XIII

Die Karella bezog eine Position tief im Erdschatten, jenseits des meßbaren Luftdrucks. Der sphärische Kompaß, der auf die tief unten auf dem Planeten installierte Bodenstation eingestellt war, zeigte in eine Richtung, die man als ›gerade hinunter‹ hätte bezeichnen können, wenn nicht Schwerelosigkeit geherrscht hätte. Ordon Lee las etwas, wobei er einen gelegentlichen Blick zu seinem geliebten Instrumentenbrett hin warf, wenn ein Licht aufblinkte. Dies war ziemlich oft der Fall, da Ken und Feth die Tests der Kälteschutzanzüge auf Massenproduktionsbasis gestellt hatten. Einer der Anzüge war bereits zurück und war auch schon untersucht worden. Feth stand mit einem gewöhnlichen Raumanzug bekleidet in der offenen Luftschleuse, löste den zweiten Anzug aus den Halterungen und befestigte statt dessen den dritten. Mit Ken, der die Torpedosteuerung bediente, stand er in Funkkontakt.

Ken hielt das Torpedo so gut es eben ging teils in der Luftschleuse fest, die für solche Manöver nicht geschaffen war und die volle Länge des Torpedos nicht aufnehmen konnte. Feth hatte aus demselben Grund seine Schwierigkeiten, und die Schleusen-Blockierungs-Anzeige auf Lees Instrumentenbrett flackerte hysterisch.

Nachdem das Torpedo nochmals auf die dunkle Fläche unten losgeschickt worden war, beruhigte sich die Lage ein wenig – aber wirklich nur ein wenig. Feth brachte den zweiten Anzug hinein, schloß dabei die Außentür und brachte damit wieder ein anderes Lämpchen zum Aufflackern, und Lee wurde in seiner Lektüre wieder empfindlich gestört. Dann sah man nur mehr das schwächer werdende Abstandslicht des sich entfernenden Torpedos, und Ken mußte nun seine Aufmerksamkeit teilen. Er mußte die Steuerung überwachen, lechzte aber gleichzeitig danach, Feth bei seiner Tätigkeit zuzusehen. Er wußte schon, daß der erste Anzug tragbar war. Die Innentemperatur war um vierzig Grad gefallen. Dies stellte einen Wärmeverlust dar, den sein eigener Kreislauf leicht ausgleichen konnte. An der Heizeinheit war nun ein Regler angebracht, den Feth absichtlich niedrig eingestellt hatte, damit der Wärmeverlust meßbar blieb. Da diese Einschränkung nun nicht mehr existierte, würde er sich auf dem Eisplaneten so wohl fühlen, wie es in einer Metallhülle von hundertzwanzig Kilo Gewicht möglich war.

Da er dies jetzt wußte, machte er sich um den zweiten Anzug schon viel weniger Sorgen. Dennoch war es ihm unmöglich, sich auf die Tätigkeit des Steuerns zu konzentrieren. Er schrak zusammen, als ein Summer an seinem eigenen Instrumentenbrett ertönte, der anzeigte, daß sein Torpedo auf Außendruck gestoßen war. Da Ken es versäumt hatte, die Geschwindigkeit herabzumindern, hatte er eine Weile ganz schön zu tun. Und als er seinen Kundschafter gelandet hatte – sicher, wie er hoffte, hatte auch Feth seine Arbeit beendet. Sie verfügten jetzt über zwei einsatzbereite Anzüge.

Damit war Ken und Feth die größte Sorge abgenommen. Sie waren auch nicht sonderlich enttäuscht, als der dritte Anzug der Überprüfung nicht standhielt. Ken ahnte den Grund: Feth hatte festgestellt, daß an Bein- und ›Ärmel‹-Gelenken Lecks aufgetreten waren, weil diese Stellen bei hoher Beschleunigung besonders stark beansprucht wurden. Er hielt aber mit seiner Meinung zurück, und Feth stellte keine Fragen. Ken hatte das unbehagliche Gefühl, daß der Techniker mit seinen erstaunlichen Chemie- und Physikkenntnissen ohnehin zu demselben Schluß gelangt war.

