XVIII

Feth war nicht der einzige, der dem Piloten zuschrie, er solle schleunigst wieder an Höhe gewinnen. Ken, dem klar war, daß der Schiffsrumpf trotz der besseren Isolation fast so heiß sein mußte wie sein Panzer, gab über Funk Äußerungen von sich, die er vor seinen Schülern peinlichst vermieden hätte. Es war nur natürlich, daß an Bord keiner auf ihn hörte. Mr. Wing und Don, die den Grund für seine Aufregung ahnten, stimmten mit ein. Mrs. Wing, die den Wirbel gehört hatte, erschien gerade noch rechtzeitig, um mitanzusehen, wie sich der schimmernde schwarze Zylinder vierzig Meter oberhalb des Hauses zwischen die Bäume senkte. Das Ergebnis rief bei niemandem Erstaunen hervor – zumindest nicht bei denen außerhalb des Schiffs.

Don und sein Vater rannten im Eiltempo zum Stall, wo die tragbaren Feuerpumpen aufbewahrt wurden. Mrs. Wing trat hinaus auf die Veranda und rief mit einigermaßen beherrschtet Stimme: »Don, wo sind die Kinder?«

Diese Frage wurde teilweise beantwortet, ehe einer der beiden sich dazu äußern konnte, als Marjorie und Billy auf entgegengesetzten Seiten der Lichtung aus dem Wald gelaufen kamen, die Pflanzen in Händen, die sie in ihrer Aufregung nicht fallen gelassen hatten.

»Daddy! Sieh mal das Feuer!« schrie der junge.

»Ich weiß, Billy. Ihr beide geht mit Mutter und schaltet die Pumpe ein. Ihr müßt mithelfen, ums Haus herum alles naßzusprühen. Ich glaube nicht, daß das Feuer bei dieser Windrichtung den Hang herunterkommt, aber wir wollen kein Risiko eingehen.«

»Wo sind Roger und Edith?« fragte Mrs. Wing die zwei Jüngsten.

»Sie wollten Felsstücke für den Feuermann holen«, sagte Marjorie. »Ich weiß nicht, wo sie die holen wollten. Wenn sie das Feuer sehen, kommen sie sicher zurück.«

»Na hoffentlich.« Mrs. Wing war darüber nicht sehr erbaut. Sie nahm die beiden ins Schlepptau und ging die Schläuche holen. Don und sein Vater liefen weiter, schlangen sich die stets gefüllten Feuerpumpen um die Schultern und liefen bergauf auf die immer dichter werdende Rauchwolke und die lodernden Flammen zu.

Ken hatte nicht erst abgewartet, bis die menschlichen Wesen aktiv wurden. Er hatte kurz nachgesehen, ob sein Panzer noch immer fest verbunden mit dem Torpedo war. Dann hatte er den Steuerapparat gepackt und war hinaufgeschossen. Das war nicht ungefährlich, wie er wohl wußte. Doch der relativ kühle Torpedorumpf sauste die Schneise hoch, die er beim Landen geschlagen hatte, zwischen den dünnen überhängenden Ästen hindurch, mit denen er nur so kurz in Berührung kam, daß es für ein Entzünden nicht reichte. Es klappte tatsächlich, obwohl eine Andeutung von Rauch hinter dem Torpedo hochqualmte. Der Karella war es ähnlich ergangen. Sie schwebte nun etwa vierhundert Meter über dem Brand, den sie verursacht hatte. Er verlor keine Zeit mit Anschuldigungen, obgleich die Chancen gut standen, daß man an Bord nun offene Ohren für ihn hatte.

