X

Ken beeilte sich mit dem Anlegen des Raumanzugs und ging mit den anderen von Bord. Kaum war er im Inneren der Station und hatte den schweren Anzug wieder ausgezogen, eilte er zum Kontrollraum, um nachzusehen, in welcher Entfernung sich der Testanzug befand. Befriedigt von der angezeigten Entfernung lief er zum Observatorium, um das Gespräch mit Laj Drai fortzusetzen. Unterwegs traf er niemanden. Lee war an Bord geblieben, Feth war irgendwohin verschwunden, kaum daß sich die Schleuse hinter ihnen geschlossen hatte, und das übrige Personal ließ sich ohnehin nicht viel blicken. Diesmal kümmerte es Ken nicht, ob man ihn sehen konnte, da er ein über jeden Verdacht erhabenes Gespräch führen wollte.

Während er noch überlegte, wie er seine Argumente am geschicktesten vorbringen konnte, mußte er entdecken, daß die Tür zum Observatorium verschlossen war.

Dies war das erste Mal seit seiner Ankunft, daß er auf der Station auf eine versperrte Tür stieß. Seine Gedanken gerieten in Bewegung. Er war nun sicher, daß das Handelstorpedo während der Abwesenheit der Karella eingetroffen war und daß sich irgendwo auf der Station eine Ladung Tafak befand. Falls dies die einzige versperrte Tür war… und schließlich war es der Raum, den Laj Drai als sein Büro benutzte…

Ken drückte sich an die Tür und versuchte anhand der Geräusche festzustellen, ob sich jemand im Raum befand. Er war seiner Sache nicht sicher. Und auch wenn niemand drin war, was hätte er schon tun können? Ein Berufsdetektiv hätte die Tür vermutlich in Sekundenschnelle öffnen können. Ken war kein Berufsdetektiv. Und die Tür war abgeschlossen, das stand fest. Es blieb ihm nichts übrig, als Drai anderswo zu suchen.

Er war bereits ein Stück die Rampe hinunter und von der Observatoriumstür aus nicht mehr zu sehen, als er hörte, wie diese geöffnet wurde. Blitzartig drehte er sich um und ging in die Gegenrichtung, als stünde er erst im Begriff zu kommen. An der Biegung angekommen, die die Tür seiner Sicht entzog, hörte er, wie sie wieder geschlossen wurde. Und gleich darauf stand er Feth gegenüber. Zum erstenmal seit Ken ihn kannte, wirkte er ruhelos und schien sich in seiner Haut nicht wohl zu fühlen. Er wich Kens Blick aus und schlang eine Tentakelspitze fester um einen kleinen Gegenstand, damit Ken nicht sehen konnte, was er da bei sich hatte. Mit einem gemurmelten Gruß drückte er sich vorbei und verschwand mit bemerkenswerter Eile um die Rampenbiegung, ohne auf Kens Frage einzugehen, ob Drai da wäre.

Ken starrte ihm noch nach, als er schon verschwunden war.

Sehr gesprächig war Feth ja nie gewesen, aber immerhin war er freundlich und zuvorkommend. Jetzt hatte es ausgesehen, als wäre er verärgert über Kens Anwesenheit.

Aufseufzend fing der Detektiv auf Zeit an, die Rampe hochzugehen. Anklopfen konnte nicht schaden. Das erste Mal hatte er bloß deswegen nicht angeklopft, weil er unbewußt gehofft hatte, Drai würde nicht da sein und er könnte sich ungestört umsehen. Sein gesunder Menschenverstand sagte ihm jetzt, daß es sehr unklug wäre, sich umzusehen, deshalb klopfte er an.

Als die Tür aufging, war er froh, daß er keine amateurhaften Versuche unternommen hatte, die Tür zu öffnen. Drai war da und erwartete ihn. Seine Miene war ausdruckslos. Was immer Feth verärgert haben mochte, schien ihm nichts auszumachen, oder aber er war der bessere Schauspieler. Ken, der Feth zu kennen glaubte, neigte der ersten Version zu.

