VII

Roger Wing war mit seinen dreizehn Jahren alles andere als dumm. Er glaubte zu wissen, wo sein Vater und sein Bruder gewesen waren, und er fand diesen Umstand höchst interessant. Ein kurzes Gespräch mit Edie, und er wußte auch, wie lange die beiden fort gewesen waren. Zehn Minuten nachdem er mit seiner Mutter aus Clark Fork zurückgekommen war, hatte er seine bisherigen Vorstellungen von der Lage der ›geheimen Mine‹ revidiert. Bislang war sein Vater bei seinen Ausflügen immer mehrere Tage ausgeblieben.

»Edie, du weißt, daß die Mine höchstens acht bis zehn Kilometer von hier entfernt sein kann.« Die beiden gaben den Pferden Futter. Roger hatte sich vorher vergewissert, daß die kleineren Geschwister anderweitig beschäftigt waren. »Ich habe mit Don gesprochen. Ich weiß, daß Dad ihm die Mine zeigte. Noch ehe der Sommer um ist, werde ich sie auch sehen. Jede Wette.«

»Glaubst du, daß du das darfst? Wenn Dad es wollte, hätte er es uns gesagt.«

»Mir egal! Ich habe ein Recht darauf, alles zu erfahren, was ich nur herauskriegen kann. Außerdem werden wir bessere Späher sein, wenn wir die Stelle kennen, die wir abschirmen sollen.«

»Na ja, mag schon sein.«

»Außerdem weißt du ja, daß Dad manchmal alles so einrichtet, daß wir von allein dahinterkommen. Und wenn die Sache gelaufen ist, sagt er bloß, genau dafür hätten wir unseren Verstand mitbekommen. Du weißt doch, daß er nie ausdrücklich sagte, wir sollten die Mine nicht suchen – er sagte nur, er würde uns alles erklären, wenn die Zeit reif wäre. Na, was sagst du?«

»Hm, vielleicht. Und was willst du jetzt unternehmen? Wenn du versuchst, Dad nachzuschleichen, wird er dich sofort erwischen.«

»Das glaubst du. Außerdem werde ich ihm nicht nachschleichen. Ich gehe voraus. Morgen ganz zeitig gehe ich raus und suche nach Spuren, die Dad und Don hinterlassen haben. Und wenn die beiden wieder hinausgehen, beziehe ich bei der am weitesten entfernten Spur Posten und gehe von da an weiter. Das muß klappen!«

»Und wer macht die Kontrollrunden?«

»Wir beide, wie immer. Es wird ja nicht lange dauern. Wie ich schon sagte, wird es viel besser sein, wenn ich den Weg im Auge behalte, den sie tatsächlich nehmen. Glaubst du nicht?«

Edie warf ihm einen Blick zu, aus dem Zweifel sprach. »Na, vielleicht kommst du damit durch, aber laß dir eine gute Ausrede einfallen, falls du erwischt wirst«, lautete ihr Urteil.

Vierundzwanzig Stunden später fragte Roger sich, ob Ausreden überhaupt nötig waren, denn die Dinge hatten sich ganz anders entwickelt, als es seine umwerfend schlichte Voraussage gesehen hatte.

Erstens hatte er keine Zeit gehabt, nach eventuell hinterlassenen Spuren zu suchen, denn sein Vater und Don brachen am nächsten Tag bereits bei Morgengrauen auf. Dabei folgten sie nicht der Route des Vortages, sondern gingen die Strecke, die Mr. Wing in den vergangenen Jahren immer genommen hatte, nämlich den absichtlich im Zickzack gewählten Weg, der es seinen Spähern erlaubte, Abkürzungen zu machen, falls sie ihn vor einem Verfolger warnen mußten. Roger und Edith bekamen Standorte zugewiesen, die sie auch noch eine Stunde nach dem Passieren der beiden beobachten sollten. Danach sollten sie ihn auf Abkürzungen einholen und Bericht erstatten. Roger sah seine Schwester argwöhnisch an, als er diese Anweisungen erhielt. Nein, sie hatte ihn nicht verraten. Sein Vater war ihm bloß wie immer eine Nasenlänge voraus.

