Roger Wing beispielsweise hätten Kens Ansichten einen gelinden Schock eingejagt. Seine Sympathien gehörten eindeutig der Erde, zumindest jenem kleinen Teil, den er kannte. Zu Recht, denn die Gegend um den Lake Pend’ Oreille ist besonders im Frühling und Sommer von großem Reiz. Der See im Juni, das war ein Anblick, auf den man sich immer wieder freuen konnte. Den ganzen Weg von Lake Hayden herauf stritten sich die Kinder lautstark, wer wohl als erster das Ear Drop genannte Ende erspähen würde. Obwohl sie diesmal bloß zu viert waren, ging es so lärmend zu wie immer, denn Donald, der heute nicht dabei war, hatte zu dem Getöse ohnehin nie beigetragen. Roger, dank der Abwesenheit des Bruders der Älteste in der Runde, war entschlossen, die Gelegenheit nach besten Kräften zu nützen. Um so mehr, als sie nur noch fünfzig Kilometer zu fahren hatten. Don wollte mit einem Freund nach Sandpoint fliegen und dort mit der Familie zusammentreffen.
Alles in allem eine sehr fröhliche Gesellschaft. Die Eltern auf den Vordersitzen versuchten mit mäßigem Erfolg, für Ruhe zu sorgen. Zum Glück ist die von Cœur d’Alene aus nach Norden führende Straße in gutem Zustand, so daß das Getümmel hinten im Wagen nicht weiter gefährlich war. Als bei Cocolalla der rechte Hinterreifen seinen Geist aufgab, kam es zu der einzigen Unterbrechung von Bedeutung. John Wing brachte den überladenen Kombi mühsam zum Stehen, und Roger stieg der Schwefelgestank von versengtem Gummi in die Nase. Es sollte für ihn im Laufe des Sommers ein vertrauter Geruch werden.
Nach diesem Zwischenfall verhielten sich die Kinder eine Spur gesitteter. Sie sahen es ihrem Vater an, daß er mit seiner Geduld fast am Ende war. Aber ganz ruhig war es während der Fahrt nie. Die Dammstraße über die Spitze von Pend’ Oreille wurde mit Jubel begrüßt. Das Geschrei verebbte nur vorübergehend, während Mr. Wing in Sandpoint einen neuen Reifen erstand. Dann ging es weiter zu dem kleinen Flugplatz am Stadtrand, und das Geschrei schwoll erneut an, als die Kinder ihren ältesten Bruder auf dem Rasen neben einer Sportmaschine stehen sahen.
Er war groß und schlank. Die dunklen Haare und Augen und das schmale Gesicht hatte er von seinem Vater. Roger, der seit September um ein gutes Stück gewachsen war, stellte zu seinem Kummer fest, daß Donald ihn noch immer um einen halben Kopf überragte. Der Überschwang der Begrüßung wurde dadurch nicht beeinträchtigt. Don begrüßte seinen Vater und Roger mit einem Händedruck, küßte seine Mutter und seine Schwestern und hob den sechsjährigen Billy auf die Schulter. Nein, der Flug von Missoula her war ohne Zwischenfall verlaufen. Ja, die Abschlußnoten waren gut, wenn auch nicht absolute Spitze. Nein, er hatte außer seiner Reisetasche kein Gepäck dabei, die Gewichtsbeschränkungen bei Sportmaschinen waren sehr streng. Weitere Fragen wollte er unterwegs beantworten. Er warf Roger seine Tasche zu und ging mit Billy auf der Schulter zum Wagen. Nachdem die Kinderschar sich mehr oder weniger bequem hineingezwängt hatte, ging die Fahrt weiter. Von Sandpoint aus nach Norden. Die Abzweigung ostwärts nach Kootenay. Um das Nordende des fragezeichenförmigen Sees nach Hope und weiter nach Clark Fork. Dort wurde der Wagen in einem Mittelding aus Lagerhaus und Garage abgestellt.
Don und Roger verschwanden, um mit einer eindrucksvollen Herde von Pack- und Reitpferden wiederzukommen. Die Behendigkeit, mit der die Familie in den Sattel stieg, zeugte von großer Übung. Nach einem Abschiedswinken, das ihren Bekannten galt, die sich eingefunden hatten, ging es nordwärts in die Wälder.
Donald lächelte seinem Vater zu, als das Städtchen hinter ihnen zurückblieb.
