Hal Clement Eiswelt

I

Sallman Ken war sich nie ganz sicher gewesen, ob es klug gewesen war, auf Rades Ersuchen einzugehen. Er war kein Polizist, und er wußte das. Körperliche Gefahren waren nicht sein Fall. Er war zwar immer der Meinung gewesen, ein gewisses Ausmaß an Unbehagen ertragen zu können, doch der Anblick, der sich ihm durch das Bullauge der Karella bot, ließ ihn zweifeln.

Dabei mußte er zugeben, daß Rade fair gewesen war. Der Chef der Rauschgiftabteilung hatte ihm offensichtlich alles gesagt, was er selbst wußte. So viel jedenfalls, daß Ken mit ausreichendem Einsatz seiner Phantasie sogar so etwas hätte voraussehen können.

»Viel ist davon ja nie aufgetaucht«, hatte Rade erklärt. »Wir wissen nicht mal, wie die Händler das Zeug nennen – für sie ist es einfach eine ›Prise‹. Es ist jetzt ein paar Jahre im Umlauf. Als es auftauchte, begannen wir uns dafür zu interessieren, doch als sich herausstellte, daß es sich bloß um kleine Mengen handelte, ließen wir es links liegen.«

»Was ist denn dann so gefährlich daran?« hatte Ken gefragt.

»Jedes Suchtgift ist gefährlich, das sollten Sie als Lehrer naturwissenschaftlicher Fächer eigentlich am besten wissen. Die besondere Gefährlichkeit des Zeugs scheint darin zu liegen, daß es gasförmig ist und daher einem unfreiwilligen Opfer leicht eingeflößt werden kann; und es ist so stark, daß eine einzige Dosis unvermeidlich zur Sucht führt. Sie begreifen, was für eine Gefahr für die Allgemeinheit das werden könnte.« Ken hatte es deutlich begriffen.

»Wir verstehen uns also. Mich wundert nur, daß wir nicht alle schon längst süchtig geworden sind. Ein Generator im Ventilationssystem eines Gebäudes, an Bord eines Schiffes – damit könnten Hunderte sicherer Kunden für denjenigen gewonnen werden, der das Rauschgift vertreibt. Warum also ist eine weitere Verbreitung ausgeblieben?«

Rade hatte zum erstenmal ein Lächeln sehen lassen. »Dafür scheint es zwei Gründe zu geben. Es gibt Schwierigkeiten mit der Herstellung, falls die vagen Gerüchte, die uns zugetragen werden, in etwa zutreffen. Und zweitens hält sich das Zeug nicht bei normaler Temperatur. Es muß bei extrem niedrigen Temperaturen gelagert werden. Unter normalen Bedingungen zersetzt es sich in Sekundenschnelle. Ich glaube, es ist der gleiche Prozeß wie bei Verfallsprodukten, aber bis jetzt haben wir leider keine Probe bekommen, um das zu belegen.«

»Und was habe ich dabei zu tun? Wenn Sie keine Probe haben, dann kann ich sie auch nicht analysieren. Ich brächte es vielleicht ohnehin nicht fertig, schließlich bin ich Lehrer und nicht Chemiker von Beruf. Was könnte ich sonst noch tun?«

»Gerade weil Sie Lehrer sind – so eine Art naturwissenschaftliches Universalgenie, ohne auf irgendeinem Gebiet Experte zu sein –, könnten Sie uns von Nutzen sein. Ich sagte schon, daß es mit diesem Rauschgift Schwierigkeiten gibt.

Wir können davon ausgehen, daß die Hersteller die Menge erhöhen möchten. Zu diesem Zweck brauchen sie natürlich einen erstklassigen Produktionstechniker. Sie wissen so gut wie ich, daß sie es allein niemals schaffen könnten. Kein Mensch könnte heimlich in so ein Projekt eingeschleust werden. Jeder halbwegs fähige Ingenieur hat seit der Entdeckung von Velio alle Hände voll zu tun. Wenn jemand entsprechende Kontakte knüpft, dann kämen wir ihm mit Leichtigkeit auf die Spur.