Das Feuer breitete sich nicht so schnell wie befürchtet in alle Richtungen aus. Zum Haus hin war es nur wenig fortgeschritten, während es sich entlang des Hanges hin langsam ausgebreitet hatte. Bergauf aber hatte es sich unter dem Einfluß seiner eigenen Konvektionsströmungen und der Brise, die bereits in diese Richtung geweht hatte, weit ausgebreitet und sprang rasch von Baum zu Baum. Ken sah, daß Pflanzenteile von der heißen Luftsäule hoch emporgeschleudert wurden. Manche verbrannten in der Luft, während andere hangaufwärts getrieben wurden und an anderen Stellen kleine Brände entzündeten. Ein dunkles, offenbar abgestorbenes Gewächs, das in einiger Entfernung vom Brand stand, fing unter der heißen Ausstrahlung zu rauchen an und explodierte plötzlich mit lautem Krachen. Innerhalb von fünfzehn Sekunden war es völlig abgebrannt und zerfiel in einen glühenden Kohleregen. Ken, der sich von der Aussicht, in die aufsteigenden heißen Gase zu geraten, unberührt zeigte, manövrierte sich näher zum Brand hin. Jetzt wurde wenigstens teilweise ersichtlich, warum das Feuer sich hügelab so langsam ausgebreitet hatte. Die zwei Eingeborenen, mit denen er gesprochen hatte, waren zwischen den Bäumen zu sehen. Sie besprühten alles mit dünnen Strömen einer Flüssigkeit, über deren Natur Ken nur Vermutungen anstellen konnte. Er beobachtete sie eine Weile. Dabei fiel ihm auf, daß sie die Behälter immer wieder an einem kleinen Strom dieser Flüssigkeit in der Nähe des Hauses auffüllten. Ken war dieser Flüssigkeitsstrom vorhin gar nicht aufgefallen. Er fragte sich, wo die Quelle dieser Flüssigkeit liegen mochte und entschloß sich, stromaufwärts zu fliegen und es herauszufinden.

Während er sich höhertragen ließ, fand er die Ausdehnung des Waldlandes sehr beeindruckend. Die von der Karella verursachte Katastrophe machte ihm Sorgen. Wenn diese Entzündungsreaktion sich über die ganze Gegend verbreitete, dann würde das für die Eingeborenen ernste Auswirkungen haben. Er sah nun, daß es den kleinen Strom ein Stück weiter oben übersprungen hatte. Die Flüssigkeit mußte also richtig in Kontakt mit der Vegetation sein, um die Verbrennung stoppen zu können. Flammen und Rauchentwicklung machten es unmöglich, dem Wasserlauf zu folgen. Ken ging tiefer, weil er nicht zu Unrecht der Meinung war, die Temperatur seines Panzers würde der bereits brennenden Vegetation keinen Schaden mehr zufügen können. Er trieb knapp über dem Bachbett dahin. Auch in dieser Höhe konnte man kaum etwas erkennen. Trotzdem sah er etwas… die ersten Lebewesen, von den Eingeborenen abgesehen. Ganz kleine Wesen, meist Vierbeiner. Dies konnte er sehen, wenn sie sich auf ihrer hangaufwärts führenden Flucht etwas langsamer bewegten. Ken wunderte sich, daß sie überhaupt atmen konnten. Der Rauch deutete darauf hin, daß die Luft voller Verbrennungsprodukte sein mußte und wahrscheinlich viel zu heiß für sie war. Ihm war das Phänomen relativ reiner Luft in Bodennähe vor einem Brand nicht bekannt. Auf Sarr gab es zwar Brände großen Maßstabs, aber er war kein Feuerwehrmann.

Er war den Flammen jetzt voraus, befand sich aber noch immer in rauchgeschwängerter Luft, als er die Quelle des Stromes entdeckte. Er hatte Schwierigkeiten zu erkennen, daß es der Ursprung war. Er war keine Geologe, und selbst ein Geologe unter seinen Artgenossen hätte Schwierigkeiten gehabt, den Mechanismus einer Quelle zu durchschauen. Ken vermutete einen künstlichen Hintergrund des Phänomens, wagte aber nicht, die Flüssigkeit zur näheren Untersuchung zu berühren. Er hätte Grund zur echten Sorge gehabt, wenn er geahnt hätte, daß ein Waldbrand manchmal ein lokales Gewitter verursachen kann. Aber auch das lag weit außerhalb seiner Erfahrung. Das annähernd Ähnlichste auf Sarr gab es an den Polen, wo in ganz seltenen Fällen die meteorologischen Kräfte so zusammenspielten, daß starker Druckanstieg und starker Temperaturrückgang einen leichten Niederschlag von flüssigem Schwefel bewirkten.

