V

Laj Drai traf den angeheuerten Lehrer neben einem der Torpedos an. Er untersuchte den Inhalt mit den Greifern eines Tentakels. Feth, der Techniker, hörte aufmerksam zu, während Ken die einzelnen Posten aufzählte:

»Magnesiumzellen, Titanzellen, Natrium – ach, hallo, Drai. Na, was Neues?«

»Schwer zu sagen. Sie machen sich an ein Forschungsprojekt?«

»Na, ich überprüfe mal ein paar Hypothesen. Ich habe eine Aufstellung aller Elemente gemacht, die unter den Bedingungen von Planet Drei in gasförmigen Zustand übergehen, und dazu alle Verbindungen, die ich in den Tabellen finden konnte. Bei einigen sieht es zweifelhaft aus, weil ich keine Druckwerte zur Verfügung habe. Diese Elemente verflüssigen sich möglicherweise. Wenn sie aber vorhanden sind, dann müßten auch ihre Dämpfe nachweisbar sein. Dann schied ich so viele als möglich aus theoretischen Gründen aus, da ich ja nicht alle Tests auf einmal machen kann.«

»Aus theoretischen Gründen?«

»Ja. Nehmen wir ein Beispiel: Während Fluor unter diesen Bedingungen noch gasförmig ist, ist es viel zu aktiv, um frei vorzukommen. Das gleiche gilt für Chlor, das flüssig vorkommen könnte, und für Sauerstoff. Andererseits ist Wasserstoff sehr wahrscheinlich, ebenso Wasserstoffsulfid und andere flüchtige Verbindungen dieser Elemente. Stickstoff müßte es geben und auch inerte Gase, obwohl ich nicht wüßte, wie ich diese nachweisen sollte. Ich habe kleine Zellen gebaut, die verschiedene Materialien und eingebaute Heizkörper enthalten. Ich werde die Zellen einzeln aufwärmen, nachdem das Torpedo gelandet ist und sich geöffnet hat. Dann hole ich es hierher zurück und sehe nach, welche Wirkung die Atmosphäre auf meine Proben ausübte. Ich habe Magnesium und Titan, die Stickstoff nachweisen sollen, und Natrium und ein paar Sulfide, die bei hohem Wasserstoffgehalt reduziert werden sollen, und so weiter. Der Bericht wird nicht vollständig ausfallen, aber irgend etwas werden wir daraus entnehmen können…«

»Das will ich meinen, wenn man davon ausgeht, wie wenig wir wissen. Wollen Sie das Torpedo sofort auf die Reise schicken?«

»Ja, es ist alles bereit, falls uns Ihre Abteilung nicht dazwischenfunkt.«

»Aber keine Rede. Wir wollten selbst eben ein Torpedo ausschicken. Unser Eingeborener hat uns eben ein Signal durchgegeben.«

»Können zwei Torpedos gleichzeitig gesteuert werden?«

»Ja, ganz einfach. Da fällt mir ein, daß es vielleicht günstiger wäre, wenn Sie ein Stück von unserem Peilsender entfernt landen, und zwar während der Nachtperiode. Die Eingeborenen sind Tagwesen, das wissen wir sicher. Es wäre schade, wenn wir ihnen panische Angst einjagen, weil die chemischen Reaktionen vielleicht blitzhell, laut oder geruchsintensiv ausfallen.«

»Oder irgendein Sinnesorgan unangenehm berühren, das wir gar nicht kennen. Gut, Sie haben recht. Soll ich warten, bis Sie Ihr Tauschgeschäft abgeschlossen haben oder soll ich als erster landen, falls es sich ergibt?«

»Das ist einerlei, glaube ich. Ich kann mich nicht erinnern, ob es Nacht oder Tag sein wird, wenn die Torpedos ankommen. Drüben im Büro ist eine Tabelle, auf der wir die Ankunftszeit überprüfen können. Ich würde sagen, daß wir landen, wenn es Tag ist, während Sie abwarten. Falls es Nacht ist, landen Sie als erster.«