Sie hingegen sind ganz unverdächtig. Sie haben Urlaub, ein ganzes Jahr. Niemandem wird Ihre Abwesenheit auffallen – und wir gehen davon aus, daß diese Leute einigermaßen Grips haben. Deshalb haben wir dieses Gespräch unter größter Geheimhaltung arrangiert.«

»Aber irgendwie müssen Sie auf mich aufmerksam machen, sonst erfahren die anderen ja niemals von meiner Existenz«, wandte Ken ein.

»Das läßt sich machen – eigentlich ist es schon geschehen. Wir haben Ihr Einverständnis vorausgesetzt. Die Sache ist einfach zu wichtig. In den Kreisen der Unterwelt gehen bereits Gerüchte um, Sie wären der Hersteller der Bombe, die das Storm-Werk außer Betrieb setzte. Wir könnten Ihren Ruf noch ein bißchen ausbauen…«

»Damit ich nie wieder ehrliche Arbeit finde?«

»Kein Mensch wird davon erfahren, auch Ihre jetzigen Arbeitgeber nicht.«

Ken wußte noch immer nicht richtig, warum er angenommen hatte. Vielleicht weil die Arbeit bei der Polizei ihm irgendwie von Glanz und Gloria umwittert zu sein schien, obwohl er natürlich wußte, daß es sich heutzutage größtenteils um Laborarbeit handelte. Dieser Fall hier war wohl eine Ausnahme – oder nicht? Er war, wie Rade erwartet hatte, von einem höchst wortkargen Individuum angeworben worden, das behauptete, bestimmte Handelsinteressen zu vertreten. Man war übereingekommen, daß er sein Wissen seinen Auftraggebern zur Verfügung stellte. Vermutlich würde man ihn ganz einfach in ein Labor stecken und ihm die Lösung irgendeines Produktionsproblems übertragen. In diesem Fall würde er seine Stelle sehr schnell wieder los sein und würde sich bei Rade entschuldigen müssen.

Denn bis jetzt hatte er nichts in Erfahrung bringen können. Sogar der Mann von der Rauschgiftabteilung hatte zugeben müssen, daß seine Leute keinen kannten, der mit Sicherheit mit dem Ring in Verbindung stand. Es war sehr gut möglich, daß er von vergleichsweise anständigen Leuten angeheuert worden war – anständig im Vergleich zu Rauschgifthändlern, versteht sich. Genau das war womöglich passiert. Man hatte ihn auf dem Raumflughafen der Nordinsel an Bord der Karella gebracht, und die darauffolgenden zweiundzwanzig Tage hatte er überhaupt nichts gesehen.

Natürlich wußte er, daß das Rauschgift nicht vom Planeten stammte. Rade hatte immerhin durchblicken lassen, daß man auf die ersten Lieferungen aufmerksam geworden war, als man eintreffende Kühlaggregate untersucht hatte. Er hatte allerdings nicht gewußt, daß es von außerhalb des sarrianischen Planetensystems stammte. Zweiundzwanzig Tage, das war eine lange Fahrt, falls man eine direkte Route geflogen war.

Die Welt, die nun draußen am Himmel hing, sah nicht so aus, als könne sie überhaupt etwas hervorbringen. Nur eine ganz schmale Sichel war sichtbar, da sie fast genau zwischen dem Schiff und einer bemerkenswert schwachen Sonne lag: An der Art, wie das dunkle Reststück der Scheibe die Milchstraße verdunkelte, sah man deutlich, daß der Planet keine Atmosphäre hatte. Er war gebirgig, unwirtlich und kalt. Letzteres erkannte Ken an der Beschaffenheit der Sonne. Diese war so schwach, daß man sie ohne Augenschutz ansehen konnte. Für Kens Farbempfinden war sie rötlich und dazu ziemlich klein. Eine Welt, die sich in so großer Entfernung von einer Sonne dieser Art befand, konnte nur kalt sein.