Ken, der sah, daß er hier im Moment nichts mehr in Erfahrung bringen konnte, ließ sich wieder in reinere Luft hochschleppen. Unten sah es aus, als hätten die Eingeborenen gewonnen. Ein schmaler Streifen geschwärzter Vegetation am Rand des Flammengebietes zeigte an, daß das Feuer in der Richtung zum Haus eingedämmt war. An den Seiten war der Fortschritt nicht so deutlich sichtbar. Der Brand hatte nun ungefähr die Umrisse eines großen Fächers, dessen Griff auf das Haus zu gerichtet war und dessen Rippen sich auf eine Breite von zweihundertfünfzig bis dreihundertfünfzig Meter gleichmäßig bergauf erstreckten. Durch die Rauchschwaden hindurch sah Ken, daß die hohen Bäume an dieser Stelle spärlicher wuchsen und kleineren Gewächsen weichen mußten, die ihrerseits nach dem hier üblichen Muster blankem Fels in der Nähe der Gipfel wichen. Ken, der von seiner Höhe aus einen guten Überblick hatte, war der Ansicht, daß der Brand sich sehr wahrscheinlich in wenigen Stunden bis zum baumlosen Gelände durchgefressen haben würde. Mit den Randbränden konnten die Eingeborenen gut ohne Hilfe fertigwerden.

Der Gedanke an mögliche Hilfe löste einen anderen aus. Der Rauch erhob sich in einer hohen Säule, die viele Kilometer weit sichtbar sein mußte. Würden daraufhin andere Eingeborene zu Hilfe kommen, oder würde man das Gebilde für eine gewöhnliche Wolke ansehen? Kens Augen, deren Farbempfinden sich von dem menschlicher Augen unterschied, konnte den Farbton nicht deutlich unterscheiden. Die Form der Rauchsäule war aber so deutlich, daß sie Aufmerksamkeit erregen mußte. Diese Überlegung brachte ihn dazu, das Schiff zu rufen. Doch als er aufblickte, war es nirgends zu sehen. Er bewegte das Torpedo nun so schnell hin und her, daß sein Panzer daran wie ein Pendel ausschwang und er einen Blick zum Himmel direkt über ihm schicken konnte. Der schwarze Zylinder war nirgends zu sehen. Offenbar war Laj Drais Appetit auf den Planeten Drei rasch gestillt worden. Sicherheitshalber gab Ken per Funk seine Vermutung weiter, daß andere Eingeborene zu Hilfe eilen könnten, und machte sich dann wieder ans Beobachten des Feuers. In Sekundenschnelle hatte er die Existenz des Schiffes wieder vergessen.

Er hatte entdeckt, daß man im Brand selbst nicht viel sehen konnte. Daher ging er knapp vor einem Brandherd tiefer und beobachtete durch die wirbelnden Rauchschwaden hindurch, wie das Laub der Sträucher und kleinen Bäume im Feuer schrumpften, Rauch entwickelten und manchmal viele Meter von der nächsten richtigen Flamme aufflammten. Ihm fiel dabei auf, daß die dickeren Stämme sich nur entzündeten, wenn sie in Kontakt mit Flammen kamen, doch sah er auch Ausnahmen. Ihm fiel dabei der explodierende Baum ein. Er bedauerte, daß er kein Thermometer bei sich hatte, mit dem er den Entflammungspunkt der Gewächse hätte feststellen können. Zu gern hätte er gewußt, ob der Sauerstoff allein an dieser heftigen Reaktion schuld sein konnte oder ob der in der Atmosphäre so reichlich vorkommende Stickstoff vielleicht auch eine Rolle spielte. Schließlich war er mit seiner Titan-Probe eine Verbindung eingegangen. Er sah keine Möglichkeit, Proben der Verbrennungsgase zu bekommen, aber vielleicht würde man aus dem festen Rückstand etwas entnehmen können. Ken landete nun mitten im Feuer, holte das Torpedo neben sich herunter, öffnete die Ladeluke und warf ein Paar Stückchen verkohlten Holzes hinein. Dann ging er ein Stück bergab, fand graue Asche und fügte sie seiner Sammlung zu. Für den Moment war er befriedigt und erhob sich in die Luft. Dabei fragte er sich, wie viel Zeit ihm noch blieb. Die in den Flammen verbrachte Zeit verlängerte nämlich die wenigen Stunden, die er unten auf der Eiswelt bleiben konnte. Während der im Feuer verbrachten Minuten hatte er gehört, wie die Thermostaten Teile der Heizanlage seines Panzers abschalteten. Die äußeren Schichten mußten sich ordentlich erwärmt haben.