»Mir soll’s recht sein.«

»Sie müssen von hier unten aus steuern – oben im Observatorium haben wir nur eine Kontrolleinheit. Aber das spielt keine Rolle, da Sie ohnehin blind arbeiten müssen. Ich geh mal rauf und sage, daß Sie auch ein Torpedo steuern. Wir haben nämlich im Moment eine Relaiseinheit in einer Umlaufbahn um den Planeten. Hat doch keinen Zweck, daß die Beobachter meinen, die Flachländer wären in den Raum vorgestoßen.«

»Haben Sie bei denen Aktivitäten feststellen können?«

»Ach, nicht der Rede wert. In den letzten vier, fünf Jahren haben wir Strahlen aufgespürt, die verdächtig wie Radar aussehen, aber bislang immer bei konstanter Frequenz. Wir haben die Torpedos mit filterähnlichen Plastikummantelungen sowie einem beschichteten halbreflektierenden Metallfilm umkleidet und hatten weiter keine Schwierigkeiten. Sie benutzen bloß ein Dutzend verschiedener Frequenzen, auf die wir alle eingestellt sind – und wenn sie wechseln, dann wechseln wir auch. Ich schätze, daß sie im Laufe der Zeit zwei oder mehr Wellenlängen in einem Gebiet benutzen werden und vielleicht auch Frequenzmodulationen. Dann müssen wir uns eben nichtreflektierende Beschichtungen zulegen. Das ist ohnehin einfacher – nur viel kostspieliger. Das merkte ich, als ich die Karella entsprechend ausrüsten ließ. Möchte bloß wissen, was wir machen, wenn die mal lernen, Infrarot aufzuspüren. Die Torpedos sind um so viel heißer als der Planet, daß sie leuchten wie Novae, wenn wir sie vom Schiff aus starten, knapp an der Grenze zur Atmosphäre.«

»Sollen sie doch im Raum bleiben, bis sie sich abkühlen«, gaben Ken und der Techniker gleichzeitig zurück. »Oder aber man schickt sie von hier los, wie gehabt«, setzte Feth, der Techniker hinzu. Laj Drai empfahl sich kommentarlos.

»Der Bursche würde eine ganze naturwissenschaftliche Fakultät brauchen«, bemerkte Feth, als sich die Tür hinter Laj Drai geschlossen hatte. »Er ist so argwöhnisch, daß er immer nur einen einzigen anheuert und den über kurz oder lang wieder feuert.«

»Dann bin ich nicht der erste?«

»Sie sind der erste, der überhaupt so weit gekommen ist. Es waren schon einige vor Ihnen da, und immer wieder bekam er die fixe Idee, man würde die Nase zu tief in seine Angelegenheiten stecken. Ich bin nie dahintergekommen, was für Theorien sie entwickelten. Ich bin kein Wissenschaftler, aber neugierig bin ich – starten wir diese eiserne Zigarre, ehe er es sich wieder mal anders überlegt.«

Ken mimte sein Einverständnis, hielt sich aber im Hintergrund, als der Techniker den Spannungsprüfer in den Hauptleitstrahl vorschaltete. Auf dem Strahl konnten zwei Mehrphasensignale ebenso gehandhabt werden wie eines. Beide Torpedos würden so nahe beisammen bleiben, daß ein Leitstrahl genügte.

Die Information des Technikers war hochinteressant. Ken selbst wäre nie auf die Idee gekommen, daß er Vorgänger gehabt hatte. In gewisser Hinsicht war es gut – die anderen waren vermutlich nicht Agenten der Rauschgiftabteilung gewesen, sonst hätte Rade es ihm gesagt. Seine Tarnfarbe war also besser, als er angenommen hatte. Drai würde sich vielleicht mit der Zeit daran gewöhnen, daß Außenstehende sich mit seinem Projekt befaßten.

