XVII

»Dad, würdest du mir freundlicherweise sagen, wie du das geschafft hast?« Don starrte das sarrianische Funkgerät an, das die einzige Ausbeute seines Vaters darstellte, nachdem dieser das Zeichen für den Warenaustausch gegeben hatte. Roger lachte auf.

»Von ›schaffen‹ kann nicht die Rede sein. Dad hat den ganzen Nachmittag zugebracht, dem Wesen unsere Sprache beizubringen. Und als das Wesen abfliegen will, dreht es sich noch um, stellt das da auf den Boden und dröhnt ›Tragen‹. Und weg war es. Was kann das sein, Dad?«

»Das werden wir erst mit Sicherheit wissen, wenn der Fremde wiederkommt. Es könnte irgendein Instrument sein, das er bei seinem Besuch braucht. Vielleicht ist es ein Geschenk als Dank für eure Mithilfe beim Pflanzensammeln. Am besten, wir nehmen es mit nach Hause, wie er es wollte, und kümmern uns nicht darum, bis er wiederkommt.«

»Aber wenn er übermorgen nicht wiederkommt…«

»Roger, ich weiß, wie Neugierde wehtun kann. Ich leide selbst manchmal darunter. Ich glaube aber, daß derjenige bei dieser neuen Art Handel letztlich den Vorteil hat, der sich am zurückhaltendsten gibt und seine wahren Ziele am längsten verbirgt. Wir sind noch nicht sicher, ob diese wissenschaftliche Untersuchung nicht nur ein einziges Ziel hat, nämlich die Außerirdischen von der Notwendigkeit zu befreien, uns für den Tabak bezahlen zu müssen. Warum hat der Kerl ausgerechnet mit den Pflanzen begonnen? Es gibt so viele Dinge, für die er sich hätte interessieren können.«

»Wenn seine Lebensform sich von der unseren so sehr unterscheidet, wie kann er dann wissen, daß Tabak eine Pflanze ist?« hielt ihm Roger entgegen. »Er konnte ihn nicht mikroskopisch untersuchen, weil das Zeug bei seiner Temperatur sofort verbrennt, und eine Zigarette sieht ja nicht eben wie eine Pflanze aus.«

»Das stimmt«, mußte sein Vater zugeben. »Ich sagte ja nur, daß wir nicht wüßten, ob er das insgeheim beabsichtigt. Ich sage ja nicht, daß es sehr wahrscheinlich ist.«

Seltsamerweise dachte Ken vor dem nächsten Besuch selbst an einen dieser Punkte. Als er auf der Lichtung neben dem Haus der Wings niederging, waren vier Behälter an seinem Torpedo befestigt. Als erstes machte Ken klar, daß er Mineralien in den Behälter tun wollte, der nicht mit einem Kühlsystem ausgestattet war. Indem er auf einen anderen deutete, sagte er: »Ding – gut – heiß-kalt.«

Die Wings wechselten Blicke untereinander. Dann sagte Edith:

»Sie meinen alles, das gut bleibt, ob es nun heiß oder kalt ist? Sachen, die man nicht in einen Kühlschrank tun muß?«

Dieser Satz enthielt für Ken viel zu viele neue Wörter, doch er probierte es. »Ja. Heiß, gut.« Er schwebte noch immer ein Stück über dem Boden, da er diesmal die Ladung so angebracht hatte, daß er sie landen konnte, ohne sich selbst losmachen zu müssen. Nun kam er sanft auf dem Boden auf, und es passierte.

Der Boden war wie in den meisten Nadelwäldern mit abgeworfenen Nadeln dicht bedeckt. In unmittelbarer Umgebung des Hauses waren diese Nadeln weggefegt worden, der Boden selbst aber war leicht brennbar geblieben. Kaum hatten Kens gepanzerte Füße den Boden berührt, als sofort eine Rauchwolke entstand. Nur indem er sich blitzartig wieder heben ließ, verhinderte Ken einen Brand. Erst als Roger die Stelle mit einem Eimer Wasser gelöscht hatte, fühlte man sich einigermaßen sicher.

