Es war nicht Entmutigung, die Rogers Nachtwachen ein Ende bereitete. In der Nacht, in der die Sarrianer den Anzug testeten, startete er eigentlich seinen letzten Ausflug. Schuld daran waren Gründe, auf die der Junge keinen Einfluß hatte. Als er am Morgen hinunterkam, fing ihn sein Vater ab und ging mit ihm vors Haus. Dort deutete er auf gewisse Fußspuren. Dann ging es wieder hinauf in Rogers Zimmer, und das Seil kam ans Tageslicht. Mr. Wing verlangte als Abschluß der Untersuchung eine Erklärung.
»Glaub ja nicht, daß jemand dich verpetzt hätte«, sagte er. »Ich weiß gar nicht, ob du jemanden ins Vertrauen gezogen hast. Deine Mutter und ich, wir beide bemerkten, daß du deinen Schlaf tagsüber nachholen mußtest. Na, was war los?«
Lügen kam Roger gar nicht in den Sinn. Der Familienbrauch, fragwürdige Feststellungen auf Herausforderung der anderen beweisen zu müssen, hatte ihn wie auch die anderen Kinder gelehrt, Beweise gelten zu lassen und von nutzlosem Leugnen Abstand zu nehmen. Die einzige Frage, die ihn bewegte, war, ob er es sagen sollte oder nicht. Er wußte, daß ihm keine Strafe drohte, wenn er sich weigerte. Ebenso wußte er, daß sein Vater ihm bei diesem Problem, das auch seine eigenen Fähigkeiten überstieg, nicht helfen konnte und daß es mit Sicherheit keine weiteren Nachtausflüge auf der Suche nach landenden Torpedos geben würde. Er berichtete, was geschehen war… mit allen Einzelheiten, die das nahezu vollkommen eidetische Gedächtnis der Kindheit ihm eingab. Nachdem er seine Geschichte beendet hatte, schwieg sein Vater.
»Daß du Don und mir gefolgt bist, wollen wir unter den Tisch fallen lassen«, sagte er schließlich. »Man hat es dir nie ausdrücklich verboten, und Neugierde ist ein recht gesunder Zug. Daß du in der Nacht im Wald hängengeblieben bist, ohne Proviant, Wasser und Licht, ist schon viel ernster zu bewerten, noch dazu in Anbetracht der Tatsache, daß man von dir annehmen kann, du wüßtest es besser. Da deine Geschichte aber so interessant ist, wollen wir die Strafe für dein Vergehen aussetzen.«
Roger grinste. »Wie wäre das Urteil ausgefallen?«
»Am logischsten wäre eine ein- oder zweiwöchige Beschränkung auf die Sechshundert-Meter-Bannmeile. Du hast dich benommen wie ein Sechsjähriger. Also, stell dir vor, diese Strafe hängt über deinem Haupt, und damit können wir uns dringenderen Angelegenheiten zuwenden. Ich nehme an, daß Edie alles weiß.«
»Sie weiß nur, was damals in der Nacht passierte. Von den folgenden Ausflügen weiß sie nichts.«
»Na schön. Nach dem Frühstück holst du sie, und ihr beide kommt zu mir. Wir müssen einiges besprechen.«
Es zeigte sich, daß auch Don an dieser Besprechung teilnahm. Sie fand in einem kleinen natürlichen Amphitheater oberhalb des Hauses statt, das mit grob behauenen Holzbänken ausgestattet war. Mr. Wing verlor keine Zeit. Er erzählte den jüngeren Kindern die Geschichte, die er einige Tage zuvor Donald erzählt hatte. Dann wiederholte Roger seinem älteren Bruder zuliebe seine Geschichte. Don hatte inzwischen natürlich ein sarrianisches Torpedo zu Gesicht bekommen, da er dabei gewesen war, als vor einigen Tagen die erste Ladung Tabak übergeben wurde. Es bestand kein Zweifel, daß das Gebilde, das Roger gesehen hatte, denselben Ursprung haben mußte.
