»Da!« quiekte der kleine Urtmann. »Da! Da! Das Volk! Nim Nim fliehen! Nim Nim frei!«
Wir waren durch einen Durchgang zwischen zwei Felsen gekommen und rutschten einen kleinen Hügel hinunter. Es war kurz vor der zehnten Ahn, dem goreanischen Mittag. Wir hatten die Stadt am frühen Morgen verlassen. Wir waren nackt. Mein Unterleib war von der Flucht durchs Unterholz und den schmalen Abwässerkanälen schmutzig und voller Blut, das aus zahllosen kleinen Schnitten und Schürfwunden stammte. »Nim Nim guter Urt!« hatte er mir gesagt. »Urts finden Weg!«
Der Kerkerwärter war noch vor Sonnenaufgang mit fünf bewaffneten Wärtern in unserer Zelle erschienen. »Ausziehen und ab in die Badezisterne«, hatte er befohlen. »Wascht eure stinkenden Körper.«
Man nahm uns die Ketten ab. Alles war sehr merkwürdig gewesen. Auf Gor erhalten Gefangene nur selten das Privileg, ein Bad zu nehmen, gleichgültig, ob es sich um Männer oder Frauen handelt. Vielleicht hatte man ja für uns etwas Besonderes geplant.
Die drohende Bewegung der Waffen ließ uns gehorchen. Wir zogen uns aus.
»Laßt eure Sachen dort liegen«, sagte der Gefängniswärter. »Schert euch in die Badezisternen.«
Man stieß uns mit Speerspitzen durch eine massige Holztür.
»Wascht euch ordentlich«, sagte ein Wärter lachend.
»Ja, wir wollen nicht, daß euer Gestank die Zuschauer beleidigt!« rief ein anderer.
Sofort dachte ich an die Grube und das brüllende,
wettende, enthusiastische Publikum. Aber Nim Nim hatte mir gesagt daß man etwas viel Schlimmeres mit mir vorhatte.
»Habt doch Mitleid mit den armen Sleen.«
»Du willst doch nicht, daß ihnen schlecht wird, oder?« Das sollte wohl ein Scherz sein. Der Sleen ist eines der am wenigsten wählerischen Tiere Gors. Er macht den Tarsk, den man gewöhnlich für sehr schmutzig hält, zu einem Ästheten. Die Bemerkungen ließen mich wieder an die Grube im Hof denken.
Die schwere Tür der Badezisterne schloß sich hinter uns. Ich hörte, wie der Riegel umgelegt wurde. Es war sehr dunkel in dem Raum. Unter der Tür kam nur sehr wenig Licht durch. Hoch oben in der Wand gab es ein schmales verschlossenes Fenster, durch das ein paar Lichtstrahlen den Weg herein fanden.
»Es ist schwer, hier etwas zu sehen«, sagte ich.
»Nim Nim sehen«, sagte der Urtmann und packte mit beiden Händen mein Handgelenk. Er fing an, mich durch den Raum zu zerren. Einmal trat ich in eine seichte Vertiefung, die zu einer Zisterne führte. In der Luft lag ein merkwürdiger Geruch. Vermutlich war dieser Raum unter dem Gefängnis eher eine Senkgrube als ein Bad. Nach einigen Augenblicken hatten sich meine Augen an das Zwielicht gewöhnt. Die Augen der Urtmenschen gewöhnen sich schneller an die Dunkelheit.
»Hier, hier«, sagte Nim Nim eifrig. Er führte mich zu
einem Gitter im Boden. »Nim Nim nicht stark genug!«
Ich packte die Gitterstäbe und zog. Der Rahmen schien sehr fest in dem Zement zu sitzen. Doch an einer Ecke hob er sich ein winziges Stück. Er war unglaublich schwer. Es überraschte mich nicht, daß der Urtmann ihn nicht bewegen konnte. Sicher gab es viele Männer, die ihn nicht hätten heben können.
»Zieh! Zieh!« sagte Nim Nim.
»Ich kann ihn nicht bewegen«, sagte ich.
»Zieh! Zieh!« sagte Nim Nim.
Ich ging ein Stück in die Hocke, dann setzte ich die Kraft meiner Oberschenkel ein und zog stückchenweise. Die Seite, die sich eben ein Stück gehoben hatte, bewegte sich, begleitet von den Geräuschen sich lösenden Mörtels. Vermutlich war der Mörtel in den vielen Jahren durch die Feuchtigkeit mürbe geworden.
»Sieh doch! Sieh doch!« flüsterte Nim Nim.
Ich kippte das schwere Gitter zur Seite.
Nim Nim sprang in die kreisrunde dunkle Öffnung. Einen Augenblick später quetschte ich mich, halb betäubt von dem Gestank, an den glitschigen Rändern vorbei und folgte ihm.
Nun standen wir auf einem kleinen Hügel, einige Pasang von den Mauern Brundisiums entfernt; es war kurz vor Mittag. Vor dem Fuß der Anhöhe hatten wir aus dem Boden aufsteigende Felsblöcke überklettern müssen. In dieser Gegend gab es viel Gestein, man hätte es mühelos abbauen können. Die Felsblöcke schienen den zerklüfteten Rand eines riesigen, uralten natürlichen Beckens zu bilden, den die Elemente hatten zerbröckeln lassen. Die Felsen mit ihren Durchgängen und Spalten umschlossen ein etwa zwei Pasang durchmessendes Gebiet. Nim Nim hatte auf meinen Schultern gesessen und mich an diesen Ort geführt. Jetzt sprang er zu Boden.