Dies führte zu weiteren Komplikationen, Ken hatte noch nie Wasser gesehen und vor allem keine Vorrichtung, die dazu diente, scheinbar unbegrenzt Flüssigkeit zu liefern. Der außen am Hans angebrachte Wasserhahn, aus dem der Eimer gefüllt worden war, erregte sein Interesse. Auf seine Bitte hin, die er in einer Mischung aus Gesten und Wörtern äußerte, ließ Roger noch einen Eimer vollaufen, den er auf einen der zementierten Pfosten am Fuß der Treppe stellte, ehe er sich zurückzog, Ken, der auf diese Weise den Gegenstand genau ansehen konnte, ohne mit irgend etwas in Berührung zu kommen, ließ sich dabei ausgiebig Zeit. Zum Schluß tauchte er einen Greifer vorsichtig in die sonderbar durchsichtige Flüssigkeit. Die nun entstehende Dampfwolke erschreckte ihn fast so heftig wie die vorübergehende, aber intensive Kälte, die sich durch das Metall fraß. Hastig zog er den Greifer zurück. Er hatte so eine Ahnung, was diese Flüssigkeit war, und zog im Geiste seinen Hut vor Feth. Der Bursche verstand es, seinen Verstand zu gebrauchen.

Schließlich wurde Ken auf einen außer Haus gelegenen Backofen gestellt. Die Musterbehälter standen auf dem Boden, und die Kinder waren in verschiedene Richtungen verschwunden, um sie zu füllen. Nun wurde die Sprachlektion wieder aufgenommen. Eine Stunde lang wurden hervorragende Fortschritte erzielt. Am Ende dieser Stunde waren beide Beteiligten sehr erstaunt, festzustellen, daß sie verständliche Sätze austauschten, unbeholfene und fehlerhafte Sätze voller Umschreibungen, aber verständlich. Mr. Wing lächelte zufrieden. Es war der Zeitpunkt gekommen, seinem Gast einen kleinen Schlag zu versetzen und ihm vielleicht eine nützliche Information zu entreißen. Er dachte an das Gespräch, das er am Abend zuvor mit Don geführt hatte. Er empfand stille Zufriedenheit mit dem Jungen, jene Art Zufriedenheit, die einen Vater manchmal zu einem großen Langweiler macht.

»Sehr oft war es nicht, Dad«, hatte sein Sohn gesagt, »aber es reicht aus. Und außerdem paßt es ohnehin mit anderen Dingen zusammen. Die Intervalle zwischen deinem Signal und der Ankunft des Handelstorpedos schwankten in einer Periode von etwa hundertzwanzig Tagen, wenn man mehrere Jahre betrachtete. Natürlich gab es viele ›Perioden‹, während denen es zu keinem Handel kam, aber die Periode ist immerhin da. Erst zwei Tage, dann drei. Diese hundertzwanzig Tage sind die synodische Periode des Merkur, nämlich jene Zeitspanne, die der Planet braucht, um die Erde auf den Kreisbahnen um die Sonne einzuholen. Mir fiel die Stellung des Merkur ein, die er hatte, als wir ihn im Frühling studierten. Daraufhin habe ich Berechnungen angestellt. Deine kurzen Zeiten traten ein, wenn er uns am nächsten war, die langen, wenn er sich auf der anderen Seite der Sonne, in doppelt so großer Entfernung befand. Diese Torpedos kommen von dort mit einer Beschleunigung von eineinviertel G.«

Mr. Wing war zwar kein Physiker, verstand aber diesen Begriff, da er im Zusammenhang mit Flugzeugen häufig gebraucht wurde.