Aber was wußte dieser Feth eigentlich? Er war offensichtlich schon eine ganze Weile da, und Drai erlegte sich in seiner Gegenwart keine Hemmungen auf. Möglich, daß man ihn zu einer nützlichen Informationsquelle ausbauen konnte. Andererseits war ein Versuch nicht ungefährlich. Es war klar, daß es zu seinen kleineren Pflichten gehörte, auf Sallman Kens Verhalten ein wachsames Auge zu haben. Er war ein wortkarger Typ. Ken hatte ihn bislang nicht viel beachtet.

Im Moment war er ganz Techniker. Er hing über dem Ständer vor der Kontrollanlage. Seine Tentakel spielten über die verschiedenen Schalter und Stufenregler. Ein immer lauter werdendes Summen zeigte an, daß die Systeme warmliefen. Nach einer Weile drehte er einen Schalter geringfügig. Das Torpedo, an dem Ken gearbeitet hatte, schob sich aus der Halterung. Ohne seine Augen nach hinten zu drehen, sagte Feth:

»Wenn Sie jetzt rüber ans andere Ende gehen, lasse ich das Ding dort einrasten, und Sie können Mikro und Lautsprecher ausprobieren. Sie wollen sie zwar nicht verwenden, aber besser, wenn die Anlage einsatzfähig ist.«

Ken kam dem Vorschlag nach. Er testete erst den Tonapparat, dann die verschiedenen Recorder und andere Instrumente im Frachtraum, die anzeigen sollten, ob chemische Reaktionen stattfanden oder nicht – Fotozellen, Pyrometer, mit Proberöhren und Ausfällapparaten verbundene Gaspumpen. Alles war einsatzbereit und am richtigen Ort verankert.

Nachdem er sich davon überzeugt hatte, schob der Operator das kleine Raumgefährt zu einer tunnelähnlichen Schleuse in einer Wand, führte sie dort ein, pumpte Luft hinein, und trieb damit das Torpedo ins Vakuum der Oberfläche Merkurs. Ohne weitere Umstände schickte er es hinaus, weg vom Planeten. Die Steuerung war auf einen achronischen Hauptstrahl eingestellt, der von der Station zur Relaisstation nahe der Erde führte. Jetzt war die Sache gelaufen, bis das Torpedo die Erde erreichte.

Der Mechaniker stand auf und wandte sich an Ken.

»Ich lege mich ein paar Stunden aufs Ohr«, sagte er. »Vor dem Ankunftstermin bin ich wieder da. Falls Sie Wert darauf legen, machen Sie die erste Landung selbst. Wenn die Planeten sich relativ zueinander in derselben Stellung befinden, dann warten Sie mehr oder weniger eineinhalb Umdrehungen von Planet Drei ab – bei ferngesteuerten Flugkörpern können wir den Overdrive nicht einsetzen. Das Signal muß während der örtlichen Tagzeit kommen. Bis später also. Melden Sie sich, falls Sie etwas brauchen.«

Ken vollführte das Äquivalent eines Nickens. »Alles klar, und vielen Dank auch. Sie heißen Allmer, wenn ich nicht irre?«

»Ganz recht, Feth Allmer.« Damit verschwand der Mechaniker durch die Tür. Er bewegte sich mit der fließenden Anmut eines an die schwache Schwerkraft Merkurs gewöhnten Wesens und ließ Sallman Ken in sehr nachdenklicher Stimmung zurück.

Gedankenverloren ließ sich der eingeschleuste Spitzel auf dem von Allmer verlassenen Gestell nieder, um die Meßgeräte vor sich ausdruckslos anzustarren. Reumütig mußte er sich eingestehen, daß er wieder in seinen alten Fehler verfallen war, sich für zwei Probleme gleichzeitig zu interessieren, in gewisser Hinsicht hatte dies natürlich auch Vorteile. Sein aufrichtiges Interesse für das Problem, das Planet Drei darstellte, war der bestmögliche Schutz gegenüber eventuellem Argwohn, der sich im Zusammenhang mit seiner eigentlichen Aufgabe regen mochte. Aber um seine Konzentration auf jene andere Arbeit war es schlecht bestellt. Seit Stunden schon hatte er an nichts anderes als an sein Testprojekt gedacht, bis Allmers abschließende Bemerkungen ihn wieder an seine eigentliche Pflicht erinnerten.