»Ich begreife nicht, warum sie nach all diesen Jahren ihre Operationsbasis verlagern.« Mr. Wing schien sehr verwundert. »Seit Dons Geburt sind sie jeden Sommer zu der Vorrichtung zurückgekommen, die unserer Ansicht nach eine Art Peilsender sein muß.«
»Du weißt nicht sicher, ob sie nicht auch anderswo schon gelandet sind«, hob Don hervor. »Roger traf ganz zufällig auf einen ihrer Torpedos. Es kann überall auf der Erde zahllose andere gegeben haben.«
»Das stimmt natürlich. Roger, du hast doch auf deinen nächtlichen Wanderungen nicht Spuren anderer Landungen entdecken können, oder?«
»Dad, da bin ich nicht sicher. Auf einem Hügel habe ich einen verbrannten Strauch gesehen, der ganz für sich allein steht. Nirgends Spuren von einem Lagerfeuer, und Gewitter hat es auch nicht gegeben. Ich dachte, eines dieser Dinger hätte etwas fallengelassen, ähnlich dem, das mir die Hand verbrannte und den Brand verursachte. Aber ich konnte nichts dergleichen finden. Ich weiß nicht, was den Strauch versengt hat.«
»Verstehe. Also, Zusammenfassung: Wir haben lange Zeit mit außerirdischen Wesen Handel betrieben; wir sind vielleicht und vielleicht auch nicht die einzigen Handelspartner. Zumindest einmal schickten sie eine Sonde herunter, deren Mission in erster Linie nicht der Handel war.«
»Falls nicht das Licht, das Roger sah, Aufmerksamkeit erregen sollte«, warf Donald ein.
»In diesem Fall hätten die wohl ihr Gold nicht zu heiß zum Anfassen angeboten. Außerdem habe ich Gold nie gewollt… mir reichen als Konkurrenz die gewöhnlichen Prospektoren. Ich kann auf einen Goldrausch von Amateuren verzichten.«
»Wir wissen aber nicht, ob andere Menschen, falls es noch andere gibt, mit denen die Außerirdischen Kontakt haben, ebenso denken. Ich glaube aber, daß du mit der Temperatur recht hast. Sicher haben sie ein Experiment durchgeführt, und das Handelsangebot kam nebenbei, als sie Rogers Stimme hörten.«
»Ein schmutziger Trick war das«, bemerkte Roger.
»Vielleicht ganz unabsichtlich. Ihre Kenntnisse unserer Sprache sind sehr begrenzt, außerdem habe ich den Eindruck, daß sie nicht heruntersehen können. Entweder ist ihnen Fernsehen unbekannt, oder aber sie können in die Torpedos keinen Sender einbauen. Außerdem bist du ihnen überraschend über den Weg gelaufen, und die haben wohl in der Erregung des Augenblicks vergessen, daß das Gold heiß war. Du sagtest, es wäre da noch ein anderer Behälter gewesen, der leuchtete. Aber über diesen Punkt lohnt sich wohl keine Diskussion.
Ich hatte diesen Schritt eigentlich erst geplant, bis Roger und Edie älter sein würden und schon so viel gelernt hätten, daß sie uns mehr hätten helfen können. In dieser Hinsicht habe ich jetzt keinen Einfluß mehr. Was ich jetzt möchte und wozu ich eure Hilfe brauche, ist folgendes: Ich möchte herausbekommen, woher diese Dinger kommen, was für Wesen sie steuern – und wenn möglich, wie sie funktionieren. Ich brauche euch nicht eigens zu sagen, wie wichtig dieses Wissen ist. Ich habe nie versucht, außenstehende Fachleute heranzuziehen, weil ich fürchtete, bei denen würde die Neugierde über die Vernunft siegen. Ich möchte nicht, daß die Torpedos durch übereiltes Vorgehen erschreckt werden. Ich bin nämlich zu alt, um noch einen neuen Handel aufzumachen.«
»Quatsch!« Es war Edies erster Beitrag zur Diskussion. Sie hatte bisher bloß sehr aufmerksam zugehört. »Was werden wir jetzt tun?« fragte der praktisch veranlagte Roger.