Er hatte sich Dons Berechnungen angesehen, denen er leicht folgen konnte, und mußte ihm bei den Ergebnissen recht geben. Der Junge hatte dann auf seine Bitte hin ein Diagramm der Umlaufbahnen der inneren Planeten des Sonnensystems gezeichnet, auf denen die gegenwärtige Stellung der Planeten selbst gezeigt wurde. Diese Zeichnung hatte er in der Tasche.

Das Wort ›Zuhause‹ war zufällig eben behandelt worden. Mr. Wing glaubte die Zusammenhänge richtig klargemacht zu haben. Und er hatte das Gefühl, daß der Zeitpunkt gekommen war, eine seiner Karten auszuspielen.

Er fing an, indem er mit einer Armbewegung den ganzen Horizont umfaßte. »Erde«, sagte er dazu. Der Sarrianer wiederholte das Wort, aber ohne eigene Geste, die angedeutet hätte, daß er verstand. Mr. Wing wiederholte das Wort und stampfte dabei auf dem Boden auf. Dann nahm er eine neue Seite aus dem Notizbuch und zeichnete darauf eine Skizze des Planeten, so wie er sich ihn aus dem All gesehen vorstellte. Und als letzte Demonstration formte er eine Kugel aus einem Knetmaterial, das sich im Spielzimmer gefunden hatte und sich bereits als sehr nützlich erwiesen hatte. Dann deutete er auf Kugel, Zeichnung und Boden, und wiederholte dabei jedesmal das Wort ›Erde‹.

Ken begriff. Er zeigte es, indem er selbst eine Skizze auf den Boden zeichnete. Dazu langte er so gut es ging seitlich von dem Backofen herunter und benutzte den Metallstab. Es war eine eindeutig erkennbare Zeichnung der Sonne und der Umlaufbahnen der ersten drei Planeten. Er wußte, daß er damit vielleicht irdische Astronomiekenntnisse überforderte, doch die Tatsache, daß der Eingeborene die Form seiner Welt kannte, war ermutigend.

Prompt zog Mr. Wing Dons Diagramm hervor, das im Grunde Kens Zeichnung entsprach, bis auf den Umstand, daß auch Umlaufbahn und Position des Mars gezeigt wurden. Er brauchte eine gewisse Zeit, bis er alle Planeten genannt hatte und auch den Gattungsbegriff vermittelt hatte. Dann verbrachten sie eine gewisse Zeit mit einer Spielerei. Ken fügte Jupiter und Saturn ins Diagramm ein, um herauszubekommen, wie viel Ahnung diese Wesen von Astronomie hatten. Mr. Wing nannte ihm die Namen und fügte Uranus, Neptun und Pluto hinzu. Don, der bis zu diesem Augenblick noch nichts gesagt hatte, nahm eine Korrektur an der Umlaufbahn Plutos vor, so daß diese die Bahn Neptuns an einem Punkt kreuzte. Dann fing er an, in rasender Eile Satelliten einzuzeichnen. Aus dem Lautsprecher drang nun eine wahre Sturzflut sarrianischer Wörter, die sie als Zeichen für das Staunen des Fremden werteten und entsprechend erfreut waren.

Ken staunte aus mehr als nur einem Grund.

»Drai, falls Sie zuhören, diese Typen hier sind alles andere als Wilde. Sie müssen über eine hochentwickelte Wissenschaft verfügen. Hier kennt man neun Planeten in diesem System während wir nur von sechs Planeten wissen. Eben jetzt erfahre ich, daß es jede Menge Monde gibt. Planet Vier hat sogar zwei, und uns ist kein einziger aufgefallen. Entweder kennen die hier Raumfahrt oder haben verdammt gute Teleskope.«

»Wir haben in zwanzig Jahren kein einziges Raumschiff gesichtet«, rief Feth ihm ins Gedächtnis. Ken gab keine Antwort. Mr. Wing hatte wieder zu sprechen begonnen. Er zeigte auf Planet Drei seiner eigenen Zeichnung und wiederholte den Namen.

