VI

Fast drei von Sarrs Dreizehn-Stunden-Tagen vergingen vergingen ereignislos, ehe die die Erde umkreisende Relaisstation die Torpedos aufnahm. Wie Feth Allmer vorausgesagt und Laj Drai nach Zuhilfenahme seiner Tabellen berechnet hatte, kamen die Signale von der Peilstation von der Nachtseite des Planeten. Drai rief vom Observatorium in die Werkstätte hinunter an, wo Ken und Allmer dabei waren, die Geschwindigkeit ihres Torpedos zu drosseln.

»Sie können runtergehen, sobald die dunkle Seite da ist«, sagte er. »Sie kriegen das Funksignal herein, wenn sie spiralig niedergehen und sich zwischen vierzig und fünfundfünfzig Grad über der Ebene der Planetenumlaufbahn halten, vom Planetenmittelpunkt aus gemessen. Der Strahl kann von Ihrem Torpedo mehr als vierzig Bahndurchmesser weit draußen aufgefangen werden, ein Verfehlen gibt es also nicht. Bis zum Eintritt in die Atmosphäre heißt es Automatik, dann Steuerung von Hand. Sie können nur ein paar Kilometer vom Leitstrahl abweichen, falls Sie bis ganz runter wollen. Wäre doch schade, wenn Sie die Chemikalien mitten unter die Eingeborenen verstreuen, falls die dort kampieren sollten.«

»Stimmt«, gab Ken zurück. »Feth schwingt jetzt ins Dunkle ab, etwa fünf Kreisdurchmesser entfernt. Zu schade, daß wir keine Sichtübertragung im Torpedo haben. Einmal werde ich ganz dicht hinuntergehen, so dicht, daß man ein Teleskop einsetzen kann, falls nicht eine Fernsehkamera erfunden wird, die Winterwetter aushält.«

»Da unten gibt es Schlimmeres als nur klamme Finger«, sagte Drai wahrheitsgemäß. »Als Sie damals einen Blick auf diese Welt warfen, da hatten Sie es nicht so eilig mit der Annäherung.«

»Da war meine Neugierde noch nicht geweckt«, antwortete Ken.

Das Gespräch schlief ein, als Feth Allmer die Hebel betätigte, die für die Schubrichtung der Torpedoantriebe zuständig waren. Wie Ken gesagt hatte, ging das Torpedo nun in die Nachtseite des großen Planeten über, wobei es noch immer eine relative Geschwindigkeit von mehreren Sekundenkilometern zu überwinden hatte. Allmer steuerte mit Hilfe eines Peilrahmens der Relaisstation, dessen Angaben vor ihm auf dem Schaltbrett aufleuchteten. Das Torpedo war von der Erde noch so weit entfernt, daß der Rückstrahlhöhenmesser nicht arbeitete. Ken beobachtete schweigend die hin und her zuckenden Anzeigenadeln und die Bewegung der flinken Tentakel. Ein befriedigendes Brummen des Operators zeigte ihm deutlicher als sämtliche Instrumente an, daß endlich der Leitstrahl erreicht worden war. Ein schlangengleicher Arm drehte die Feineinstellung bis zum Äußersten.

»Ich kann nicht verstehen, warum man bei diesen Dingern keine anständige Beschleunigung erreichen kann«, ließ sich Feth halblaut vernehmen. »Jede Wette, daß wir gar nicht den ganzen Leitstrahl schaffen, ehe ich mich an die Planetenumdrehung angepaßt habe. Neun Zehntel des Torpedoraumes gehen auf Antriebsmittel und Akkus drauf. Da möchte man meinen, daß eine anständige Geschwindigkeit zusammenkommt, auch ohne Schnellgang. Diese miesen, billigen…« Er ließ den Satz unvollendet. Ken gab keine Antwort. Er wußte gar nicht, ob eine Antwort von ihm erwartet wurde. Jedenfalls war dieser Allmer viel zu intelligent, als daß er dummes Zeug von sich gegeben hätte. Da gebot die Vorsicht, daß jede Antwort gründlich überlegt wurde.

Offenbar hatte Feth Allmer falschen Pessimismus gezeigt. Denn in Minutenschnelle hatte er das Torpedo in eine vertikale Abwärtsbewegung gebracht. Ken konnte dies an den Anzeigegeräten ablesen. Es dauerte nicht lange, und der Rückstrahlhöhenmesser begann zu arbeiten. Diese Einrichtung wurde in einer Entfernung wirksam, die dem Durchmesser von Sarr entsprach, siebeneinhalbtausend Meter etwa. Ken ließ sich neben dem Operator nieder, als er die Reaktion des Höhenmeßgerätes sah. Jetzt war es nicht mehr weit.