»Erstens werdet ihr beide mitkommen, wenn wir nächstes Mal unsere Waren austauschen. Ich könnte auch die Kleinen mitnehmen, bloß wäre es für sie ein Gewaltmarsch. Ihr könnt zuhören, beobachten und euch alles merken. Hinterher erwarte ich mir Ideen von euch. Roger, ich hatte gehofft, du würdest schon Elektronikfachmann sein, wenn dies einträfe. Na ja, wir werden uns zunutze machen, was uns zur Verfügung steht.«
»Vielleicht kann mein Mißgeschick von letzter Nacht uns nützen«, meinte Roger. »Wenn die so scharf auf Tabak sind, daß sie dafür mit Platin und Iridium zahlen, dann sind sie vielleicht bereit, sich zu entschuldigen.«
»Vorausgesetzt, sie wissen, daß sie dir wehgetan haben, und sind imstande, sich einen Weg zur Übermittlung der Entschuldigung auszudenken. Ich würde ein oder zwei zusätzliche Nuggets nicht ablehnen, falls sie uns welche schicken, aber sehr informativ wäre das nicht.«
»Ja, vermutlich hast du recht. Ich werde die ganze Umgebung der Stelle absuchen, wo ihr die Sachen austauscht. Sollten sie im Wald noch an anderen Stellen gelandet sein, werde ich sie finden – da gibt es jede Menge geknickte Äste und eine tiefe torpedoförmige Delle im Boden.«
»Wenn du glaubst, daß es sich lohnt«, bemerkte Don. »Warum sollten sie ausgerechnet in der näheren Umgebung landen? Die Erde ist ziemlich groß.«
»Einmal haben sie es getan, und ich wette, daß ich weiß warum!« gab Roger zurück. »Der Richtungssender steht hier! Wenn du eine neue Welt erforschen müßtest oder auch nur ein neues Land, dann würdest du auch nicht hier eine Landung machen und die nächste fünfhundert Kilometer weiter. Ganz bestimmt nicht. Du würdest dich zuerst in einer Gegend umsehen, einen Vorposten einrichten und von dort aus ausschwärmen.«
Während die anderen diese Erklärung verarbeiteten, herrschte Schweigen.
»Du meinst also«, sagte dann Mr. Wing, »daß sie nach zwanzig Jahren reiner Handelsbeziehungen plötzlich auf Entdeckung gehen? Warum nicht schon früher?«
»Unfaire Frage.«
»Stimmt. Na meinetwegen, es ist immerhin eine brauchbare Arbeitshypothese. Mach weiter mit deinen Erkundungsgängen – Edie kann sich beteiligen, wenn sie will. Ich halte die Idee nicht für so umwerfend, daß ich mich selbst der Mühe unterzöge, aber in ein oder zwei Tagen werde ich signalisieren, daß wieder ein Torpedo geschickt werden soll. Auf diese Weise habt ihr ausreichend Zeit, euch gründlich umzusehen.«
»Na ja…« Roger hatte beim Kartenzeichnen gemerkt, was es heißt, einen Quadratkilometer gründlich zu erkunden. »Ein bißchen umsehen können wir uns. Ich gehe jetzt gleich los, wenn niemand brauchbare Ideen hat. Kommst du mit, Edie?« Das Mädchen stand wortlos auf und folgte ihm zurück zum Haus. Mr. Wing sah ihnen belustigt nach.