Als er Meldung machte, war der Morgen schon weit fortgeschritten. Er sah seinem Vater und Don nach, die in nördlicher Richtung weitergingen und verschwanden. Nach Ediths Aussage war dies nicht die Richtung, die sie tags zuvor eingeschlagen hatten. Die Frage erhob sich nun, ob sie auch am Vortag eine falsche Spur ausgelegt hatten. Eine sofortige Suche nach Spuren war die einzige Lösung, die sich ihm bot. Und es war keine hoffnungslose Lösung, Denn es gab Stellen, die man unmöglich passieren konnte, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Mied jemand diese Stellen absichtlich, so schränkte er seine Möglichkeiten beträchtlich ein.

Zu Mittag aber mußte der Junge sich eingestehen, daß er entweder weniger vom Spurensichern verstand, als er geglaubt hatte, oder aber die beiden hatten den Tag oben auf dem Speicher verbracht. Er hatte nichts entdeckt, was er mit Sicherheit Spur hätte nennen können.

Nach dem Essen gab er seine Suche auf und marschierte einfach Richtung Osten los. Seine Schwester hatte gesagt, die beiden hätten diese Richtung eingeschlagen. Es bestand immerhin die winzige Chance, daß sie diesmal auf alle Vorsichtsmaßnahmen verzichtet hatten.

Er lief den halben Nachmittag und folgte dabei natürlichen Pfaden. Schließlich hielt er etwa zwölf Kilometer vom Haus entfernt inne.

Er befand sich in einem Tal, das von einem rauschenden Bach durchflossen wurde. Die Berge zu beiden Seiten stiegen steil und hoch an, wurden aber von ihren Nachbarn noch überragt. Die Erhebungen stiegen hier bis zu einer Höhe von über zweitausend Meter an. In dieser Gegend war Roger noch nie gewesen, auch nicht mit seinem Vater, aber er hatte die Orientierung noch nicht verloren. Einzig die Tatsache machte ihm Sorgen, daß er noch keine Spur von seinem Vater und von Don hatte entdecken können.

Er hatte die Absicht, von diesem Punkt aus wieder den Weg nach Hause einzuschlagen, im Zickzackkurs, um vor Einbruch der Dunkelheit noch möglichst viel Gelände absuchen zu können. Die erste Abweichung sollte ihn den Berghang hinauf nach Süden führen. Damit wollte er mögliche Spuren auf dieser Seite des Berges abdecken. Oben angekommen, würde er sich entscheiden, ob er sofort die andere Seite hinunter wollte, oder erst ein Stück in westlicher Richtung, ehe er zurück nach Norden abschwenkte. Es sollte sich zeigen, daß er sich nicht zu entscheiden brauchte.

Roger Wing war natürlich längst nicht so erfahren im Spurensuchen, wie er es sich gern einredete. Tatsächlich hatte er die Spur, die er eifrig suchte, seit dem Verlassen des Hauses viermal gekreuzt. Sein gegenwärtiger Standort lag am Fuße des Hügels mit dem freien Hang, den die ›Schürfer‹ am Vortag gekreuzt hatten, zwei Kilometer von der sarrianischen Bodenstation entfernt. Die Richtung, die er nun einschlug, würde ihn bis in die unmittelbare Nähe der Station heranführen.