»Sie haben mich von der Brauchbarkeit sarrianischer Erde nicht überzeugt«, eröffnete Drai das Gespräch. »Ich gebe Ihnen recht, daß die meisten vorhandenen Substanzen auch bei der auf Planet Drei herrschenden Temperatur vorhanden sein könnten, aber ich bin nicht sicher, ob es auch umgekehrt möglich ist. Wäre es nicht möglich, daß auf Planet Drei Substanzen vorhanden sind, die dort fest oder flüssig sind und unter unserer Temperatur gasförmig werden, und daher in der Erde, die wir von Sarr einführen, gar nicht vorhanden sind?«

»Daran dachte ich gar nicht«, gestand Ken. »Die Tatsache, daß ich mir solche Substanzen nicht vorstellen kann, bedeutet ja nicht, daß es sie nicht gibt. Ich kann ja mal im Handbuch nachsehen, ob es anorganische Verbindungen gibt, die so reagieren, aber das Buch hat vielleicht nicht alle erfaßt, und falls das Leben auf Planet Drei analog zu unserem ist, gibt es wahrscheinlich mehrere Millionen organischer Verbindungen – und für die haben wir keine Tabellen. Nein, verdammt, ich glaube, Sie haben recht. Wir werden das Zeug von Planet Drei holen müssen.«

Ken verfiel in Schweigen, aus dem Drai ihn riß.

»Glauben Sie wirklich, Sie können auf der Oberfläche von Planet Drei landen?«

»Ich wüßte nicht, warum das nicht gehen sollte. Es sind schon auf ärgeren Planeten Landungen gemacht worden. Feth, der das Problem von der praktischen Seite kennt, ist pessimistisch. Wenn erst der Anzug zurück ist, können wir konkretere Pläne machen. Es wird ohnehin nicht mehr lange dauern. Nach Anzeige der Instrumente ist das Torpedo vor zwei Stunden gestartet.«

»Dann sind es noch drei Tage, ehe Sie etwas Sicheres wissen. Es muß doch etwas anderes – halt! Sie behaupten, das Vorhandensein einer leitfähigen Atmosphäre verursacht den großen Wärmeverlust auf Planet Drei?«

»Ja, sicher. Sie wissen so gut wie ich, daß man in einem normalen Raumanzug Lichtjahre von der nächsten Sonne entfernt hinaus in den freien Raum kann. Der Strahlungsverlust ist leicht auszugleichen. Warum?«

»Ach, ich dachte nur – es gibt doch noch andere Planeten in diesem System. Wenn wir einen finden, der keine Atmosphäre hat, aber ungefähr dieselbe Temperatur wie Drei, dann könnten wir uns von dort die Erde holen.«

»Gute Idee.« Ken zeigte sich begeistert. »Wenn er bloß kalt genug ist, was aber in diesem System häufig der Fall ist. Und Planet Drei hat einen Satelliten, Sie haben ihn mir gezeigt. Mit der Karella könnten wir im Handumdrehen da sein, und wir könnten den Testanzug draußen im Raum in Empfang nehmen. Lassen Sie Feth kommen, wir starten!«

»Leider wird Feth eine Weile nicht greifbar sein«, erwiderte Drai. »Außerdem war ich schon auf dem Satelliten.« Er schnitt eine Grimasse. »Er ist mit Bimssteinstaub bedeckt. Er könnte direkt von der Polarwüste auf Sarr stammen. Bevor wir starten, sollten wir uns lieber andere Möglichkeiten überlegen. Leider wissen wir von den anderen Planeten dieses Systems so gut wie gar nichts. Wir kennen nur ihre Bewegungen. Schließlich wollten wir ihnen ausweichen und sie nicht besuchen. Ich glaube mich aber zu erinnern, daß Fünf und Sechs Atmosphären haben. Damit kommen sie für uns nicht in Frage. Vielleicht möchten Sie sehen, wie Vier sich eben jetzt präsentiert, ja? Ich nehme an, daß Sie Ephemeriden lesen können?«

