»Da, seht ihr?«
Wir standen auf einer kleinen Lichtung, nicht weit von der Straße entfernt.
»Ja!« sagte Boots anerkennend.
»Halt die Fackel tiefer! Seht genauer hin!«
Die beiden vom Licht geblendeten Frauen sahen blinzelnd auf und stießen ein Wimmern aus. Boots bückte sich und hielt die Fackel noch näher an sie heran. Die eine Frau trug ein ärmelloses, langes weißes Gewand; es war ziemlich dünn und stellte ihre einzige Bekleidung dar. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie sich das Gewand selbst ausgesucht hatte; bestimmt hatte man sie gezwungen, es anzuziehen. Es fiel nicht schwer, sich das darunter verborgene Ausmaß ihrer Schönheit vorzustellen; sie hatte prächtige Rundungen. Das galt auch für die andere Frau. Allerdings lag ihre Schönheit offen zu Tage. Sie war nackt. Beide Frauen trugen Ketten an Hand- und Fußgelenken und waren völlig hilflos.
»Hübsch«, sagte Boots.
»Ja«, sagte Chino.
»Doch«, meinte Lecchio.
Auch Petrucchio und Publius Andronicus gaben ihrer Zustimmung lautstark Ausdruck. Der mürrische Spieler war nicht bei uns. Nachdem er sich von seinen Fesseln befreit hatte, war er losgestürzt, um den Pokal aufzuheben, für den sich die Straßenräuber so interessiert hatten. Anscheinend wollte er verhindern, daß die anderen ihn zu Gesicht bekamen oder seine Bedeutung erfuhren. Er hatte den Pokal aufgehoben, war im Wagen verschwunden und auch dort geblieben. Es hatte den Anschein, als sei er nicht besonders dankbar für die Hilfe gewesen, die er erhalten hatte. Vielleicht war er einfach zu stolz. Vielleicht verabscheute er von ganzem Herzen den Gedanken, einem anderen etwas zu schulden. Zog man andererseits den Haß und die Scham in Betracht, die sein Leben zu bestimmen schienen, war es durchaus nicht unvorstellbar, daß er die Klinge des Banditenmessers willkommen geheißen hätte.
Ich sah auf die Frau in dem dünnen weißen Kleid hinunter. »Hast du das Brandzeichen erhalten?«
»Nein«, sagte sie angespannt. »Ich bin frei!« Das stimmte vermutlich sogar, da man ihr das Kleid gelassen hatte, damit ihr Schamgefühl nicht verletzt wurde.
»Du mußt verstehen, daß wir uns vergewissern müssen.«
»Natürlich«, sagte sie. Das Ergebnis dieser Kontrolle hatte unter Umständen großen Einfluß auf die Art und Weise, wie man sie behandelte und was von ihr erwartet wurde. Eine freie Frau ist eine Sache, eine Sklavin eine ganz andere.
Ich drehte sie auf die Seite, schob das Kleid hoch und drehte sie erneut um. Einen Augenblick später hatte ich die Stellen überprüft, an denen goreanische Sklavinnen normalerweise gebrandmarkt werden. Meistens befindet sich die Stelle hoch auf dem linken Oberschenkel, eine Handbreit unter dem Hüftknochen, damit sie selbst von der kürzesten Sklaventunika so gerade eben noch verhüllt wird. Auf diese Weise bleibt einem erst einmal verborgen, welches Zeichen die Sklavin trägt.
Ich überprüfte auch die weniger üblichen Stellen wie den linken Unterbauch, die Innenseite des linken Unterarms und den Spann des linken Fußes. Man sollte solch ein Zeichen nicht übersehen. Man stelle sich die Peinlichkeit vor, wenn man ein Mädchen anspricht, als gehörte es zu den freien Frauen, nur um später herausfinden zu müssen, daß sie die ganze Zeit eine legale Sklavin war!