»Nim Nim in Sicherheit!« rief er und zeigte aufgeregt in das flache Tal vor uns. Dort unten tummelte sich das ›Volk‹, wie Nim Nim es nannte. Ich hatte noch nie eine so große Urtherde gesehen. Es waren mindestens vierbis fünftausend Tiere.
»Halt!« rief eine befehlsgewohnte Stimme.
Ich fuhr herum.
»Gute List! Gute List!« rief Nim Nim. »Nim Nim guter Urt! Keine Grube für Bosk! Schlimmer! Viel schlimmer! Nim Nim helfen! Nim Nim helfen!«
Ein unbehagliches Gefühl setzte sich in meiner Magengrube fest, und mir fielen wieder seine Worte in der Zelle ein. Ich hatte sie nicht sofort verstanden und war dann zu dem Schluß gekommen, daß mir der Urtmann bei der Flucht helfen wollte, wie es ja später auch den Anschein gehabt hatte. Jetzt begriff ich, daß Nim Nims Zellenverlegung kein Zufall gewesen war. Er hatte von Anfang an im Dienst meiner Feinde gestanden.
»Nim Nim helfen!« rief er fröhlich. »Nim Nim helfen! Nim Nim guter Urt! Nim Nim jetzt frei!«
»Knie nieder, Bosk aus Port Kar«, sagte Flaminius. Ich gehorchte. An Flaminius’ Seite standen der Gefängniswärter und seine Kameraden. Einige richteten Armbrüste auf mich. Viel gefährlicher war jedoch der Mann, der die Leinen von drei knurrenden Sleen in der Hand hielt.
»Es ist ein schöner Anblick, wie Bosk aus Port Kar nackt vor Männern aus Brundisium kniet«, sagte der Gefängniswärter.
»Kommst du aus Brundisium?« fragte ich Flaminius.
»Ich stehe in Diensten Brundisiums«, antwortete er. »Aber meine Heimatstadt ist Ar.«
Der Triumph in der Stimme des Gefängniswärters blieb mir unerklärlich. Brundisium war mit Ar verbündet, nicht mit Tyros oder Cos. Ich schätzte die Entfernung zwischen mir und dem Wärter ab. War es möglich, ihm das Genick zu brechen, bevor sich Armbrustbolzen in meinen Körper bohrten? Vermutlich nicht.
Flaminius’ Akzent erinnerte tatsächlich an Ar, jetzt, da ich darüber nachdachte. Solche Dinge lassen sich manchmal nur mühsam festlegen. Außerdem wies sein Akzent nicht sehr deutlich auf Ar hin; vermutlich lag sein letzter Besuch in dieser Stadt Jahre zurück.
»Ich dachte, du wolltest dich waschen«, sagte Flaminius mit einem Grinsen. »Statt dessen hat es den Anschein, als könntest du dringend ein Bad gebrauchen.«
Darauf gab ich ihm keine Antwort.
»Hat es dir Spaß gemacht, durch die schmutzigen Abwasserkanäle Brundisiums zu kriechen?«
Ich sagte kein Wort.
»Allerdings haben die frische Luft und die Sonne ohne jeden Zweifel einen Teil des Gestanks entfernt.«
Seine Begleiter lachten.
»Übrigens werden in diesem Augenblick die verschiedenen Gitter wieder repariert, die wir deinetwegen gelockert oder entfernt hatten; einige der Kanäle werden wieder schmaler gemacht.«
Ich sah ihn an.
»O ja«, meint er, »Das ist alles von langer Hand vorbereitet worden.«
»Wäre es nicht einfacher gewesen, mich im Gefängnis zu erschlagen?« fragte ich.
»Das schon«, antwortete Flaminius. »Aber es hätte weniger Spaß gemacht.«
»Ich verstehe.«
»Die Vergünstigungen in deiner Zelle, ihr Standort und so weiter sollten dich nervös machen und dich ermuntern, Fluchtpläne zu schmieden.«
»Ich glaube nicht, daß ich dazu ermuntert werden mußte.«
»Offensichtlich nicht«, sagte er. »Uns ist natürlich nicht entgangen, daß du dein Bettzeug nicht benutzt hast. Das war sehr schlau von dir. Ohne einen derartigen Gegenstand ist es natürlich viel schwieriger, einen Sleen auf deine Spur zu setzen.«
»Ich hatte angenommen, du würdest mich in die Grube stecken.«
»Genau das solltest du ja auch fürchten. Andererseits erschien es politisch unklug, Bosk aus Port Kar, einer Stadt, die Brundisium zumindest theoretisch neutral gegenübersteht, öffentlich in einer unserer Arenen töten zu lassen. Zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt.«
»Das glaube ich auch«, sagte ich. Einige Männer Brundisiums wie beispielsweise die Gefängniswärter, ein paar Soldaten und Beamte kannten mich. Unter solchen Umständen wäre es schwergefallen, den Zuschauern eines derartigen öffentlichen Spektakels meinen Namen zu verheimlichen.