Er wollte nun versuchen festzustellen, wie lange das Feuer noch brauchen würde, bis es ausbrannte. Ken bewegte sich in einem bestimmten Abstand vor der Feuerfront her und fing an, an verschiedenen Stellen das Fortschreiten des Brandes abzustoppen. Das erwies sich als trügerisch, da die Geschwindigkeit sehr unterschiedlich war, was ihm jeder Förster hätte sagen können. Die Geschwindigkeit hing hauptsächlich vom vorhandenen Brennstoff und von der Bodenbeschaffenheit ab, die ihrerseits die das Feuer nährenden Luftströmungen beeinflußte. Und von diesen Punkten hatte Ken nicht die leiseste Ahnung. Er gab den Versuch auf, ließ sich ein Stück weiter tragen und versuchte nun einen Blick auf die Tiere zu erhaschen, die noch immer vor der schrecklichsten Bedrohung flüchteten, die ihr kleines Leben je getroffen hatte.

An dieser Stelle ertönte im Torpedo-Mikro ein Knistern, das sich vom Knistern des Feuers unterschied. Daneben war lautes Atmen zu hören, das Ken an die Geräusche erinnerte, die er nach seiner ersten Begegnung mit Roger gehört hatte. Da ihm einfiel, daß er zwei der Eingeborenen seit Ausbruch des Brandes nicht mehr gesehen hatte, wurde Ken nervös. Eine zweiminütige Suche zeigte, daß seine Besorgnis nur zu begründet war. Roger und Edith Wing, die von Rauch und Erschöpfung nach Luft schnappten und keuchten, kämpften sich blindlings durchs Gebüsch. Der Junge hatte ursprünglich die Absicht gehabt, sich quer zur Richtung des Feuers durchzuschlagen und ihm auszuweichen, unter den gegebenen Umständen das vernünftigste Vorgehen. Es waren aber mehrere Dinge zusammengekommen, die dieses Vorgehen erschwerten. Als der Rauch so dicht geworden war, daß sie kaum mehr etwas sehen konnten, waren sie in eine flache Senke getappt. Die Hangneigung zur Orientierung benutzend, hatten sie diese Senke ein paarmal umrundet, ehe sie merkten, was da passierte. Inzwischen waren die Flammen schon auf Sichtweite heran. Es blieb ihnen nichts übrig, als einfach vor ihnen davonzulaufen. Jetzt war nicht mehr auszumachen, wie breit diese Flammenfront war. Im Abstand von einigen Metern entlang der Flammen davonzulaufen, wäre der Gipfel des Wahnsinns gewesen. Die Kinder hatten versucht, sich bis zu der einen Flanke durchzuarbeiten, während sie immer einen gewissen Abstand vor den näherkommenden Flammen hielten, doch sie näherten sich rasch einem Zustand der Erschöpfung, bei dem allein dieses Abstandhalten ihren jungen Körpern alles abverlangte. Sie waren fast blind, die Tränen liefen ihnen über rußgeschwärzte Gesichter. Bei Edith war nicht allein der Rauch die Ursache der Tränen, sie weinte ungehemmt vor Müdigkeit und Angst, während der Junge sich mit aller Gewalt beherrschte.

