IX

Einige der Tiegel waren voll. Von diesen sahen die meisten unverändert aus. Andere aber nicht. Der Inhalt der meisten dieser Tiegel war zwar leicht aufzufinden, sie waren aber sehr schwer zu identifizieren, wie Ken auf den ersten Blick sehen konnte.

Praktisch alles war mit weißem Staub bedeckt, wie schon Roger bemerkt hatte. Die gelben Kügelchen von Natriumperoxid färbten sich grau, als sie sich in der Hitze auflösten. Der Goldtiegel war von seinem Ständer gezogen worden, war aber ansonsten unverändert. Das Eisen hatte sich schwarz verfärbt. Natrium, Magnesium und Titan hatten sich verflüchtigt, obwohl der Rückstand in jedem dieser Tiegel hoffen ließ, daß diese Elemente unter dem verstreuten Staub irgendwo nachgewiesen werden könnten. In dem dafür bestimmten Tiegel befand sich noch immer Kohlenstoff, allerdings sehr viel weniger.

So interessant und wichtig dies alles war, so wurde Feths und Kens Aufmerksamkeit doch nur kurz davon gefesselt. Denn gleich hinter der Lukentür war in der Staubschicht deutlich ein Abdruck zu sehen. Und dieser Abdruck war anders als alles, was die beiden bislang gesehen hatten.

»Feth, graben Sie schleunigst irgendwo eine Kamera aus. Ich hole indessen Drai.« Ken war verschwunden, kaum daß die Worte seiner Membran entschlüpft waren. Diesmal blieb Feth ihm eine Antwort schuldig. Sein Blick haftete noch immer an dem Abdruck.

An sich war daran nichts Unheimliches oder Erschreckendes. Doch konnte er sich nicht von dem faszinierenden Problem losreißen, wodurch dieser Abdruck wohl verursacht worden sein mochte. Für ein Wesen, das noch niemals etwas auch nur entfernt Menschenähnliches gesehen hatte, ist ein menschlicher Handabdruck schwer zu deuten. Ob der Abdruck beim Stehen, Sitzen, Lehnen verursacht worden war oder beim Ausgestreckt-Daliegen, das bei den Sarrianern das Sitzen ersetzte, das konnte er nicht unterscheiden. Der Eingeborene war vielleicht nur ein sarrianisches Fuß groß und hatte den Abdruck mit dem ganzen Körper hinterlassen, oder aber er war so groß, daß er nur ein Körperglied in die Frachtluke hineingebracht hatte. Feth schüttelte den Kopf, um wieder klarer denken zu können — er hatte gemerkt, daß seine Gedanken sich im Kreis bewegten. Dann machte er sich auf die Suche nach einer Kamera.

Sallman Ken platzte ohne Vorwarnung ins Observatorium, ließ Drai aber keine Zeit zu explodieren. Er überschüttete Drai mit der Nachricht von seiner Entdeckung und hörte nicht auf zu reden, bis sie den Kontrollraum erreicht hatten. Als sie dort angekommen waren, stellte jedoch der Anblick des Abdrucks für Drai alles andere als einen Höhepunkt dar. Er äußerte wenig mehr als höfliches Interesse. Ihm war der Körperbau der Erdenbewohner herzlich gleichgültig. Ihn interessierte ein anderer Aspekt der Frachtkammer viel mehr.

»Was ist denn das weiße Zeug?«

»Das weiß ich noch nicht«, mußte Ken zugeben. »Das Torpedo ist eben erst gelandet. Es ist auf jeden Fall das, was aus meinen Proben wird, wenn sie der Erdatmosphäre ausgesetzt werden.«

»Dann werden Sie also bald über die Zusammensetzung der Atmosphäre Bescheid wissen? Das wird uns sehr weiterhelfen. Nahe der dunklen Hemisphäre gibt es Höhlen, wie wir schon seit Jahren wissen. Die könnten wir nach außen verschließen und nach Ihren Angaben mit der entsprechenden Luftmischung vollpumpen. Melden Sie es mir, wenn Sie etwas herausgefunden haben.« Er glitt lässig hinaus und ließ einen enttäuschten Ken zurück. Für diesen war es eine faszinierende Entdeckung gewesen.