Diese Sorge, falls man es überhaupt so nennen konnte, ging in der Hast der letzten Vorbereitungen für die Landung unter. Ordon Lee weigerte sich noch immer rundheraus, mit seinem Schiff in die Hitzefalle der Erdatmosphäre einzutauchen, ungeachtet der zwei Anzüge, die den Test gut überstanden hatten. Daher würde Ken so wie die leeren Schutzanzüge auf die Oberfläche niedergehen müssen – an die Außenwand des Torpedos geklammert. Man mußte die Halterungen natürlich entsprechend ändern, so daß er sie selbst lösen konnte, und das brauchte einige Zeit. Ken nahm noch eine ausgiebige Mahlzeit zu sich und trank als Vorsichtsmaßnahme ziemlich viel… die Sarrianer erzeugten fast alle notwendigen Flüssigkeiten im eigenen Körpergewebe.

Falls Ken auch nur den leisesten Zweifel verspürte, als er die Metallhülle betrat, die seinen einzigen Schutz gegen die denkbar unwirtlichste Umgebung darstellen würde, so ließ er sich davon nichts anmerken. Das ließ sein Stolz nicht zu. Er sagte kein Wort, während Feth sorgfältig den oberen Teil festmachte… man stieg von oben in den Anzug – und mit einem winzigen Stethoskop die Ausgleichspumpen abhörte. Befriedigt nickte er dem gepanzerten Ken zu. Dieser faßte mit einem seiner Greifhaken nach einer Wandrunge und setzte seine Masse in Richtung Luftschleuse in Bewegung.

Er mußte im Korridor warten, während Feth seinen Raumanzug wieder anzog. Und dann hieß es nochmal geduldig in der Schleuse warten, während Feth den Anzug sorgsam am Torpedorumpf befestigte. Schließlich zeigte sich auch Lee hilfsbereit und hielt das Torpedo in der Schleuse gegen die Zugkraft der Meteor-Abweiser fest, die er nicht einmal für einen Moment anstellen wollte.

Auch als sich die Außentür zwischen Ken und dem übrigen bewohnten Raum innerhalb mehrerer Millionen Kilometer schloß, verlor er nicht die Beherrschung. Zum Glück hatte er sich mittlerweile an die Schwerelosigkeit gewöhnt. Das Gefühl endlosen Fallens zeitigt nämlich manchmal ernsthafte seelische Störungen. Nicht einmal die relative Leere des ihn umgebenden Alls machte ihm viel aus, da er genügend Objekte sehen konnte, um nicht die Orientierung zu verlieren. In diesem Bereich waren so viel Sterne zu sehen wie in der Nähe seines Heimatplaneten, da zweihundert Parsek in der Größenordnung der Galaxis wenig ausmachen.

Er behielt die Ruhe, bis Sehvermögen und Gleichgewichtsgefühl ihm übereinstimmend sagten, daß er sich im Zustand des Fallens befand. Die Karella war schon längst hinter – oder über – ihm verschwunden. Die Sonne stand in derselben Richtung, da man sich ohne Diskussion darauf geeinigt hatte, daß die Landung auf der Tagseite des Planeten stattfinden sollte. Weitaus mehr Debatten hatte es gegeben, als es darum ging, ob man den alten Landeplatz ansteuern sollte – Ken wollte natürlich die Eingeborenen sehen, doch war auch seine wissenschaftliche Neugierde von Vorsicht gebremst worden. Feth, der den Ausflug schlicht als zusätzlichen Test für den Anzug ansah, hatte in den Eingeborenen nur eine zusätzliche Komplikation gesehen und hatte sich dagegen ausgesprochen. Doch die Neugierde hatte den Sieg davongetragen. Ken steuerte nun den Zielsender an, an dem immer das Handelsgeschäft abgewickelt wurde. Er wußte, daß er ein wenig nach Westen driften würde – er wollte zwar seinem Eingeborenen begegnen, wollte aber mit dem Handel nicht mehr als nötig zu tun haben. Ihm war natürlich klar, daß diese Lebewesen sich bewegen konnten, weigerte sich aber standhaft, sich das Ergebnis auszumalen, falls derjenige, dem ein so großer Schreck eingejagt worden war, den Handelsleuten über den Weg gelaufen war. Er betrachtete dies als sinnlose Vermutungen und hatte recht damit.