»Anscheinend trägt sie kein Mal«, verkündete ich. »Sie ist wohl tatsächlich eine freie Frau.«
»Ja!« sagte sie. »Ja!«
Ich zog das Kleid, das ich ihr bis über die Brüste geschoben hatte, langsam und vorsichtig wieder hinunter, denn ich wollte es nicht zerreißen. Es war sehr dünn und paßte sich den Konturen ihres Körpers an. Ich zog den Saum bis zu der Stelle, an die er gehörte, nämlich bis zu den Fußknöcheln. Dann zupfte ich den Stoff glatt, damit für ihre Sittsamkeit gesorgt war – soweit es der dünne Stoff gestattete. Zugegeben, ich zog das Kleid an ein paar Stellen enger an ihren Körper, als unbedingt nötig war. Aber das war zu entschuldigen. Sie war schön und gefesselt.
»Da sie frei zu sein scheint«, sagte ich, »beanspruche ich sie, und zwar nach den Regeln der freien Gefangenen.«
»Nein!« schrie sie.
»Gut«, sagte Boots.
»Nein!« schluchzte sie und kämpfte gegen die Fesseln an.
Ich kannte diese Frau.
Ich zog sie in eine sitzende Haltung hoch und sah ihr in die Augen. »Du bist meine Gefangene.«
»Bitte, nein.«
»Es liegt an dir, wie die Art deiner Gefangenschaft aussehen wird.«
Sie sah mich ängstlich an.
Ich holte die Kette aus dem Beutel, die ich vorher auf dem Weg zur Lichtung aus meinem Lager mitgenommen hatte, und hielt sie ihr vors Gesicht. Die Kette bestand aus kleinen stabilen Eisenmanschetten und vier schweren kurzen Verbindungsringen. Ich legte sie ihr an. »Wie kommt es, daß du in die Hände der Räuber gefallen bist?« fragte ich.
»Meine Vorgesetzten waren unzufrieden mit mir«, sagte sie. »Man hat mir meine Männer weggenommen und eine kurze Tunika angezogen, als wäre ich eine gemeine Sklavin. Man verbot mir sogar, den Schleier zu tragen. Ich erhielt einen kleinen Beutel mit Münzen, der gerade eben für die erwarteten Ausgaben gereicht hätte, und befahl mir, allein und zu Fuß ins Hauptquartier zu reisen, um dort Bericht zu erstatten.«
»Allein und zu Fuß?«
»Ja«, sagte sie bitter.
»Ich nehme an, sie haben nicht erwartet, daß du dein Ziel je erreichst«, meinte ich.
»Anscheinend hatten sie recht.«
Ich lächelte. Es war eigentlich unvorstellbar, daß ihre Vorgesetzten nicht wußten, wie gefährlich die Reise auf den goreanische Straßen war. Es war unwahrscheinlich, daß eine schöne Frau, die kaum bekleidet und nicht einmal verschleiert war, ungestraft die goreanische Wildnis durchquerte. Der Befehl kam praktisch einer Versklavung gleich. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie erwartet hatten, ihre Agentin je wiederzusehen, es sei denn in den Lumpen und mit dem Kragen einer Sklavin.
»Die Straßenräuber haben mich gestern abend gefangengenommen«, erzählte sie weiter.
»Du scheinst aber nicht wie eine Sklavin gekleidet zu sein.«
»Die Räuber haben mir die Kleidung abgenommen, die mir meine Vorgesetzten gegeben hatten. Sie hielten sie für eine freie Frau nicht geeignet. Statt dessen mußte ich dieses Kleid hier anziehen.«
»Das war rücksichtsvoll von ihnen.«
»Aber es ist so dünn!« protestierte sie.
»Natürlich«, sagte ich.
»Ich nehme an, es läßt mich wie eine freie Frau aussehen und hätte meinen Preis noch gesteigert, hätten sie mich für den Verkauf an einen Sklavenhändler vorgesehen.«
»Davon abgesehen ist es, mit allem nötigen Respekt, sehr enthüllend und schmeichelt dir. Der Händler hätte viel Vergnügen dabei gehabt, es dir bei seiner Schätzung auszuziehen, um deine Schönheit zu enthüllen, die in diesem Fall die Schönheit einer Sklavin gewesen wäre.«
»Ja«, sagte sie bitter.