Natürlich brauchte Rades Rauschgift niedrige Temperaturen. Für den Fall, daß sie hier hergestellt wurde, wollte Ken sich aus der Sache zurückziehen, komme, was da wolle. Allein der Anblick dieses Planeten jagte ihm Schauer über den Rücken.

Er wünschte, jemand würde ihn informieren, was eigentlich vorging. Über der Tür seiner Kabine war ein Lautsprecher angebracht, der bis jetzt aber nur dazu benutzt worden war, ihm mitzuteilen, daß sein Essen vor der Tür stünde und diese im Moment unversperrt sei.

Man hatte ihm nämlich nicht erlaubt, den Raum zu verlassen. Dies deutete auf ungesetzliche Machenschaften irgendwelcher Art hin. Leider waren es Machenschaften, die sich nicht unbedingt auf jene Art beschränkten, hinter der er her war. Den Handelsbestimmungen war es zuzuschreiben, daß ein auf Erkundungsfahrt befindlicher Händler, der auf ein bewohntes System stieß, seine Entdeckung geheimhielt, um sich allein daran zu bereichern. Es war nur natürlich, daß man die Position eines solchen neuen Systems vor einem neuen Mitarbeiter ebenfalls geheimhielt.

Er riskierte eine laute Äußerung. Schließlich mußte die Tatsache, daß sie sich so lange in der Nähe dieser Welt aufhielten, irgendeine Bedeutung haben.

»Soll ich etwa auf diesem Planeten arbeiten? Sehr unwirtlich, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten.« Er war nicht wenig erstaunt, als er darauf eine Antwort bekam. Die Stimme war eine andere als die, die seine Mahlzeiten ankündigte.

»Das stimmt. Ich bin dort selbst nie gelandet, aber so wie der Planet aussieht, muß es dort schrecklich sein. Soweit uns im Augenblick bekannt ist, macht Ihre Arbeit einen Aufenthalt dort nicht nötig.«

»Was ist eigentlich meine Arbeit? Oder wollen Sie damit noch immer nicht herausrücken?«

»Es kann nicht schaden, wenn Sie mehr erfahren, da wir jetzt das richtige Planetensystem erreicht haben.«

Ken sah voller Unbehagen zu der matten Sonne hin, verkniff sich aber jegliche Bemerkung.

»Die Tür ist nicht verschlossen. Draußen im Korridor gehen Sie nach rechts bis ans Ende. Sie kommen dann in den Kontrollraum. Dort bin ich. Es ist angenehmer, wenn man sich beim Reden gegenübersteht.« Der Lautsprecher verstummte, und Ken tat, was verlangt worden war. Die Karella sah aus wie jedes Standardraumschiff und war zwischen 45 und 60 Meter lang, der Durchmesser betrug ein Drittel davon. Zylinderförmig mit leicht gerundeten Enden. Reichlich Raum, für Passagiere, Fracht oder was immer der Eigner befördern wollte.

Im Kontrollraum war außer den Anwesenden nichts Außergewöhnliches zu sehen. Einer der beiden mußte der Pilot sein. Er war vor der Hauptsteuerkonsole an seinen Sitz geschnallt. Der andere schwebte frei mitten im Raum, offenbar in Erwartung Kens, da seine beiden Augen auf die Tür gerichtet waren. Er sprach ihn sofort an. Es war die Stimme, die den Wissenschaftler aufgefordert hatte zu kommen.

»Ich wollte eine persönliche Begegnung eigentlich hinauszögern, bis Sie unser Angebot endgültig angenommen hätten. Andererseits kann es auch nicht schaden, wenn wir einander kennenlernen. Meine Besuche auf Sarr werden immer spärlicher. Die Chance, daß wir einander begegnen, falls wir uns nicht einig werden können, ist sehr gering.«

»Dann haben Sie also Ihre Finger in irgendeiner illegalen Sache?« Ken konnte sich diese Frage erlauben, da der andere diesen Umstand deutlich hatte anklingen lassen. Die Gegenseite würde sicher davon ausgehen, daß er nicht auf den Kopf gefallen war.