»Erde… mein Zuhause.« Mit einer Hand deutete er auf sich, um das Personalpronomen zu betonen. Dann zeigte er mit dem Finger auf die innerste Welt. »Merkur… dein Zuhause.« Und er deutete auf Sallman Ken.

Die Reaktion enttäuschte ihn, was nicht der Fall gewesen wäre, wenn er das Mienenspiel eines Sarrianers besser zu deuten gewußt hätte. Ken war volle zehn Sekunden wie vor den Kopf geschlagen. Als er endlich wieder seine Stimme in der Gewalt hatte, wandte er sich eher an die fernen Zuhörer als an den Erdenmenschen.

»Sicher wird es Sie interessieren, daß er weiß, daß wir von Planet Eins kommen. Ich glaube, er meint, wir leben dort. Ein geringfügiger Irrtum unter diesen Umständen.«

Nun meldete sich Drais Stimme. »Sie sind wohl verrückt! Sie selbst müssen es ihm verraten haben! Wie kann er das ohne Hilfe erfahren haben?«

»Ich habe nichts gesagt. Sie haben die ganze Zeit über zugehört und sollten es eigentlich wissen. Und ich sehe nicht ein, warum man von mir erwartet, ich solle erklären, wie er es herausbekommen konnte. Ich sage Ihnen jetzt bloß, was hier im Moment vorgeht.«

»Sie dürfen nicht zulassen, daß er es glaubt! Streiten Sie es ab! Er weiß zuviel.«

»Na, und was ist dabei?« fragte Ken ganz vernünftig.

»Stellen Sie sich bloß vor, wenn die auch noch Raumfahrt betreiben! Das fehlte jedoch, daß die uns einen Besuch machen! Ich habe diesen Ort hier zwanzig Jahre geheimhalten können.«

Ken verkniff es sich, die Fehler in dieser Beweiskette aufzuzeigen.

»Da ich nicht weiß, wie überzeugt sie von diesen Tatsachen sind, halte ich ein Leugnen für ausgesprochen dumm. Und wenn sie ihrer Sache sicher sind, wissen sie ohnehin, daß ich lüge. Die Folgen könnten übel ausfallen.«

Drai gab darauf keine Antwort, und Ken wandte sich wieder dem Erdenmenschen zu, der das Gespräch verständnislos mitangehört hatte.

»Merkur. Ja«, sagte der Sarrianer.

»Ich verstehe. Heiß«, antwortete Mr. Wing.

»Nein. Kalt.« Ken suchte nach Worten. »Wenig heiß. Für dich heiß. Heiß für…« Er schwenkte den Ärmel seines Panzers in einem großen Kreis… »Pflanzen, für diese Dinge. Kalt für mich.«

Don murmelte seinem Vater zu: »Wenn ihm Merkur zu kalt ist, muß er irgendwo aus dem Inneren eines Vulkans stammen. Die meisten Astronomen geben sich damit zufrieden, daß es keinen Planeten gibt, der näher zur Sonne steht, und er zeigte keinen auf seiner Skizze.«

»Wäre gut, wenn wir wüßten, wie heiß er es gern hat«, meinte Mr. Wing. Er wollte sich eben an Ken mit einer entsprechenden Frage wenden, als plötzlich ein Schwall fremder Wörter aus dem Torpedolautsprecher dröhnte.

»Ken! Dieser…« Nur diese zwei Worte. Feths Stimme. Dann war die Verbindung mit einem Klicken unterbrochen. Ken rief Feths Namen mehrmals in sein eigenes Mikro. Es kam keine Antwort. Nun überstürzten sich seine Gedanken.