»Keine Angst«, sagte ich. »Ich werde für dich schon etwas zum Anziehen finden.«
»Danke.«
»Haben die Räuber noch ein anderes Lager benutzt?«
»Nein«, sagte sie. »Es hat eins gegeben, aber das haben sie heute morgen abgebrochen. Am Nachmittag trafen sie dann im Wald heimlich einen Kerl mit einem Wagen. Dem haben sie das meiste ihrer Beute verkauft.«
»Offensichtlich haben sie ihm nicht alles verkauft«, meinte ich mit einem bezeichnenden Blick auf sie und die andere gefesselte Frau, die nackt im Staub lag.
»Nein. Er war kein Sklavenhändler. Ich glaube, er wollte auch vermeiden, daß seine Verbindung zu den Räubern bekannt würde, was vermutlich geschehen wäre, hätte er ihre Sklaven verkauft.«
»Wo wollten sie hin?«
»Das weiß ich nicht«, sagte sie. »Ich habe nur erfahren, daß man uns an einen Ort bringen wollte, an dem wir an einen richtigen Sklavenhändler verkauft werden sollten.«
»Besnit, Esalinus oder Harfax«, meinte Boots.
Ich zuckte mit den Schultern. »Möglich.« Diese Städte befanden sich alle hundert Pasang im Umkreis unseres derzeitigen Aufenthaltsortes. Natürlich konnten Frauen überall verkauft werden. Auf Gor sind Sklaven und Sklavenmärkte etwas ganz Normales.
»Wie es aussieht, habt ihr hier vor einigen Ahn euer Lager aufgeschlagen«, sagte ich.
»Wir haben ziemlich früh haltgemacht«, berichtete sie. »Ich glaube, sie hatten ein Lager entdeckt, das sie dann überfallen wollten.«
»Das stimmt.«
»Uns hat man hier hilflos und gefesselt zurückgelassen.«
»Sie werden nicht zurückkommen«, sagte ich.
»Ich verstehe.« Sie schauderte.
»Wo sind die anderen Wertsachen, ihr Geld, ihr Ertrag von dem Handel mit dem Mann im Wald?« fragte ich.
»Es ist alles dort hinten«, sagte sie und wies mit dem Kopf in die Richtung. »Das Gold ist in einer kleinen Truhe, die mit Eisenbändern und Silbernägeln beschlagen und mit einem vergoldeten Vorhängeschloß verriegelt ist. Sie befindet sich in dem ersten Ballen.«
»Es gehört alles dir«, sagte ich zu Boots.
»Alles?« fragte Boots ungläubig.
»Alles.«
»Danke«, sagte Boots inbrünstig. »Es wird einem guten Zweck dienen.«
»Vielleicht könntest du es für die Künste verwenden«, schlug ich vor.
»Genau das ist meine Absicht«, meinte Boots.
»Zum Beispiel könnte man mit dem Gold eine vielversprechende, von Schwierigkeiten geplagte Theatertruppe unterstützen.«
»Das ist ein vernünftiger, geradezu glänzender Vorschlag«, gratulierte Boots mir.
»Vielleicht kennst du ja eine derartige Truppe.«
»Und ob.«
»Uns«, sagte Lecchio.
»Das ist etwas kraß ausgedrückt«, rügte Boots seinen Schauspieler, »aber es trifft den Kern der Sache.«
»Bist du dankbar?« fragte ich den Theaterdirektor.
»Ja.«
»Für ewig und alle Zeiten?«
»Sicher.«
»Dann könntest du etwas für mich tun.«
»Sag es, Bruder.«
»Ich möchte noch immer ein Mitglied deiner Truppe werden.«
»Kommt nicht in Frage«, sagte Boots. »Ausgeschlossen.«
»Nun gib dir schon einen Ruck«, sagte ich.
»Ja, gib dir einen Ruck«, bat Chino.
»Genau«, bestätigte Lecchio.
»Richtig«, sagte Petrucchio.
»Gib dir einen Ruck!« drängte Andronicus.
»Meine Entscheidung steht unverrückbar fest«, sagte Boots.
»Vielleicht könntest du noch einmal darüber nachdenken«, schlug ich vor und griff nach dem Bündel Sattelmesser, das jetzt an meiner Hüfte hing.