»Na, was glaubst du, wieviel Campingurlauber es in diesem Jahr geben wird?«
»Schwer zu sagen. Wer uns kennt, der läßt uns ohnehin in Ruhe, und Fremde habe ich in der Stadt nicht gesehen. Leider tauchen Prospektoren meist dann auf, wenn man sie am wenigsten erwartet. Gegen ehrliche Goldsucher habe ich ja gar nichts. Die sind für uns die beste Tarnung. Sorgen machen mir vielmehr diejenigen, die von unserem ›Fund‹ mitnaschen wollen. Ihr Jungs werdet wie immer Pfadfinder spielen – obwohl ich Don diesmal bei mir haben möchte. Falls du deine Chemielektionen gut gelernt hast, mein Sohn, könntest du mir helfen, ein oder zwei Probleme zu lösen. Falls Don wirklich mit mir zusammen geht, Roger, dann trägst du eine größere Verantwortung als sonst.« Der Junge nickte. Seine Augen glänzten.
Ganz allmählich war ihm aufgegangen, wie unterschiedlich seine eigene Familie und die seiner Schulkameraden den Sommer verbrachten. Zunächst hatten die Erzählungen von Ferien auf Ranches, an Meeresstränden und im Gebirge seinen Neid geweckt. Dann hatte er angefangen, mit seinen eigenen Bergferien zu prahlen. Als ihm schließlich klar wurde, daß bestimmte Aspekte dieser Ferien in den Bergen von einer Aura der Geheimhaltung umgeben waren, war sein Stolz stärker gewesen als seine Zurückhaltung – bis ihm allerdings auch klargeworden war, daß seine Schulkollegen ihm einfach nicht glaubten, daß sein Vater ›eine geheime Mine in den Bergen‹ hatte. Gekränkt hatte er hinfort den Mund gehalten, und bis ihm ein überzeugendes Argument eingefallen war, war ihm auch bewußt geworden, daß Schweigen für alle Beteiligten vielleicht das Beste war.
Es war jener Frühling gewesen, in dem er zehn Jahre alt geworden war. Sein Vater hatte von der Geschichte irgendwie gehört und hatte sich aus irgendeinem Grund gefreut. In jenem Sommer hatte er Roger in die Verantwortung miteinbezogen, die bislang Don ganz allein getragen hatte, der das Gelände rund um ihr Sommerhaus vor und während Mr. Wings Ausflügen in die Berge genau durchforschen mußte. Der Fund war Vaters ureigenes Geheimnis, das hatte er ihnen selbst gesagt, und aus Gründen, die er ihnen später einmal erklären wollte, sollte es auch so bleiben.
In jenem und den zwei darauffolgenden Sommern hatte er seine Ausflüge allein unternommen. Jetzt sah es ganz so aus, als würde es bald eine Änderung geben. Roger wußte, daß Don im vorigen Herbst, kurz bevor er ans College gegangen war, einiges erfahren hatte. Er hatte seine Studienfächer zum Teil auf Grund dieser Informationen gewählt – Chemie, Astronomie und Mathematik. Chemie, das leuchtete Roger noch ein, aber was die anderen Fächer sollten, das begriff er nicht. Im Zusammenhang mit Goldsuche erschien ihm Astronomie von höchst zweifelhaftem Wert.
Nun, dies alles würde er mit der Zeit herausfinden. Vielleicht sogar früher, als Don es erfahren hatte, denn es sah so aus, als würde ihr Vater endlich die Schranken abbauen. Im Moment bestand sein größtes Problem darin, sich einen Weg auszudenken, wie ein einziger Junge sich Überblick darüber verschaffen konnte, wer sich dem Sommerhaus bis auf eineinhalb Kilometer aus jeder Richtung näherte – und aus bestimmten Richtungen noch näher herankam. Roger kannte die Topographie der Umgebung recht gut. Trotzdem legte er sich jetzt schon eine Reihe von Erkundungsstreifzügen zurecht, da er sich über manche Punkte mehr Gewißheit verschaffen wollte. Er war ein junger Mann, der die Dinge ernst nahm, wenn sie ihm in diesem Licht präsentiert wurden.
Wie alle seine Altersgenossen neigte er aber auch dazu, seinen momentanen Interessen nachzugeben. Und er wurde aus seinen Überlegungen herausgerissen, als Edith ihn mit einem über die Schulter nach hinten geworfenen Tannenzapfen im Gesicht traf. Sie platzte vor Lachen heraus, als er sich vergeblich nach einem Mittel zur Vergeltung umsah – es gab offenbar in Reichweite keine Zapfen mehr, und der Pfad war an dieser Stelle so schmal, daß die Pferde hintereinander gehen mußten. Das Packpferd, das seine Schwester am Zügel führte, bildete ein unüberwindliches Hindernis.