Jetzt konnte er schon deutlich die größer werdende Welt unten sehen – er hatte jedenfalls das Gefühl von ›unten‹ –, da Feth die Sinkgeschwindigkeit des Torpedos herabminderte. Das Torpedo selbst konnte er gar nicht so leicht sehen, da sein Anzugpanzer vom Torpedo weggerichtet war und die Sichtscheiben auf der Rückseite des Helms dem Rumpf zu nahe waren. Langsam begann er sich daher wie jemand zu fühlen, der an einem Seil zweifelhafter Stärke vom Rand eines hohen Daches hängt. Wäre sein Stimmapparat mit dem Atemsystem so eng verbunden gewesen wie bei menschlichen Wesen, dann hätten die beiden auf der Karella seinen Gemütszustand über Funk mitbekommen. So aber konnten sie seine beschleunigte Atmung nicht hören, und er mußte seine Angst allein und still durchleiden. Und das hatte auch sein Gutes. Ordon Lee hätte wohl kaum mitfühlend reagiert, und Feth, dem noch eher ein derartiges Gefühl zuzutrauen war, hätte ihm nicht laut Ausdruck verliehen.

Um ihn herum war jetzt Luft – die Gasmischung, die auf dieser Welt als Luft galt. Sie pfiff an ihm vorbei, er konnte es sogar durch die dicke Metallschicht hindurch hören. Mehr als acht bis zehn Kilometer war er jetzt nur mehr von der Oberfläche entfernt, und er sank noch immer mit großer Geschwindigkeit. Seinem Gefühl nach ging es zu schnell. Sozusagen als Reaktion auf diesen Gedanken erhöhte sich sein Gewicht abrupt. Er wußte, das Feth dort oben den Antrieb gesteigert hatte. Mit einem Kraft- und Müheaufwand, der größer war, als er sich selbst je zugetraut hatte, riß Ken seine Aufmerksamkeit von der sich rasend schnell vergrößernden Landschaft unter ihm und dem Ächzen der gespannten Ketten über ihm los und konzentrierte sich auf Einzelheiten. Es war ganz einfach, als er sich dazu durchgerungen hatte, denn nicht nur die Temperatur war phantastisch.

Natürlich konnte er nicht weit sehen. In der dunsterfüllten irdischen Atmosphäre sind Augen, deren größte Empfindlichkeit im Blau- und Ultraviolettbereich liegt, eindeutig benachteiligt. Trotzdem… die Oberfläche unter ihm wies schon Einzelheiten auf.

Das Gebiet war zerklüftet, wie man ganz richtig vermutet hatte. Ken hatte genügend Erfahrung, um festzustellen, daß die Berge nach sarrianischen Gesichtspunkten beachtliche Höhen erreichten, obwohl Gebirge von oben gesehen sich nicht so einfach abschätzen lassen. Die Oberfläche ging in einem wilden Farbenaufruhr unter. Es waren alle Schattierungen von Grün, Braun und Grau vertreten. Da und dort ein Fleck jener metallisch schimmernden Substanz, die ihn fatal an die riesigen, flachen Gebiete erinnerten, wo die rätselhaften feindseligen intelligenten Wesen des Planeten hausten. Falls dies hier Vorposten waren… aber sie hatten die Handelstorpedos nie behelligt, die seit Jahren hier in diesem Gebiet niedergegangen waren, beruhigte Ken sich.