Die Eingeborenen starrten ihn stumm an. Vermutlich ahnten sie, daß es irgendeine Panne gegeben hatte. Er fühlte sich wie ein Taucher, der mitanhören muß, wie die Mannschaft, die seine Luftpumpe bedient, in Streit gerät. Was um alles in der Galaxis, hatten die dort oben vor? Hatte Drai sich am Ende entschlossen, ihn ganz fallenzulassen? Nein, auch wenn der Rauschgifthändler entschieden hatte, Ken wäre nutzlos, so würde er doch nie die teure Ausrüstung in den Wind schreiben, nur um ihn loszuwerden. Drai würde es sicher vorziehen, ihn an Entzugserscheinungen sterben zu sehen, vermutete Ken, der sich gleichzeitig bewußt war, daß er Drai damit vielleicht Unrecht tat. Was dann? War Drai plötzlich raffiniert geworden und hatte die Anlage oben ausgeschaltet in der Hoffnung, Ken würde sich irgendwie verraten? Unwahrscheinlich. In diesem Fall hätte Feth sicher versucht, ihn irgendwie zu warnen, und seine Worte, die er noch übermitteln konnte, hätten nicht so erschrocken geklungen.

Vielleicht hatte Drais unter den gegebenen Umständen verständliches Mißtrauen einen Punkt erreicht, an dem er sich entschied, das Vorgehen seines gezähmten Mitarbeiters persönlich zu überwachen. Ken konnte sich trotzdem nicht vorstellen, daß Drai sich, wenn auch gepanzert, auf die Oberfläche der Eiswelt wagen würde, um irgend etwas herauszufinden.

Es gab aber keinen anderen Weg, wenn er persönlich herunterkommen wollte. Lee würde natürlich nicht begeistert sein. Er würde seinen Chef vielleicht sogar davon überzeugen können, daß es viel zu gefährlich sei. Versuchen würde er es sicher. Aber wenn Drai es sich wirklich in den Kopf gesetzt hatte, dann war es sehr wahrscheinlich, daß er Lee gar nicht anhören würde.

In diesem Fall konnte der Schatten der Karella sich jeden Augenblick über sie senken. Damit war auch Feths Warnversuch erklärt und die darauf folgende abrupte Unterbrechung, War dies wirklich der Fall, dann brauchte er sich keine Sorgen zu machen. Sein Gewissen war rein. Drai sollte ruhig sehen, was hier vorging, und wenn ihm dabei die Augen an den Scheiben anfroren.

Bis jetzt hatte er nirgends eine Spur von Tafak entdecken können, obwohl die Kinder in regelmäßigen Abständen mit neuen Proben für die Behälter zurückgekommen waren und jede einzelne Pflanze genannt hatten. Er selbst hatte bislang nichts unternommen, um seinen Plan zu verwirklichen.

Er hatte sich eben mit dieser Erkenntnis beruhigt, als der Eingeborene, der beim Reden die Hauptrolle innegehabt hatte, eine Zigarette hervorholte und sie anzündete.

Mr. Wing hatte nicht die Absicht gehabt, es zu tun. Er hatte eine zutreffende Vorstellung von dem Wert, der dem Tabak von diesen Wesen beigemessen wurde, und er wollte den Wissenschaftler nicht von einem Gespräch ablenken, das vielleicht sehr nützlich sein konnte. Tatsächlich wäre es ihm sogar recht gewesen, wenn das Wesen geglaubt hätte, daß ein anderer der Handelspartner gewesen sei. Seine Gewohnheit aber durchkreuzte seine guten Absichten. Er wurde erst aus seinen Spekulationen über die Natur dieser neuen Unterbrechung gerissen, als er merkte, daß er den ersten Zug getan hatte.

Der Sarrianer hielt beide Augen auf den kleinen Zylinder gerichtet – an sich schon ein ungewöhnlicher Vorfall. Für gewöhnlich war ein Auge ständig in Bewegung, so daß es sogar einem unerschütterlichen Typ wie Roger auf die Nerven fiel.

Der Grund war klar. Mr. Wing konnte sich gut vorstellen, wie der Fremde nun im Geist die Liste der mitgebrachten Dinge durchging und sich fragte, was er für den Rest der Packung eintauschen könne. Er war der Wahrheit damit näher, als es Ken recht gewesen wäre.