Die Instrumentenreihe, die Allmer eigens für Kens Versuch aufgebaut hatte, zeigte noch keine Reaktion. Die Druckanzeiger standen auf Null, die Temperaturen waren gering – sogar das Natrium war gefroren. Seit Stunden hatte es keine Veränderung mehr gegeben – das Torpedo befand sich offensichtlich im Strahlungsgleichgewicht mit der fernen Sonne. Ken beobachtete gespannt das Sinken der Höhenmeßangaben. Dabei fragte er sich, ob sich der Eintritt in die Atmosphäre zuerst an den Temperatur- oder an den Druckwerten bemerkbar machen würde.

Es stellte sich heraus, daß er es nicht erfahren sollte. Feth meldete den Druckwert, ehe ein einziger von Kens Anzeigern reagiert hatte. Ken fiel ein, daß die Luke geschlossen war. Natürlich hatte es dort eine Leckage gegeben, doch war diese unter beträchtlich größerem Druckdifferential der Fall gewesen. Jetzt waren die Fugen um die Luke dicht, und das trotz der angezeigten Temperatur.

»Die Ladeluke öffnen, bitte«, antwortete Ken auf die Meldung. »Wir können gleich feststellen, ob es irgendwelche Spontanreaktionen gibt.«

»Augenblickchen. Die Sinkgeschwindigkeit ist noch immer ziemlich groß. Wenn die Luft sehr dicht ist, könnte der Lukendeckel abgerissen werden.«

»Kann man den Bremsvorgang nicht beschleunigen?«

»Ja, sofort. Nur einen Augenblick noch. Ich wollte das Niedergehen nicht bloß auf die Nachtseite beschränken, aber jetzt haben wir ohnehin nur mehr fünfunddreißig Kilometer vor uns. Von jetzt an haben Sie das Sagen.« Die Nadel des Höhenmessers verlangsamte gehorsam ihr Tempo auf der Skala. Ken fing an, die Titan-Probe zu erwärmen, sie hatte von allen den höchsten Schmelzpunkt. Zudem vermutete er freien Stickstoff in der Atmosphäre. Zumindest einer der Tests mußte gelingen.

Sechstausend Meter über der Erdoberfläche war die kleine Heizanlage weißglühend, dies zeigte die Fotozelle im Inneren der Rumpfnase deutlich an. Der Atmosphärendruck war meßbar, wenn auch vom Standpunkt des Sarrianers nicht ausreichend, wenn man dem Druckanzeiger glauben wollte. Und Feth behauptete, er hätte eine Korrekturtabelle ausgearbeitet, indem er auf der Nachtseite von Planet Eins einige Druckmesser kalibriert hätte.

»Können Sie das Ding eine Weile in dieser Höhe halten?« fragte Ken. »Ich möchte, daß diese Titan-Probe hier oben reagiert, wenn möglich. Wir sind innerhalb der Atmosphäre, aber noch hoch genug, um nicht gesichtet zu werden.« Allmer deutete auf die Anzeige der Fotozelle. »Die Luke ist offen, und die Heizanlage glüht ganz hell. Besser, Sie schließen die Luke, auch wenn damit die Luftzufuhr gedrosselt wird. Ein Licht in dieser Höhe muß auf große Entfernung sichtbar sein.«

»Daran dachte ich nicht.« Ken war erschrocken. Nach einiger Überlegung sagte er: »Gut, schließen wir die Luke. Wir haben unsere Druckanzeiger. Fällt der Druck, dann wissen wir, daß sich etwas tut.«

»Genau.« Allmer betätigte den Hebel, der die Luke schloß, und wartete schweigend ab, während Ken die Steuerung seiner Anlage betätigte. Die Temperatur im Inneren des Torpedos stieg an, da nun die Öffnung fehlte, durch die Wärme hatte entweichen können. Eigentlich hätte auch der Druck ansteigen müssen. Zu Kens immenser Befriedigung tat er es nicht, ja, er fiel statt dessen. Auf sein Ersuchen hin wurde die Luke kurz geöffnet und gleich darauf wieder geschlossen. Als Folge davon fiel der Druck auf seinen früheren Wert zurück und sank sogar noch darunter. Das Titan ging offensichtlich mit einer gasförmigen Komponente der umgebenden Atmosphäre eine Verbindung ein, die allerdings nicht so heftig war, daß man von einer Verbrennung hätte sprechen können.