So weit sollte er gar nicht kommen. Donald hatte ganz recht mit seiner Annahme, daß niemand diesen Geröllhang queren konnte, ohne Spuren zu hinterlassen. Roger übersah zwar die Spuren, die die beiden auf dem Hinweg hinterlassen hatten, er entdeckte aber die Stelle, an der sein Bruder sich auf dem Rückweg oberhalb der Geröllhalde durch ein ungewöhnlich dichtes Gebüsch den Weg gebahnt hatte. Natürlich war dies eine Achtlosigkeit von seiten des Älteren, der zu diesem Zeitpunkt vor allem nach fremden Spuren suchte und dabei an die eigenen nicht dachte. Die geknickten Zweige sagten zwar nichts über die Identität des Wanderers aus, zeigten aber deutlich die Richtung an, die er eingeschlagen hatte. Prompt wandte sich auch der Junge nach Westen. Wäre er stehengeblieben und hätte er kurz nachgedacht, dann hätte ihm auffallen müssen, daß eine Spur in dieser Richtung kaum zu der Vermutung paßte, sein Vater und Don hätten direkt auf die ›Mine‹ zugehalten. In diesem Moment aber war ihm nicht nach Überlegen zumute. Er hatte eine Spur entdeckt, der er unbeirrt folgte.

Nachdem er die Gebüschstrecke hinter sich gebracht hatte, sah er, daß die Spur weder deutlicher noch undeutlicher geworden war. Roger konnte sie eben noch wahrnehmen und ihr folgen. Vielleicht hing es damit zusammen, daß er nun mit Sicherheit eine Spur vor sich wußte. Er wußte aber immer noch nicht, ob die Spuren von seinem Vater, von seinem Bruder oder von beiden stammte. Er übersah auch die Stelle, wo die beiden sich wieder getroffen hatten, nachdem sie beide Seiten des Geröllhanges abgegangen waren. Er ging einfach weiter, entdeckte da und dort einen Abdruck im Nadelteppich oder geknickte Zweige, wo das Strauchwerk wieder dichter wurde.

Er stieg über den Westhang des Hügels ab, nachdem er den ganzen Hügel bis zu dem Punkt, wo die Spuren begonnen hatten, umrundet hatte. Er querte das schmale Tal auf dieser Seite und übersprang den Bach mit Leichtigkeit. Hier entdeckte er das einzige Anzeichen dafür, daß er zwei Personen auf der Spur war. Er sah die Abdrücke, die sie beim Überspringen des Baches hinterlassen hatten. Es waren bloß Vertiefungen, keine richtigen Schuhabdrücke, doch es waren vier. Zwei Paar, von denen je ein Abdruck tiefer war, so als hätte der Springer das Gewicht auf einen Fuß verlegt.

Nun ging es den nächsten Berghang hinauf. Unter den Bäumen war es schon dunkler, da die Sonne sich bereits hinter dem vor ihm liegenden Gipfel versteckt hatte. Und plötzlich stellte er sich die Frage, ob er wirklich auf der richtigen Spur war. Er blieb stehen, sah um sich und entdeckte erst auf einer Seite und dann auf der anderen Spuren von der Art, wie er sie verfolgt hatte. Gleichzeitig machte sich bei ihm Unsicherheit bemerkbar, ob dies die richtigen Spuren wären.

Er ging ein Stück weiter und blieb wieder stehen. Dann ging er den Weg zurück – und stieß etliche Meter von der Stelle, wo er gesprungen war, auf den Bach. Er suchte seine eigenen Spuren, und als er sie gefunden hatte, wurde ihm klar, daß er seiner eigenen Fährte nicht genau hatte folgen können.

Jetzt hätte er sich unverzüglich auf den Heimweg machen müssen. Natürlich tat er nichts dergleichen. Während die Schatten am Osthang immer dunkler wurden, suchte er noch immer nach Spuren. Alle paar Minuten fand er etwas, überlegte und fand gleich darauf wieder etwas. Allmählich arbeitete er sich wieder den Hang hoch, bis er auf blanken Fels stieß. Nach längerer Überlegung wandte er sich nach Westen, wo es noch heller war. Schließlich waren sein Vater und Don in westlicher Richtung gegangen.