Boots ließ mich nicht aus den Augen.
»Mein lieber Boots, sei kein undankbarer Narr«, rügte ihn der eindrucksvolle Andronicus.
»Ich habe gesprochen«, verkündete der Theaterdirektor von oben herab.
Ich zog ein Messer, warf es in die Höhe und fing es an der Klinge auf. »Vielleicht könntest du noch einmal sprechen«, schlug ich vor.
»Niemals!«
»Ach so?« Ich warf das Messer wieder in die Höhe und fing es am Griff auf. Die Spitze schien auf Boots’ Kehle zu zielen.
»Was könntest du denn tun?« fragte Boots unbehaglich und ließ die Messerspitze nicht aus den Augen.
Das Messer wirbelte wieder durch die Luft. Ich sah Boots unverwandt an. »Ich bin Messerwerfer«, sagte ich. »Schon vergessen?«
»Und ein guter dazu«, versicherte Boots mir.
»Erlaube ihm, sich uns anzuschließen«, drängte Chino.
»Ja«, schloß sich Lecchio ihm an.
»Auf jeden Fall«, meinte Petrucchio.
»Das ist wenig genug für das, was er getan hat«, sagte Andronicus.
»Wir können nicht jeden streunenden Sleen aufnehmen, der winselnd um die Wagen herumstreicht«, sagte Boots. »Sind wir eine Zuflucht für die Heimatlosen, eine Feldküche für leichtsinnige Reisende, eine Ausbildungsstätte für Amateure, ein fahrendes Rasthaus für bühnenbesessene Dilettanten, ein Refugium für jeden begeisterten, hoffnungslosen Dummkopf, den das verzweifelte Sehnen antreibt, den thespischen Mantel um die Schultern zu legen? Sollen wir auf unserer Bühne, die zu den Titanen des Theaters gehört, unsere Reichtümer teilen, und zwar die materiellen wie auch die geistigen? Den Ruhm und die Größe der besten Theater Vereinigung Gors teilen? Was ist mit unserer Berufsehre? Was ist mit unserem Ruf?«
»Das ist doch Urtdung«, meinte Chino.
»Urtdung?«
»Ja.«
»Vielleicht bist du ja dazu bereit, dir deinen Standpunkt in dieser Angelegenheit noch einmal zu überlegen«, meinte ich und ließ das Messer sich drehen. Die Spitze zeigte wieder auf Boots.
»Du bist geschickt«, sagte er. »Daran besteht kein Zweifel. Natürlich bist kein ausgebildeter, erfahrener Schauspieler.«
»Das ist richtig«, gestand ich ihm zu. Die Klinge war jetzt vielleicht noch zehn Zentimeter von seinem Hals entfernt.
»Natürlich gibt es da eine Unzahl anderer Dinge, die du erledigen könntest, Arbeiten, die für die – sagen wir – Erfahreneren unter uns nicht zumutbar sind.«
»Das ist wahr.«
»Vielleicht könntest du dem Ungeheuer helfen«, meinte er nachdenklich.
»Ja.«
»Die Bühne muß aufgebaut werden, ebenso die Zelte.«
»Genau«, ermunterte ich ihn.
»Sei nicht undankbar, Boots«, sagte Andronicus. »Wir schulden ihm unser Leben.«
»Die Sache hätte auch weniger glimpflich ausgehen können«, meinte ich.
Boots schluckte sichtlich. »Ich bin kein sturer, starrsinniger Bursche«, sagte er. »Es ist allgemein bekannt, daß ich beweglich und anpassungsfähig bin, dazu vielschichtig, einfühlsam und talentiert. Ich habe oft gehört, wie gesagt wurde: ›Dieser Boots ist ein großzügiger Bursche, er ist sympathisch und tolerant, manchmal sogar mehr, als für ihn gut wäre. Ja, dieser Boots ist ein prächtiger Kerl, er ist jemand, der immer offen für Argumente ist, immer auf die Stimme der Vernunft hört.‹ Das sagen sie alle.«
»Ich nehme also an, daß du einen Entschluß noch einmal überdenkst«, sagte ich.