»Und jetzt runter auf die Oberfläche, wenn Sie an den Rand des Leitstrahls kommen«, sagte Ken schließlich. »Ich möchte wissen, welcher Prozentsatz der Luft so reagiert, und damit die Sache möglichst genau wird, brauche ich gleich am Anfang den größtmöglichen atmosphärischen Druck.«

Feth Allmers Bewegung sollte ein Nicken ausdrücken. »Wir sind jetzt ein Stück zum Rand hin«, sagte er. »Ich kann jetzt schnurstracks runter, wenn Sie wollen. Soll die Luke offen oder geschlossen sein?«

»Geschlossen. Ich werde die Probe ein wenig abkühlen lassen. Auf diese Weise bekommen wir nach der Landung Normaldruck, ohne daß alles verbraucht wird. Dann erhitze ich sie wieder und überprüfe, wieviel Luft in der Kammer verbraucht wurde.« Feth zeigte sich einverstanden. Gleich darauf ertönte ein schwacher Pfeifton, als das Torpedo ohne Antriebskraft in freien Fall überging. Es verfügte über Lautsprecher und Schallempfänger, da Allmer die Anlage nicht ausgebaut hatte. Acht Kilometer – sieben… zwei – eins… Mit trügerischer Lässigkeit fing der Techniker den Fall bei einer Höhe von dreihundert Meter ab und ließ das Torpedo sanft abwärtsgleiten. Dabei deutete er mit einem Tentakel auf eine andere Skala. Ken verstand nach einem Augenblick des Zögerns. Das Torpedo befand sich bereits unterhalb der Höhe der Zielflugfunkstelle.

»Ich nehme an, daß die Anlage auf einem Berg steht und wir unser Torpedo in einem Tal landen«, erläuterte Feth, ohne die Augen von den Instrumenten zu nehmen.

»Eigentlich ganz klar. Die Gegend galt ja immer als sehr rauher Teil des Planeten«, meinte Ken. »Sehr gut. Die Möglichkeit, entdeckt zu werden, ist damit geringer. Was ist denn – noch immer nicht ganz unten?«

Der Höhenmesser stand auf Null, die Abwärtsbewegung war aber noch im Gange. Während der letzten Sekunden war ein leises Rascheln hörbar geworden, jetzt kam ein lauteres Schnalzen und Knistern dazu. Die Abwärtsbewegung kam zum Stillstand. Ein Hindernis, das Radarwellen reflektierte und das Gewicht des Torpedos aushalten konnte, war im Weg. Mit einem Minimum an Abwärtsantrieb setzte die Bewegung wieder ein. Dann kam der endgültige Stillstand. Geräusche und Bewegung waren gleich Null, auch als Allmer sekundenlang die Energie verdoppelte und vervierfachte. Er wandte sich an Ken.

»Sieht aus, als wären wir gelandet. Ob der Boden so ist, wie wir ihn kennen, kann ich nicht garantieren. Hier ist der Lukenschalter, falls Sie das noch nicht wissen sollten. Jetzt machen Sie ganz allein weiter. Hoffentlich stört es Sie nicht, wenn ich bleibe und zugucke. Der Chef wird auch bald zur Stelle sein. Er müßte sein Torpedo inzwischen schon in den Orbit gebracht haben.«

»Klar, bleiben Sie ruhig da. Ich bin sogar froh darüber, weil wir das Ding vielleicht wieder bewegen und den Standort verlegen müssen.« Dabei hatte er die Luke aufgehen lassen und beobachtete voller Interesse, wie der Druckanzeiger auf einen Wert hochschnellte, der zwei Drittel über Sarr-Normal lag. Gleichzeitig stieg der Temperaturanzeiger des noch immer heißen Titanschmelzofens plötzlich an. Die größere atmosphärische Dichte hatte die leichte Abkühlung, die stattgefunden hatte, mehr als wettgemacht. Das Metall war in Brand geraten. Ken schloß hastig die Luke.