»Aus diesem Grund haben wir deine Flucht vorbereitet«, fuhr Flaminius fort. »Ohne ein Risiko einzugehen.«
»Kein Risiko?«
»Nein. Was glaubst du, wie wir dir so unauffällig folgen und dir einen Vorsprung von einer Ahn lassen konnten, bis wir dich zu unseren Bedingungen an diesem Ort stellen konnten?«
Ich sah zu der Urtherde im Tal hinunter. »Ich wurde absichtlich an diesen Ort gebracht.«
»Natürlich«, sagte Flaminius. »Aber selbst wenn du den Rat unseres kleinen Freundes hier in den Wind geschlagen hättest, hätten wir dich mühelos aufgespürt und dich dann hierhergebracht.«
»Die Sleen.«
»Genau«, sagte er, »Sieh her,« Er gab einem Mann, der neben dem Burschen mit den Sleen stand, ein Zeichen. Der zog die zerrissene Tunika, die ich in der Zelle getragen hatte, aus dem Sack.
»Sehr schlau.«
Die Wärter hatten Nim Nim und mich vor der Badezisterne gezwungen, uns nackt auszuziehen, was zu dieser Zeit völlig unverdächtig erschienen war. Jetzt begriff ich, daß es zu Flaminius’ Plan gehört hatte. Nachdem man hinter uns die Tür geschlossen hatte, hatten die Wärter meine Kleidung genommen und waren damit zu den Sleengehegen gegangen. Danach war es später nur noch nötig gewesen, außerhalb der Stadtmauern an einer der Kanalöffnungen unsere Spur aufzunehmen.
»Sieh her«, sagte Flaminius und grinste.
Der Mann hielt den Sleen meine Tunika hin. Sofort stürzten sie sich knurrend und voller Wut auf das Kleidungsstück und verbissen sich darin.
»Das reicht«, sagte Flaminius,
Der Mann brüllte die Sleen an, doch die Tiere ließen nicht los, und er mußte ihnen die Tunika mit Gewalt entreißen. Obwohl er ihr Führer war und sie zweifellos darauf trainiert waren, ihm und vermutlich ihm allein zu gehorchen, mußte er sich dabei ganz schön anstrengen.
Flaminius nahm ihm die Tunika ab und sah mich an. »Seht euch Bosk aus Port Kar an«, sagte er lachend. »Seht ihn, wie er nackt vor uns kniet, aus Angst zu einem Fluchtversuch verleitet, in dem Glauben gelassen, seine Flucht sei erfolgreich gewesen, nur um seine Hoffnungen zu vernichten. Jetzt begreift er, daß er uns niemals entkommen ist. Seht euch den dummen, überlisteten Narren an!«
Ich schwieg.
»Bist du neugierig, wie dein Schicksal aussehen wird?«
»Ja.«
Flaminius warf mir die Tunika zu, die er dem Sleenführer abgenommen hatte. Die Zähne der wütenden Sleen hatten nur noch Fetzen übriggelassen. »Zieh sie an«, befahl er. »Nein, steh nicht auf. Zieh sie auf den Knien über.«
Die Männer lachten, als ich mir auf den Knien die Fetzen über den Kopf zog. Die Sleen starrten mich gierig an.
»Wäre ein Schlag mit dem Schwert nicht schneller?« fragte ich.
»Das schon, aber nicht halb so vergnüglich«, sagte Flaminius.
»Vielleicht solltest du dann einen Schritt zurücktreten, damit du beim Angriff der Sleen nicht verletzt wirst«, schlug ich vor.
»Bleib auf den Knien«, warnte er mich.
»Ich bin ziemlich verwirrt, was einige Dinge betrifft«, sagte ich. »Vielleicht ist das hier der richtige Moment, um eine Erklärung zu verlangen. Darf ich also fragen, welches Interesse du oder deine Gruppe eigentlich an meiner Person haben? Warum zum Beispiel wurde der Bursche namens Babinius nach Port Kar entsandt, um mich zu töten? Aus welchem Grund ist das geschehen? Und warum wollte jemand in Brundisium, daß man mich gefangennimmt? Wer interessiert sich für mich – und vor allem: aus welchem Grund?«
»Du erhieltest gern von mir eine Antwort auf diese Fragen, nicht wahr?« fragte Flaminius.
»Ja.«
»Ich werde sie dir aber nicht beantworten.«
Ich ballte die Fäuste. Die Männer lachten.
»Aber du darfst nicht glauben, daß wir nicht zu großzügigen Gefälligkeiten fähig sind oder daß wir keine Gnade kennen.«
»Tatsächlich?«
»Wir sind bereit, dich dein Schicksal selbst wählen zu lassen«, sagte er. »Und wir sind dazu bereit, dir eine gewisse Zeit zuzugestehen, in der du dir über deine Wahl qualvoll den Kopf zerbrechen darfst.«
»Ich verstehe nicht.«
»Du hältst es doch sicherlich für keinen Zufall, daß wir unseren kleinen Freund hier in unsere Pläne mit eingeschlossen haben. Du hältst es doch sicherlich für keinen Zufall, daß du an diesen Ort gebracht worden bist.«
»Das wohl kaum«, erwiderte ich. Mir lief ein Schauder über den Rücken.