Ken sollte später feststellen, daß Höflichkeit tatsächlich eine überflüssige Charaktereigenschaft darstellte. Hätte es die Höflichkeit nicht geboten, so hätte er sich nicht die Mühe einer Antwort auf diese Frage gemacht, und seine Aufmerksamkeit hätte sich nicht auf die Antwort konzentriert. Er hätte auch nie den groben Fehler begangen und wäre zu dem Schrank gegangen, in dem die fragliche Tabelle lag. Erst als er das Papier anfaßte, wurde ihm klar, was er da tat. Mit großer Willensanstrengung beendete er seine Versicherung, daß er eine Ephemeris, die Tabelle der Himmelkörperbewegungen, lesen könne, und griff nach den Aufzeichnungen. Als er sich zu seinem Chef umdrehte, hatte er das Gefühl, eine Vakuumpumpe hätte in seinem Magen zu arbeiten begonnen.

Dieser stand noch am selben Fleck, und seine Miene war ebenso undeutbar.

»Leider habe ich unserem Freund Feth Unrecht getan«, bemerkte er gleichmütig. »Ich fragte mich, wie Sie zu der Behauptung gekommen waren, eine Rundreise von Sarr nach hier und zurück würde bloß eine Woche dauern. Mir ist klar, daß Sie diese Entdeckung zufällig machten und daß Ihnen nichts ferner liegt als vulgäres Spionieren. Bleibt trotzdem das Problem, was man jetzt mit Ihrem unglückseligen Wissen anfangen soll. Das wird mich noch viel Gedankenarbeit kosten. In der Zwischenzeit wollen wir uns aber mit Planet Vier beschäftigen. Befindet er sich momentan in einer für eine Landung günstigen Stellung und könnten wir das Torpedo mit dem Testanzug abfangen, ohne zu weit vom Kurs abzuweichen?«

Ken war verblüfft und brachte momentan kein Wort heraus, Drais gelassene Unverfrorenheit war das Allerletzte, was er unter den gegebenen Umständen vermutet hätte. Er konnte nicht glauben, daß er wirklich so gleichgültig war.

Nein, zwischen diesen ruhig blickenden Augen brütete etwas Bedrohliches, ohne daß man es ihm vom Gesicht hätte ablesen können. Ken versuchte nun so gut es ging, sich der Haltung seines Chefs anzupassen. Mit Mühe richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Ephemeriden, die er in der Hand hielt, fand die entsprechenden Begriffe und stellte ein paar Kopfrechnungen an.

»Die Planeten stehen von hier aus gesehen im rechten Winkel«, sagte er schließlich. »Wir befinden uns, wie Sie wissen, zwischen der Sonne und Drei. Vier liegt in der entgegengesetzten Richtung, von uns etwa doppelt so weit entfernt. Das ist aber für die Karella eine Kleinigkeit.«

»Richtig. Na schön, wir starten in einer Stunde. Schaffen Sie vorher die Ausrüstung an Bord, die Sie brauchen werden. Nehmen Sie vor allem einen Spezialraumanzug mit, auch wenn Vier keine Atmosphäre hat. Und dann müssen Sie mir sagen, wen Sie mitnehmen wollen.«

»Was ist mit Feth?« Ken hatte so eine Ahnung, daß Feth in Ungnade gefallen war, weil er das Geheimnis des Standorts verraten hatte.

»Der wird eine Zeitlang nicht greifbar sein. Er hat zu tun. Aber ich teile Ihnen einen Mann zu… Sie können sich aus der Werkstatt an Bestandteilen mitnehmen, was Sie wollen. Ich schicke ihn her. Also, in einer Stunde.« Laj Drai wandte sich um, ein Anzeichen dafür, daß er die Unterredung für beendet ansah.