»Illegal, ja, wenn man das Gesetz engherzig auslegt. Meine Ansicht, die im übrigen von vielen geteilt wird, ist folgende: Wenn jemand einen bewohnten Planeten entdeckt, ihn auf eigene Kosten erforscht und mit den Bewohnern Beziehungen anknüpft, dann hat er das moralische Recht, davon zu profitieren. Und das ist in groben Zügen unsere Situation.«

Kens Stimmung sackte ab. Es sah so aus, als wäre er genau mit jener Sorte kleiner Gaunerei in Berührung gekommen, die er insgeheim befürchtet hatte. Er würde Rade auf diese Weise nicht viel weiterhelfen können.

»Dieser Standpunkt hat sicherlich einiges für sich«, äußerte er vorsichtig. »Aber was kann ich für Sie tun? Ich bin kein Sprachwissenschaftler und habe so gut wie keine Ahnung von Wirtschaft, falls Sie Schwierigkeiten in dieser Hinsicht haben sollten.«

»Schwierigkeiten haben wir, aber auf einem anderen Gebiet. Sie ergeben sich aus der Tatsache, daß der fragliche Planet starke Unterschiede zu Sarr aufweist. Landungen auf diesem Planeten sind unmöglich. Nur unter allergrößten Schwierigkeiten gelang es uns, persönlichen Kontakt mit einer Gruppe Eingeborener herzustellen. Ob mit einer Gruppe oder einem einzelnen Individuum, das können wir nicht unterscheiden.«

»Nicht unterscheiden? Können Sie denn keine Torpedosonde mit einer Fernsehanlage hinunterschicken?«

»Na, Sie werden ja selbst sehen.« Das noch immer namenlose Individuum reagierte mit einem unangenehmen Lächeln. »Jedenfalls haben wir es geschafft, mit diesem oder diesen Eingeborenen einen kleinen Handel aufzuziehen. Die haben etwas, was wir gebrauchen können. Wie Sie sich denken können, bekommen wir das Zeug bloß tröpfchenweise. Das Heranschaffen größerer Mengen – das ist im Grunde genommen das Problem, mit dem Sie sich beschäftigen werden. Sie könnten irgendeine Möglichkeit ausknobeln, persönlich dort zu landen, aber Sie sind kein Ingenieur. Mir schwebt eher vor, daß Sie die Bedingungen auf dem Planeten genau analysieren – Atmosphäre, Temperatur, Lichtverhältnisse und so weiter, damit wir diese Bedingungen an einem für uns geeigneteren Ort reproduzieren und das Produkt selbst erzeugen können. Damit würden wir uns auch den Preis ersparen, den die Eingeborenen fordern.«

»Klingt ganz einfach. Mir fällt dabei auf, daß Sie sich über die Natur dieses Produkts ausschweigen, bis auf den Umstand, daß es pflanzlicher Natur ist. Aber das stört mich nicht. Ich hatte mal einen Freund in der Parfümbranche. Er war der reinste Geheimniskrämer, auch wenn es sich um primitivste Chemie handelte. Ja, ich will es versuchen, aber ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß ich bei weitem nicht der beste Chemiker der Galaxis bin. Außerdem habe ich keine Apparate dabei, da ich nicht wußte, was Sie von mir wollen. Ist an Bord vielleicht etwas vorhanden?«

»An Bord nicht. Wir haben den Planeten vor etwa zwanzig Jahren entdeckt und eine einigermaßen solide und funktionsfähige Basis auf dem innersten Planeten des Systems errichtet. Er hat eine Hälfte ständig der Sonne zugewandt. In einem kleinen Tal nahe des Pols konnten wir so viel Sonnenlicht konzentrieren, daß die Temperatur erträglich ist. Dort haben wir ein anständiges Labor und eine Werkstatt mit einem ausgezeichneten Techniker, einem gewissen Feth Allmer. Falls Sie etwas brauchen sollten, was wir dort nicht haben, können wir es Ihnen holen. Na, wie hört sich das an?«

