»Halt!« rief ich von der obersten Sitzbank der Tribüne, die die Grube umgab. »Halt!« Aber ich kam zu spät. Der angekettete Ubar schrie unter den Zähnen der Sleen. Ich sah zur Ubarloge herüber. Dort kauerte der Kur im Mondlicht.
Ich eilte schnell in die Grube hinunter. Der Kur verließ die Ubarloge mit jener Beweglichkeit, die bei einer Bestie seiner Größe so unnatürlich und überraschend wirkt, und stellte sich zwischen mich und die traurige Gestalt, die mit wilden Blicken in die Höhe stierte, während sie am Boden liegend von den Sleen hin- und hergezerrt wurde. Der Kur bleckte die Reißzähne. Ich glaubte nicht, daß er angreifen wollte. Schließlich war ich es gewesen, der ihn zusammen mit den anderen Gefangenen befreit hatte.
Ich schob das Schwert in die Scheide. Ich war mir nicht sicher, ob der Ubar tot war. Fünf Sleen hatten sich in ihn verbissen. Seine Augen waren noch immer weit geöffnet. Belnar hatte trotz seiner Leibesfülle gut gekämpft. Zwei Sleen lagen tot neben ihm, ihr Blut schimmerte dunkel im mondhellen Sand. Der Kur hatte ihm eine Axt gegeben. Das war mehr, als er zur Verteidigung gehabt hatte. Trotzdem hätte man auf die Sleen gewettet.
Belnar war mit einer stabilen, etwa fünf Meter langen Kette an den Pfahl gefesselt worden. Man hatte sie ihm um den Bauch gewunden und dann verschlossen. Sie ließ ihn schlanker aussehen. Es war dieselbe Kette, mit der der Kur dort immer angekettet worden war. Sie hätte einen Kailiauk gehalten. Die Kette klirrte, wenn Belnar erst in die eine und dann in die andere Richtung gerissen wurde. Zuerst hatte man den Ubar dort angekettet und dann die Sleen in die Grube gelassen. Die Axt lag in der Nähe. Belnars rechte Hand lag direkt daneben. Als der Kur davon überzeugt war, daß ich ihn nicht angreifen wollte, wandte er sich von mir ab und begab sich auf allen vieren zu den fressenden Sleen. Zu meinem Entsetzen drängte er sich zwischen sie und senkte den Kopf.
Auf der einen Seite der Grube stand in sicherer Entfernung von allem Brennbaren der große Kessel, den man früher am Abend im Bankettsaal benutzt hatte. Er war wieder mit Öl gefüllt, das mittlerweile brodelnd kochte, da man im Eisenkasten Feuer gemacht hatte. Ein Stück daneben lagen zwei tote Diener des Ubars; das Genick war ihnen durchgebissen worden. Ich hatte wenig Zweifel, aus welchem Grund Belnar befohlen hatte, neues Öl zum Kochen zu bringen. Ich erschauerte. Die Vorbereitungen waren wohl umsonst getroffen worden. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß Flaminius oder ein Stadtkapitän einem ihrer Opfer solche Dinge antun würde.
Ich drängte mich zwischen den Kur und die Sleen. Belnar regte sich nicht, sein Körper wurde nur von den Bestien bewegt. Die offenen Augen starrten in die Höhe. Ein Sleen knurrte, beachtete mich aber nicht weiter. Sleen sind selbst beim Fressen außerordentlich zielstrebige Tiere, und solange ich keinen Versuch unternahm, ihnen etwas wegzunehmen, würden sie nichts tun. Den Kur fürchtete ich nicht. Bemerkenswerterweise schien er nicht gefressen zu haben, obwohl seine Schnauze blutverschmiert war. Er hatte das Fleisch jedoch probiert. Ich tastete Belnars Leiche und die zerrissene Kleidung ab, dann nahm ich die Gürteltasche an mich, trat zurück und durchstöberte sie. Ich erhob mich und ging zum Pfahl. Ich untersuchte den Sand. Doch ich konnte nirgendwo das finden, was ich suchte. Falls er es dabei gehabt hatte, war es nun verschwunden.
Ich hörte, wie sich ein Schlüssel in einem Schloß drehte. Der Kur vertrieb knurrend die Sleen. Dann befreite er Belnar von der Kette und zog ihn durch den Sand hinter sich her – auf den Kessel zu.
»Kannst du mich verstehen?« fragte ich ihn. Einige Kurii können menschliche Sprachen verstehen und menschenähnliche Laute von sich geben.
Er sah mich an.