Er tat seine Enttäuschung achselzuckend ab und holte vorsichtig, ohne den Abdruck zu zerstören, seine Proben aus dem Torpedo, um sie auf einer Arbeitsbank anzuordnen, auf der er sich ein provisorisches Labor eingerichtet hatte.

Wie er selbst eingestanden hatte, war er kein großer Analytiker. Doch waren durch Verbrennung entstandene Verbindungen meist nicht sehr kompliziert. Er war sicher, sich über die Natur dieser Verlandungen einigermaßen Klarheit verschaffen zu können. Schließlich kannte er die beteiligten Metalle — in der Atmosphäre von Planet Drei konnte es bis auf Wasserstoff keine metallische Gase geben. Sogar Quecksilber würde als Flüssigkeit auftreten, und kein anderes Metall hatte einen sehr hohen Verdunstungsdruck, auch nicht unter sarranischem Druck. Ken, der sich diese Überlegung wie einen Leitstern vor Augen hielt, machte sich munter an die Arbeit.

Für einen Chemiker wäre nun die Arbeit oder die Beschreibung der Arbeit sicher interessant. Für alle anderen aber wäre es bloß eine ermüdende stets gleiche Wiederholung von Erhitzen und Abkühlen, das Feststellen der Siede- und Schmelzpunkte, Fraktionieren und Filtern. Ken wäre rascher vorangekommen, wenn er nicht mit einer vorgefaßten Meinung belastet gewesen wäre. Schließlich aber hatte er alle Nachweise beisammen. Und er fragte sich, warum er dies nicht alles zuvor gesehen hatte.

Feth Allmer war schon längst zurück und hatte den Handabdruck aus einem halben Dutzend Blickwinkel aufgenommen. Als er merkte, daß Ken fertig war, raffte er sich von dem Ständer auf, auf dem er ruhte, und glitt zu Ken hin..

»Na, haben Sie es geschafft, oder sind Sie aufgeschmissen?« fragte er.

»Ich glaube, ich hab’s. Eigentlich hätte ich es längst wissen müssen. Es ist Sauerstoff.«

»Und was ist daran so klar? Oder andersrum: warum nicht?«

»Ich wies die Möglichkeit von mir, weil Sauerstoff hochaktiv ist. Mir stand immer vor Augen, daß es bei dieser Temperatur nur wenig mehr aktiv ist als Schwefel bei unseren Temperaturen. Es ist sehr gut möglich, daß es frei in der Atmosphäre vorkommt — vorausgesetzt, es existiert ein Prozeß, der ersetzt, was in der Verbindung aufgeht. Dasselbe braucht auch der Schwefel. Verdammt, die zwei Elemente sind einander so ähnlich! Das hätte mir von Anfang an auffallen müssen.«

»Was meinen Sie mit Ersatz- oder Erneuerungsprozeß?«

»Wie Sie wissen, atmen wir Schwefel ein und bilden in unserem Stoffwechsel Sulfide. Andererseits spalten die meisten Pflanzen als mineralverzehrende Lebewesen Sulfide und geben freien Schwefel ab, wobei sie Sonnenenergie benötigen. Vielleicht existiert auch auf Planet Drei eine ähnliche Zweiteilung der Lebensformen — die eine Form bildet Sauerstoff und die andere spaltet ihn. Wenn ich es recht bedenke, gibt es auch auf Sarr Mikroorganismen, die Sauerstoff statt Schwefel brauchen.«

»Ist es denn reiner Sauerstoff?«

»Nein, nur etwa ein Fünftel oder weniger. Sie wissen ja, wie rasch Natrium und Magnesium ausgetreten sind und wie groß der Druckabfall war.«