Wieder querte er ein Tal. Diesmal war das Bachbett ausgetrocknet, und es gab keine Fußspuren vom Darüberspringen. Er befand sich bereits in Gipfelnähe des ungewöhnlich niedrigen Hügels auf der anderen Talseite, als er merkte, wie spät es geworden war. Roger war so vertieft in seine Spurensuche gewesen, daß er nicht einmal bemerkt hatte, wie hungrig er war. Erst als er auf dem Boden nichts mehr unterscheiden konnte, weil es so dunkel geworden war, schreckte er auf. Er hatte keine Taschenlampe dabei, da er ja nicht geplant hatte, so lange auszubleiben. Schlimmer noch, er hatte keinen Proviant, kein Wasser und keine Decke dabei. Das Fehlen von Taschenlampe und Proviant waren ernste Unterlassungssünden, oder sie wären zumindest als solche bezeichnet worden, wenn sein Vater geahnt hätte, daß er sich ohne diese Mindestausrüstung weit in die Wälder gewagt hatte.

Roger Wing ging es ganz plötzlich auf, daß er kein zweiter Daniel Boone oder Kit Carson war, als er die ersten Sterne über sich am tiefblauen Himmel zwischen den Baumwipfeln sah. Er war ein Junge von dreizehn Jahren, der sich durch seine eigene Waghalsigkeit in eine Situation manövriert hatte, die mit Sicherheit sehr ungemütlich, vielleicht sogar gefährlich werden konnte.

Roger war zwar unvorsichtig, aber nicht dumm. Seine erste Reaktion nach der Einschätzung seiner Lage war daher kein kopfloses Davonlaufen nach Hause. Statt dessen blieb er stehen, wo er war und legte sich sein weiteres Vorgehen zurecht.

Es würde in der Nacht bitter kalt werden. Dagegen gab es kein Mittel, wenngleich ein paar Zweige das Ärgste vielleicht verhüten würden. Nahrung gab es keine, zumindest keine, die er in der Finsternis finden konnte. Mit dem Wasser stand es anders. Wasser mußte zu finden sein, und das war schließlich das wichtigste. Da der Bach in dem Tal, das er eben gequert hatte, ausgetrocknet war, machte sich der Junge auf den Weg über den niedrigen Hügelrücken vor ihm und stieg den Hang auf der anderen Seite hinunter. Dabei mußte er sich fast ausschließlich auf sein Tastgefühl verlassen, da die herrschende Dämmerung das Dunkel unter den Bäumen nicht erreichte. Er fand wie erhofft einen Wasserlauf, teils dem Gehör folgend, teils weil er praktisch über das Ufer stolperte.

Ein Messer hatte er bei sich. Damit schnitt er Tannenzweige ab, aus denen er sich neben dem Bach ein Lager baute, indem er einen umgefallenen Baumstamm als primitives Dach benutzte und die Zweige daran lehnte. Alles was die Luft nur einigermaßen vom Körper abhielt, stellte eine Hilfe dar. Dann trank er aus dem Bach, lockerte den Gürtel und kroch in seinen primitiven Unterschlupf. In Anbetracht der Umstände dauerte es gar nicht lange, bis er eingeschlafen war.

Er war ein gesunder Junge und die Nacht nicht besonders kalt. Er schlief so fest, daß das Krachen und Knistern der Äste der Waldwipfel ihn nicht weckten. Auch das viel lautere Knirschen, als Kens Torpedo durchs Unterholz stieß, bewirkte bloß, daß er sich verschlafen brummend umdrehte.

Schließlich aber wurde er durch einen Reiz geweckt, der jeden Waldbewohner zu hektischer Aktivität trieb. Der Lukendeckel des Torpedos sah zum Lager des Jungen hin. Das Licht des brennenden Natriums und das Glühen von Gold und Eisen störten ihn nicht. Davon bekam er höchstens schlechte Träume oder aber er blickte zu diesem Zeitpunkt in die andere Richtung. Das Aufblitzen des brennenden Magnesiums traf direkt die geschlossenen Lider. Er schreckte auf, war im Handumdrehen auf den Beinen und schrie ›Feuer‹, noch ehe er richtig wach war.

