12

»Da ist er!« rief Boots. »Wir haben ihn für dich gefangen!«

Lecchio und Chino hielten mich bei den Armen.

Im nächsten Augenblick kamen die Reiter ins Lager gestürmt; die Pfoten ihrer Tharlarions wirbelten Staub auf, während Boots schnaufend an ihrer Seite lief.

»Sleen! Sleen!« brüllte ich die Mitglieder von Boots Tarskstücks Truppe an.

Die Tharlarions umkreisten mich.

Ich wirbelte Lecchio und Chino wild in den aufgewühlten Staubwolken herum und hätte sie auch beinahe abschütteln können. Aber sie ließen nicht los.

»Haltet ihn! Haltet ihn!« rief Lady Yanina. »Laßt ihn nicht entfliehen!«

»Keine Angst! Er ist in der Gewalt Boots Tarskstücks«, rief Boots, »Schauspieler, Theaterdirektor und Freund der ehrenwerten Bürger Brundisiums!« Dann trat er auf mich zu, in der Hand ein paar Ketten. »Du bist hier der Sleen!« rief er und wandte sich Chino und Lecchio zu. »Haltet dem Sleen die Hände auf den Rücken!« Die Eisenmanschetten schnappten zu. Chino und Lecchio ließen mich jedoch nicht los. Petrucchio stand resolut in der Nähe, das große Holzschwert gezückt, das er auf der Bühne für die Rolle des ›Kapitäns‹ brauchte. Publius Andronicus stand in der Nähe, einen hochzufriedenen Ausdruck im Gesicht. Der Schauspieler stand mit verschränkten Armen ein wenig abseits und verfolgte leidenschaftslos die Geschehnisse. Rowena, Lady Telitsia und Bina knieten voller Angst ein Stück abseits, angesichts der plötzlichen Invasion des Lagers am ganzen Leib zitternd.

Ich riß an den Fesseln. »Du brauchst gar nicht erst versuchen, dich zu befreien, Narr«, sagte Boots. »Boots Tarskstück persönlich hat dich in Fesseln gelegt!«

»Gut gemacht, Freund Brundisiums!« rief Lady Yanina.

Boots verbeugte sich tief vor Lady Yanina und übergab ihr dann strahlend den Schlüssel für die Ketten. Sie nahm ihn lachend und hielt ihn triumphierend in die Höhe, um ihn ihren Männern zu zeigen.

»Ich dachte mir, daß du an diesen Ort zurückkehrst!« sagte sie und hielt mir den Schlüssel vors Gesicht. »Flaminius war da anderer Meinung! Er durchsucht das Land! ›Er wäre ein ausgemachter Narr, würde er ins Lager zurückkehren‹, hat er mich ausgelacht. Aber ich bin schlauer als er, tausendmal schlauer! Ich dachte mir, daß du aus genau diesem Grund hier auftauchen würdest, an dem einzigen Ort, den du nach Überzeugung der meisten anderen meiden würdest! Ich hatte recht! Ich habe mir von Belnar Männer und Tharlarions erbettelt! Er hat sie mir nur widerwillig gewährt. Dann sind wir in aller Eile hergeritten. Meine Annahme war richtig! Soll sich Flaminius vor Neid verzehren! Ich bin diejenige, die recht behalten hat! Ich bin diejenige, die triumphiert! Du bist mein Gefangener, Bosk aus Port Kar, du bist der Gefangene von Lady Yanina!« Wieder hielt sie mir den Schlüssel vors Gesicht; ich blickte zu ihr hoch, sie sah von ihrem Tharlarion zu mir herunter. Dann ließ sie den Schlüssel lachend im Ausschnitt ihres Gewandes verschwinden.

»Dein Gesicht ist nackt«, sagte ich.

»Geht von ihm weg!« schrie sie. Dann zog sie eine aufgerollte Peitsche unter dem Sattel hervor und schlug mich zweimal.

»Deine Beine sehen gut aus«, sagte ich.

Sie schlug mich erneut.

»Wie ich sehe, hat man dir noch nicht erlaubt, wieder Schuhe zu tragen.« Ihre in den Steigbügeln steckenden Füße waren genau wie die Unterschenkel vom Ritt staubbedeckt. Ihre Beine sahen wirklich gut aus, wie sie sich an das Sattelleder und die dicke Schuppenhaut des Tharlarions schmiegten.

Sie versetzte mir noch zwei Peitschenhiebe.

»Dein Haar hat sich gelöst«, bemerkte ich.

»Sleen! Sleen!« schrie sie.

Immer wieder sauste die Peitsche auf mich herab. Ich schloß die Augen, um nicht geblendet zu werden. Ich war froh, daß Lady Yanina nicht über die Kraft eines Mannes verfügte. Schließlich steckte sie die Peitsche wütend und verschwitzt wieder unter den Sattel.

Ich sah grinsend zu ihr hoch. Ja, ein Sklavenkragen würde ihr gut stehen.

»Lach nur, du Narr!« rief sie. »Du trägst Ketten! Du bist mein Gefangener!«

Ich schwieg und sah sie unverwandt an.