»Nein, ich weiß es nicht mehr, und ich kann auch nicht behaupten, daß mir das alles viel sagt, aber ich will Ihnen gern glauben. Und was gibt es daneben noch in der Atmosphäre? Das Titan hat alles aufgenommen, wenn ich mich recht erinnere.«

»Richtig. Entweder Stickstoff oder einige seiner Oxide — welche, das kann ich ohne genauere Quantitätsmessung nicht feststellen. Die einzigen Titan-Verbindungen, die ich in dem Durcheinander finden konnte, waren Oxide und Nitride. Der Kohlenstoff ist oxidiert, vermute ich — der Grund dafür, daß es keine Druckveränderung gab, außer jener, die auf Erwärmung zurückzuführen ist, liegt darin, daß das Hauptoxid des Kohlenstoffs zwei Sauerstoffatome hat und es daher keine Volumenveränderung gibt. Auch daran hätte ich eher denken sollen.«

»Auch in diesem Punkt will ich Ihnen gern glauben. Dann brauchen wir also nichts anderes zu tun, als ein Stickstoff-Sauerstoff-Gemisch im Verhältnis vier zu eins zusammenzubrauen und damit die Höhlen zu füllen, von denen der Chef sprach, und zwar unter zwei Drittel Normaldruck.«

»Na ja, so einfach auch wieder nicht, aber so ungefähr kommt es hin, und dieses Tafak-Zeug müßte unter diesen Bedingungen gedeihen können — falls es glückt, Proben heil heranzuschaffen. Eine prächtige Idee wäre es auch, wenn man Erdreich beschaffen könnte, da ich mir nicht vorstellen kann, daß man durch Pulverisierung der hier vorhandenen Felsen etwas ähnliches erhält.

Dazu muß ich aber sagen, daß ich mich weigere, eine Analyse der Bodenprobe auch nur zu versuchen. Es müßte so viel heraufgeschafft werden, daß es für den Anbau reicht.«

Feth starrte ihn an. »Das ist doch lächerlich! Für eine halbwegs anständige Pflanzung brauchen wir Tonnen an Boden!«

Sallman Ken reagierte mit einem Achselzucken. »Das weiß ich. Aber ich sage nochmal klipp und klar, daß es einfacher sein wird, diese Tonnen heranzuschaffen, als von mir eine präzise Bodenanalyse zu bekommen. Ich habe davon zu wenig Ahnung, und ich möchte bezweifeln, ob die besten Chemiker von Sarr eine Voraussage über die chemische Zusammensetzung des festen Teils von Planet Drei wagen könnten. Ich gehe jede Wette ein, daß bei diesen Temperaturen organische Verbindungen ohne Fluor oder Silizium existieren können.«

»Ich glaube, wir sollten Drai holen, damit er sich das anhört. Sicher wollte er, daß Sie Atmosphäre und Boden analysieren, damit wir hier ganz auf eigene Faust eine Pflanzung anlegen können.«

»Ja, holen Sie ihn. Ich habe ihm gleich zu Anfang gesagt, wo meine Grenzen liegen. Und wenn er seine Erwartungen nicht herunterschraubt, dann hat er keine Ahnung von der Natur dieses Problems.«

Feth glitt mit bekümmerter Miene hinaus. Ken verstand nicht, was den Techniker daran so bedrückte. Später sollte er dahinterkommen.

Als Feth wiederkam, war er noch bekümmerter.