Der Mann, den er schickte, war einer, den Ken schon gesehen hatte, mit dem er aber noch kein Wort gewechselt hatte. Der Bursche war fast ebenso wortkarg wie Feth, und Ken sollte nie seinen Namen erfahren. Er tat, was von ihm verlangt wurde, und schaffte das nötige Material zur Karella. Nachher verschwand er. Der Start fand planmäßig statt.

Ordon Lee, der offenbar seine Anweisungen bekommen hatte, schickte das Schiff so schnell um den Planeten, daß die benötigte Beschleunigung jene von der Schwerkraft des Planeten erzeugte überstieg. Die Insassen des Schiffs glaubten, den Planeten über sich zu haben. Während die Sonne hinter ihnen tief am Horizont stand und vor ihnen schimmernd die Erde hochstieg, brach er aus der Fliehkraftbeschleunigung aus und entfernte sich mit großer Geschwindigkeit vom Planeten. Dank der gewaltigen Antriebskraft der Maschinen schwoll das Erde-Mond-System in wenigen Minuten zu einem Paar deutlich sichtbarer Scheiben an. Lee manövrierte mit großem Geschick, als er das Schiff relativ zum Planeten zum Stillstand brachte, über eine halbe Million Kilometer in Richtung Sonne. Drai winkte Ken an ein Instrumentenbrett heran, das wie jene im Kontrollraum aussah.

»Es ist auf Ihr Torpedo eingestellt. Der Schirm hier rechts ist eine Radar-Einheit. Damit können Sie das Torpedo aufspüren.

Dort oben ist ein Kompaß, und dieser Schalter entlockt dem Torpedo ein Zielflugsignal.«

Ken ließ sich wortlos vor den Instrumenten nieder. In kürzester Zeit hatte er sie alle im Griff. Der Kompaß gab zunächst nur ungefähre Werte an, da die Entfernung noch zu groß war. Lee verringerte die Entfernung immer mehr, und in einer Viertelstunde befand sich das noch immer unsichtbare Torpedo nurmehr zwanzig Kilometer weit entfernt. Von diesem Punkt an war das Steuern ein Kinderspiel. Schließlich ging er mit Drai aus dem Kontrollraum und begab sich in den Frachtraum der Karella, wo das Torpedo sich bereits erwärmte.

Diesmal war es der außen angeklammerte Anzug, der ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Er war eine Stunde lang auf dem Grund der Atmosphäre gewesen. Es war eine Zeitspanne, die ausreichen mußte, um etwaige ernste Fehlerquellen aufzuzeigen. Es war ziemlich entmutigend festzustellen, daß die Luft auf dem Anzug ebenso kondensierte wie auf dem Torpedorumpf. Hätten die Heizaggregate ordentlich funktioniert, dann hätte während der wenigen Stunden im freien Raum zwischen inneren und äußeren Schichten des Materials ein Ausgleich stattfinden müssen. Genauer gesagt, da ein Ausgleich zweifellos stattgefunden hatte, war er bei zu geringer Temperatur erfolgt.

Die flüssige Luft hörte jedoch am Anzug viel eher zu tropfen auf, und Ken schöpfte wieder Hoffnung, als er schließlich das Stück aus der Halterung lösen und näher untersuchen konnte.

Die Außenfläche des Metalls hatte eine Farbveränderung durchgemacht. Dies war die erste und auffallendste Tatsache. Statt des Silberschimmers polierten Stahls waren bestimmte Stellen, vor allem die äußersten Enden der armähnlichen Greifextremitäten und die Innenseite der Beine, bläulich verfärbt. Ken war geneigt, die Färbung als Korrosionsschicht, vom Sauerstoff verursacht, anzusehen, konnte sich jedoch die ungleichmäßige Verteilung nicht erklären. Beklommen öffnete er den Rumpfteil des schweren Anzugs und faßte hinein.