Nim Nim sprang schadenfroh auf und ab. »Nim Nim helfen. Nim Nim guter Urt!« quiekte er.
»Geh, kleiner Urt«, sagte Flaminius freundlich. »Lauf zu deinem Volk.«
»Nim Nim schlau«, rief er. »Nim Nim überlisten Bosk.«
»Eil in die Heimat, kleiner Urt«, sagte Flaminius freundlich.
Nim Nim sah mich mit seinen ovalen Augen an, die aus dem schmalen langen Gesicht blickten. »Schlimmer als Grube«, sagte er. »Schlimmer. Viel schlimmer. Nim Nim helfen. Nim Nim überlisten Bosk. Zu schade, Bosk!«
»Beeil dich«, drängte Flaminius.
Nim Nim hastete den grasigen Hügel hinunter und eilte dem riesigen Rudel Urts entgegen. Flaminius lachte. Einige der Männer taten es ihm nach. Es war ein häßliches Lachen.
»Du wirst dich jetzt auf den Knien langsam umdrehen«, sagte Flaminius. »Dann wirst du aufstehen und den Hügel hinuntergehen. Am Rand der Herde bleibst du stehen. Wir werden eine Zeitlang hier auf dem Hügel warten. Du wirst die ganze Zeit unter Beobachtung stehen. Solltest du den Versuch unternehmen, zur Seite zu laufen, um die Herde zu umgehen, werden wir sofort die Sleen von der Leine lassen. Du mußt in die Herde eindringen. Tust du das nicht, werden wir nach einiger Zeit die Sleen loslassen, und die werden sich auf dich stürzen, wo auch immer sie dich finden. Hast du das alles verstanden?«
»Ja.«
»Ich frage mich, was du wählen wirst«, sagte Flaminius.
»Ich wette, er wagt sich in das Rudel«, sagte einer der Männer.
»Ich wette, er wartet auf die Sleen«, sagte ein anderer Mann.
»Wir wollen dich in deiner Entscheidung nicht beeinflussen«, sagte Flaminius. »Aber wir haben in ähnlichen Situationen die Erfahrung gemacht, daß der Betroffene wartet, bis die Sleen ihn fast erreicht haben, und dann kopflos in das Rudel hineinläuft. Aber es wäre jedesmal besser gewesen, er hätte auf die Sleen gewartet.«
»Sleen sind schneller«, sagte der Sleenführer.
»Jedoch hat kaum einer den Mut, auf sie zu warten«, sagte der Gefängniswärter.
»Was wirst du tun, Bosk aus Port Kar?« fragte Flaminius.
»Ich weiß es nicht«, sagte ich.
»Eine ausgezeichnete Antwort«, meinte Flaminius. »Viele Männer glauben, sie wissen, was sie tun werden, aber wenn der Augenblick kommt, dann entdecken sie, daß alles ganz anders als vermutet ist. Manchmal erfährt derjenige, der sich für einen mutigen Mann hält, daß er ein Feigling ist, und manchmal entdeckt der Feigling, daß er sehr mutig ist.«
Ich wandte mich langsam auf den Knien von ihm ab und stand dann ebenso langsam auf.
»Ganz langsam«, warnte Flaminius.
Ich ging den Hügel hinab, direkt auf die Urtherde zu. Nim Nim hatte sich noch nicht zwischen die Tiere gedrängt. Vermutlich wollte er sehen, wie ich mich entschied.
Ich blieb ein paar Meter vor dem Rudel stehen. Die meisten der Tiere schenkten mir keine Beachtung. Doch ein paar von ihnen betrachteten mich mißtrauisch. Natürlich achtete ich darauf, die kritische Entfernung nicht zu überschreiten. Ich sah zurück zum Hügel. Dort standen Flaminius und seine Leute mit den Sleen. Mir blieben bestimmt ein paar Ehn, bevor sie die Sleen von der Leine ließen. Meine Feinde erwarteten offensichtlich von mir, daß ich mir in dieser Zeit voller Angst den Kopf darüber zerbrach, welche Todesart ich wählen sollte. Es ist unnötig zu erwähnen, daß mir keine der beiden Alternativen besonders zusagte. Ich betrachtete das Rudel der Urts. Ich hatte noch nie eines von vergleichbarer Größe zu Gesicht bekommen. Es waren unzählige Tiere, und der Gestank war schier überwältigend. Von meinem Standpunkt aus erstreckte sich das Rudel auf jeder Seite eine Viertelpasang in die Länge. Bei dem Versuch, dorthin zu laufen, würde man zweifellos sofort die Sleen auf mich hetzen. Sie würden mich in wenigen Ihn erreicht haben.
Ich konzentrierte mich wieder auf das Rudel. Es beanspruchte eine Fläche von zweihundert, vielleicht sogar dreihundert Metern. Nicht einmal ein Sleen würde es schaffen, sich durch eine derart dichte Masse dieser bösartigen Kreaturen zu kämpfen. Auf keinen Fall. Ich strich über die Fetzen, die ich am Leib trug. Sleen sind unermüdliche Jäger und furchtlose, hartnäckige Verfolger, sehr hartnäckige Verfolger,
Ich blickte zu Nim Nim hinüber, der ein paar Meter von mir entfernt stand. Er war den Urts viel näher, offensichtlich dazu bereit, in dem Rudel unterzutauchen, sollte ich mich auf ihn zubewegen.