Die Temperatur stieg noch ein wenig, während die Lichtintensität in der Frachtkammer des Torpedos auf einen Wert gesteigert wurde, der selbst für die an die starke Sonne Sarrs gewöhnten Augen unerträglich gewesen wäre. Die interessanteste Meldung aber lieferte der Druckanzeiger. Kens Aufmerksamkeit blieb daran hängen.

Zwanzig Sekunden lang hielt die Reaktion unverändert an. Dann wurde sie schwächer, und nach zehn weiteren Sekunden fiel die Temperatur wieder ab. Der Grund war klar. Der Druck war auf weniger als zwei Prozent seines früheren Wertes gefallen. Es war praktisch nichts mehr übrig, worin sich die Reaktion hätte abspielen können.

Ken entlockte seiner Geräuschmembran jenes laute Dröhnen, das auf Sarr die Bedeutung eines erstaunten Pfiffes hatte.

»Ich wußte, daß geschmolzenes Titan voll reagieren würde, aber hier hielt ich es für unwahrscheinlich. Ich habe mich verschätzt. Eigentlich erwartete ich ein Stoffgemisch, dessen Entstehungswärme eine solche Reaktion verhindert hätte. Na ja, vermutlich wird dieses Gemisch unter dieser Temperatur nicht sehr stabil sein…«

»Davon verstehe ich nichts, aber gebrannt hat es«, bemerkte Feth Allmer. »Und was ist mit den anderen Proben? Lassen Sie sie sofort schnell ablaufen, oder warten Sie ab, bis die Temperatur Normalhöhe erreicht hat?« Ehe Ken antworten konnte, war sein Blick auf eine Anzeige gefallen.

»He, wer hat das Natrium in Brand gesetzt?« fragte er, ohne auf Allmers Frage einzugehen. »Es kühlt bereits ab, aber es muß bei Luftzufuhr eine Weile gebrannt haben.«

»Lassen Sie mehr Luft rein, und warten Sie ab.« Der Hebel rastete ein. Ein Knall ertönte, als Luft in das Vakuum einströmte. Das Natrium kühlte sich weiter ab.

»Vielleicht wurde es durch einen Funken aus dem Titan-Behälter entzündet.«

Ohne zu antworten schloß Ken wieder die Tür und fing an, den Natrium-Behälter zu erhitzen. Feth hatte mit seiner Vermutung nicht weit daneben getroffen. Es war nur sehr wenig zusätzliche Wärme nötig, um das Metall zu entzünden. Diesmal setzte die Reaktion aus, nachdem der Druck um ein Sechstel abgesunken war. Dann wurde die Luke wieder geöffnet, und die Reaktion setzte unter dem Einfluß künstlich zugeführter Wärme wieder ein. Diesmal hielt sie so lange an, bis das Natrium verbraucht war.

»Ich möchte ausreichend Arbeitsmaterial, wenn das Torpedo zurückkommt«, erklärte Ken. »Ich bin schließlich nicht der weltbeste analytische Chemiker.«

Der Tiegel mit Kohlenstaub lieferte äußerst merkwürdige Ergebnisse. Irgend etwas hatte sich getan, denn das Material behielt seine Temperatur nicht nur bei, nachdem die Wärmezufuhr abgestellt worden war, es steigerte sie sogar noch. Doch gab es in der geschlossenen Kammer kein Anzeichen für einen Leistungsverbrauch oder für ein Entstehen von Gas. Ken und Feth staunten nicht schlecht. Als Antwort auf die fragende Miene des Technikers mußte Ken zugeben, daß die Tatsache wahrscheinlich sehr bedeutsam war, daß er aber keine Erklärung dafür zur Hand hatte.

Proben von Eisen, Zinn, Blei und Gold kamen als nächstes an die Reihe. Keines dieser Elemente zeigte unter dem Einfluß dieser eigenartigen Atmosphäre unter jeglicher Temperatur irgendeine Reaktion mit Ausnahme des Eisens vielleicht. In diesem Fall war der Druckabfall zu gering, um eine sichere Aussage zuzulassen, da in jedem dieser Fälle die Erwärmung zu einem Druckanstieg geführt hatte, den man in Rechnung stellen mußte. Magnesium verhielt sich bemerkenswert ähnlich wie Natrium, bis auf den Umstand, daß es noch heller brannte als Titan.

Da entschloß Ken sich zu einem letzten Versuch, indem er das Metall bei offener Luke wieder zum Glühen brachte. An diesem Punkt wurde das Testprogramm plötzlich unterbrochen.