Roger hatte die verheerenden Folgen der Waldbrände kennengelernt. Im Sommer zuvor hatte es nördlich von Bonners Ferry einen ausgedehnten Waldbrand gegeben und einen kleineren in der Nähe von Troy. Er wußte, was eine solche Katastrophe für das Leben im Wald bedeutete. Sekundenlang war er wie erstarrt vor Entsetzen. Er machte einen Satz fort von der Lichtquelle und kam erst richtig zu sich, als er über den Baumstamm stolperte, neben dem er gelegen hatte.

Während er langsam wieder auf die Beine kam, merkte er, daß das Licht nicht von flackernden, roten Flammen herrührte, daß man auch nicht das krachende Dröhnen hörte, das man ihm so oft geschildert hatte, und daß er keinen Rauchgeruch spürte. Er hatte noch nie Magnesium brennen gesehen. Allein die Tatsache, daß es sich um keinen Waldbrand handelte, rief seine Neugierde wieder wach.

Das Licht war so hell, daß er den Bach überspringen konnte und in Sekundenschnelle durch das Unterholz krachend auf die Lichtquelle zulief, wobei er laut rief: »Hallo! Wer da? Was soll das Licht?«

Das dröhnende Grollen Sallman Kens brachte ihn fast um den Verstand, so heftig erschrak er. Die trommelähnliche Sprechmembran des Sarrianers vermag die meisten menschlichen Sprechlaute nachzuahmen, mit einer gewissen Verzerrung allerdings, die dem menschlichen Ohr wehtut. Der Versuch, seine Worte mit jenen unheimlichen Tönen nachzuahmen, jagte dem Jungen Schauder über den Rücken. Die Tatsache, daß er seine eigenen Worte in dem Gedröhne wiedererkannte, machte alles nur noch ärger.

Er blieb staunend zwei Meter vor dem Torpedo stehen. Das blauweiße Leuchten aus der rechteckigen Luke war bei seiner Annäherung erloschen. Er sah jetzt ein immer schwächer werdendes gelb-weißes Glühen, da der Magnesium-Behälter sich langsam abkühlte. Viel konnte er nicht erkennen. Der Raum hinter der Luke schien das gesamte Innere des unteren Teils dieses Gebildes einzunehmen. Der Boden war bedeckt mit zylindrischen Gegenständen in Faustgröße. Eines dieser Gebilde war die Quelle des Glühens, zwei andere Gefäße strahlten ein stumpfes Rot aus. Roger hatte sich nicht gründlicher umsehen können, da nun Ken seine Liste von Edelmetallen herunterratterte.

Roger wußte natürlich, was Platin und Iridium war, auch wenn diese Worte unter den Eigentümlichkeiten des sarrianischen Stimmapparates ein wenig litten. Doch wie bei vielen anderen menschlichen Wesen war es erst die Erwähnung von Gold, die ihm richtig in die Glieder fuhr. Er wiederholte das Wort sofort.

»Gold!«

»Gold«, antwortete die dröhnende Stimme aus dem Torpedo. Roger nahm seinen Mut zusammen und näherte sich der noch immer leuchtenden Luke, um ins Innere zu spähen. Er hatte richtig vermutet. Die kleinen zylindrischen Tiegel nahmen den gesamten Raum ein. Die Kammer war mit weißem Staub bedeckt, Titan- und Magnesiumoxide, die aus den Behältern spritzten, während die Reaktionen im Gange waren. Kleine gelbliche Natriumperoxidkügelchen waren ebenso reichlich versprüht. Noch immer drang Wärme und ein schwacher Schwefelgeruch aus der Kammer. Als Roger vorsichtig die Hand auf den Boden legte, war die Temperatur erträglich. Und er sah auf den ersten Blick, wovon der unsichtbare Sprecher gesprochen hatte – das Gold, das in dem kleinen Behälter schon erstarrt war. Es war hell genug, daß er es erkennen konnte. Es befand sich aber auch nichts annähernd Gleichfarbiges in der Kammer.