»Er hat zu tun. Er sagt, er wolle die Sache mit Ihnen durchdiskutieren, sobald der Anzug zurück sei, damit man gleich sämtliche Alternativen in Betracht ziehen könnte. Er will, daß ich Sie hinaus zu den Höhlen bringe, damit Sie selbst sehen, wie er sie nutzbar machen will.«

»Und wie kommen wir hin? Die müssen doch ziemlich weit von hier entfernt sein?«

»Ordon Lee bringt uns mit seinem Schiff hin. Es sind an die dreitausend Kilometer. Also, rein in die Anzüge.«

Ken unterdrückte heroisch den Impuls, Feth zu fragen, warum die Sache plötzlich inmitten eines gänzlich anderen Problems so dringlich aufgetaucht war, und ging zum Schrank, in dem die Raumanzüge hingen. Er glaubte, den Grund ohnehin zu kennen und war fast sicher, daß der Ausflug bis nach Rückkehr des Handelstorpedos verlängert werden würde.

Seine Aufmerksamkeit wurde von diesen Dingen losgerissen, als er zum erstenmal seit seiner Ankunft auf der Station die Merkuroberfläche betrat. Die aufgesprungene, ausgedörrte, völlig trockene Talsenke war für ihn nichts Neues, da Sarr ebenso trocken und sogar noch heißer war, doch die Schwärze des Himmels um die Sonne und die Kahlheit des Bodens bewirkten einen toten Effekt, der ihn sehr unangenehm beeindruckte. Auf Sarr gedeiht trotz der Trockenheit überall pflanzliches Leben. Die Pflanzen, die Ken kannte, waren eher kristallin als organisch und brauchten zum Leben nur geringe Mengen Flüssigkeit.

Außerdem gab es auf Sarr Wasser und auf Merkur nicht. Als das Schiff vom Talboden abhob, konnte Ken den Unterschied richtig einschätzen. Die Oberfläche von Merkur ist zerklüftet, weist große Erhebungen auf und wirkt sehr rauh. Die Gipfel, Spalten und Meteoreinschläge werden von keiner Erosion gemildert. Wo es Schatten gibt, sind sie tiefdunkel und werden nur von dem Licht erhellt, das von festen Gegenständen in der Nähe reflektiert wird. Seen und Flüsse müßten von metallischer Substanz sein, von Blei oder Zinn, oder einfache Verbindungen wie das ›Wasser‹ Sarrs – Kupferchlorid, Bleibromid und Sulfide von Phosphor und Kalium. Erstere sind aber zu schwer und waren im Felsboden Merkurs versickert, falls es sie je gegeben hatte. Und den zweiten Typ gibt es nicht, weil die lebenden Organismen fehlen, die sie hätten hervorbringen können. Sallman Ken, der die Fläche, über die sie dahinflogen, genau begutachtete, bekam nun eine etwas bessere Meinung von der Erde.

Ein Raumfahrzeug, das imstande ist, die Lichtgeschwindigkeit mehrtausendfach zu überschreiten, bringt eine Strecke von dreitausend Kilometern rasch hinter sich, auch wenn die Geschwindigkeit so gehalten wird, daß von Hand gesteuert werden kann. Das Landegebiet war ziemlich dunkel, da die Sonne nicht mehr hoch, sondern schon tief am Horizont stand, und die Schatten waren entsprechend länger. Es sah kälter aus und war es auch. Dem herrschenden Vakuum und der schlechten Leitfähigkeit der Felsen war es zu verdanken, daß man sich in gewöhnlichen Raumanzügen hinauswagen konnte. Nach wenigen Augenblicken glitten Ken, Feth und der Pilot auf einen etwa vierzig Meter hohen Felsen zu.