»Nim Nim sicher hier!« rief er. Er zeigte auf das Rudel. »Das Volk tut Nim Nim nichts Böses an!«
Ich fragte mich, ob sich in diesem Rudel noch andere Urtmenschen verbargen. Wenn dem so war, blieben sie versteckt. Natürlich verbringen sie nicht ihr ganzes Leben in einem Rudel, doch sie bleiben fast immer in seiner Nähe und verlassen es höchstens für kurze Zeit. Nim Nim hatte man in einem Obstgarten gefangengenommen.
»Bist du sicher, daß das hier dein Volk ist?« fragte ich mit einer gewissen Neugier. Für mich sah ein Urt wie das andere aus, obwohl es sicher möglich war, nach einer gewissen Zeit einzelne Tiere voneinander zu unterscheiden.
»Ja«, sagte Nim Nim stolz. »Dort ist…« (Er machte ein pfeifendes Geräusch.) »Und da hinten steht…« (Wieder erfolgte ein Pfeifen.) »Und das da ist unser Anführer.« Er zeigte auf ein großes Urt mit abgebrochenen Stoßzähnen und dunklem Fell, winzigen Augen und grauer Schnauze, das die sagenhafte Schulterhöhe von mindestens einen Meter zwanzig aufwies; es war ein für diese Gattung geradezu riesiges Exemplar.
Ich zweifelte keinen Augenblick lang, daß Nim Nun wußte, wovon er sprach. Dies war sein Rudel. Da bestand kein Zweifel.
»Das Volk reißt Bosk in Stücke!« rief Nim Nim. »Das Volk tut Nim Nim nichts an! Nim Nim gehört zum Volk! Nim Nim sicher!«
Ich sah zum Hügel. Die Sleen lagen noch an der Leine.
»Nim Nim Bosk überlistet!« sagte der Urtmann. »Nim Nim schlau! Nim Nim wieder frei! Nim Nim in Sicherheit!«
Ich fragte mich, woran es lag, daß sich die Urtmenschen in einem aus Tieren bestehenden Rudel frei bewegen konnten. Ich wußte, daß selbst Urts manchmal von ihren Artgenossen in Stücke gerissen wurden, wenn sie sich einem fremden Rudel näherten. Woher kam es dann, daß sich die Urtmenschen, bei denen es sich ja offensichtlich um Menschen oder doch zumindest um menschenähnliche Wesen handelte, ungestraft in ihrer Mitte bewegen konnten? Es ergab keinen Sinn. Aber es mußte eine Erklärung geben, eine erwiesene wissenschaftliche Erklärung. Vielleicht festigte irgend etwas die Stellung der Urtmenschen innerhalb des Rudels. Ich sah, wie der Rudelführer, den Nim Nim mir gezeigt hatte, mich ansah. Das Tier erweckte nicht den Eindruck, als könne es mich gut erkennen. Urts sind eher kurzsichtig. Es hob die Schnauze und schnüffelte in meine Richtung, Plötzlich stellten sich meine Nackenhaare auf. »Geh nicht zum Rudel!« rief ich Nim Nim zu. »Bleib stehen!«
»Bosk will Nim Nim weh tun!« rief er und trat einen Schritt an das Rudel heran.
»Geh nicht zum Rudel!« rief ich. »Ich bleibe hier stehen! Ich werde nicht näher kommen! Ich tue dir nichts! Bleib von dem Rudel weg!«
Nim Nim war in einem staatlichen Obstgarten gefangen genommen worden. Er war in Brundisium eingesperrt worden. Das war vor mindestens sechs Monaten gewesen. Ich erinnerte mich an das Gelächter der Männer als Nim Nim seinem Rudel entgegengeeilt war. Und ich dachte an die von der Statur her zarten Priesterkönige in ihrem von Tunneln und Gemächern durchzogenen Schlupfwinkel unter dem Sardargebirge. »Bleib von dem Rudel weg!«
Nim Nim schoß wie der Blitz in die Herde hinein.
»Nein!« Es hatte fast den Anschein, als würde er in den Bestien waten. Dann zogen sich die Tiere von ihm zurück und ließen ihn auf einer freien Stelle stehen, die wie ein abgetrennter, einsamer, von einem braungelben Meer eingeschlossener Kreis war, ein Meer mit Augen und Reißzähnen, ein Meer, das vor ihm zurückgewichen war und ihn jetzt umschloß. Ich sah, daß er nicht begriff, was da geschah.
»Komm da heraus!« rief ich ihm zu. »Komm da heraus, solange du noch kannst!«
Augen musterten ihn von allen Seiten. Schmale spitze Schnauzen hoben sich mit bebenden, zuckenden Nüstern.
Nim Nim stieß beruhigende Laute aus. Er pfiff und zischte. Vermutlich verständigten sich die Urtmenschen auf diese Weise untereinander. Vielleicht benutzten die Tiere selbst einige dieser Signale. Die Urts wurden immer aufgeregter. Sie zitterten. Ihr Verhalten war nun von fast fieberhafter Anspannung.