Der Junge handelte ohne zu zögern, aber mit mehr Voraussicht, als man ihm zugetraut hätte. Ein trockener Zweig wurde als Hilfsmittel benutzt – die Lukentür erinnerte ihn nämlich fatal an eine Falle. Deshalb stützte er sie vorsichtshalber mit dem Zweig ab. Dann langte er nach dem Goldtiegel.

Dabei übersah er die Drähte, die die Heizanlage mit der Energiequelle des Torpedos verbanden. Er faßte nach dem Tiegel und verschwendete keinen Blick auf die Drähte, obwohl sie der Grund dafür waren, daß er das Ding nicht herausbekam. Er hatte Zeit, einmal kräftig zuzupacken, ehe sich die Tatsache bemerkbar machte, daß sich das Metall erst vor kurzem noch in geschmolzenem Zustand befunden hatte.

Roger, der fast den Kopf in die Kammer gesteckt hätte, schrie noch lauter auf als vorhin, ließ den Tiegel los, versetzte dem Torpedorumpf einen wütenden Tritt und fing an wie wild herumzutanzen, wobei er seine verbrannte Hand festhielt und Verwünschungen gegen die Unbekannten ausstieß, die Schuld an seiner Verletzung trugen. Dabei entging ihm, daß der als Stütze benutzte Ast zerbrach, als die Lukentür zuging. Er bemerkte nur, daß es plötzlich fast ganz dunkel wurde. Was passiert war, sah er erst, als die Tür wieder aufging. Ohne zu wissen warum, fegte er mit der heilen Hand die geknickten Aststücke weg und stand gleich darauf in völliger Finsternis da, als die Tür sich nun ganz schließen ließ. Dabei wurde er das unbehagliche Gefühl nicht los, daß er beobachtet wurde.

Wieder dröhnte die Stimme los. Wieder erkannte er das Wort ›Gold‹, doch die Silben, die dazwischen kamen, waren zu verzerrt, als daß er sie hätte verstehen können. Er hatte überdies keinen Tabak bei sich, und im Torpedo gab es auch keinen, so daß er gar nicht auf die Idee kam, was gemeint sein könnte. Er machte auch keinen Versuch, das fremd klingende Wort nachzuahmen, und nach einer Weile verstummten die Äußerungen.

Nun ertönten schwächere Geräusche, die nicht an ihn gerichtet schienen, obwohl sie auch wie Sprache klangen. Roger hätte sie natürlich nicht so eingestuft, doch hatte er den deutlichen Eindruck, daß er Zeuge eines Wortwechsels war.

Es dauerte eine gewisse Zeit, bis der Refrain von vorhin wieder zu hören war. »Gold – Tafak – Gold – Tafak.« Schließlich war es Roger zu viel und er schrie den dunklen Rumpf an:

»Ich weiß nicht, was das soll, verdammt nochmal! Ich will verdammt sein, wenn ich dein Gold wieder anfasse, und die anderen Wörter kenne ich nicht. Halt die Klappe!«

Wieder versetzte er dem Rumpf einen Tritt, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Er war richtig erschrocken, als die Stimme nun schwieg. Er trat ein paar Schritte zurück, gespannt, was als nächstes folgen würde. Er tat gut daran.

Lautlos löste sich das Torpedo vom Boden, schoß in die Höhe, krachte durchs Geäst und verschwand im nachtschwarzen Himmel, begleitet vom Pfeifen empörter Luft. Der Junge blieb wie angewurzelt stehen und sah durch die Lücke in den Ästen hoch. Seine Mühe wurde nicht belohnt. Er sah Sterne und sonst gar nichts.

Roger Wing fand in jener Nacht sehr wenig Schlaf. Die Tatsache, daß er auf dem Weg zu seinem Lager nasse Füße bekam, trug nur zum Teil die Schuld daran.

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