»Ich ziehe es in Betracht.«
»Nimm ihn auf«, meinte Andronicus.
»Ich werde schwach«, sagte der Theaterdirektor. »Andronicus’ Einwände machen mich schwankend.«
»Wenn du ihm nicht erlaubst, sich unserer Truppe anzuschließen«, sagte Andronicus, »werde ich ausscheiden.«
Boots starrte ihn entsetzt an.
»Jawohl«, sagte Andronicus entschlossen.
»Wir wären am Ende!« stöhnte der Theaterdirektor.
Andronicus verschränkte die Arme über der Brust und erwiderte den Blick.
»Überredet«, murmelte Boots.
Ich steckte das Messer schnell unter die Achsel, damit ich Publius Andronicus nicht verletzte, der siegreich und ungestüm nach meiner Hand griff. Chino, Lecchio und Petrucchio umringten mich, schlugen mir auf die Schultern und gratulierten mir. Schließlich griff sogar Boots herzlich nach meiner Hand.
»Willkommen bei der Theatertruppe von Boots Tarskstück«, sagte er. »Vergiß jedoch nie, daß dies keine gewöhnliche Truppe ist. Indem du dich uns angeschlossen hast, hast du eine ernste Verantwortung und schwere Bürde auf dich genommen. Bemühe dich darum, unserem hohen Standard gerecht zu werden.«
»Ich werde es versuchen«, versicherte ich ihm.
»Allerdings gibt es jetzt ein Problem«, wandte sich der Theaterdirektor an seine Leute.
»Was denn?« fragte der hochgewachsene Petrucchio.
»Wo soll er schlafen?« fragte Boots. »Ich habe keinesfalls die Absicht, meinen Wagen mit jemandem zu teilen, der so gut mit dem Messer umgehen kann.«
»Er kann meinen Wagen haben«, sagte Petrucchio. »Ich werde bei meinem Freund Andronicus einziehen, wenn er nichts dagegen hat, und mit ihm über das Handwerk des Schauspielers diskutieren.«
»Über die Kunst des Schauspielers«, sagte Andronicus.
»Das Handwerk«, widersprach Petrucchio.
»Die Kunst«, beharrte Andronicus.
»Bist du einverstanden?« fragte Petrucchio.
»Natürlich, sei willkommen«, antwortete Andronicus. »So habe ich endlich Gelegenheit, dich in den einhundertdreiundsiebzig Kopfhaltungen zu unterweisen.«
»Ich dachte immer, es seien einhundereinundsiebzig«, sagte Petrucchio.
»Ich habe in einem Text von Alamanius zwei neue Positionen entdeckt, jede mit mehreren Variationen.«
»Großartig«, sagte Petrucchio.
»Also ist das geklärt«, meinte Boots.
Die beiden Schauspieler nickten.
»Vielen Dank«, sagte ich.
»Aber nicht doch«, erwiderten sie wie aus einem Munde.
»Willst du mit mir den Wagen teilen?« fragte ich meine Gefangene.
»Nein!«
»Wenn du willst, kannst du sie im Mädchenwagen anketten, zusammen mit Rowena und Bina«, bot Boots großzügig an.
»Nein, nur keine Umstände. Ich werde sie einfach unter meinem Wagen anketten.«
»Wie du willst«, sagte Boots.
Sie warf mir einen wütenden Blick zu.
»Nehmt diese Kisten, Ballen und alles andere mit, das wertvoll sein könnte«, befahl Boots seinen Männern. »Vergeßt auf keinen Fall eine bestimmte kleine Truhe, die mit Eisenbändern und Silbernägeln beschlagen und einem vergoldeten Vorhängeschloß verriegelt ist und die angeblich im ersten Ballen zu finden ist. Wir werden diese Dinge in unser Lager transportieren. Der Sieg war unser. Aus diesem Grund gehört die Beute, deren einzelne Bestandteile ich sorgfältig nach Art, Menge und Wert auflisten werde, ab sofort uns.«
»Nein!« protestierte die andere Frau, die nackt und hilflos an Händen und Füßen gefesselt neben meiner Gefangenen auf dem Boden lag.