»Komm da raus!« rief ich.
Plötzlich stieß ein Urt ein wütendes, durchdringendes, schrilles, schreckliches Quieken aus. Eine heftige Bewegung schien sich in dem Rudel fortzupflanzen. Man sah es den Tieren deutlich an, ihrem Rücken und dem Fell, der plötzlichen Starrheit, der eine zitternde Unruhe folgte, die das gesamte Rudel, das bis jetzt einen so friedlichen Eindruck erweckt hatte, unvermittelt in einen ruhelosen, brodelnden See bösartiger Energie verwandelte.
»Komm da raus!« schrie ich ihn an.
Das nächste Tier in dem Nim Nim umgebenden Kreis nahm das ohrenbetäubende, wütende Quieken auf, dann ein weiteres und noch eins. Die Urts fingen an, unkontrolliert zu zittern; die Augen quollen ihnen aus den Höhlen; das Fell sträubte sich mit einem Knistern statischer Elektrizität; sie legten die Ohren flach an den Schädel an. Jedes Mitglied des riesenhaften Rudels schien sich jetzt in diese Richtung und auf diesen Laut zu konzentrieren. Einige der Tiere drängten sich der Quelle des Quiekens entgegen, einige kletterten oder sprangen sogar über die Rücken der vor ihnen stehenden Artgenossen. Mittlerweile stieß jedes Urt in dem Kreis um Nim Nim den furchteinflößenden Ruf aus. Dann schloß sich das ganze Rudel an. Der Laut hallte in die Gegend hinaus, prallte gegen die Steine und Felsen des natürlichen Kessels, kehrte als Echo zurück und marterte das Ohr, zerriß die Luft und erweckte den Anschein, als müßte er selbst die Wolken, die scheinbar vor ihm die Flucht ergriffen, den Himmel, vielleicht sogar die ganze Welt zum Erzittern bringen. Es hätte mich nicht gewundert, wenn man ihn sogar in Brundisium gehört hätte.
Ich legte die Hände an den Mund. »Komm da weg!« schrie ich.
»Ich nicht können!« brüllte Nim Nim.
Da griffen die Tiere an und stürzten sich auf ihn. Er versuchte, ihnen auszuweichen und aus dem Rudel herauszukommen. Ich sah ihn zweimal fallen und jedesmal wieder aufstehen. Als er den Rand des Rudels erreichte, fehlten ihm eine Hand und ein Fuß. Aber er konnte nicht länger stürzen, da sich die Tiere so dicht um ihn herumdrängten. Einige hatten ihm die Zähne in den Körper geschlagen und bissen Stücke heraus. Als er nur noch wenige Meter von mir entfernt war, hatte er die Hälfte seines Gesichts verloren. Sein Kopf rollte wild hin und her. Ich war nicht einmal sicher, ob er überhaupt noch lebte, bis ich seine Augen sah. Voller Zorn sprang ich ihm entgegen und riß die Urts von ihm fort. Manche packte ich am Nacken, andere an den Hinterbeinen; ich schleuderte sie ins Rudel zurück. Sie stürzten sich weiter auf ihn und schienen mich gar nicht zu bemerken. Ich war mitten unter ihnen. Ich packte ein Urt, stieß die Hände unter die Vorderpfoten, verschränkte die Finger hinter dem Hals und brach ihm das Genick. Ich warf es hinter mich. Andere Urts drängten heran; viele von. ihnen quiekten und versuchten, über ihre Artgenossen zu klettern, um den tödlich verletzten Nim Nim zu erreichen. Da wich ich vor dem Rudel zurück, wobei ich bei jedem Schritt mit den Beinen gegen Urts stieß. Ich sah, wie zwischen den braunen Körpern Stücke von Nim Nim in das Rudel hineingezerrt wurden. Dann stand ich wieder einen Meter vom Rudel entfernt. Ich zitterte am ganzen Körper. Dann erbrach ich mich ins Gras.
Jetzt wußte ich, daß sich die Tiere am Geruch orientierten. Es mußte einen herdenspezifischen Geruch geben. Verströmte ihn jemand, wurde er angenommen. Fehlte der Duft, war man ein Feind und wurde angegriffen. Das schreckliche, schrille und durchdringende Quieken, das auf die anderen Rudelmitglieder eine solche Wirkung gehabt hatte, war vermutlich das Signal, das allen verkündete, daß sich ein Fremder in ihrer Mitte aufhielt. Vermutlich hatte es auch einen unmittelbaren Einfluß auf die allgemeine Reaktion des Rudels; es rief die anderen zum Angriff.
Ich betrachtete die Tiere. Sie waren wieder relativ ruhig. Von Nim Nim war keine Spur mehr zu entdecken.
Ich blickte zu den Männern auf dem Hügel zurück. Sie hatten die Sleen noch immer nicht freigelassen. Vielleicht wollten sie mir noch etwas mehr Zeit lassen, die Sache zu überdenken, Zeit, damit ich mir ausmalen konnte, was mit mir geschehen würde.