»Wach auf und reiß dich aus deinen Träumen los«, stieß Edith zwischen Lachkrämpfen hervor. »Du siehst aus, als sei dir eingefallen, daß du deine Lieblingsangelrute in Spokane vergessen hast!«
Roger nahm sofort eine überlegene Haltung ein. »Ihr Mädchen habt bis September praktisch nichts zu tun«, erklärte er. »Es ist aber jede Menge Männerarbeit zu erledigen, und ich habe eben überlegt, wie man die Sache am besten angeht.«
»Männerarbeit?« Edith zog in gespieltem Erstaunen die Brauen hoch. »Dad hat zu tun, das weiß ich, aber du?« Sie wußte genau, worin Rogers Ferienpflichten bestanden, hatte aber ganz bestimmte Gründe für ihre Äußerung. »Für die paar Patrouillengänge ums Haus braucht man einen Mann?«
Roger gab sich einen Ruck. »Na, ein Mädchen brächte das jedenfalls nicht fertig«, erwiderte er. Die Worte waren kaum ausgesprochen, als er sie schon bereute. Ihm blieb keine Zeit, sich einen Ausweg aus der Ecke zurechtzulegen, in die er sich mit seiner Feststellung manövriert hatte.
»Beweis!« erwiderte Edith leise. Roger versetzte sich im Geiste selbst einen Tritt. Sie hatte es darauf angelegt. Die Familienregel forderte, daß jede von einem Familienmitglied geäußerte Feststellung mit einem Beweis untermauert werden mußte, falls ein anderes Familienmitglied es verlangte eine Regel, die Wing senior dank weiser Voraussicht eingeführt hatte. Da er von bedächtiger Wesensart war, war er dieser Regel selbst nur selten zum Opfer gefallen.
»Jetzt mußt du mich einen Versuch machen lassen«, bemerkte Edith, »und du wirst mir einiges beibringen müssen. Aus Gründen der Fairneß wirst du auch Margie versuchen lassen müssen…« Diese letzte Bemerkung äußerte sie hauptsächlich der Explosivwirkung wegen. Roger fiel fast aus dem Sattel, aber noch ehe er etwas sagen konnte, hatte er eine Idee. Warum sollten die Mädchen nicht mithelfen? Er konnte ihnen zeigen, was er und Don immer gemacht hatten, und vielleicht entwickelten sie eigene Ideen dabei. Rogers männlicher Stolz machte ihn keineswegs blind gegenüber der Tatsache, daß Mädchen im allgemeinen und seine Schwestern im besonderen über Köpfchen verfügten. Edie und Marge konnten reiten und hatten keine Angst vor Wäldern. Alles in allem konnten sie sehr nützliche Hilfskräfte abgeben. Edith stand ihm altersmäßig so nahe, daß er sie unmöglich als zu jung einstufen konnte, und sogar die Achtjährige hatte so viel Verstand, daß sie sich ruhig verhielt, wenn absolute Stille angebracht war, und daß sie sich Anordnungen fügte, wenn Widerspruch unklug gewesen wäre.
»Na schön. Ihr könnt es mal versuchen.« Roger brachte seine Überlegungen zu einem Ende. »Dad ist es sicher recht, und Mutter ist es einerlei, solange die Hausarbeit erledigt wird. Heute abend können wir die Sache besprechen.«
Das Gespräch glitt auf andere Themen über, während die Karawane flußaufwärts zog. Zwei bis drei Stunden nachdem sie Clark Fork hinter sich gelassen hatten, querten sie den Fluß und hielten Richtung Osten auf die Grenze von Montana zu. Als sie endlich das ›Sommerhaus‹ erreichten, lagen immer noch einige Stunden Tageslicht vor ihnen.
Man konnte es kaum ein Landhaus nennen. Auf einem steilen Abhang unterhalb der Waldgrenze erbaut, bot es genügend Raum für die Familie, ohne daß man sich zusammendrängen mußte. Es verfügte über ein von einem Benzinmotor betriebenes eigenes Stromaggregat, eine mehr oder weniger begrenzte Wasserversorgung aus einer weiter oben gelegenen, befestigten Quelle und gab Zeugnis von Mr. Wings Glück oder Geschick bei der Goldsuche, die als seine Einkommensquelle galt.