Weiter unten sah er, daß bestimmte graue Erhebungen von bemerkenswerter Form waren. Manche waren oben breiter als unten. Er mußte noch ein Stück tiefer absinken, um zu sehen, daß diese Objekte nicht Teile der Landschaft waren, sondern in der Luft hingen. Die einzigen Wolken, die er je gesehen hatte, waren die von den heftigen Winden auf Sarr verursachten Sandstürme. Er konnte aber sehen, daß es sich um Gebilde ähnlicher Art handeln mußte. Wahrscheinlich waren die Einzelpartikel viel kleiner, so daß sie sich in der Luft ganz fein verteilen konnten. Ein Planet von dieser Eiseskälte konnte unmöglich starke Winde haben. Er beschrieb dieses Phänomen so genau als möglich seinen zwei Zuhörern an Bord der Karella. Feth meldete, daß er Kens Berichte auf Band aufnähme, und gab dann ein paar wichtige Informationen an Ken weiter.

»Der Landeanflug ist fast beendet. Sie befinden sich etwa zwei Kilometer oberhalb des Zielsenders, ein Stück oberhalb der Stelle, wo die Atmosphäre-Tests durchgeführt wurden. Möchten Sie sofort landen oder noch oben bleiben und Beobachtungen machen?«

»Bitte, mit mäßiger Geschwindigkeit abwärts. Man sieht nicht weit, deswegen möchte ich so weit runter, daß man Details ausmachen kann. Sieht mir nach einer gebirgigen Gegend aus. Ich will versuchen, Ihnen Richtungsanweisungen zu geben, damit Sie mich in der Nähe eines Gipfels landen lassen können. Ich möchte von einem festen Punkt aus in große Entfernung sehen können.«

»In Ordnung. Es geht runter.« Ein paar Minuten vergingen, ohne daß ein Wort gewechselt wurde. Dann meldete Ken sich wieder. »Steuern Sie mich jetzt horizontal?«

»Nein. Sie sind schon über den Zielsender hinweg… sechs, sieben Kilometer etwa.«

»Dann hat diese Atmosphäre stärkere Strömungen, als ich zunächst dachte. Ich werde sichtlich abgetrieben, wenn auch nur schwach. Die Richtung kann ich nur schwer angeben… die Sonne steht fast senkrecht über mir hinter dem Torpedo.«

»Wenn Sie fast unten sind, geben Sie mir die Richtung im Hinblick auf die Orientierung des Torpedos an. Ich stoppe Sie kurz vor dem Aufsetzen.«

Allmählich traten die Einzelheiten deutlicher hervor. Das Grün schien ein Durcheinander von einem Material zu sein, das an die chemischen Gewächse erinnerte, die Ken in verschiedenen Lösungen gezogen hatte. Er stufte die Erscheinungen vorerst als pflanzliches Leben ein. Langsam dämmerte ihm, was das krachende, knisternde Geräusch bei der Landung des Probetorpedos verursacht haben mochte.

Mitten im Grün traten da und dort nackte Felsen hervor. Das war vor allem gegen die Gipfel hin. Mit unendlicher Sorgfalt gab Ken seinem fernen Piloten Anweisungen, das Torpedo einem dieser Gebilde zu nähern. Als er schließlich reglos etwa fünfunddreißig Meter über einer Fläche hing, die auch in diesem relativ schwachen Licht als Fels erkennbar war, gab er Anweisung weiter herunterzugehen.

Zwei Meter über dem Boden ließ er wieder stoppen und löste vorsichtig die Beinketten. Der untere Teil seiner Rüstung fiel herunter, kam fast auf dem Boden auf. Ein Wort ins Mikro, und die Metallfüße hatten Kontakt mit dem Boden. Als er eine der oberen Ketten losmachte, geriet er ins Schwingen. Dabei hing er im spitzen Winkel, eine Seite dem stützenden Torpedorumpf zugewandt. Durch besondere Verdrehungen und Verrenkungen schaffte er es, aus Beinen und Hinterstütze der Rüstung einen funktionierenden Dreifuß zu schaffen. Dann erst löste er die letzte Haltekette. Er stand auf eigenen Beinen auf dem Eisplaneten.