Er hatte Feth für einen fähigen Techniker gehalten. Der Scharfsinn, den der ältere Knabe eben bewiesen hatte, war dennoch eine Überraschung. Ken selbst hatte die Bedeutung von Drais Bemerkung über die Gepflogenheiten der Einwohner des dritten Planeten gar nicht mitbekommen. Drai hatte selbst nicht daran gedacht, seine eigenen Schlüsse zu ziehen.

War er wirklich so beschränkt? Anders als Ken kannte er die Entfernungen, um die es bei einem Flug zu jener Welt ging, und er kannte die Geschwindigkeit der Torpedos. Er hatte seiner eigenen Aussage nach hier jahrelang Handel betrieben. Welche Absicht verfolgte er damit, daß er sich dümmer stellte, als er war?

Eine Möglichkeit gab es natürlich. Ken stand vielleicht schon unter Verdacht und sah sich einer Verschwörung gegenüber, die ihn durch übertriebene Vertraulichkeit dazu bringen wollte, daß er sich verriet. Warum aber hatte in diesem Fall Feth Allmer seine Kenntnisse preisgegeben? Vielleicht wollte er sich als möglichen Vertrauten aufbauen, falls Ken mitteilsam würde. In diesem Fall war Feth seine größte Bedrohung, da er mit Ken am meisten zusammen war und in der besten Position, den Spitzel zu spielen. Andererseits konnte der Bursche auch völlig unschuldig sein, auch wenn die Gruppe als Ganzes Schmuggelei betrieb. Was er zum Schluß gesagt hatte, entsprang vielleicht echter Hilfsbereitschaft. Im Augenblick konnte man nicht klar unterscheiden, welche dieser Möglichkeiten die wahrscheinlichere war. Ken schob das Problem beiseite, da es mit den momentan verfügbaren Fakten nicht zu lösen war.

Seine Aufmerksamkeit wurde jetzt ohnehin von dem anderen Problem in Anspruch genommen. Auf der Kontrollkonsole vor ihm waren ein paar Zeiger ins Zittern geraten. In den letzten zwei Tagen hatte er die Funktionen der einzelnen Meß- und Schaltgeräte gelernt und konnte nun die einzelnen Werte selbst ablesen. Jetzt fiel ihm auf, daß Druck und Temperatur im Frachtraum des Torpedos abfielen. Eigentlich ganz natürlich. Es gab kein eingebautes Heizsystem, und der Druck mußte daher absinken, wenn sich das Gas abkühlte. Dann fiel ihm ein, daß die Temperatur auf Planet Drei so tief war, daß dabei Schwefel gefror, und daß seine Probeeinheiten mit einer Schicht dieses Zeugs überzogen sein würden. Da mußte man etwas unternehmen.

Tatsächlich aber war der Druckabfall größtenteils auf Leckage zurückzuführen. In der Frachtkammer hatte sich die Tür abgekühlt und so stark zusammengezogen, daß rundum an den Fugen Luft entweichen konnte. Daran dachte Ken jedoch nicht. Er fand den richtigen Schalter und betätigte ihn. Dann sah er zu, wie der Druck sofort auf Null absank als die Tür aufging. Die Temperatur war davon kaum betroffen. Wenn überhaupt, so fiel sie viel langsamer, denn die Pyrometer, die Wärmemeßgeräte, waren nun durch ein Vakuum isoliert und die Ausdehnung gasförmigen Schwefels in den leeren Raum hatte keinen nennenswerten Kühleffekt.

