, jeder Einzelne, in jeder Kolonie? Wir wissen doch, wie man fortschrittlichere Geräte herstellt. Warum gibt es die dann nicht auf jedem Planeten, statt auf nur ein paar?«

Darauf wusste Perry keine Antwort, doch er brummte leise, um zu zeigen, dass er zugehört hatte.

Doch dem war nicht so. Julius Graves war damit beschäftigt, die Bilder durchzugehen, also musste das Steven sein, der hier vor sich hin plapperte. Und Perry selbst war ebenfalls beschäftigt, mit den Funkgeräten. Graves glaubte nicht, dass die Carmel-Zwillinge ein Notsignal aussenden würden. Perry war anderer Ansicht. Jetzt, da der Gezeitensturm näher und näher kam, sollten die Zwillinge mehr als nur willens und bereit sein, sich retten und festnehmen zu lassen.

»Der Grund für die Armut des Dobelle-Systems«, fuhr Graves fort, »ist ganz einfach. Die Natur des Menschen selbst liefert uns diesen Grund. Eine rationale Spezies würde sicherstellen, dass eine Welt voll entwickelt und perfekt wäre, um von Menschen besiedelt zu werden, bevor man sich der nächsten zuwenden würde. Aber so etwas verstehen wir eben einfach nicht! Wir müssen immer weiterziehen! Bevor ein Planet auch nur halb besiedelt ist, fahren schon die nächsten Schiffe los, suchen nach neuen Welten, die man erkunden kann. Und es gibt nur sehr wenige, die sagen: ›Wartet mal einen Moment, sollen wir nicht erst einmal versuchen, hier alles richtig hinzukriegen, bevor wir weitermachen?‹«

Graves betrachtete einige Signale auf dem Display genauer, allesamt falscher Alarm, und schüttelte den Kopf.

»Wir sind einfach zu neugierig, Commander«, fuhr er dann fort. »Bei den meisten Menschen liegt der Level ihrer Geduld ein wenig zu niedrig und der ihrer Neugier ein wenig zu hoch. Die Cecropianer sind genauso schlimm wie wir. Und so findet sich der ganze Reichtum im Spiralarm und sämtlicher Luxus — in den Händen derer, die zu Hause bleiben. Das ist das alte Paradoxon, älter als die Expansion selbst: Diejenigen, die nichts dazu beitragen, neuen Reichtum zu schaffen, sind diejenigen, die am meisten davon in ihren Besitz bringen. Während diejenigen, die die ganze Arbeit übernehmen, meist nur sehr wenig eigenen Besitz anhäufen können. Vielleicht wird sich das eines Tages ja ändern. Vielleicht dauert es noch zehntausend Jahre, aber …«

»Funkfeuer!«, unterbrach Perry ihn. »Schwach, aber eindeutig da.«

Graves erstarrte mitten in der Bewegung und blickte nicht auf. »Unmöglich!« Die Stimme klang scharf und abgehackt. Julius Graves hatte wieder das Kommando über den Körper übernommen. »Die würden doch ihre Anwesenheit auf Erdstoß niemals verraten! Nicht, nachdem sie so lange und so weit fortgelaufen sind!«

»Schauen Sie selbst!«

Graves rutschte zu ihm hinüber. »Wie weit ist das entfernt?«

»Weit.« Perry betrachtete die Distanz- und die Vektoreinstellungen. »Um genau zu sein, sogar zu weit. Das Signal kommt nicht aus dem Gebiet des Morgenstern-Hochlandes. Das ist noch mindestens viertausend Kilometer von dessen letzten Ausläufern entfernt. Was wir hier empfangen, sind Reflexionen aus der Ionosphäre, sonst würden wir das gar nicht empfangen können.«

»Was ist mit den Eintausend Seen?«

»Könnte hinkommen. Der Vektor ist nicht ganz korrekt, aber das Signal hat ein wirklich gewaltiges Grundrauschen. Und von der Distanz her könnte das stimmen.«

»Dann ist das Rebka.« Mit der flachen Hand schlug Graves auf die Tischplatte. »Das muss er sein! Er macht sich auf die Suche, und kaum, dass wir mit unserer Arbeit anfangen, steckt er schon in Schwierigkeiten. Sogar noch, bevor wir überhaupt …«

»Das ist nicht Rebka.«

»Woher wissen Sie das?«

»Das ist nicht sein Flugwagen.« Perry glich die Signalmatrix ab. »Ist keiner von unseren. Falsche Frequenz, falsches Signalformat. Sieht aus wie eine transportable Sendeeinheit mit geringer Leistung.«

»Dann sind das tatsächlich die Carmel-Zwillinge! Und die müssen in furchtbaren Schwierigkeiten stecken, wenn sie bereit sind, um Hilfe zu rufen! Können Sie uns dorthin bringen?«

»Problemlos. Wir lassen uns einfach vom Funkfeuer leiten.«

»Wie lange wird das dauern?«

»Sechs oder sieben Stunden, wenn wir mit Höchstgeschwindigkeit fliegen.«

Während er noch sprach, blickte Perry auf das Chronometer des Wagens.

»Wie lange noch?« Graves hatte seinen Blick verfolgt.

»Noch ein bisschen länger als acht Erdstoß-Tage bis zum Gezeitensturm; in etwa noch siebenundsechzig Stunden, von jetzt an gerechnet, will ich meinen.«

»Sieben Stunden bis zu den Eintausend Seen, dann noch acht, um wieder zu ›Nabelschnur‹ zurückzukehren. Und dann nichts wie auf und davon. Reicht dicke. Wir werden von Erdstoß weg sein, lange bevor das Schlimmste kommt.«

Perry schüttelte den Kopf. »Das haben Sie falsch verstanden. Erdstoß ist inhomogen, mit einer variablen inneren Struktur. Die Erdbeben können jederzeit überall einsetzen, auch schon lange vor dem eigentlichen Gezeitensturm. Hier im Hochland erleben wir nicht allzu große Aktivität, aber das Gebiet der Eintausend Seen könnte sich in einen wahren Albtraum verwandeln.«

»Jetzt kommen Sie aber, Sie sind ja genauso schlimm wie Rebka! Es kann doch nicht ganz so schlimm sein, wenn die Carmel-Zwillinge immer noch am Leben sind!«

»Das haben Sie genau richtig ausgedrückt: wenn diese Carmel-Zwillinge immer noch am Leben sind!« Perry hatte die Steuerung übernommen, und der Wagen änderte bereits den Kurs. »Sie haben da etwas nicht bedacht, Allianzrat: Funkfeuer sind wirklich ziemlich robust — deutlich robuster als irgendein Mensch.«

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