Er fühlte sich schwer, aber nicht unerträglich schwer. Seine Voraussicht, nicht in liegender Stellung zu landen, war richtig gewesen. Bei dieser Schwerkraft war es sehr unwahrscheinlich, daß er sich samt seinem Schutzanzug mit eigener Muskelkraft hätte aufrichten können. Auch das Gehen war schwierig, vielleicht sogar gefährlich, denn der Felsen war alles andere als eben.

Aber das war nicht die Hauptsache. Mehrere Minuten nachdem er die Verbindung mit dem Torpedo gekappt hatte, machte Ken noch immer keinen Versuch, sich zu bewegen. Er stand einfach da, hörte auf das fast unhörbare Summen der Kreislaufmotoren und fragte sich, wann seine Füße zu frieren beginnen würden. Aber es passierte gar nichts, so daß er ein paar vorsichtige Schritte wagte. Die Anzuggelenke waren noch beweglich. Das Zink war offenbar nicht eingefroren.

Das Torpedo war ein wenig abgetrieben. Es mußte ein leichter Wind wehen. Auf Kens Anraten hin brachte Feth das Torpedo ganz zu Boden. Obwohl seine Ängste längst von seiner Neugierde verdrängt worden waren, hatte Ken nicht die Absicht, zwischen sich und sein Transportmittel zu viel Entfernung zu legen. Kaum hatte er sich vergewissert, daß das Torpedo an Ort und Stelle blieb, machte er sich an die Arbeit.

Auf seiner Suche stieß er auf einige lose Felsbrocken. Diese hob er auf und legte sie ins Torpedo, da alles von Interesse sein konnte. In erster Linie aber wollte er Erde – Erde, in der etwas wuchs. Mehrmals untersuchte er Felsstücke so gründlich als möglich, in der Hoffnung, etwas zu finden, was an die winzigen Pflänzchen von Planet Vier erinnerte. Die grauen und schwarzen Flechtenschichten, die auf einigen dieser Brocken wucherten, erkannte er nicht als pflanzliche Lebensform.

Die Landschaft war jedoch nicht ganz öde. Ein Stück unterhalb seines Landeplatzes gab es Strauchwerk und Moosflecken, die hangabwärts immer dichter wurden, bis sie allmählich kleinwüchsigen Bäumen wichen und schließlich dort, wo der Fels endgültig unter dem Erdreich verschwand, ausgewachsenen Tannen. Ken sah dies alles und bewegte sich prompt auf das nächste Gebüsch zu. Da fiel ihm ein, daß er Feth sagen sollte, was er vorhatte, damit dieser ihm das Torpedo nachschicken konnte. Es hatte keinen Sinn, wenn er mühsam alle Proben wieder den Hang hinaufschleppte.

Das Fortkommen gestaltete sich für ihn sehr schwierig, da ein breiter Spalt im Felsen für den Panzeranzug ein unüberwindliches Hindernis darstellte. Ken versuchte es immer wieder und mußte dazwischen etliche Ruhepausen einlegen. Feth berichtete er nach oben:

»Nächstes Mal müssen wir lange Schulterketten nehmen. Dann kann ich mich richtig ans Torpedo hängen und muß nicht mühsam herumtappen.«

»Gute Idee«, meinte Feth. »Es wird übrigens ganz einfach gehen. Möchten Sie jetzt gleich raufkommen, damit wir die Sache angehen, oder sammeln Sie erst ein paar Proben?«

»Ach, jetzt bin ich da und bleibe auch. Ich habe es jetzt nicht mehr weit zu den Pflanzen, falls es Pflanzen sind. Die verdammten Dinger sind grün, teilweise wenigstens. Ich sehe, daß dies hier nicht weiter ungewöhnlich ist. So, und jetzt weiter.«

Er löste seine Stütze vom Boden und schob sich weiter. Es dauerte ein, zwei Minuten, bis er in Reichweite der sonderbaren Gewächse gekommen war. Sie waren nicht einmal einen halben Meter hoch. Er konnte sich noch weniger zu ihnen hinunterneigen wie auf Planet Vier. Ken streckte einen Greifer aus, um sich einen Ast heranzuangeln. Das Ergebnis jagte ihm einen gelinden Schrecken ein.