Ein Stück unterhalb des Hauses stand ein zweiter Bau, ein Mittelding zwischen Vorratskammer und Stall. Beide Häuser waren solide gebaut und hatten in den harten Wintern des Nordwestens keinen Schaden genommen. Das Wohnhaus stand auf felsigem Untergrund, die Wände waren gut isoliert. Die Familie hätte ohne weiteres das ganze Jahr über hier leben können. Den Eltern schwebte ohnedies etwas in dieser Richtung vor, sobald die Kinder alle die Schule absolviert hätten.
Das Erdgeschoß wurde von einem großen Raum eingenommen, der als Speisezimmer und Aufenthaltsraum diente. An dem einen Ende lag die Küche, am anderen ein Schlafraum. Die Treppe neben der Küchentür führte hinunter in einen Keller, in dem Werkbänke standen. Darauf lag ein Durcheinander von Holzarbeiten und Radioelementen. Hier wurden auch die verschiedenen Spiele aufbewahrt. Die Treppe ins Obergeschoß lag am anderen Ende. Oben gab es sechs kleinere Räume, je eine Schlafkammer für jedes Kind und dazu eine Art Abstellraum für alte Möbel und Gerümpel, Dinge, die im Laufe der Jahre irgendwo untergebracht werden mußten.
Die Wings saßen vor der Veranda ab, die sich über die ganze Länge des Hauses erstreckte, und machten sich sofort an ihre verschiedenen Arbeiten. Mrs. Wing und die Mädchen sperrten die Haustür auf und verschwanden im Haus. Billy schraubte die Läden an den leicht zugänglichen Fenstern auf und entfernte sie – es waren die Fenster, die auf die Veranda hinaussahen, und die im Obergeschoß auf der Hangseite. Mr. Wing und Donald hoben die Lasten von den Packtieren, während Roger die Reitpferde hinunter zum Stall führte, wo er ihnen die Sättel abnahm und sie fütterte.
Bei Sonnenuntergang machte das Haus bereits einen bewohnten Eindruck. Alle hatten gegessen, das Geschirr war gespült, Billy und Marjorie waren zu Bett gebracht worden, und die übrigen Familienmitglieder hatten sich für ein paar Minuten zum Entspannen im großen Raum zusammengesetzt. Es hatte eine Debatte darüber gegeben, ob im Kamin Feuer gemacht werden solle, und die Entscheidung war zugunsten des Feuers gefallen, nicht so sehr der Temperatur wegen, obwohl im Gebirge auch ein Juniabend kühl sein kann, sondern ’ weil es gemütlicher war, vor einem Feuer zu sitzen.
Die Eltern hatten ihre angestammten Plätze beiderseits des gemauerten Kamins eingenommen. Donald, Roger und Edith lagen dazwischen auf dem Teppich. Roger hatte eben den Vorschlag geäußert, daß die Mädchen bei der Pfadfinder-Arbeit mitmachen sollten. Sein Vater überlegte kurz.
»Kennt ihr euch in allen Richtungen aus, nicht nur dort, wo es zur Ortschaft geht?« fragte er Edith.
»Sicher nicht so gut wie die Jungs, aber die mußten es ja auch erst mal lernen«, entgegnete sie.
»Das ist richtig. Ich möchte nicht, daß ihr verlorengeht, und hinzu kommt, daß man Mutter nicht zumuten kann, alles im Haus allein zu machen. Aber Roger scheint ja unbedingt etwas beweisen zu wollen. Deswegen wollen wir die Sache wie folgt regeln: Es wird eine Woche oder zehn Tage dauern, bis ich zum erstenmal hinausgehe. Während dieser Zeit werdet ihr beide gemeinsam eine brauchbare Karte des Geländes ums Haus anfertigen, und zwar bis zu einer Entfernung von vier Kilometer. Darüber hinaus werdet ihr einen Stundenplan für die Kontrollgänge erstellen. Edie muß dabei für die Hausarbeit Zeit bleiben, so daß Mutter auf ihre Rechnung kommt. Margie darf sich euch anschließen, darf aber allein nicht über die Sechshundert-Meter-Markierungen hinaus. Für die Jüngsten gelten noch immer die alten Regeln. Das alles unterliegt natürlich Ergänzungen und Änderungen, die eure Mutter vielleicht für notwendig hält.« Er sah lächelnd zu seiner Frau hinüber, die ihm zunickte.