Alles das war Ken nicht bewußt, weil ihm auch das unverzerrte menschliche Antlitz zu ungewohnt war. Dennoch war sein Mitgefühl erwacht. Wäre diese Situation nach seinem ersten Zusammentreffen mit den Eingeborenen eingetreten, so hätte er sich möglicherweise wie ein unbeteiligter Beobachter verhalten, nur um zu sehen, was die Wesen in einer Extremsituation tun würden und tun konnten. So aber, nach seinem Gespräch mit Mr. Wing und den Beweisen für Kultur und wissenschaftliches Denken, die dieser geliefert hatte, hatte der Sarrianer ein Gefühl geistiger Verwandtschaft mit den Wesen entwickelt. Es waren Menschen, keine Tiere. Zudem waren sie in diese mißliche Lage geraten, während sie für ihn tätig gewesen waren. Er wußte, daß diese beiden für ihn Proben gesammelt hatten. So zögerte er keinen Augenblick, nachdem er sie entdeckt hatte.

Er steuerte die dahinstolpernden Kinder an. Dabei benutzte er eines seiner wenigen Wörter. »Tragen!« dröhnte der Torpedolautsprecher immer wieder. Knapp vor den erschrockenen Kindern blieb er stehen, ein Stück oberhalb der Vegetation, um jeden Kontakt mit ihr zu vermeiden. Edith wollte auf ihn zu, während Roger seine Geistesgegenwart behielt.

»Nein, Edie! Du würdest auch verbrennen. Wir müssen uns von dem Ding tragen lassen, an dem er hängt, falls wir es schaffen raufzukommen.«

Ken hatte gemerkt, was die beiden wollten. Er hantierte an seinem Steueraggregat, um das Torpedoheck in ihre Reichweite zu manövrieren, während er selbst in sicherer Höhe über den Sträuchern blieb. Es hätte ihm zwar nichts ausgemacht, sie in Brand zu setzen, da sie ohnehin verdammt waren, in wenigen Minuten zu verbrennen, doch sah es ganz so aus, als hätten die zwei jungen Eingeborenen schon genug Schwierigkeiten. Da wollte er sie nicht durch zusätzliche Brandherde in ihrer Nähe erschrecken.

Das Problem war ziemlich verzwickt, da seine gepanzerten Füße knapp zwei Meter unter dem Torpedorumpf hingen, und das Gefährt automatische Einrichtungen hatte, die es in horizontaler Lage hielten, während es in einem Schwerkraftfeld schwebte. Zum Glück konnte es aber um jede beliebige Achse gedreht werden. Schwierig war dabei nur, daß Ken bisher keine Gelegenheit dazu hatte, dies auszuprobieren. Er brauchte eine Weile, bis er die dazu nötige Steuerkombination gefunden hatte. Diese Zeitspanne kam sogar ihm wie eine Stunde vor, da er sich der Rettung mit ganzem Herzen verschrieben hatte und fast so viel Angst hatte wie die Kinder selbst. Schließlich aber hing das hintere Ende des Torpedos im richtigen Abstand über der Erde.

Die Kinder unternahmen sofort verzweifelte Versuche, an Bord zu klettern. Es glückte ihnen nicht. Der Rumpf war zu glatt, die Krümmung nicht so stark, daß man sich richtig daran hätte festhalten können und zu all dem kam noch ihre Erschöpfung.

Roger formte nun mit beiden Händen einen Bügel für seine Schwester und schaffte es tatsächlich, sie ein Stück über den glatten Rumpf zu heben. Nach einem Augenblick vergeblichen und verzweifelten Anklammerns rutschte sie zurück und sank schluchzend auf dem Boden zusammen. Roger war ratlos. Er rang nach Atem, als ein heißer, rauchiger Windstoß ihn ins Gesicht traf. In Sekunden würden die Flammen sie eingeholt haben. Er starrte neiderfüllt zu dem hilflos am anderen Ende des Torpedos hängenden Wesen hoch, für das der Feuerhauch wahrscheinlich eine kühle Brise darstellte. Da fiel sein Blick auf die Halterungen, in denen die Probenbehälter gehangen hatten.