»Was willst du tun?« fragte ich.
»Man hat mich wie ein Tier in die Grube gesteckt«, sagte er.
»Die Menschen Brundisiums wußten es nicht besser«, sagte ich. »Das ist meine feste Überzeugung.«
»Ich wurde gefangengenommen«, sagte der Kur. »Ich wurde wie ein Tier behandelt.«
»Ja.«
»Ich bin ein zivilisiertes Wesen. Ich bin so etwas wie ein Ehrenmann. Ich unterscheide mich sogar von den meisten meiner Artgenossen.«
»Davon bin ich überzeugt«, erwiderte ich. »Was willst du tun?«
»Im Gefängnis hat man uns nicht gut gefüttert.«
»Halt!« rief ich vergeblich und konnte nur entsetzt zusehen. Augenblicke später zog das Ungeheuer die Leiche des Ubars wieder aus dem Öl.
»Warum siehst du mich so an?«
»Es ist nichts«, sagte ich.
»Ich bin ein zivilisiertes Wesen«, sagte der Kur. »Ich unterscheide mich sogar von vielen meiner Artgenossen. Sie sind Barbaren.«
»Ja, ich verstehe.«
»Wie du siehst, koche ich meine Nahrung sogar.«
»Ja«, flüsterte ich.
Ich war verzweifelt. Ich war so sicher gewesen, daß Belnar das Gesuchte bei sich getragen hatte. »Er«, sagte ich langsam und zeigte auf die Beute in den Pranken der Bestie.
Sie hob den Blick und sah mich an.
»Hat er Papiere bei sich gehabt, irgend etwas?«
Der Kur zuckte mit den Schultern, eine Geste, die bei seiner Rasse den halben Oberkörper in Bewegung setzt, dann wandte er sich wieder seinem Opfer zu.
Ich war davon überzeugt, daß er mich verstanden hatte und nur nicht wußte, wie er antworten sollte. Wenn er ein Päckchen, Papiere oder irgend etwas im Besitz des Ubars gesehen hätte, hätte er es mir mitgeteilt. Ich glaubte nicht daß er versucht hätte, etwas vor mir zu verbergen. Auf seine Weise war er mir zugetan.
Es war natürlich durchaus möglich, daß Belnar die Papiere an einem anderen Ort versteckt hatte, vielleicht auf dem Weg zwischen seinen Gemächern und der Stelle, an der er die Pranke der Bestie auf der Schulter gespürt hatte. Das hätte einen Sinn ergeben. Aber gab es in den vermutlich unbewachten, einsamen und nur selten benutzten Gängen überhaupt einen passenden Platz? Nein, es erschien wahrscheinlicher, daß er sie bei sich getragen hatte. Das hätte man erwartet. Ja, dachte ich, das ist genau das, was man erwartet hätte. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Ich dachte an Belnars Durchtriebenheit, an die Kühnheit und den Mut eines Mannes, wie er es gewesen war, der sich mit der nötigen Verschlagenheit an dem komplizierten und gefährlichen Spiel der hohen goreanischen Politik beteiligt hatte. Belnar war sehr klug gewesen! Das durfte ich nicht vergessen!
Der Kur sah mich überrascht an. Ich hatte einen Freudenschrei ausgestoßen. »Ich weiß, wo sie sind!« rief ich.
Er blinzelte.
»Ich weiß es!« rief ich glücklich. »Ich weiß es!«
In der obersten Sitzreihe ertönte ein Schrei. »Wer bist du? Was tust du da unten? Bleib stehen!«
»Es ist die Bestie!« rief ein zweiter Mann.
»Stehenbleiben!«
Ich sah mich wild um. Die oberste Sitzreihe schien plötzlich aus Helmen und Speerspitzen zu bestehen. »Wir sind umzingelt!« rief ich.
Der Kur rührte sich nicht. Ich zog das Schwert, dazu bereit, mich den Angreifern zu stellen. Die Sleen waren noch immer da und schlichen in großem Bogen um uns herum. Sie schienen das Wesen zu fürchten, das neben mir kauerte. Vermutlich respektierten sie nicht nur seine Größe und Wildheit, sondern waren als abgerichtete Sleen auch verwirrt, weil sie nicht begriffen, wem sie da gegenüberstanden und wie sie sich verhalten sollten. Das fremde Wesen war nicht am Pfahl festgemacht. Es hatte sie freigelassen und ihnen zu fressen gegeben.
»Stehenbleiben!« rief der Offizier, der mit einem Trupp Soldaten die Tribüne heruntergeschritten kam.