»Mir wäre lieber, Rogers Theorie würde mir nicht so viel Sorge bereiten«, sagte er plötzlich zu Donald. »Vielleicht hat er recht… vielleicht haben diese Wesen es satt, für Tabak zu bezahlen. Sie sind in den Naturwissenschaften sicher fortgeschrittener als wir.«
»Na, wenn sie hier in der Umgebung nach Tabakpflanzen suchen, dann haben sie viel zu tun«, antwortete Don. »Besser, sie halten sich an friedliche Bedingungen.«
»Na, das sag ihnen mal«, murmelte Mr. Wing.
Roger und Edie verloren keine Zeit. Diesmal wurde der Proviant nicht vergessen. In aller Eile machten sie ein paar belegte Brote zurecht. Ihre Mutter hatte sich längst mit der Tatsache abgefunden, daß Plünderungen der Speisekammer untrennbar mit dem Überleben im Wald zusammenhingen. Zusätzlich mit einem Wasserkanister ausgerüstet, machten sie sich in östlicher Richtung auf den Weg.
Billy und Marjorie spielten irgendwo und waren nicht zu sehen. Es gab also keinen Ärger, weil die beiden Kleinen allein zu Hause bleiben mußten. Mr. Wings Beschreibung war so klar gewesen, daß sie den sarrianischen Sender ohne Schwierigkeiten fanden. Von dort ging ihre Suchexpedition aus. Auf Edies Vorschlag hin trennten sie sich. Sie übernahm die Südhänge auf einer Linie bis zum Haus, Roger die Nordhänge. Sie kamen überein, sich so hoch als möglich zu halten, damit sie die meiste Zeit über in Rufweite blieben. In dieser kurzen Zeit hatte es wenig Sinn, nach etwaigen Spuren in den Wäldern zu suchen. Doch es war immerhin möglich, daß sie verbrannte Stellen sichteten wie jene, die Roger bereits gesehen hatte oder geknickte Baumwipfel oder Äste, wenn sie von ihren Standorten bergab blickten. Auf jeden Fall konnte man auf diese Weise ein größeres Gebiet absuchen. Die beiden hatten erst gar keine Debatte darüber angefangen, ob es besser wäre, ein kleines Gebiet genau abzusuchen oder über ein großes nur ungefähr Bescheid zu wissen.
Weder Roger noch Edith waren auf dem Hügel, wo Ken niederging und landete. Die Natur hatte es eingerichtet, daß sie in der Nähe waren, doch der Zufall hatte nicht zugelassen, daß die Sache weiter gedieh. Die Natur hatte zum Glück noch einen Trick in Reserve.
Bis zu diesem Morgen hatte Roger es für mehr oder weniger selbstverständlich angesehen, daß alle zukünftigen Besuche des Torpedos bei Nacht vonstatten gehen würden wie der erste Besuch. Die Geschichte seines Vaters hatte diese Meinung ins Wanken gebracht. Sein Blick wanderte immer häufiger zum Himmel hoch. Daher war es kein Wunder, daß er das niedergehende Torpedo entdeckte.
Es befand sich etwa drei Kilometer von den Kindern entfernt, so daß er Einzelheiten nicht ausmachen konnte. Roger war jedoch sicher, daß es sich um keinen Vogel handelte. Aus dieser Entfernung wirkte der am Torpedo baumelnde Ken reichlich sonderbar. Einzelheiten oder nicht, Roger bezweifelte keine Sekunde, was es war. Mit einem lauten Ausruf, den seine Schwester hören mochte oder nicht, raste er in halsbrecherischem Tempo bergab.
Kurze Zeit konnte er ein phantastisches Tempo beibehalten, da die Unebenheiten der Felsen für seine wachen Augen und geübten Muskeln kein Hindernis darstellten. Erst als er zum Wald kam, mußte er beträchtlich abbremsen. Eine Zeitlang behielt er sein Tempo noch bei, dann aber machte er sich klar, daß er noch mindestens einen Hügel zu überwinden und einen zweiten bis zum Kamm zu erklimmen hatte, und ließ sich etwas Zeit.