Den Ast bekam er gut zu fassen. Das war nicht weiter schwierig. Aber noch ehe er Zeit hatte, ihn an die Augen zu heben, stieg ein Rauchwölkchen von der Stelle auf, wo der Greifer den Ast berührte. Das Gewebe in unmittelbarer Nähe des Metalls wurde schwarz. Die von diesem Phänomen ausgelösten Erinnerungen bewirkten, daß Ken den Ast fallen ließ. Wäre sein Anzug nicht so plump und unbeweglich gewesen, wäre er ruckartig einen Schritt zurückgewichen. So aber fiel ihm zum Glück augenblicklich ein, daß kein Gas sein metallenes Schutzschild durchdringen konnte. Er faßte wieder nach dem Stück Vegetation.

Wieder kam der Rauch, immer dicker, als er die Probe an seine Gesichtsscheibe hob. Es blieben ihm aber einige Sekunden Zeit, die Struktur zu untersuchen, ehe das glimmende Stück Holz in Flammen aufging. Er erschrak so heftig wie vorhin, ließ aber das Ding nicht fallen. Interessiert sah er zu, wie der Hauptast sich krümmte, schwarz wurde, aufglühte und verbrannte, desgleichen die trockeneren Blätter, während die grünen sich nur leicht braun verfärbten. Er versuchte, die Aschenspuren einzusammeln, schaffte es aber nur, ein bißchen Holzkohle von den weniger verbrannten Teilen herunterzukratzen. Auch diese Probe wurde im Torpedo verstaut, das Feth seinen Anweisungen gemäß bewegte.

Ein bißchen Erde, unterhalb der Pflanze hervorgescharrt, rauchte, aber brannte nicht. Ken holte sich aus dem Torpedo ein paar luftdichte Kanister und schaufelte Erdproben hinein. Er komprimierte Luft in einen Zylinder. Dazu benutzte er eine kleine Kolbenpumpe, aus der Feth sorgfältig alle Spuren eines Schmiermittels entfernt hatte. Sie war zwar ein wenig leck, doch die beweglichen Teile arbeiteten tatsächlich, was für Ken eine freudige Überraschung darstellte.

»Geschafft«, sagte Ken, als er fertig war. »Falls in der Erde Samen enthalten sind, könnten wir ein kleines Vivarium bauen und Erkenntnisse über diese Lebensformen und ihre Bedürfnisse gewinnen.«

»Haben Sie ein Gleichgewicht zwischen Hervorbringern und Fressern festgestellt?« fragte Feth. »Was ist, wenn diese Pflanzen samt und sonders – wie könnte man sie nennen? – Oxidierer? sind und es keine entsprechenden Reduzierer gibt? Ich bin der Ansicht, daß es da einen gewissen Ausgleich geben müßte bei allen Lebensformen, andernfalls es ununterbrochene Bewegung gäbe.«

»Das kann ich nicht sagen, ehe wir nicht einen Versuch machen. Ich könnte noch ein Stück bergab gehen und mir noch ein paar Proben anderer Typen holen. Ich habe noch leere Kanister dabei.«

»Noch etwas – ich kann mich nicht erinnern, daß Sie Vorkehrungen getroffen hätten, die Proben richtig zu temperieren. Ich weiß, daß sie fast so kalt sind wie das All, aber zwischen fast und ganz ist ein Unterschied.«