Kalt. Viel zu kalt zum Wohlfühlen. Die Heizschlangen hätten dieser Kälte entgegenwirken können, doch hatten sie nicht funktioniert. Auf dem Recorder war ein Stück Band mit der Aufzeichnung, die automatisch in Gang gesetzt worden war, und zwar durch eine Schaltung, die vom Druckanzeiger im Torpedo durch einen der Funkkontakte im Anzug hergestellt wurde, sobald der Atmosphärendruck nachweisbar war. Dieses Band erzählte eine deutliche Geschichte. Temperatur und Druck waren wenige Minuten stabil gewesen. Bei der Landung auf der Planetenoberfläche oder kurz danach waren beide Werte sprunghaft abgefallen, besser gesagt sehr sprunghaft. Die Temperatur war einen Augenblick lang sogar über den Normalwert hinausgegangen. Der Recorder war zum Stillstand gekommen, als der Gefrierpunkt des Schwefels erreicht war, vermutlich durch das Festwerden der Luft um die beweglichen Teile. Er hatte seine Arbeit nicht wieder aufgenommen. Der Planet war schlicht und einfach eine Wärmefalle.

Anzeichen dafür, daß der Anzug irgendwo ein Leck hatte, durch das Gas eingeströmt war, gab es nicht, doch vermutete Ken, daß es irgendwo eines geben mußte. Die Blaufärbung an gewissen Stellen mochte von Flammeneinwirkung stammen – von flammendem Sauerstoff, der sich an Lecks im Anzug entzündete, aus denen Schwefel unter hohem Druck austrat. Schwefel und Sauerstoff sind leicht brennbar, wie Ken wußte, und gehen miteinander eine Verbindung ein. Er durfte nicht vergessen, die Entstehungswärmewerte aller Sulfide des Sauerstoffs nachzuschlagen.

Schließlich wandte er dem Debakel den Rücken.

»Feth soll sich die Sache ansehen, wenn wir zurück sind«, erklärte er. »Er wird vielleicht einleuchtendere Gründe dafür finden, wie und warum die Isolierung ausfiel. Wir können gleich weiter zu Planet Vier, nachsehen, ob dort etwas vorkommt, das man als Pflanzerde nehmen könnte.«

»Wir müssen ihn schon eine ganze Weile umkreisen«, gab Drai zurück. »Lee hatte Auftrag, Planet Vier anzufliegen, sobald Ihr Anzug an Bord war. Er hatte ebenso Auftrag, mit der Landung zu warten, bis ich wieder im Kontrollraum war.«

Die beiden glitten weiter, indem sie ihre gewichtslosen Körper an den eigens dafür angebrachten Wandgriffen weiterhangelten. In Sekundenschnelle waren sie durch die Kontrollraumtür – Ken hatte sich gut an die neue Schwerkraft, notfalls sogar an eine gar nicht vorhandene, gewöhnt.

Drais Vermutung erwies sich als richtig. Der Antrieb war auf Null, und der Mars hing vor den Fenstern. Für sarrianische Augen war er noch matter erhellt als die Erde. Und es war deutlich sichtbar, daß er eine Atmosphäre hatte. In diesem Fall aber war die atmosphärische Hülle viel dünner. Sie waren schon zu nahe dran, um die sogenannten Kanäle ausmachen zu können, die sich bei Einsatz geeigneter Beobachtungsmittel als Flußtäler entpuppen, aber sogar Flüsse waren für die Sarrianer etwas Neues. Sie waren auch schon zu nahe, um die Polkappen zu sehen. Erst als die Karella südwärts trieb, kam ein ausgedehntes weißes Gebiet in Sicht. Die Polkappe war nicht annähernd so groß wie zwei Monate zuvor, stellte aber auch in ihrer gegenwärtigen Größe für die staunenden Beobachter ein unbekanntes Phänomen dar.

Genauer gesagt ein fast unbekanntes Phänomen. Ken umfaßte mit einem Tentakel jenen Drais.