Diese Oberlegungen waren nutzlos. Das wußte niemand besser als Ken. Das echte Problem lag darin, das höllische Zeug fortzuschaffen, ehe Drai aufkreuzte, falls er kommen würde. Einen Augenblick lang fragte Ken sich, ob die zweite Funkanlage, die er auf der Veranda hatte liegen gesehen, rechtzeitig in Betrieb gesetzt werden konnte. Sein Verstand sagte ihm, daß es unmöglich war. Auch wenn es ihm gelänge, einen Eingeborenen zu überreden, den Apparat zu bringen und das Torpedo außer Hörweite zu schleppen, würde er es nicht schaffen, seine Wünsche rechtzeitig an den Mann zu bringen. Blieb nur die Hoffnung… der Zylinder verschwand ganz langsam. Es bestand die Möglichkeit, daß er ganz verschwunden sein würde, wenn das Schiff eintraf. Wenn er bloß sicher gewußt hätte, daß die Empfangsanlage und auch der Sender an Bord des Raumschiffes abgeschaltet worden waren!

Falls Drai noch immer auf der Lauer lag, dann würde die Stille der letzten Sekunden ihn womöglich noch argwöhnischer machen. Nun, das ließ sich im Moment eben nicht ändern.

Als es passierte, hatte die Zigarette reichlich Zeit gehabt, herunterzubrennen, dank Ordon Lee. Feth hatte versucht, Ken zu warnen, kaum daß er merkte, was in Drai vorging. Aber noch ehe er den Satz beenden konnte, hatten ihn die peitschenden Tentakel des anderen vom Instrumentenbrett und quer durch den Kontrollraum geschleudert. Als er sich wieder gefaßt hatte und aufstehen wollte, hatte er in die Mündung einer Pistole geblickt, deren scheibenförmiger Griff fest gegen den Torso des Rauschgifthändlers gestützt war.

»Ihr beide habt also tatsächlich etwas vor«, hatte Drai gesagt. »Wundert mich nicht. Lee, peil das Torpedo an und ab die Post!«

»Aber, Sir… in die Atmosphäre von Drei? Wir können nicht…«

»Wir können, du hirnverbrannter Tastenklopfer! Dieses zahme Hirn da unten hat es drei Stunden und länger in einem Panzeranzug ausgehalten, und du willst mir einreden, der Schiffsrumpf könnte es nicht aushalten!«

»Aber die Scheiben… die äußeren Antriebsplatten und…«

»Ich sagte, nichts wie runter! Scheiben sind auch an einem Panzeranzug, und die Fußplatten mußten aushalten, was der Boden von Planet Drei hergibt. Und komm mir jetzt nicht mit den Gefahren, die von den Flachländern drohen! Ich weiß so gut wie du, daß der Rumpf gegen frequenzmodulierten Radar geschützt ist, ganz zu schweigen von dem, was wir ausstrahlen – dafür habe ich schwer bezahlt, und wir sind damit lange durch die Systemüberwachung auf Sarr geschlüpft. Und jetzt laß mal die Tasten spielen!«

Ordon Lee gab sichtlich unglücklich nach. Er stellte den Kompaß mit hoffnungsvoller Miene ein. Dieser Ausdruck schwand jäh, als er merkte, daß Kens Torpedo noch immer die Trägerwelle ausstrahlte. Mißmutig stellte er den Antrieb entlang der angezeigten Linie ein, und der runde Lichtfleck, der Planet Drei war, schwoll hinter den Sichtscheiben an.

Als das Licht aufflackerte, das Außendruck anzeigte, stoppte er das Raumschiff und warf seinem Chef einen hoffnungsvollen Blick zu. Drai deutete mit der Revolvermündung nach unten. Lee schob resigniert die Schultern hoch, schaltete die Wärmezufuhr im Außenrumpf ein und tastete sich in das Meer aus kaltem Gas hinein, wobei er vor sich hinbrummte und eine besserwisserische Miene aufsetzte, wenn ein leises ›Klink‹ davon kündete, daß die Außenplatten stark kontrahierten.