»Richtig gut. Ich nehme den Auftrag an und werde tun, was ich kann.« Kens Stimmung hatte sich gebessert, teils weil die Arbeit an sich interessant zu sein schien, teils wegen einiger Bemerkungen des anderen. Falls das Produkt eine Pflanze war, und es sah ganz danach aus, so bestand immerhin eine kleine Möglichkeit, daß er sich auf der richtigen Spur befand. Zwar war von der Notwendigkeit der Kühlung nicht ausdrücklich die Rede gewesen. Nach allem, was er bis jetzt zu hören bekommen hatte, konnte der Planet ebensogut zu heiß wie zu kalt sein. Was er allerdings von der Sonne dieses Systems gesehen hatte, ließ das erstere zweifelhaft erscheinen. Und dann diese Bemerkung, daß man auf dem innersten Planeten zusätzlich Wärme konzentrierte – nein, der Planet war kalt. Ganz entschieden. Die Chancen standen wieder besser. Er riß sich von diesen Gedanken los, als er bemerkte, daß sein Chef, falls es sich um das Haupt des Unternehmens handelte, wieder etwas sagte.

»Ich war sicher, daß Sie annehmen würden. Sie können anfordern, was Sie wollen, jetzt gleich. Sie können dieses Schiff nach Belieben verwenden und müssen sich bloß nach Ordon Lees Veto richten, falls er meint, das Schiff befinde sich in Gefahr.« Ein biegsamer Tentakel deutete auf den Piloten, als der Name fiel. »Übrigens, ich bin Laj Drai. Sie arbeiten für mich, eine Tatsache, die Sie sich stets vor Augen halten sollten, zu unserer beider Wohl. Nun, was sollte Ihrer Meinung nach als erstes in Angriff genommen werden?«

Ken hielt es für besser, Drais Bemerkung bezüglich seines höheren Ranges zu überhören und dessen Frage mit einer anderen Frage zu beantworten.

»Haben Sie irgendwelche Proben von Atmosphäre oder Boden dieses Planeten?«

»Nicht von der Atmosphäre. Es ist uns nicht geglückt, eine Probe davon zu behalten. Vielleicht sind wir dabei nicht richtig vorgegangen. Einer der Zylinder, die wir einholten, hatte ein Leck und fing an, in unserer Atmosphäre zu brennen. Vielleicht können Sie mit dieser Tatsache etwas anfangen. Wir besitzen Proben vom Erdreich, die aber samt und sonders unserer Luft ausgesetzt wurden und sich vielleicht verändert haben. Das müssen Sie selbst entscheiden. Ich weiß nur, daß die Atmosphäre einen Druck von zwei Drittel Sarr-Normal besitzt, und daß die Temperatur auf dem Planeten so niedrig ist, daß sie die Gase unserer eigenen Atmosphäre gefrieren läßt – ich glaube, dort würde sogar Kalium gefrieren. Unser Techniker behauptete, genau das sei einem unserer Apparate passiert, der seinen Geist aufgab.«

»Wie steht es mit der Größe?«

»Größer als Sarr – die genauen Werte haben wir auf unserer Basis auf Planet Eins vorliegen.

Es ist einfacher, wenn Sie dort nachsehen. Ich kann mir die genauen Werte einfach nicht merken, und ehrlich gesagt, allzu genau sind die Werte ohnehin nicht. Sie sind hier der Wissenschaftler. Meine Leute sind bloß Augen und Tentakel in Ihren Diensten.

Natürlich verfügen wir auch über ferngesteuerte Torpedosonden. Bevor Sie eine solche einsetzen, lassen Sie es mich lieber wissen. Von den ersten zwanzig, die wir zur Planetenoberfläche schickten, gingen neunzehn verloren. An der Stelle, wo die zwanzigste endlich niederging, haben wir einen Sender hinterlassen, und den peilen wir bei jeder Landung an. Was mit den anderen Sonden los war, wissen wir nicht, obwohl wir es uns denken können. Aber das erzähle ich Ihnen alles ganz genau, wenn Sie sich das Material ansehen. Möchten Sie noch etwas erledigen, ehe wir die Nachbarschaft des Planeten verlassen und Nummer Eins ansteuern?«

»Was heißt hier Nachbarschaft? Ich dachte, Sie sagten, es wäre gar nicht der fragliche Planet.« Ken deutete mit einem Tentakel auf den kraterdurchsetzten Halbmond.