Der Kur stellte sich auf die Hinterbeine. Er mußte etwa zweieinhalb Meter groß sein, das war selbst für solch eine Bestie riesig.
»Bei den Priesterkönigen!« rief ein Mann. »Seht euch seine Größe an.«
»Ich hätte nicht gedacht, daß er so groß ist«, sagte ein anderer.
»Nähert euch mit größter Vorsicht«, sagte der Offizier. »Die Sleen sind ebenfalls los.«
»Das war gut«, sagte der Kur und fuhr sich mit der langen dunklen Zunge über die Schnauze. »Ich rieche Ruhm«, sagte er dann und sah sich um. »Das ist eine noch aufregendere Witterung als Fleisch.«
Zu diesem Zeitpunkt verstand ich nicht genau, was er damit meinte. Ich glaubte sogar, ich hätte ihn nicht richtig verstanden. Aus der Rückschau gesehen, vor allen Dingen im Licht der Geschehnisse, die sich danach zutrugen, bin ich allerdings der festen Überzeugung, daß ich seine Worte doch richtig verstanden habe. Vielschichtig sind die Motive von Mensch und Tier, und die Motive mancher Menschen und mancher Tiere werden sich für alle Zeiten dem Verständnis ihrer Artgenossen entziehen. Den Tieren, die nur vom Hunger und den Schlägen ihrer Herren angetrieben werden, bleiben die Bedürfnisse höherentwickelter und schrecklicherer Wesen für immer unverständlich. Ich kenne keine Möglichkeit, jenen den Sinn des Ruhms begreiflich zu machen, denen jegliches Gespür dafür fehlt. An welchem Maßstab soll man ihn messen?
»Du bist unbewaffnet«, sagte ich. »Flieh. Stirb nicht hier, nicht an diesem nichtssagenden Ort, nicht im Mondlicht, nicht auf diesem fremden Boden. Wer soll davon erfahren, wen wird es kümmern?«
»Das spielt keine Rolle«, sagte der Kur.
»Flieh. Hier ist keiner, der deinen Ruhm anerkennt.«
»Da irrst du.«
»Wer ist denn hier?«
»Ich«, sagte der Kur.
»Geht vorsichtig näher heran, Männer«, sagte der Offizier, der die Tribüne herunterkamen.
»Ich hätte nie gedacht, daß ich einmal mit jemanden wie dir Rücken an Rücken stürbe«, sagte ich.
»Man hat mich aus meiner Welt verstoßen, meiner Stahlwelt, die so weit entfernt ist! Man hielt mich für einen Feigling.«
»Das fällt mir schwer zu glauben.«
»Trotzdem ist es die Wahrheit«, sagte der Kur. »Viele meiner Artgenossen, die wirklich kaum besser als Barbaren sind, konnten mein Verlangen nach den Annehmlichkeiten des Lebens, nach den kleinen Besonderheiten nicht verstehen, die die Langweile des Lebens unterbrechen.«
»So wie dein Fleisch zu kochen?« fragte ich.
»Genau. Also schickte man mich ins Exil, setzte mich ohne Waffen auf dieser Welt aus. Man ließ mir nicht einmal eine Bürste oder einen Kamm, nicht einmal etwas Schmuck. Wie sollte ich mich da pflegen können? Wie mein Erscheinungsbild bewahren?«
»Das weiß ich nicht«, erwiderte ich.
»Es war schrecklich.«
»Vermutlich.«
»Man kann doch sicherlich tapfer und ein Ehrenmann sein.«
»Sicher, warum auch nicht?«
»Hältst du mich für einen Schwächling?« fragte der Kur.
Ich schüttelte den Kopf.
»Gut.«
»Ich sähe es sogar als Ehre an, in deiner Gesellschaft zu sterben.«
»Ich hoffe, du bist nicht beleidigt«, erwiderte die Bestie. »Aber ich sähe es nicht als Ehre an, in deiner Gesellschaft zu sterben.«
»Was?«
»Bis zu einem gewissen Grad schmälert deine Gegenwart den Glanz dieses Augenblicks«, erklärte sie. »Außerdem gehörst du nicht zum Volk. Du bist ein Mensch,«
»So wurde ich geboren.«
»Mißversteh mich nicht«, sagte der Kur. »Und faß es auch nicht als Beleidigung auf. Das sollte kein Vorwurf sein. Ich weiß, daß du nichts dafür kannst.«
»Aber trotzdem…«
»Genau.«
»Du erwartest einfach zuviel.«
»Sei nicht ärgerlich. Es tut mir ja auch leid. Aber so ist es nun einmal.«
»Ich verstehe.«
»Außerdem ist es erforderlich, einen hohen An-| Spruch zu haben, wenn man ein Ehrenmann sein will.«
»Was schlägst du vor?« fragte ich. »Soll ich dort hinüber gehen, vielleicht in eine unauffällige Ecke, und mich dort in einen verzweifelten Kampf stürzen, nur um das Feld nicht mit dir teilen zu müssen?«
»Das wird nicht nötig sein.«
»Ich dachte, du brächtest mir so etwas wie freundschaftliche Gefühle entgegen.«
»Das tue ich auch«, erwiderte der Kur. »Sicherlich ist dir nicht entgangen, daß du nicht gefressen wurdest.«
»Das ist wahr«, mußte ich ihm zugestehen. Daran hatte ich wirklich nicht gedacht.