Ich sah wieder zu dem Rudel hin. Es hatte mit dem Geruch zu tun, da war ich mir sicher. Das würde erklären, warum ein fremdes Urt, das doch derselben Spezies angehörte, bei dem Versuch, sich dem Rudel anzuschließen, angefallen und getötet wurde. Es würde ebenfalls erklären, warum Nim Nim nicht länger dazu gehört hatte. In den sechs Monaten seiner Gefangenschaft hatte er den Herdengeruch verloren. Die Priesterkönige hatten am Nestgeruch erkannt, wer zum Nest gehörte und wer nicht. Diesen Geruch erwirbt man durch den längeren Aufenthalt im Nest. Genauso verhielt es sich vermutlich bei dem Herdengeruch.
Doch wie war es den Urtmenschen überhaupt gelungen, einen Zugang zum Rudel zu gewinnen? Vor Hunderten von Jahren mußten ein paar kluge Leute die Zusammenhänge erkannt haben. Dann hatten sie herausgefunden, wie man sie zum eigenen Nutzen anwenden konnte. In den nachfolgenden Generationen hatten die Urtmenschen das Geheimnis vermutlich verloren, vielleicht hatten die Entdecker es auch absichtlich im Dunkel der Zeit verschwinden lassen, damit es andere nicht zum eigenen Vorteil nutzen konnten. Heutzutage wuchsen die Kinder der Urtmenschen einfach innerhalb des Rudels auf, in dem Glauben, daß die Dinge unerklärlicherweise – oder vielleicht auch natürlicherweise – seit ewigen Zeiten so waren.
Plötzlich zuckte ich zusammen und eilte zu dem Urt, dem ich das Genick gebrochen hatte. Ich warf den Männern auf dem Hügel einen Blick zu. Sie hatten die Sleen noch nicht losgemacht. Ich brach einen Hauer aus dem Maul des toten Tieres. Dann stieß ich den Zahn in fieberhafter Eile und mit aller Kraft durch das Fellkleid, zerrte und riß, nahm Hände und Zähne zur Hilfe und zog die Haut ab. Vielleicht nahmen die Männer aus Brundisium an, ich hätte den Verstand verloren. Doch es würde bestimmt nicht lange dauern, bis Flaminius mein Vorhaben begriff.
Ich warf einen schnellen Blick über die Schulter. Die Sleen jagten die grasige Anhöhe herunter.
Ich arbeitete mit fliegenden Händen weiter.
Ich riß die Haut los, fuhr mit der Handkante wie mit einem Messer darunter und löste sie von Organen und Fett. Ich stellte den Fuß auf die Rippen und trat zu, verringerte den ausgeübten Druck und trat wieder zu. Das wiederholte ich etliche Male. Dann drehte ich den Kadaver um und zog das Fell Rippe für Rippe herunter. Der Blick zurück verriet mir, daß es sich nur noch um Ihns handeln konnte, bis mich die Sleen erreicht hätten. Ich sah schon ihre Augen, die darin liegende Gier. Mit einem gewaltigen Ruck riß ich das Fell von dem restlichen Kadaver. Es fehlte die Zeit, den noch daran baumelnden Kopf zu entfernen. Ich packte das Fell mit beiden Händen, schlang es mir um die Hüften und wagte mich ins Rudel.
Ein Teil des Fells fühlte sich noch immer warm auf meiner Haut an, es war feucht und klebrig. Meine Beine und Oberschenkel waren naß vom Urtblut. Ich zwängte mich zwischen den Tieren hindurch. Ihr Fell war warm und ölig. Ich spürte die darunterliegenden Rippen, das Zucken der Muskeln. Nasen stießen gegen meine Beine. Ich machte weiter und erkämpfte mir einen Weg. Etwa im gleichen Augenblick hatten die Sleen das Rudel erreicht und jagten mir nach. Einer kletterte zuschnappend und knurrend über die dicht aneinandergedrängt stehenden Urts, seine Zähne verfehlten mich kaum einen halben Meter, dann landete er zwischen den verwirrten Urts am Boden. Ich drängte mich weiter an den Tieren vorbei, immer in Richtung auf die andere Seite des Rudels, die weit mehr als hundert Meter entfernt war. Hinter mir ertönte plötzlich das schreckliche Quieken eines Urts, das die Anwesenheit von Fremden verkündete.
Der Sleen ist ein unermüdlicher, entschlossener, hartnäckiger Verfolger. Das hatte ich vermutet, als ich das erste Mal vor dem Rudel gestanden hatte. Zu diesem Zeitpunkt war mir dieser Gedanke irgendwie wichtig erschienen, aber ich hatte seine wahre Bedeutung nicht erkannt; diese Bedeutung hatte an der Grenze meines Verstandes gelauert und war dort unruhig umhergestrichen. Jetzt erkannte ich, daß der Gedanke, mit dem mein Verstand gespielt hatte, sich mit einer erstaunlichen Möglichkeit beschäftigt hatte, deren Konsequenz mir zu diesem Zeitpunkt verschlossen geblieben war, einer Möglichkeit, die ich, wäre sie mir in jenem Augenblick in den Sinn gekommen, trotz ihres Reizes für völlig abwegig gehalten hätte.