Sogar diese erschienen ihm in diesem Augenblick nutzlos. Er bezweifelte, ob man sich an diesen kleinen Metallstücken auch nur kurz mit den Händen festhalten konnte. Seiner Schwester traute er es schon gar nicht zu. Da kam ihm eine Idee. Die Halterungen waren hakenartige Vorrichtungen, die zuschnappten wie eine Broschenschließe. In geschlossener Stellung waren sie ringförmig. Roger klappte den nächstliegenden zu, riß sich mit einem energischen Ruck den Gürtel vom Leib, zog ihn durch den Ring und hakte den Gürtel zu. Er scheuchte Edie auf, die sich ein wenig gefaßt hatte, weil sie sah, was er machte, und Roger machte dasselbe mit ihrem Gürtel, den er durch einen zweiten Ring zog. Gottlob trug auch sie Jeans wie alle Kinder hier im Wald. Dann half er ihr hinauf. Sie hielt sich an der einen Lederschlinge fest und steckte beide Beine durch die andere. Das Festhalten erforderte trotz allem noch ziemliche Mühe, doch trug die Beinschlinge den Hauptteil ihres Gewichtes. Befriedigt winkte er dem Sarrianer, er solle abheben.

Ken kapierte sofort. Seine Bewunderung für die menschliche Rasse war um ein bis zwei Grad gestiegen. Bedenken oder gar Worte des Zweifels waren überflüssig. Er wußte genau, daß der Junge die einzig mögliche Methode gefunden hatte, sich und seine Schwester befördern zu lassen. Auch wenn Ken die Sprache gut beherrscht hätte, wäre ein Einwand Zeitverschwendung gewesen. Er ging sofort höher, das halb benommene Mädchen mit sich schleppend.

Als erstes trachtete er, aus dem Rauch herauszukommen, damit sein Fahrgast wieder frei atmen konnte. Dann versuchte er sich seine Umgebung einzuprägen, um die Stelle später wiederzufinden. Roger kämpfte sich wieder hangaufwärts, wie er durch den Rauch hindurch erkennen konnte. Ohne ihn weiter zu beobachten, steuerte Ken das Torpedo bergab auf das Haus zu. Mrs. Wing sah sie schon kommen. In einer dreiviertel Minute war Ken auf dem Rückweg, um den zweiten Passagier zu holen.

Trotz der kurzen Zeit, die vergangen war, und seiner sorgfältigen Orientierung, merkte er weiter oben sofort daß es nicht einfach sein würde, den zweiten Eingeborenen zu finden. Seinen ursprünglichen Aussichtspunkt hatte er sofort wieder gefunden. Ohne Instrumente und wegen der wechselhaften Luftströmungen konnte er jedoch nicht feststellen, ob er bis zu diesem Punkt vertikal hochgestiegen war oder ob er von diesem Punkt vertikal niedergehen würde. Natürlich hatte er Roger erst gesehen, nachdem er diesen Punkt erreicht hatte, doch war der Junge da schon in Bewegung gewesen. Ken hätte auch das Hochgehen stoppen und vertikal fallen können. Doch war dieses Vorgehen nicht empfehlenswert. Das Torpedo war ein schweres Ding. Er wollte nicht, daß es ihm auf seinen Panzer knallte, unter der Schwerkraft dieses Planeten erst recht nicht. Er ging nun so schnell zu Boden, als es sich mit der Sicherheit noch vereinbaren ließ, und suchte das Gebiet systematisch ab.

An die Stelle, wo er landete, war das Feuer noch nicht vorgedrungen. Die Sträucher fingen eben erst zu glimmen an. Eine Spur, die von dem Jungen hätte stammen können, war nicht zu sehen, zumindest keine, die Ken erkennen konnte. Zur Sicherheit ließ er sich bergab ganz an den Rand des Brandgebietes tragen und suchte ihn nach beiden Seiten etwa vierzig Meter weit ab, eine beträchtliche Entfernung bei einer Sichtweite von höchstens vier Meter. Dann ließ er sich langsam bergauf befördern.

Roger war weiter vorangekommen, als man es ihm in Anbetracht seines Zustandes zugetraut hätte. Es vergingen zehn Minuten, ehe Ken ihn fand. Roger kämpfte sich noch immer weiter, ohne nennenswert voranzukommen. Doch hatte er dem Feuer gegenüber beträchtlich Abstand gewonnen, wie der Sarrianer sah.