Eine Betätigung der Schalter, die eine Erwärmung der Probesubstanzen bewirken sollten, zeigte, daß die Anlage funktionierte. Nach kurzer Überlegung entschloß Ken sich, die Magnesium- und Titan-Proben bis zum Schmelzpunkt zu erhitzen. Nachdem er sicher sein konnte, daß sie von Gasbeimengungen frei waren, beobachtete er, wie die Meßgeräte wieder die Abkühlung anzeigten. Während all dies vor sich ging, schoß das Torpedo dahin, unberührt von diesem zusätzlichen Energieverlust.

Ken wartete ein paar Minuten ab, wobei er ein Auge über die Anzeigen wandern ließ, während er mit dem anderen den großen Raum beobachtete. Allmer hatte sich für seine Verschnaufpause eine günstige Zeit ausgesucht. Er selbst war nicht müde, bekam jedoch immer mehr das Gefühl, daß es für ihn hier Nützlicheres zu tun geben mußte. Sollte es in der Umgebung der Station Rauschgift geben, dann waren es sicher noch nicht hier eingetroffen, so daß eine gründliche Durchsuchung der Station wenig sinnvoll war. Aber vielleicht waren Vorbereitungen getroffen worden, die dem Inhalt des anderen Torpedos galten.

Als erstes erschien es ihm am vernünftigsten, im Observatorium festzustellen, wer dieses Torpedo steuerte. War es Drai selbst, dann bedeutete dies einen Punkt zugunsten von Rade. Wenn nicht, dann war es eine andere Person, der man vielleicht Informationen entlocken konnte. Er zweifelte nicht daran, daß das Handelstorpedo nur von jemandem gesteuert werden durfte, der genau wußte, was es auf Planet Drei zu holen gab – auf dem Eisplaneten, wie Ken ihn nannte (obwohl Eis als Substanz ihm kein Begriff war. Er hatte es nie gesehen und hätte es als Wasserstoffoxid eingestuft. ›Planet festen Schwefels‹ war der Ausdruck, der seiner Vorstellung eher entsprochen hätte).

Kens Vermutung beruhte auf dem Umstand, daß Drai sich geweigert hatte, den Namen der auf dem Planeten gewonnenen Substanz zu nennen. Entschlossen, wenigstens ein kleines Datensteinchen zu finden, das er seinem Informationsgebäude beifügen konnte, lief er die spiralförmige Rampe zum Observatorium hinauf, das auf der höchsten Ebene der Station lag. Niemand hielt ihn auf. Er begegnete ein paar Mitarbeitern, die ihn mit einem Tentakelschwenken lässig begrüßten. Die Tür zum Observatorium war unversperrt, wie er vorsichtig feststellte. Er trat ungehindert ein. Da er darauf gefaßt war, wieder hinauskomplimentiert zu werden, war er verwundert, daß niemand ein Wort sagte. Als seine Augen sich an das Halbdunkel des großen Raumes gewöhnt hatten, merkte er erleichtert, daß gar niemand da war.

»Na, hier wimmelt es sicher nicht vor Produktionsgeheimnissen«, murmelte er. Er wollte sich bereits wieder zurückziehen, als ihm einfiel, daß er sich ebensogut von dieser Tatsache überzeugen konnte.

Es gab hier nicht viele Stellen, an denen man Akten und Unterlagen verstecken konnte, zumindest nicht auf den ersten Blick. Und diese wenigen Stellen hatte er rasch abgesucht. Es waren unter Instrumentenbänken eingebaute Schränke, die nichts zu enthalten schienen außer Aufzeichnungen über die Planetenbewegungen dieses Systems. Wertlose Aufzeichnungen, wie ihm schien. Höchstens in der Raumfahrt zu gebrauchen. Ken konnte sich aber nicht vorstellen, daß hier jemand irgendeinen Planeten ansteuern wollte, ausgenommen natürlich Planet Drei, die Eiswelt. Man konnte diese Unterlagen auch dazu verwenden, die Instrumente einzustellen, falls man die fraglichen Planeten beobachten wollte, aber das erschien noch weniger wahrscheinlich.