»Sagtest du etwas, meine Liebe?« fragte Boots Tarskstück.
»Ja! Befrei mich!«
»Warum sollte ich so etwas tun?«
»Ich bin eine freie Frau!«
»Chino, komm mit der Fackel näher heran«, sagte Boots.
Chino gehorchte.
»Da du ein Kavalier bist, wirst du mich befreien«, sagte sie. »Darauf kann ich als freie Frau zählen!«
Ich lächelte. Goreaner sind in erster Linie die Besitzer ihrer Frauen und erst dann Kavaliere.
»Wer bist du?« fragte Boots.
»Ich bin Lady Telitsia aus Asperiche!«
»Ha!« rief Boots schadenfroh und voller Triumph; er rieb sich die Hände.
»Ich verstehe nicht«, sagte Lady Telitsia.
»Komm mal mit der Fackel näher heran«, sagte Boots zu Chino.
»Oh!« rief Lady Telitsia empört, als ich sie unsanft auf die rechte Seite drehte und ihren linken Oberschenkel enthüllte.
»Aha!« rief Boots triumphierend.
»Man hat mir niemals den Kragen angelegt!« rief sie. »Ich habe noch nie den Kragen getragen!«
»Das kann man nachholen«, belehrte Boots sie.
»Ich bin keine Sklavin!«
Ihr Oberschenkel strafte ihre Worte allerdings Lügen. Er wies deutlich und unmißverständlich ein Brandmal auf, das gewöhnliche Kajira-Mal. Es stach förmlich aus der Haut heraus. Wie es schien, hatten die Straßenräuber sie zur Sklavin gemacht.
»Es ist nur ein Mal!« rief sie.
»Ich glaube, es ist etwas mehr als das«, sagte Boots. »Es ist ein Sklavenbrandmal.«
»Es bedeutet nichts!«
»Es bedeutet sogar eine ganze Menge, und ich bin sicher, daß du mir früher oder später zustimmen wirst.«
»Nein!«
»Du bist eine Sklavin«, sagte Boots.
»Befreit mich«, bettelte sie. »Ich bitte dich, befrei mich!«
»Du wirst der erste Gegenstand auf meiner Beuteliste sein, Lady Telitsia, wie ich dich eine Zeitlang nennen werde.«
»Du machst wohl Scherze!«
»Sehe ich aus wie ein Narr?« fragte Boots.
»Nein!« erwiderte sie hastig.
»Nur Narren befreien Sklavinnen«, sagte Boots. »Das Sprichwort ist dir doch sicherlich bekannt.«
»Ich gehöre zu einer hohen Kaste und bin reich!« sagte Lady Telitsia.
»Früher vielleicht einmal, aber beides trifft nicht mehr zu. Bei der ersten Berührung des Brandeisens hast du aufgehört, eine legale Person zu sein. Du bist jetzt ohne Kaste und besitzlos. Du, Sklavin, bist jetzt ein Besitztum wie jeder andere Gegenstand auch.«
»Nein!« schrie sie und wand sich in ihren Fesseln. Das machte sie sehr attraktiv. Natürlich kam sie nicht frei.
»Wir werden im Mädchenwagen schon ein paar Ketten für dich finden«, sagte Boots. »Vielleicht werde ich dir bei Gelegenheit befehlen, in meinen Wagen zu kommen.«
»Nein, nein, nein!« schluchzte sie.
Boots sah sie strahlend an.
»Sicherlich wirst du mich nicht behalten wollen!«
»Jetzt, da du nackt bist und dein Körper nicht länger von dem lästigen, störenden und verhüllenden Gewand der Schriftgelehrten verborgen wird, könnte ich mir durchaus vorstellen, daß er für einen Mann reizvoll sein könnte.«
Lady Telitsia starrte ihn voller Entsetzen an. Allerdings hatte Boots leicht untertrieben. Ich bezweifelte keinen Augenblick lang, daß sie auf dem Sklavenmarkt einen hohen Preis erzielen würde.
»Außerdem bin ich davon überzeugt, daß du sehr klug bist«, fuhr Boots fort. »Und wenn ich mich nicht irre, hast du uns auf dem Jahrmarkt ein paar zarte, aber durchaus deutliche Hinweise gegeben, daß du sehr talentiert bist.«
»Ich verstehe nicht«, stammelte sie.