»Die Kanister lassen wir im Torpedo, bis wir wieder auf Planet Eins sind. Ohne Luft ändert sich die Temperatur nur langsam. Wir können das Torpedo irgendwo in der Dämmerzone von Eins lassen, bis wir eine Kammer mit Thermostaten und Kühleinrichtungen vorbereitet haben. Groß braucht die nicht zu sein. Ich habe höchstens ein paar Kubikdezimeter Luft mit.«

»Schön, Sie haben gewonnen. Wenn es nicht klappt, ist der Verlust nicht groß. Na, sind Ihre Füße schon kalt?«

»Noch nicht. Glauben Sie mir, ich warte darauf!«

»Hm, bin nicht so sicher, ob ich Ihnen glaube. Ich kann mir gut vorstellen, worauf Ihre Aufmerksamkeit in erster Linie gerichtet ist. Haben Sie schon Anzeichen von tierischem Leben bemerkt? Ich habe das bekannte Summen ein- oder zweimal gehört.«

»Ach? Ich nicht. Ich höre nur das, was aus dem Mikro kommt. Ich weiß genau, was Sie jeweils tun.«

»Na, ich sagte ja, ich wüßte, wem Ihre Aufmerksamkeit gilt. Ich melde mich, wenn ich das Summen wieder hören sollte.«

Daraufhin trat Stille ein, und Ken nahm seinen mühseligen Abstieg wieder auf. Er mußte wiederholt Ruhepausen einlegen, so daß es ziemlich lange dauerte, bis er seine Behälter gefüllt und verschlossen hatte und sie in die Frachtkammer des Torpedos gestellt hatte. Einmal wurde er dabei von Feth gestört, der meldete, daß das Summen nun zu hören wäre. Ken selbst vernahm es auch, als er angestrengt lauschte, konnte aber die Ursache nicht entdecken. Fliegen sind kleine Lebewesen, und das Licht war nach sarrianischen Gesichtspunkten sehr schwach. Da sich in der Frachtkammer, über der das Mikro angebracht war, nichts befand, was dem Appetit einer Fliege entsprochen hätte, verstummte das Summen ganz plötzlich.

Nach einem letzten Blick auf seine Umgebung beschrieb Ken alles so genau als möglich, damit die Aufnahme, die dort oben aufgenommen wurde, vollständig und brauchbar ausfiel.

Die Gipfel traten nun viel deutlicher hervor, da einige viel höher waren als sein gegenwärtiger Standort. Wenn er sich die Vegetation wegdachte, mit der die Hänge bedeckt waren, und sich vorstellte, es wäre gerade Sonnenuntergang nach einem besonders heftigen Sandsturm, dann war er fast imstande, an der ganzen Szenerie etwas Vertrautes zu finden, denn zu gewissen Zeiten konnte die blau-weiße Sonne Sarr so matt wirken wie die Sonne dieser Eiswelt. Dies waren aber immer Zeiten heftiger Stürme, die jeden irdischen Hurrikan beschämt hätten, und die ihn umgebende Stille paßte also nicht ganz zu dem Bild. Einen kurzen Augenblick aber versetzte ihn seine Phantasie zweihundert Parsek durch das All in eine Welt voller Wärme und Leben.

Erschrocken fuhr er auf. Nein, dieser Ort hier war nicht die Heimat. Diese Welt war zwar nicht tot, hätte aber tot sein sollen. Tot wie die Leere des Alls, an die sie ihn so sehr erinnerte. Die Kälte machte sich bemerkbar, gefühlsmäßig durch die Wiederkehr des Entsetzens, das er beim ersten Anblick dieser Welt verspürt hatte, körperlich durch einen leichten Schmerz in den Füßen. Auch das technische Wunder, in dem er steckte, konnte die Finger der Kälte nicht ewig abwehren. Er wollte sich bei Feth melden. Dieser sollte das Torpedo so manövrieren, daß er an die Ketten und Halterungen herankonnte. Ken kam nicht dazu, sein Ersuchen zu äußern.

So plötzlich wie vor ein paar Tagen durchschnitt eine menschliche Stimme scharf die Stille auf dem Eisplaneten.

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