Als er eine dreiviertel Stunde später den Hügelkamm erreichte, auf den das Torpedo zusteuerte, hatte er nasse Füße, total zerkratzte Beine und war ganz außer Atem. Von Edith hatte er keine Spur gesehen, ja, er hatte sie eigentlich vergessen. Sie hätte ihm wieder einfallen müssen, als er am Gipfel der kleinen Erhebung innehielt, Atem holte und sich nach dem Objekt seiner Suche umblickte. Da sah er das Torpedo, ein kurzes Stück hügelab auf der anderen Seite. Und er sah Sallman Ken.
Roger kannte Bilder der gewaltigen Druckanzüge, die bei Tiefseexpeditionen Verwendung finden. Kens Anblick erregte sein Erstaunen daher nicht allzusehr, gewiß viel weniger, als der Anblick eines Sarrianers ohne diesen Anzug es getan hätte. Der Anzug nämlich vermenschlichte das Aussehen Kens beträchtlich, da auch ein menschliches Wesen darin Platz gefunden hätte, ohne sich zu sehr verrenken zu müssen.
Aus technischen Gründen hatten die Beine nur ein einziges ›Knie‹, das dem oberen Gelenk der sarrianischen Gliedmaße entsprach. Der Leib hatte Menschengröße und war zylindrisch. Es gab nur zwei obere Extremitäten. Diese waren beweglicher als es bei einem für Menschen konstruierten ähnlichen Anzug hätte sein müssen. Sie gaben jedenfalls nicht den geringsten Hinweis darauf, daß die Wesen, die sie trugen, sie mit jeweils zwei Tentakeln bewegten. Die Greifer an den Extremitäten wirkten ganz natürlich, wenn auch viel komplizierter als die klauenähnlichen Vorrichtungen, die der Junge auf den Bildern von den Tauchanzügen gesehen hatte.
Aus der Entfernung, in der er sich befand, konnte er nicht deutlich durch die Sichtscheibe im Helm sehen. Es entging ihm daher im ersten Moment wie unmenschlich der Träger des plumpen Anzugs war.
Roger stand da und starrte das Wesen an. Nach einer Weile stieß er den Schrei aus, der Kens ›Einschiffen‹ jäh unterbrach. Der Sarrianer war so vertieft in sein Vorhaben, daß er Roger gar nicht bemerkte, ehe dieser schrie. Und dann sah er nichts anderes mehr. Er selbst war nicht in die Richtung gewendet, aus der der Schrei kam, doch eine der Sichtscheiben des Helms war es. Sein Interesse war so groß, daß er sich nicht die Mühe machte, den Panzer als Ganzes zu drehen, nachdem er einen ersten Blick auf das Wesen geworfen hatte, das zu ihm heruntergelaufen kam. Er blieb einfach stehen und blickte Roger mit dem einen Auge entgegen, das er in Position bringen konnte. Daß das fremde Wesen feindselige Absichten haben könnte, kam ihm gar nicht in den Sinn.
Auch Roger dachte keinen Augenblick an diese Möglichkeit. Seinem Wesen nach war er Ken viel zu ähnlich, trotz der gewaltigen körperlichen Unterschiede. Sie standen einander gegenüber… Ken hatte sich doch zum Wenden der Rüstung entschlossen, damit er mit beiden Augen sehen konnte… und registrierten schweigend alle Einzelheiten, die das jeweilige Sehvermögen ausmachen konnte. Dabei hatte jeder einen Vorteil. Rogers Vorteil war der Umstand, daß das Licht für ihn normal war, während Ken den Jungen ohne eine Hülle von ein paar hundert Kilo vor sich stehen hatte. Jetzt konnte Roger das Gesicht des Sarrianers sehen: die großen, auseinanderstehenden, einzeln beweglichen Augen, das Nichts, wo eine Nase hingehörte, und den breiten, dünnlippigen, erstaunlich menschlichen Mund. Die Stille zog sich hin.
Sie wurde von Feth unterbrochen, dessen Besorgnis mit jeder Sekunde seit Rogers Schrei gewachsen war.