»Mir soll es recht sein. Roger hat ja ein paar zusätzliche Pflichten übernommen, glaube ich. Sollten die nicht unter dem letzten Punkt untergebracht werden?«
»Sehr vernünftig. Nun, paßt es dir, Roger? Edie? Na schön. Zeit fürs Bett. In den nächsten Tagen werdet ihr hübsch auf Trab sein.«
Die zwei Jüngeren schnitten Gesichter, gehorchten aber. Don und die Eltern blieben noch sitzen. Sie unterhielten sich leise bis spät in die Nacht. Die vier anderen Kinder schliefen bereits seit Stunden, als Donald schließlich die Treppe zu seinem Zimmer hinaufstieg, doch verhielt er sich deswegen nicht weniger vorsichtig. Er hatte keine Lust, den Rest der Nacht Rogers Fragen auszuweichen, der sicher wissen wollte, was unten besprochen worden war.
Trotz der Anstrengungen, die der vergangene Tag mit sich gebracht hatte, war die Familie am nächsten Morgen früh auf den Beinen. Als ›besonderen Gefallen‹ den er seinem jüngeren Bruder erwies, erbot Donald sich, die überflüssigen Pferde zurück in den Ort zu bringen – die Wings hielten sich nur ein paar Pferde beim Sommerhaus, da es Schwierigkeiten mit dem Futter gab. Damit war der Jüngere frei und konnte sich dem Anfertigen der Landkarte widmen, sobald er die Laden von den Fenstern im Oberstock entfernt hatte. Edith mußte Geschirr und Kochutensilien säubern, da am Abend zuvor nur das Allernötigste fürs Abendessen gespült worden war. Roger überwand eine etwaige Abneigung gegen Frauenarbeit und half mit. Die Sonne stand noch ganz niedrig, als sie auf die Veranda heraustraten, sich kurz umblickten und sodann den Hang hinterm Haus erklommen.
Der Junge hatte einen kleinen Pfadfinder-Kompaß und ein Stahlmaßband bei sich, das er im Bastelraum im Untergeschoß gefunden hatte. Seine Schwester war mit einem Schulheft bewaffnet, das noch ein paar leere Seiten hatte. Dank der Anleitungen seines Vaters und eines Jahres bei den Pfadfindern war Roger überzeugt, er könne mit dieser Ausrüstung eine brauchbare Karte des angegebenen Gebietes anfertigen. Dem Problem der Höhenlinien hatte er dabei keinen ernsthaften Gedanken gewidmet.
So hoch das Haus der Wings auch lag, es ging dahinter noch ein hübsches Stück bergauf. Die beiden jungen Leute legten gern eine Rast ein, als sie ganz oben angekommen waren. Und sie sahen sich ebenso gern die Aussicht an, die sich ihnen bot, obwohl es für sie ein vertrauter Anblick war.
Die Gipfel der Cabinets erstreckten sich in alle Richtungen außer nach Westen. Die Erhebung, die die Kinder erklommen hatten, war nicht so hoch, daß man allzu weit hätte sehen können, doch der Pend’ Oreille war im Südwesten teilweise sichtbar, und im Südosten war die Spitze des Snowshoe Peak leicht zu erkennen. Streng genommen gab es keine deutliche Waldgrenze. Die meisten Gipfel schafften es aber, wenigstens ein paar hundert Meter nackten Fels emporzurecken. Die unteren Hänge waren mit Wald bedeckt, größtenteils mit Douglas-Tannen, die im pazifischen Nordwesten vorherrschen. Ein, zwei relativ kahle Stellen, Reste der Waldbrände vom Vorjahr, waren vom Standpunkt der Kinder aus sichtbar.
Innerhalb der von Mr. Wing festgelegten Entfernung gab es etliche Punkte, die aussahen, als wären sie als Bezugspunkte zu verwenden. Roger holte den Kompaß hervor und fing an, diese Punkte anzupeilen. Edith fertigte bereits eine Freihandskizze der Umgebung an, auf der die Peilungen eingetragen wurden. Die Entfernungen mußten später ergänzt werden. Roger kannte weder die Höhe des eigenen Standpunkts noch jene der Punkte, die er vermaß, und hätte er sie gekannt, dann hätte er damit nichts anfangen können. Trigonometrie war ihm unbekannt, und er hatte nicht die Möglichkeit, negative Geländewinkel zu bestimmen.
Noch ehe sie vom Gipfel abstiegen, war die Karte voller Einzelheiten. Die beiden waren bald total in ihre Arbeit vertieft. Mrs. Wing war nicht weiter verwundert, daß sie zum Essen zu spät kamen.