Feth, der wußte, daß er keine Chance hatte, an die Funkanlage zu kommen, heftete seine Aufmerksamkeit auf eine der Sichtscheiben. Eines von Drais Augen hielt es ebenso, sein Gesichtsausdruck blieb jedoch unverändert, als sich die Beweise häuften, daß Ken die Wahrheit gesagt hatte. Hohe Berge, dunstige Luft, grüne Vegetation, sogar die schimmernden Flecken, die so stark an die riesigen blauen Ebenen erinnerten, wohin die Flachländer die Forschungstorpedos hatten landen lassen. Alles war da, wie der Wissenschaftler es beschrieben hatte. Die matte Sonne dieses Systems erhellte alles nur schwach, doch es war deutlich sichtbar. Ungeachtet der Waffe in Drais Hand sprang Feth plötzlich zur Tür. »Kamera!« rief er und lief den Gang entlang. Drai legte die Waffe weg.

»Warum kannst du nicht so sein wie die beiden?« fragte er den Piloten. »Wenn ihr Interesse geweckt ist, vergessen die sogar ihre Angst.«

Der Pilot gab zunächst keine Antwort. Offenbar hatte Drai keine erwartet, denn er ging sofort an eine Scheibe.

Ohne von seinen Instrumenten aufzusehen sagte der Pilot: säuerlich: »Wenn Sie glauben, Ken wäre nur an seiner Arbeit interessiert, warum sind Sie dann so scharf drauf, ihn plötzlich zu besuchen?«

»Vor allem deswegen, weil ich nicht sicher bin, wessen Arbeit er ausführt. Sag mal, Lee, wer hat deiner Meinung nach schuld, daß wir heute zum erstenmal auf dieser Welt landen, obwohl wir sie schon seit zwanzig Jahren kennen?«

Der Pilot gab keine Antwort. Nur ein Auge rollte zurück und traf sich mit dem seines Chefs.

Die Frage hatte ihn von Frostbeulen und gesprungenen Platten abgelenkt: Laj Drai war vielleicht kein Genie, wie er selbst zugegeben hatte, aber seine über den Daumen gepeilte Psychologie traf ins Schwarze.

Die Karella ging tiefer. Jetzt war sie in gleicher Höhe mit den Berggipfeln. Eine grüne Fläche, leer, wie man sehen konnte, und doch wies der Kompaß unerbittlich auf ihre Mitte hin. In einer Höhe von hundertsiebzig Meter waren einzelne Bäume zu unterscheiden, und zwischen ihnen zeigte sich undeutlich das Dach des Wing-Hauses. Von Ken und dem Torpedo keine Spur, doch zweifelte keiner der im Kontrollraum Anwesenden, daß es das erwähnte Haus war. Beide hatten Feth ganz vergessen.

»Lee, ein paar Meter seitlich steuern. Ich möchte aus den Seitenscheiben raussehen. Ja, ich glaube, ich sehe Kens Panzer. Der Boden ist abschüssig. Wir landen ein Stück bergauf. Zwischen diesen Pflanzen kann man ziemlich weit hindurchsehen.«

Der Pilot gehorchte wortlos. Falls er Feths Aufschrei hörte, der aus dem Raum drang, in dem der Techniker noch immer Bilder auf nahm, ließ er es sich nicht anmerken. Außerdem waren die Worte wegen der Erschütterung im Schiff ohnehin unverständlich. Die Bedeutung aber wurde sofort klar, denn das Schiff bahnte sich seinen Weg durch die Baumwipfel. Man hörte das Krachen der Äste nicht bis hinein. Dafür war die zweite Begleiterscheinung der Landung deutlich zu merken. Eine plötzlich auftauchende Rauchwolke nahm einem die Sicht durch die Scheibe. Als Laj Drai erschrocken zurückfuhr, züngelte bereits eine Flamme den gewölbten Schiffsrumpf hoch.

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