»Was ist passiert? Etwas schiefgegangen? Ken, bist du in Ordnung?«
Ken fand seine Stimme wieder. »Alles tadellos. Wir haben Gesellschaft bekommen, wie Ihnen sicher nicht entgangen ist.« Er begann Roger so gründlich als möglich zu beschreiben, wurde aber von Feth unterbrochen.
»So geht das nicht. Wir müssen eine Fernsehanlage oder eine Kamera runterschaffen, und wenn ich ein neues System erfinden müßte. Geben Sie sich nicht die Mühe, das Ding zu beschreiben. Versuchen Sie, mit ihm zu sprechen!«
Von all dem hatte Roger nichts mitbekommen, da Feth nicht den Lautsprecher des Torpedos eingeschaltet hatte. Diese Unterlassung machte er nun wett, und der Junge konnte Kens nächste Worte deutlich hören.
»Was um alles in der Galaxis soll ich sagen? Was ist, wenn dieser da von unserem gestrigen Irrtum gehört hat… was ist, wenn es sogar das Wesen von gestern ist? Wenn ich das Wort ›Gold‹ ausspreche, wird es entweder davonlaufen oder zum Angriff übergehen. Ich fürchte es nicht, aber der Vorgang des Kennenlernens wird dadurch nicht gefördert.«
»Sie haben das Wort eben ausgesprochen. Wie hat es das Wesen aufgenommen? Ich habe jetzt den Lautsprecher eingeschaltet.«
Ken, der das nicht wissen konnte, warf Roger einen erschrockenen Blick zu.
Der Junge hatte natürlich nur das eine Wort ›Gold‹ mitbekommen. Vermutlich hätte er es glatt überhört, wenn Ken es nicht so hervorgehoben hätte, wie man eben ein fremdes Wort betont. Roger, der die einzelnen Stimmen nicht unterscheiden konnte, war nun der Meinung, daß alle Laute, die aus dem Lautsprecher drangen, ausdrücklich an ihn gerichtet wären.
»Ich will euer Gold nicht… jedenfalls nicht, wenn es so ist wie beim letzten Mal.« Wieder wurde von den Zuhörern nur das eine Wort verstanden. In Ken regte sich Hoffnung. Vielleicht hatte dieses Wesen nichts gehört, oder aber er und Feth hatten die während des Atmosphärentests gehörten Worte völlig falsch interpretiert.
»Gold?« fragte er.
»Nein!« Roger schüttelte den Kopf und wich zurück. Das Kopfschütteln sagte dem Sarrianer gar nichts, der Schritt zurück aber war eindeutig.
»Feth, hast du den letzten Laut aufgenommen? Seinem Verhalten nach zu schließen, scheint das in ihrer Sprache die Verneinung zu sein. Gold nein!« Er sprach die zwei Wörter aus. Roger beruhigte sich sichtlich, sprach seine Worte aber immer noch mit großem Nachdruck aus.
»Gold und Platin nein… Ich habe keinen Tabak!« Er breitete die leeren Hände aus und drehte die Taschen um. Damit lieferte er dem Sarrianer einen Hinweis darauf, was zur Bekleidung gehörte.
»Sie müssen auf Dinge zeigen und sie benennen«, riet Feth von oben. »Wie anders wollen Sie sonst die Sprache lernen? Dieses Geschnatter hörte sich unbeschreiblich albern an.«
»Na schön. Bedenken Sie aber, daß ich hier alles sehen und hören kann. Das macht viel aus. Wenn Sie Ergebnisse haben wollen, dann verhalten Sie sich dort oben gefälligst ruhig. Wie soll das Wesen unterscheiden, wer im Moment spricht? Alles kommt aus demselben Lautsprecher. Ich werde mich schon melden, wenn ich etwas brauche.«
Feth gab auf diesen vernünftigen Einwand keine Antwort, und nach einer Weile fing Ken an, den Vorschlag Feths zu befolgen.