Er ließ seinen dröhnenden Ruf nach unten ertönen und senkte das Torpedoheck. Roger streckte mit letzter Kraft die Beine in die eine Schlinge und hielt sich mit den Händen an der anderen fest. Sein Gesicht war in unmittelbarer Nähe des Torpedorumpfs, der sich während des Fluges durch die Flammenfront ziemlich aufgeheizt hatte. Roger war sich der Blasen an Händen und im Gesicht kaum bewußt, da ihm alles lieber war, als dort unten den Flammen davonzulaufen. Kaum hatte Ken sich vergewissert, daß der Junge sich gut festhielt, schoß er hoch in reine Luft und trug seine zweite Ladung zum Haus. Als sie ankamen, hielt er sich noch immer fest, doch war es kein bewußtes Verhalten. Seine Mutter mußte seinen verkrampften Griff mit aller Gewalt lösen.

Ken wußte, daß es hier beim Haus für ihn nichts zu tun gab. Er überließ es dem vermutlich sehr kompetenten Erwachsenen, sich um das gerettete Kind zu kümmern, und ließ sich von seinem Torpedo bis über die Baumwipfel tragen, weil er sehen wollte, wie weit es die anderen beim Löschen gebracht hatten.

Die Lage hatte sich seiner Ansicht nach entspannt. Der untere Teil des Hanges war bereits abgebrannt. Nur am oberen Rand war das Feuer noch aktiv. Die Männer waren unermüdlich an der Arbeit. Sie besprühten die Ränder, indem sie sich hangaufwärts bewegten. Das Feuer hatte sie längst überholt, doch hatte es sich in ein Gebiet ausgedehnt, wo es nur mehr Felsen und nichts Brennbares mehr gab. Ehe es aber ganz erloschen war, würden noch Stunden vergehen.

Den Wings war klar, daß der Brand noch tagelang eine Gefahrenquelle darstellte, wenn der Wind sich drehte. Sie ließen in ihren Bemühungen keine Sekunde lang nach und gaben erst auf, als Erschöpfung sie dazu zwang.

Ken landete zweimal auf einer abgebrannten Stelle neben Mr. Wing und zeichnete ihm eine grobe Lageskizze auf den Boden. Einmal suchte er selbst auf dem Boden zwischen Bäumen Schutz, als eine steifflüglige, dreimotorige Metallmaschine über ihn hinwegdröhnte. Und er versteckte sich noch einmal, als eine Gruppe von Männern mit Wasserpumpen und anderen Feuerlöschgeräten auf dem Weg von Clark Fork auftauchten, um den Wings zu Hilfe zu eilen.

Ken hielt sich nun in der Nähe des Hauses auf. Er wollte vermeiden, von diesen neuen Eingeborenen gesehen zu werden. Er befürchtete, seine Fortschritte in der Sprache würden sich verzögern. Damit mochte er recht haben.

Kurz nach Eintreffen der neuen Gruppe kamen Mr. Wing und Don zum Umfallen müde nach Hause. Sie waren zerkratzt, rußverschmiert und versengt. Sogar Ken merkte den Unterschied zu ihrem normalen Aussehen. Nicht mal Roger und Edie hatten so schlimm ausgesehen.

Erst jetzt erfuhr Mr. Wing, daß die beiden aus großer Gefahr gerettet worden waren, denn Ken hatte ihm bislang nichts davon gesagt. Es wäre ihm auch zu schwergefallen, Mr. Wing mit seinen begrenzten Sprachkenntnissen die Vorgänge zu erklären.

Nachdem Mr. Wing die Geschichte erfahren hatte, sah er sich ähnlichen Schwierigkeiten gegenüber. Ken hatte bereits vermutet, daß diese Wesen untereinander starke Zuneigung entwickelt hatten. Jetzt war er seiner Sache sicher. Mr. Wing fand zwar nicht die richtigen Worte, war aber doch imstande, das Ausmaß seiner Dankbarkeit deutlich zu machen.

Загрузка...