Die Felsoberfläche war rauh und zerklüftet wie die ganze Topographie Merkurs. Lee hielt unbeirrt auf einen der breiteren Risse zu. Die drei befanden sich plötzlich in pechschwarzer Finsternis, obwohl an der Oberfläche noch die Sonne schien. Mit eingeschalteten Lampen setzten sie den Weg fort. Zunächst war der Gang recht eng, und Boden und Wände waren so uneben und rauh, daß die Raumanzüge in Gefahr gerieten, aufgerissen zu werden. So ging es etwa fünfhundert Meter weiter, bis sich der Gang plötzlich zu einer riesigen, fast kugelförmigen Höhle erweiterte. Offenbar war Merkur nicht immer ohne Gase gewesen – die Höhle sah einer im Vulkangestein eingesprengten Gasblase verdammt ähnlich. Der Spalt, durch den sie eingedrungen waren, reichte fast bis ganz hinauf, und hinunter ebensoweit. Er war halb gefüllt mit Geröll von oben, deswegen war es auch so schwierig gewesen, durchzukommen. Der untere Teil des Gerölls enthielt einen gewissen Anteil loser Felsbrocken. Es sah aus, als könnte man über diese großen Brocken bis hinunter in die Mitte klettern. Ken aber fand diese Idee nicht sehr verlockend.

»Existiert nur diese eine große Blase?« fragte er Ordon Lee.

»Nein, wir haben etliche entdeckt. Sie sind einander alle sehr ähnlich und liegen alle hier an diesem Felsen. Wahrscheinlich gibt es auch noch Höhlen ohne Öffnung nach außen. Mit Echolot könnte man sie sicher ausfindig machen, wenn es darauf ankäme.«

»Ja, gute Idee«, meinte Ken. »Eine Höhle, mit künstlich gebohrtem Eingang läßt sich viel leichter luftdicht abschließen, als diese hier.« Feth und Lee brummten zustimmend.

Lee setzte noch hinzu: »Wäre besser, wenn wir eine sehr tief gelegene Höhle fänden. Dann täten wir uns leichter mit dem Bohren – es bestünde nicht die Gefahr, daß sich ein Riß womöglich bis an die Oberfläche fortsetzt.«

»Bliebe nur eine Schwierigkeit«, warf Feth ein. »Haben wir ein Echolot? Ich habe da meine Zweifel, ob uns das Verfahren glückt – so wie Ken bei seiner Bodenanalyse.«

»Na, ich zeige Ihnen erst mal eine der anderen Höhlen, die wir schon entdeckt haben«, sagte Lee schließlich. Niemand machte einen Einwand. Langsam ging es dem Tageslicht entgegen. In den nächsten vier Stunden besichtigten sie sieben weitere Höhlen, angefangen von einer halbkugelförmigen Vertiefung in der Felsoberfläche bis zu einer finsteren, unheimlich tiefen Blase, die man durch einen Gang erreichte, der für einen Sarrianer im Raumanzug kaum passierbar war. Diese letzte war trotz des schwierigen Zuganges und ihrer Kleinheit die für ihren Zweck geeignetste. Lee machte eine entsprechende Bemerkung, als sie die Raumanzüge in der Karella wieder ablegten.

»Wahrscheinlich haben Sie recht«, sagte Ken, »aber ich möchte noch tiefer hinunter. Verdammt nochmal, Feth, könnten Sie nicht ein Echolot zusammenbasteln? Sie waren doch so geschickt bei den Instrumenten, die wir in die Torpedos einbauten.«

»Jetzt sind Sie derjenige, der die Schwierigkeit des Problems nicht erkennt«, gab der Techniker zurück. »Für diese anderen Instrumente brauchten wir Heizschlangen, Thermometer, Druckmesser und Fotozellen. Samt und sonders vorgefertigte Bauteile. Ich tat nichts anderes, als sie an einen herkömmlichen achronischen Fernsender anzuschließen – gewöhnlicher Funk kam nicht in Frage, weil die Wellen zehn, zwölf Minuten für die Rundreise gebraucht hätten. Ich habe eigentlich gar nichts gemacht, nur ein paar Drähte gespannt.«

»Hm, vielleicht haben Sie recht. In diesem Fall können wir ebensogut gleich zurück zur Station. Dort können wir dann Pläne zum luftdichten Versiegeln der letzten Höhle entwerfen.« Bei diesen Worten behielt er seine Begleiter scharf im Auge. Er ertappte Feth bei einem Blick auf die Uhr. Fast freute es ihn.