Aber hatte ich diese Idee nicht sofort in die Tat umgesetzt, fast schon instinktiv, eine Idee, die – wie mir erst jetzt richtig bewußt wurde – ich schon viel früher gehabt hatte? Doch, das hatte ich. Was anfangs nur ein vager, verblüffender, interessanter Gedanke gewesen war, dessen Tragweite ich gar nicht richtig erkannt hatte, wurde im Dickicht der Umstände, in der Krise des Augenblicks zur zwingenden Handlungsweise, zum Pfad, den ich mutig und unweigerlich beschreiten mußte. Ich hatte nur die Mittel und Wege gebraucht, die mein Weiterkommen ermöglichten, danach war alles wie bei einem Puzzle an den richtigen Platz gerückt. Nichts konnte mich durch die Urtherde verfolgen. Nichts – nicht einmal die Sleen.
Ich eilte weiter. Hinter mir wurde das Quieken immer lauter. Der Sleen ist ein hartnäckiger Spurensucher und Verfolger, ein auf seine Weise bewundernswürdiges Tier. Er gibt niemals auf, weicht niemals zurück. Ich konnte in dem Rudel drei bewegte Stellen ausmachen, es war beinahe so, als würden sich riesige braune Insekten auf einen Punkt stürzen. Ich sah einen Sleen sich auf die Hinterbeine stellen und mit Kopf und Schultern aus der Masse der herbeischwärmenden Urts auftauchen. Ein Urt hing leblos in seinem Maul, er schüttelte es wild. Dann versank er wieder in dem Rudel, und ich konnte ihn nicht länger sehen.
Plötzlich ging es nicht weiter. Eine große Anzahl Urts schien mich anzustarren; sie bildeten förmlich eine Mauer. Ich war umzingelt. Es hatte den Anschein, als würde ich auf einem offenen, von braunen Körpern umgebenen Platz stehen. Ich rührte kein Glied. Köpfe drehten sich zu mir um, Nüstern zuckten.
Ein Urt bahnte sich den Weg durch seine Artgenossen und kam auf mich zu. Es war ein großes Tier mit dunklem Fell. Auf der einen Seite ragte ein abgebrochener Hauer aus der Schnauze hervor. Ich erkannte es wieder. Es war das Urt, das Nim Nim als Leittier des Rudels bezeichnet hatte. Es fing an, mich zu beschnüffeln.
»Tal, du häßliches Scheusal«, sagte ich leise.
Ich wandte mich ab, ließ es aber nicht aus den Augen, als es mich schnüffelnd umkreiste. Dann war es wieder am Ausgangspunkt angelangt. Die kurzsichtigen kleinen Augen starrten mich an.
»Du bist ein stinkendes, häßliches Scheusal«, flüsterte ich.
Es beschnupperte mich erneut, fing bei meinen Füßen an und arbeitete sich in die Höhe, bis es mir direkt in die Augen zu blicken schien. Als es eben den Kopf gesenkt hatte, hatte ich das Fell gesenkt, das ich um mich geschlungen hielt, damit es sich in der Nähe seiner Nase befand. Als das Urt jetzt den Kopf hob, hielt ich das Fell ebenfalls in die Höhe, um es weiterhin zwischen uns zu halten. Das Leittier schien sich nicht besonders für den Kopf seines Artgenossen zu interessieren, der noch immer von der Haut gehalten wurde. Sein Verhalten wurde, wie ich vermutete und hoffte, hauptsächlich vom Geruchssinn gesteuert, der nicht den Blutgestank oder den Menschengeruch wahrnahm, sondern den Geruch des Fells, den Rudelgeruch.
Ich atmete erleichtert auf. Der Rudelführer wandte sich ab. Die Tiere nahmen ihre üblichen Tätigkeiten auf. Wieder herrschte Ruhe im Rudel, bis auf ein paar Stellen, wo einige Urts die Sleen auffraßen.
»Leb wohl, du häßliches Ungeheuer«, sagte ich.
Ich setzte mich wieder in Bewegung und watete weiter durch das Rudel. Einmal entdeckte ich ein paar Meter rechts von mir einen schmalen langen Kopf, der plötzlich in die Höhe wuchs und mich betrachtete. Er verschwand so schnell, wie er aufgetaucht war, und ich sah nur noch Tiere. Das war das einzige Anzeichen dafür, daß sich Urtmenschen in dem Rudel aufhielten.
Wenige Augenblicke später verließ ich das Rudel. Flaminius und seine Männer standen bereits auf der anderen Seite. Ich sah ihnen eine Zeitlang zu, beobachtete, wie zwei oder drei Armbrustbolzen über die Urts hinwegflogen, mich jedoch verfehlten, da die Kraft der Bogensehnen für die Entfernung nicht ausreichte. Dann wandten sich die Männer ab und eilten den Weg zurück, den sie gekommen waren. Vielleicht hatten sie irgendwo Tharlarions angezurrt. Ich drehte mich um, kletterte die zerklüftete Steigung des natürlichen Kessels hoch, stand plötzlich vor offenem Land und fing mit dem weitausholenden, langsamen Kriegerschritt an zu laufen, mit jenem Schritt, den man Kriegern beibringt und den sie selbst unter dem Gewicht von Waffen, Ausrüstung und Schild viele Pasang lang beibehalten können.