»Du bist schuld, daß man mich in meinem Rang zurückgestuft hat«, keifte sie. »Du bist schuld an meinem Statusverlust in Brundisium, du bist schuld, daß ich in den Augen meines Ubars an Gunst verloren habe, daß man mir das Recht verweigert, mein Gesicht zu verdecken, mein Recht als freie Frau. Du bist der Grund, daß man mich in peinliche kurze Gewänder gesteckt hat. Jetzt wird sich alles ändern! Jetzt, du Narr, wirst du nicht nur dafür sorgen, daß ich in Brundisium meine Privilegien und meinen Status zurückerhalte und in der Gunst des Hofes und Belnars, meines Ubars, steigen werde, nein, du wirst dafür sorgen, daß ich im Dienst meines Ubars und des Stadtstaates zu neuen Höhen der Macht aufsteigen werde! Soll Flaminius vor Neid weinen! Ich werde einen tausendfach höheren Platz einnehmen als er!«

»Wieso folgst du den Befehlen einer Frau?« fragte ich einen der Männer ihrer Begleitung, allem Anschein nach ihren Stellvertreter.

»Wir gehorchen den Befehlen Belnars«, sagte der Mann.

»Ich verstehe.«

»Du bist ein verabscheuungswürdiger Sleen«, zischte sie.

»Zweifellos«, erwiderte ich. Möglicherweise steckte viel Wahrheit in ihren Worten. Ich sah sie an.

»Lächle nur, aus welchen nur dir verständlichen Gründen auch immer, du Narr«, sagte sie. »Aber du bist es, der die Eisenmanschetten trägt, der an meinen Steigbügel gefesselt ist.«

»So sieht es aus.«

»Du bist mein Schlüssel zur Macht.«

Wie hochmütig sie war, wie überheblich.

»Du bist der Grund, warum ich in Brundisium mein Glück gemacht habe«, sagte sie. »Deinetwegen werde ich zu unvorstellbaren Höhen aufsteigen.«

»Vielleicht.«

»Ich bin es, die siegt. Ich bin es, die triumphiert!«

Yanina wandte sich dem Mann zu, der offensichtlich tatsächlich ihr Stellvertreter war. »Legt ihm eine Kette um den Hals«, befahl sie.

»Wir haben damit gerechnet, daß jemand von deiner Klugheit sich nicht von den Täuschungsmanövern des Flüchtigen täuschen läßt«, sagte Boots. »Uns war klar, daß du seine unverschämte Rückkehr in unser Lager voraussehen konntest. Darum haben wir ihn ergriffen.«

»Ich danke dir, Schauspieler«, sagte Yanina. »Keine Angst. Du wirst belohnt werden.«

Der Soldat holte eine Kette mit Halsring aus einer Satteltasche.

»Darüber hinaus haben wir alles so vorbereitet, daß dein Triumph noch größer wird.«

»Wie das?« fragte sie neugierig.

»Dein Gefangener, der, wie ich verstanden habe, sehr wichtig für dich ist, sollte auf dramatische Weise vorgeführt werden, nicht so gewöhnlich, als handelte es sich um einen zahmen Tarsk!«

»Woran hast du gedacht?« fragte Yanina neugierig.

»An ein Fest, ein großartiges Fest!«

»Nein!« rief ich. »Nein!«

»Haltet ihn!« sagte Boots besorgt zu Chino und Lecchio. Sie packten mich wieder an den Armen.

»Jeder könnte ihn an einer Kette hereinführen. So hat es übrigens dieser Flaminius getan, wenn ich mich recht erinnere.«

»Genau«, sagte Lady Yanina. Flaminius hatte sie zur gleichen Zeit an einer Kette in die Stadt geführt, barfuß, die Hände auf den Rücken gefesselt, mit nichts als dem demütigenden Getreidesack bekleidet, den ich ihr vor so langer Zeit als Gewand gegeben hatte. Es mußte ein schwieriger Augenblick für die stolze Lady Yanina gewesen sein, auf diese Weise in ihre Heimatstadt gebracht zu werden.

»Stell es dir vor«, rief Boots mit einer großartigen Geste und funkelnden Augen. »Ein unglaubliches Bankett, ein prächtiges Fest, ein Siegesfest, ein triumphales Fest, die delikatesten Delikatessen, die beste Unterhaltung, und dann, auf dem Höhepunkt dieses großen Festes, bringst du eine verschlossene große Truhe in den Saal! Du öffnest sie! Darin liegt ein Sklavensack! Du öffnest den Sklavensack! Du läßt den Gefangenen in die Höhe ziehen! Er ist hilflos und in Ketten. Du präsentierst ihn der Menge! Er ist dein Gefangener! Dein Preis! Du übergibst ihn deinem Ubar! Es ist der Augenblick deines Triumphs!«

»Ja!« rief Yanina. »Ja!«

»Nein!« schrie ich. »Niemals! Niemals! Einen solchen Triumph sollst du nicht haben! Niemals werde ich eine derartige Demütigung hinnehmen!« Ich riß Chino und Lecchio von den Füßen und wirbelte sie umher, aber sie klammerten sich hartnäckig wie Sleens an meinen Armen fest. Als ich schließlich wieder in ihrem Griff verharren mußte, sah ich zu Lady Yanina hoch, die aufrecht im Sattel ihres Tharlarion saß. Sie lächelte.

»Niemals!« schrie ich.

Sie gab keine Antwort.

»Laß nicht zu, daß man mich so demütigt!« sagte ich.

Sie antwortete nicht.

»Wie kannst du so etwas überhaupt nur zulassen?«

Sie lächelte.

»Bitte, nein!«

»Bringt mir einen Sklavensack«, verlangte Yanina.

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