Unter der Leitstrahlsteuerung befand sich eine kleine Lade, die ebenfalls zwei Zahlengruppen enthielt – wieder Raumkoordinaten. Diesmal aber erwachte Kens Interesse schlagartig, als er merkte daß das eine Zahlenpaar sich nicht auf Planeten bezog.

Es waren sechs Zahlengruppen, von denen jede Gruppe sechs bis zehn Ziffern enthielt. Und er erkannte sie. Mittels der ersten wurde ein Leitstern angegeben. Die nächsten waren Daten zum Richtungskosinus, die die dreidimensionale Peilung einer anderen Sonne angaben. Die fünfte war eine Entfernungsangabe. Normalerweise hätte er diese lange Ziffernreihe nicht wiedererkannt, doch waren es die Koordinaten der flammenden A-Klassen-Sonne, die Sarr, seinen Heimatplaneten, erwärmte. Die letzte Zahl war wieder eine Entfernungsangabe. Zweifellos stellte sie die Entfernung vom gegenwärtigen Beobachtungspunkt zum angeführten Stern dar. Ken kannte sich in der Standardnavigation gut genug aus und war seiner Sache sicher.

Dann mußte die andere Zahlengruppe die Richtung derselben Sonne im Verhältnis zu einem örtlichen Koordinatenpaar angeben.

Er kannte die Koordinaten nicht, dazu kam, daß die Zahlen zu lang waren, als daß er sich sie hätte merken können. Sie abzuschreiben, wäre einem Selbstmord gleichgekommen, falls es sich hier um mehr als nur Firmengeheimnisse handelte. Sallman Ken überlegte regungslos. Dann legte er das Blatt zurück in die Lade, schob sie zu und ging so hastig aus dem Observatorium, wie es sich mit der Vorsicht vereinbaren ließ.

Es sollte nicht der Eindruck entstehen, daß er sich lange drinnen aufgehalten hatte. Am besten, man wußte gar nicht, daß er sich eingeschlichen hatte, aber unterwegs auf der Rampe war er einigen begegnet. Er ging zur Unterkunft und tat so, als ob nichts wäre, obwohl sein Verstand wie wahnsinnig arbeitete.

Er kannte nun die Entfernung von seiner Heimatwelt. Die zweiundzwanzig Flugtage der Reise in dieses System waren also nicht in direktem Flug vergangen. Die Entfernung betrug nämlich nur zweihundertzwölf Parsek. Ein Punkt für Rade. Eine kostspielige Vorsichtsmaßnahme, aber bei einem Verbrecher eigentlich zu erwarten.

Die Entfernung zurück nach Hause von diesem System aus kannte er nicht. Aber das spielte keine allzu große Rolle. Die Rauschgiftabteilung legte mehr Wert auf die Gegenrichtung, in galaktischen Koordinaten ausgedrückt. Zwischen den beiden gab es keine mathematische Verbindung, sondern nur eine auf Schätzung beruhende Formel, die schwerer zu behalten war als die Richtung selbst.

Natürlich war der in den stellaren Koordinaten angeführte Leitstern von hier aus wahrscheinlich zu sehen. Aber wie konnte er ihn ohne Instrumente erkennen? Ebenso natürlich waren diese Instrumente greifbar, aber man durfte sich nicht damit erwischen lassen. Nein, das Orientierungsproblem war an seinem jetzigen Standort die unwichtigste Aufgabe.

Er hatte jetzt eine Tatsache in Erfahrung gebracht, und Rades Theorie hatte um einen Punkt an Wahrscheinlichkeit gewonnen. Sallman Ken entschied, daß dies eine fabelhafte Tagesleistung darstellte und gönnte sich deswegen eine ausgiebige Ruhepause.

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