»Auf Planet Drei war ein ähnlicher weißer Fleck! Ich erinnere mich ganz genau! Also besteht doch irgendeine Ähnlichkeit.«

»Zwei weiße Flecken«, erwiderte Drai. »Möchten Sie dort Bodenproben entnehmen? Wir wissen ja nicht, ob das die Stellen sind, wo auf Planet Drei Tafak wächst.«

»Ich glaube nicht, daß dies die Stellen sind. Aber ich möchte trotzdem wissen, wie das Zeug aussieht. Wir können am Rand des weißen Gebietes niedergehen und Proben von allem mitnehmen, was wir finden. Lee?«

Der Pilot hatte seine Zweifel, zeigte sich dann aber doch einverstanden und drang vorsichtig in die Atmosphäre ein. Eine Landung wollte er erst wagen, wenn er festgestellt hatte, wie schnell die Luft dem Schiffsrumpf Wärme entzöge. Weder Drai noch Ken widersetzten sich dieser Forderung, und plötzlich nahmen die weißen, braunen und grünlichen Flächen unter ihnen das Aussehen von Landschaften an anstatt von einer bemalten, vor dunklem Hintergrund hängenden Scheibe.

Die Atmosphäre sollte sich sozusagen als Täuschung erweisen. Als das Schiff knapp dreißig Meter über der Oberfläche schwebte, zeigten die Druckmesser keine Neigung, sehr weit über Null hinauszugehen. Der Druck betrug ein Fünfzigstel Sarr normal. Ken gab dem Piloten diesen Wert an, Ordon Lee aber weigerte sich zu landen, ehe er nicht volle fünfzehn Minuten seine Pyrometer beobachtet hatte. Nachdem er festgestellt hatte, daß der Wärmeverlust nur so groß war, daß er ausgeglichen werden konnte, ging er auf einem mit dunklem Sand bedeckten Fleck nieder. Er hörte mit gemischten Gefühlen, wie der Rumpf sich ächzend dem veränderten Ladegewicht und dem begrenzten Wärmeverlust anpaßte. Befriedigt wandte er sich Ken zu.

»Also, wenn Sie eine Besichtigungstour machen wollen, dann los. Ich glaube nicht, daß Ihr Anzug mehr leiden wird als das Schiff. Am ehesten werden Sie mit den Füßen Ärger bekommen. Der Wärmeverlust durch die Luft ist nicht der Rede wert. Aber wenn Sie kalte Füße kriegen sollten, verlieren Sie bloß keine Zeit – dann nichts wie rein.«

Ken warf Drai einen boshaften Blick zu. »Zu schade, daß wir nicht zwei Raumanzüge dabei haben. Sicher wären Sie gern mitgekommen.«

»Nie im Leben!« stieß Drai hervor. Da lachte Ken lauthals los. Seltsamerweise war seine anfängliche Angst vor der fürchterlichen Kälte dieser Solar-Planeten wie weggeblasen. Im Gegenteil, er konnte es kaum erwarten, den Test zu machen. Mit der Hilfe Drais und Lees stieg er in den Anzug, den sie von Merkur mitgebracht hatten, verschloß ihn luftdicht und unterzog die verschiedenen Arbeitseinheiten einer Probe. Dann betrat er die Luftschleuse der Karella. Er behielt nun seine Instrumente genau im Auge, während die Schleuse leergepumpt wurde. Alles in Ordnung. Er betätigte den Schalter, der den Motor der Außentür steuerte.

Während er die Marslandschaft nun vor sich sah, war er in Gedanken bei der sonderbaren Verfärbung des Anzugs, der der Atmosphäre von Planet Drei ausgesetzt war. Er fragte sich, ob hier etwas Ähnliches passieren würde.

Seltsamerweise versuchte in einer Entfernung von über zweihundert Millionen Kilometer ein dreizehnjähriger Junge sich einen Reim auf ein Feuer zu machen, das an einem Abhang sechs Kilometer vom Haus entfernt ein von blankem Fels isoliertes Gebüsch verbrannt hatte.

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