»Der ist es auch nicht, das ist nur der Satellit von Nummer Drei, dem Planeten, der uns interessiert.«

Ken bekam eine Gänsehaut. Der Satellit war furchteinflößend. Der Planet konnte, wenn überhaupt, dann nur geringfügig wärmer sein, da die Entfernung von der Sonne in etwa dieselbe war. Sicher, eine Atmosphäre stellte eine kleine Verbesserung dar, aber trotzdem – diese Kälte! Eine Kälte, die Kalium, Blei und Zinn gefrieren ließ! Daran hatte er eigentlich noch keinen Gedanken verschwendet. Sein Vorstellungsvermögen war gut, vielleicht sogar zu gut. Und er begann sich praktisch aus dem Nichts das Bild einer bis ins Innerste gefrorenen Welt auszumalen. Rauh, von eisigen Stürmen blankgefegt, ein Planet des Todes, in dessen mattem, rötlichem Licht sich nichts regte.

Halt, das konnte nicht stimmen. Der Planet war bewohnt. Ken versuchte sich vorzustellen, welche Art von Leben unter diesen gräßlichen Bedingungen es wohl geben mochte. Er schaffte es nicht. Möglich, daß Laj Drai sich in der Temperatur geirrt hatte. Er hatte gesagt, daß die Werte nicht gesichert wären. Sie beruhten einzig und allein auf Vermutungen des Technikers.

»Wenn wir schon in der Nähe sind, dann wollen wir uns den Planeten mal ansehen. Ich bin auf das Schlimmste gefaßt«, sagte er an diesem Punkt seiner Überlegungen. Laj Drai gab dem Piloten ein Zeichen, und das Heck der Karella drehte sich langsam. Der luftlose Satellit glitt aus dem Blickfeld, Sterne huschten über den Sichtschirm. Das Schiff mußte eine Drehung von hundertachtzig Grad gemacht haben, ehe Planet Drei selbst auftauchte. Jetzt mußten sie sich direkt zwischen Planet und Satellit befinden, dachte Ken. Nicht sehr klug, falls die Bewohner über Teleskope verfügten.

Da sie die Sonne im Rücken hatten, war die Scheibe der großen Welt hell erleuchtet. Anders als der kahle Mond zeigte der verschwommene Umriß, daß eine Atmosphäre vorhanden war, obwohl Ken sich nicht vorstellen konnte, welche Gase sie enthalten mochte. Trotz des eindeutig rötlichen Sonnenlichtes wies die Planetenoberfläche zum größten Teil eine Blaufärbung auf. Einzelheiten waren nicht zu erkennen. Die Atmosphäre war sehr dunsthaltig. Es gab deutliche Flecken in Weiß, Grün und Braun. Was sie darstellten, war nicht auszumachen.

Es war ein Anblick, der dem Wissenschaftler in ihm wieder einen Schauer über den Rücken jagte. Daran mochten die Dinge schuld sein, die er erfahren hatte, und auch die Tatsachen, die er aus dem Aussehen der Sonne gefolgert hatte. Vielleicht war es überhaupt nichts Objektives. Wie auch immer, allein der Anblick dieser Welt jagte ihm Schauer über den Rücken, so daß er sich unvermittelt umdrehte.

»Nehmen wir Kurs auf Nummer Eins und überprüfen wir die Werte.« Er hatte Mühe, seine Stimmwerkzeuge zu betätigen. Der Pilot gehorchte ohne Kommentar.

In Wirklichkeit ist die Erde so übel auch wieder nicht. Es gibt sogar Wesen, denen sie lieb und teuer ist. Ken war natürlich voreingenommen gegen eine Welt, auf der Wasser als Flüssigkeit vorkommt. Schließlich hatte er von Kind an gasförmigen Schwefel eingeatmet und hin und wieder geschmolzenes Kupferchlorid getrunken.

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