Beiden Sarrianern war klar, daß bei offener Luke ein Lichtstrahl die Dunkelheit durchschneiden mußte. Beide machten sich jetzt deswegen keine Sorgen mehr. Auch das brennende Natrium war, wenn auch schwächer, sichtbar gewesen und auch das Glühen von Eisen und Gold. Eine eventuelle Entdeckung erschien ihnen jetzt weniger wahrscheinlich. Seit der Landung des Torpedos war eine volle Stunde vergangen, da zwischen den einzelnen Tests immer Abkühlperioden eingeschoben werden mußten. Es gab bislang keine Anzeichen dafür, daß sie bemerkt worden waren. Ken hätte an die Schwierigkeiten denken sollen, die ihnen beim Aufsetzen auf den Boden begegnet waren.

Mit dem Wiederentzünden der Magnesium-Probe wurde ihnen die Möglichkeit wieder vor Augen geführt. Als die Fotozelle das Wiedereinsetzen der Verbrennung anzeigte, drang aus dem Lautsprecher über der Kontrollanlage ein schrilles Geräusch, das im Torpedo widerhallte. Beide wußten, was es war. Beide kannten die Aufnahmen der Stimme des Eingeborenen, der das Originaltorpedo entdeckt hatte.

Einen Augenblick lang verharrten beide wie erstarrt auf ihren Ständern, im Geiste die Möglichkeiten der Situation abwägend. Feth tastete versuchsweise nach den Antriebsschaltern, wurde aber von einem energischen Schnalzen von Kens Tentakeln zurückgehalten.

»Moment! Ist unser Lautsprecher eingeschaltet?« flüsterte Ken.

»Ja.« Feth zog ein Mikro auf Brusthöhe herunter und wich einen Schritt zurück. Er wollte mit dem, was Ken vorhatte, nichts zu tun haben. Sallman selbst aber hatte sich wieder so tief in das Geheimnis der Eiswelt versenkt, daß daneben nichts anderes mehr existierte. Er sah keinen Grund, den Ort zu verlassen, wo seine Aktivitäten entdeckt worden waren. Er kam nicht mal auf die Idee, dem Eingeborenen, der die Entdeckung gemacht hatte, nicht zu antworten. Seine Sprechmembran eng ans Mikro gedrückt, ahmte er den ›Chef‹ nach und versuchte die aus dem Lautsprecher dringenden Geräusche zu imitieren.

Absolute Stille war die Folge.

Zunächst dachte sich keiner der Zuhörer etwas dabei. Klar, daß der Eingeborene überrascht war. Allmählich aber machte sich bei Ken Ärger breit, während man von Feths Miene ein überlegenes ›Hab-ich’s-nicht-gesagt‹ ablesen konnte.

»Sie haben ihn erschreckt«, sagte Feth. »Wenn nun sein ganzer Stamm herantrampelt, wird Drai nicht entzückt sein.«

Ein leises Knistern, das dem Ausruf des Unbekannten vorangegangen war und das Ken zunächst entgangen war, da ihn die chemischen Probleme so gefesselt hatten, fiel ihm nun wieder ein. Er klammerte sich an diesen Strohhalm.

»Wir haben sein Näherkommen gehört – es war das Geräusch, das auch das Torpedo bei der Landung machte – und wir haben noch nicht gehört, daß er sich wieder entfernte. Er muß noch immer da stehen und warten.«

»Ihn kommen gehört? Ach… das? Woher wollen Sie wissen, was es war? Wir beide haben nicht darauf geachtet.«

»Was sonst könnte es gewesen sein?« Das war eine entschieden unfaire Frage, auf die Feth keine direkte Antwort gab, sondern mit einer Gegenfrage reagierte.

»Worauf wartet er jetzt?« Das Schicksal meinte es nicht gut mit ihm, denn Ken wurde einer Antwort enthoben. Die menschliche Stimme meldete sich wieder, diesmal weniger schrill. Die Geschichte schien sich zu wiederholen. Ken lauschte aufmerksam. Feth hatte vergessen, daß er sich von der Szene hatte loseisen wollen, und drängte sich mit Ken vor dem Lautsprecher. Die Stimme sprach weiter. Es waren kurze, auch mit wenig Phantasie als Fragen zu erkennende Lautfolgen. Kein einziges Wort war zu verstehen, obwohl beide glaubten, mehrmals das menschliche ›Nein‹ herauszuhören. Das Wesen gab jedoch mit Sicherheit keinen jener Namen von sich, der für die Sarrianer mit den Handelsgütern verknüpft war. Feth, der diese Namen alle kannte, schrieb sie auf ein Blatt Papier. Schließlich wurde Ken von Ungeduld übermannt, nahm dem Techniker die Liste ab und sagte die Namen laut vor, so gut er konnte. Nach jedem Begriff machte er eine Pause. »Iridium… Platin… Gold… Osmium…«

»Gold!« warf der unsichtbare Sprecher ein.