»Alle mal herkommen!« rief Boots.
Petrucchio, Andronicus und Lecchio kamen herüber
und gesellten sich zu Boots, Chino und mir.
»Meine Freunde«, verkündete Boots, »darf ich euch Lady Telitsia vorstellen, wie ich sie nenne, solange es mir gefällt.«
»Ich grüße dich«, sagte Lecchio.
»Ich grüße dich«, erwiderte sie flüsternd.
»Vielleicht erinnert ihr euch an sie vom Jahrmarkt her.«
»Ja«, sagte Chino. »Wir erinnern uns – sehr gut sogar.«
Die Sklavin erschauerte.
»Wir können es als großen Glücksfall ansehen, daß sie in unseren Besitz übergegangen ist«, sagte Boots.
»Wieso?« fragte Lecchio.
»Sie kommt zu einem besonders günstigen Zeitpunkt zu uns, in einem Augenblick, da wir erbittert gegen das Schicksal ankämpfen, in einem Augenblick verzweifelter Not.«
»Tatsächlich?« fragte Lecchio, an dessen Hals eine goldene Kette funkelte, die er sich aus der Beute der Straßenräuber genommen hatte.
»Jawohl!« sagte Boots.
»Aha!« meinte Chino nachdenklich.
»Ich habe mich bereit erklärt, daß Lady Telitsia Mitglied unserer Truppe wird«, verkündete Boots.
»Nein!« schrie sie,
»Aber ja!« bekräftigte Boots. »Sie kommt gerade rechtzeitig zu uns, um eines unserer dringendsten Probleme zu lösen.«
»Ja, stimmt«, nickte Andronicus.
»Ich verstehe nicht«, sagte Lecchio.
»Ist es nicht offensichtlich?« fragte Boots.
»Nein«, sagte Lecchio.
»Seht her, Freunde«, sagte Boots und deutete auf Lady Telitsia. »Wir haben unsere neue Brigella gefunden!«
»Nein!« schrie die Frau.
Die Schauspieler applaudierten Boots bewundernd, während sie sich auf goreanische Weise auf die linke Schulter klopften.
»Sie ist sogar noch hübscher als die letzte«, sagte Lecchio.
»Ich glaube, sie ist dafür wie geschaffen«, sagte Chino.
»Eine ausgezeichnete Wahl«, lobte Andronicus.
»Ich weigere mich!« schrie Lady Telitsia. »Allein die Vorstellung! Die Peinlichkeit! Wie kannst du es wagen, so etwas auch nur zu denken? Ich gehöre einer hohen Kaste an! Ich bin eine Schriftgelehrte! Warte, bis ich diese Angelegenheit vor die Magistrate bringe!«
»Meine Liebe, wie ich dich vielleicht erinnern darf«, erwiderte Boots geduldig, »gehörst du nicht länger deiner Kaste an und bist auch keine Schriftgelehrte mehr. Außerdem hast du, wie du sicher nach einigem Nachdenken einsehen wirst, vor dem Gesetz keine Rechte mehr. Du bist für die Magistrate, was ihre öffentlichen Pflichten angeht, von keinem größeren Belang als beispielsweise ein Urt oder ein Sleen.«
Sie starrte ihn furchterfüllt an.
»Die Tage, da du dich zu einem Ärgernis gemacht hast, sind vorbei«, sagte Boots.
Er zog sie auf die Füße und packte sie im Nacken. Ihre Hände waren noch immer auf dem Rücken gefesselt. »Lecchio, Andronicus, Petrucchio, seid so nett und nehmt die anderen Sachen, die wertvoll aussehen.«
Kurze Zeit später ging Boots zum Lager voraus, Lady Telitsia stolperte neben ihm her. Dann folgten seine Männer, beladen mit verschiedenen Kisten und Ballen, die sie aus dem Lager der Räuber mitgenommen hatten.
Ich ging zum Schluß. Lady Yanina, das andere Opfer der Räuber, hatte ich mir über die Schulter geworfen.