»Sollten wir nicht erst die Höhle fotografieren und vermessen?« warf Ordon Lee ein. »Wir brauchen die Abmessungen, damit man abschätzen kann, wieviel Gas und Erde man braucht, unabhängig davon, wie man die bekommt.«

Ken hatte nichts dagegen. Es hatte keinen Sinn, sich Argwohn anmerken zu lassen, wenngleich er sich inzwischen natürlich seine Gedanken gemacht hatte. Man wollte ihn mit Absicht von der Station fernhalten, das stand fest. Er half bei den Aufnahmen und bei der Vermessung mit und hatte dabei Mühe, sein Lachen zu verbeißen. Jedesmal, wenn die drei zum Schiff zurückkehrten, zogen sie die Raumanzüge aus und erst wieder an, wenn man zur nächsten Tätigkeit überging. Von einem bestimmten Standpunkt aus sehr wirkungsvoll. Nur um sich auch wieder bemerkbar zu machen, schlug er eine kleine Ruhepause vor der Rückkehr zur Basis vor, ein Vorschlag, der von den anderen begeistert aufgenommen wurde. Dann entschloß er sich, den Inhalt der Höhle anhand der Maße zu berechnen, und verbrachte viel Zeit damit – ganz ehrlich, da die Höhle bei weitem nicht regelmäßige Kugelform hatte. Als nächstes schlug er vor, Felsproben mitzunehmen, um eventuellen Schwierigkeiten bei den Grabungen Vorbeugen zu können. Er verbiß sich ein Lächeln, als Feth mit einiger Ungeduld feststellte, daß das noch Zeit hätte. Offenbar hatte er das Gespann mit eigenen Waffen geschlagen – obwohl nicht einzusehen war, warum Feth es kümmerte, ob sie länger blieben oder nicht.

»Wir werden eine Menge Gas brauchen«, sagte er, als die Karella in den schwarzen Himmel schoß. »Der Inhalt beträgt sechsundfünfzigtausend Kubikmeter, und selbst wenn wir niedrigeren Druck anwenden, nützt das nicht viel. Ich möchte herausbekommen, ob wir aus diesem Felsgestein Sauerstoff gewinnen könnten. Wir hätten ein paar Proben mitnehmen sollen. Außerdem müssen wir das Gebiet oberhalb der Höhle nach kleinen Spalten absuchen; wir haben ja keine Ahnung, ob das Ding luftdicht ist. Sagen Sie, Feth, sind hier in der Gegend nicht jede Menge Radareinrichtungen verschiedener Art?«

»Ja, klar doch. Aber wozu brauchen Sie die? Die Radarstrahlen können Fels nicht durchdringen.«

»Weiß ich. Aber kann man das Impuls-Intervall bei wenigstens einer Anlage nicht ändern?«

»Kann man. Aber Sie müssen bei jeder Reichweitenänderung eine andere Anlage benutzen. Was soll das?«

»Warum könnten wir nicht – oder Sie nicht – eine Anlage zusammenbauen, bei der der Impuls ein Echolotgerät anspricht, das mit dem Gestein in Kontakt gebracht wird und das Echo aufnimmt, das wiederum ein Kontakt-Mikro auffängt? Die Impulsrate müßte langsamer sein, aber das könnten wir leicht hinkriegen.«

»Eine Schwierigkeit ist die, daß Radaranlagen meist nicht so zum Mitnehmen sind. Jedenfalls nicht die Warnanlagen in diesem Schiff.«

»Na, dann müssen wir eben ein Torpedo zerlegen. Die haben Radarhöhenmesser. Es gibt davon so viele, daß man eines sicher wird entbehren können. Wir hätten die Basis anrufen und bitten sollen, daß man eines herschickt. Das hätte bloß ein paar Stunden gedauert. Warum kontaktieren wir die Basis nicht jetzt? Wir sind noch immer näher zu den Höhlen als zur Basis.«

»Ach, in der Basis ist die Arbeit leichter. Und wenn wir außerdem so tief unter die Oberfläche steigen, wie es nach Ihrer Theorie möglich ist – vorausgesetzt, daß es klappt –, dann könnten wir uns in der Nähe der Basis eine geeignete Höhle suchen, das wäre vielleicht einfacher.« Ordon Lee machte diesen Vorschlag, ohne den Blick von seinen Instrumenten zu wenden.