»Gold«, sagte Ken ins Mikro. »Was ist das?« Diese Frage stellte er Feth im Flüsterton. Ebenso leise antwortete der Techniker. »Im Torpedo haben wir eine Probe davon. Aber wir können sie ihm nicht geben, ich möchte sie auf Spuren von Korrosion hin untersuchen. Außerdem ist sie schon vor einer Weile geschmolzen. Er würde sie aus dem Tiegel gar nicht herausbekommen. Wie heißt das Zeug, das Sie von dem Kerl bekommen haben?«

»Tafak«. Das rutschte Feth so heraus, und er bereute es sofort. Er hatte Drais Drohung noch im Ohr, wie es dem ergehen würde, der Ken über das von der Erde bezogene ›Zeug‹ Auskunft geben würde, und er wußte, daß diese Drohung keineswegs scherzhaft gemeint war. Der Gedanke daran bereitete ihm Körperjucken, als schäle sich ihm die Haut vom Leibe. Er überlegte krampfhaft, wie er es am besten verhindern konnte, daß sein Vergehen nach oben durchsickerte, hatte aber keine Zeit, sich etwas Vernünftiges auszudenken. Der Sprecher riß ihn aus seinen Überlegungen.

Waren die Ausrufe bislang laut gewesen, so klangen sie jetzt wie Explosionen. Das Wesen mußte seinen Stimmapparat an das Mikro des Torpedos angenähert und sich mit voller Lautstärke geäußert haben. Das Gebrüll hallte sekundenlang im Kontrollraum wider und übertönte fast das Geschepper, das nun folgte, ein Geräusch, das anzeigte, daß jemand gegen den Rumpf des Torpedos geschlagen hatte, und zwar heftig. Der Eingeborene schien aus irgendeinem Grund in Erregung geraten zu sein.

Fast gleichzeitig gab Ken einen Ausruf von sich. Der Temperaturanzeiger für die Gold-Probe zeigte nichts mehr an.

»Dieser verdammte Kerl hat meine Probe geklaut!« schrie er und drehte den Schalter, der die Frachtluke schloß. Der Schalter ließ sich bewegen, die Luke jedoch nicht… zumindest leuchtete die Anzeige ›Geschlossen‹ nicht auf. Ob sie in halboffener Stellung steckengeblieben war, ließ sich nicht feststellen.

Der Eingeborene blökte noch immer, lauter als zuvor. Ken drehte wieder auf ›Offen‹ und versuchte gleich darauf, die Luke wieder zu schließen. Diesmal funktionierte es. Die Sarrianer fragten sich, ob der relativ schwache Motor, der die Luke schloß, Schaden hatte anrichten können. Der Grund für das Versagen des Mechanismus war ihnen klar.

»Ich glaube nicht, daß er stehlen wollte«, sagte Feth besänftigend. »Sie haben die Bezeichnung mehrmals genannt. Wahrscheinlich dachte er, Sie böten ihm das Zeug an.«

»Mag sein, daß Sie recht haben.« Ken wandte sich zum Mikro um. »Ich möchte ihm jetzt klarmachen, daß heute Markttag ist und kein Festgelage.« Er stieß ein zirpendes Pfeifen aus, um sodann »Tafak, Tafak! Gold – Tafak!« zu rufen. Feth schrumpfte innerlich. Wenn er bloß gelernt hätte, seine große Membran zu halten…

»Tafak! Gold – Tafak! Ob er das kapiert?« Ken wandte sich zu Feth um. »Vielleicht ist das gar nicht derselbe, mit dem Sie Kontakt hatten. Schließlich sind wir nicht am gewohnten Ort gelandet.«

»Das ist nicht das Hauptproblem!«

Feth schlang die Tentakel um den Rumpf, als erwarte er, in unmittelbarer Umgebung würde ein Blitz einschlagen. Die Stimme, die die letzte Bemerkung gemacht hatte, gehörte Laj Drai.

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