Da Roger eben denselben Entschluß gefaßt hatte, kapierte er sofort, und die menschliche Intelligenz stieg in der Achtung des Sarrianers gewaltig. Sein Gespräch mit Laj Drai hatte ihn diesbezüglich viel weniger erhoffen lassen.
Die Wörter für Fels, Baum, Strauch, Berg, Wolke, und die Zahlen bis zehn waren bald erlernt. Auch ein paar Verben waren rasch geschafft. An diesem Punkt wurde der Lernprozeß unterbrochen, zur nicht geringen Erleichterung Rogers, der von weitem einen Ruf hörte.
»Allmächtiger! Edie habe ich ja ganz vergessen! Die glaubt sicher, ich bin abgestürzt oder so!«
Er wandte sich in die Richtung, aus der der Ruf zu kommen schien. Er legte all seine Kraft in den Antwortschrei. Seine Schwester hörte ihn und antwortete ihrerseits. Nach zehn bis fünfzehn Minuten ziemlicher Lungenbeanspruchung war sie zur Stelle. Zu Rogers Verwunderung wollte sie an Ken nicht näher herangehen. »Was ist denn mit dir? Der will doch nur sprechen, soweit ich das jetzt beurteilen kann.«
»Hast du dich nicht wieder verbrannt?«
»Nein. Warum auch?«
»Spürst du denn die Hitze nicht?«
Seltsamerweise hatte Roger nichts davon gemerkt. Er hatte sich Ken auch nur auf knappe zehn Meter genähert. Die Hitzestrahlung des Anzugs war auf diese Distanz zwar fühlbar, aber nicht unangenehm. Sie war ihm in der Aufregung gar nicht aufgefallen. Für Edith, deren Bild von den Außerirdischen vor allem durch das Erlebnis ihres Bruders vor einigen Tagen geprägt worden war, stellte die Hitze das auffallendste Merkmal des vor ihr stehenden Dinges dar.
Roger ging nun näher an den Außerirdischen heran und streckte vorsichtig die Hand aus. Er hielt abrupt inne.
»Mein Gott, wie heiß der ist. Vielleicht war dies der Grund… die dachten womöglich gar nicht daran, daß das Gold mich verbrennen würde. Meinst du nicht auch?«
»Möglich, möchte bloß wissen, wie der in dieser Hitze existieren kann. Dad würde das sicher auch wissen wollen. Er sollte jetzt eigentlich hier sein. Soll ich zu ihm laufen, während du das Ding hier festnagelst?«
»Wüßte nicht wie. Außerdem wird es dann schon sehr spät sein, wenn Dad endlich da ist. Versuchen wir lieber für morgen eine Verabredung zu treffen.« Ohne auf Edies sehr vernünftiges »Wie?« zu hören, wandte er sich an Ken.
Das ›Wie‹ stellte tatsächlich keine Schwierigkeit dar. Zeit stellt zwar einen abstrakten Begriff dar, kann aber für praktische Zwecke mit einfachen Gesten verdeutlicht werden, wenn sie mittels eines Phänomens, wie es die scheinbare Sonnenbewegung darstellt, gemessen wird. Ken verstand sehr gut, als Roger ihm mit Handbewegungen klarmachte, daß die zwei Eingeborenen am nächsten Tag kurz nach Sonnenaufgang wieder an den gegenwärtigen Standort kommen würden.
Ken war froh, daß damit die Episode beendet war, da seine Füße starr vor Kälte waren. Er nahm seine unterbrochene Tätigkeit wieder auf und befestigte sich an dem Torpedo. Die Kinder, die, bei den Bäumen angekommen, einen letzten Blick zurückwarfen, sahen das seltsam aussehende Doppelgebilde von Anzug und Torpedo mit steigender Geschwindigkeit aufsteigen. Sie sahen ihm nach, bis es zu einem kleinen Punkt geschrumpft war und schließlich verschwand. Dann liefen sie schnurstracks nach Hause.