»Meinen Sie, daß Sie es schaffen?« fragte Ken den Techniker.

»Dürfte nicht allzu schwer sein… Aber ich möchte nichts versprechen.«

»Es. dauert noch eine Weile, bis unser Raumanzug kommt. Wir könnten bis dahin die Sache erledigt haben. Damit hätten wir dann ausreichend Material, das Drai erst verdauen muß. Rufen wir ihn gleich an – vielleicht hat er schon ein paar Ideen bezüglich des Erdreichs.«

Die Blicke der beiden anderen begegneten einander kurz. Dann deutete Lee auf die Funkanlage.

»Los. Aber wir werden gelandet sein, ehe Sie viel sagen können.«

»Er sagte mir, Sie wollten für ihn Erde herstellen«, rief Feth ihm in Erinnerung.

»Ich weiß. Deswegen möchte ich ihn sprechen – wir sind zu hastig von der Station aufgebrochen.« Ken schaltete die Funkanlage ein, während die anderen versuchten, sich darüber klarzuwerden, ob ihn der hastige Aufbruch mißtrauisch gemacht hatte oder nicht. Keiner wagte in Kens Gegenwart eine Äußerung. Nur ihre bedeutungsschwangeren Blicke trafen immer wieder aufeinander.

Schließlich kam Drai am anderen Ende ans Mikro und Ken fing ohne Umschweife an.

»Wir haben die kleinste Höhle, die wir bislang finden konnten, vermessen und in etwa berechnet, wieviel Luft man brauchen wird. Ich kann Ihnen auch sagen, wieviel Erde Sie brauchen werden, falls Sie die ganze Höhle ausnutzen wollen. Dabei gibt es folgende Schwierigkeit: Selbst wenn es mir gelänge, die Erde zu analysieren – wenn auch nur annähernd wie die Atmosphäre –, sähen Sie sich einem Nachschubproblem gegenüber, das in die Tonnen geht. Im Labor kann ich unmöglich so viel herstellen. Sie müssen sich die Erde fertig von irgendwoher beschaffen.«

»Wie denn? Wir können doch keine Person auf Planet Drei landen lassen, geschweige denn einen Frachter.«

»Das werden wir gleich sehen. Aber eigentlich wollte ich einen anderen Vorschlag machen – da wir fast vor Ort sind, können wir uns persönlich darüber unterhalten. Bis dahin bedenken Sie dies: auch wenn sich die Atmosphären der Planeten stark voneinander unterscheiden, das Erdreich kann nicht allzu unterschiedlich sein, zumindest nicht in seinen wichtigsten Bestandteilen. Warum lassen Sie nicht eine Ladung Erde von Sarr kommen?«

Drai schnappte nach Luft. »Aber die Bakterien…«

»Lächerlich. Bei dieser Temperatur bleibt keine Bakterie von Sarr am Leben. Klar, es wäre sicherer, wenn wir Erde von Planet Drei verwenden, und es läßt sich vielleicht auch einrichten. Wenn nicht, dann kennen Sie jetzt meinen Rat, falls Ihnen daran liegt, daß es schnell geht. Auch wenn ich die Zusammensetzung wüßte, würde ich sehr lange brauchen, um knapp sechzig Tonnen Dreck zu fabrizieren!« Er unterbrach die Verbindung, als die Karella aufsetzte.

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