Die Soldaten hatten die Sandarena erreicht und umringten uns.
»Macht euch bereit, Männer«, sagte der Offizier. »Senkt die Speere. Spießt sie auf.«
»Unmittelbar hinter der Ubarloge befindet sich eine geöffnete Geheimtür«, sagte der Kur. »Ich bin durch sie hierhergekommen. Anscheinend ist es ein Privatzugang zur Ubarloge, durch die er herkommen konnte, ohne dem Volk begegnen zu müssen. Geschlossen ist sie so gut wie unsichtbar.«
»Was sagst du mir da?«
»Ich bezweifle, daß ich mich ohne weiteres als Mensch ausgeben könnte, selbst wenn ich die Schmach einer solchen Verkleidung in Kauf nähme«, sagte der Kur. »Andererseits bist du ein Mensch und hättest keine Schwierigkeit dieser Art. Außerdem trägst du die Uniform Brundisiums, wenn ich mich nicht irre.«
»Ich käme nie bis dorthin«, sagte ich.
»Gleich wird es einen großen Tumult geben.«
»Begleite mich.«
»Ich habe auf den Klippen seit Jahren von solch einem Augenblick geträumt«, sagte er. »Ich werde ihn weder verstreichen lassen noch, das versichere ich dir, ihn teilen.«
»Seht doch«, rief einer der Soldaten. »Ist das nicht der Kerl aus dem Bankettsaal, Bosk aus Port Kar, der auf so geheimnisvolle Weise verschwunden ist?«
»Da hast du recht!« rief ich zurück.
»Behaltet ihn bloß im Auge!« sagte der Offizier.
»Von hier kann er nicht verschwinden«, sagte ein Soldat.
»Sleen werden auf unterschiedliche Weise ausgebildet«, raunte die Bestie mir zu. »Die hier in der Grube reagieren auf gesprochene Kommandos, und es ist gleich, wer sie erteilt. Das nutzte mir wenig, als ich am Pfahl angekettet war, als sie auf mich gehetzt wurden, ich also ihr Ziel war. Doch jetzt bin ich nicht das Opfer, sondern der Sleenführer.«
»Solche Signale sind geheim«, erwiderte ich. »Sie werden sorgfältig gehütet. Du kennst sie nicht. Woher auch?«
»Ich habe gehört, wie man sie den Sleen zugeflüstert hat«, erwiderte der Kur, »Nur weil du keine Worte aus dieser Entfernung hören kannst, bedeutet das noch lange nicht, daß die Sleen oder auch ich es nicht können.«
Wieder stellten sich meine Nackenhaare auf.
»Sei bereit!«
»Jetzt«, sagte der Offizier. Die Männer setzten sich langsam in Bewegung, kamen schrittweise näher.
Der Kur an meiner Seite stieß eine Reihe von fast unhörbaren Lauten aus, die menschlichen Worten sehr nahekamen.
Die fünf Sleen fuhren unvermittelt herum, dann drängten sich die sechsbeinigen, gewandten, muskulösen, etwa drei Meter langen Tiere fauchend und knurrend an unsere Beine.
»Bei den Priesterkönigen!« rief ein Soldat entsetzt.
Plötzlich zischte der Kur eine Silbe, der eine wilde, befehlende Geste folgte, eine Bewegung, als würde er unter der Hand eine Waffe schleudern. Eines der Tiere stürzte sich mit gebleckten Zähnen auf die Männer und war einen Augenblick später wild um sich beißend in der Speerreihe verschwunden. Schreie ertönten, die Reihe brach auf. Für die Soldaten kam dieser Angriff völlig überraschend. Selbst wenn sie sich hätten umgruppieren können, war die Entfernung so kurz und der Sleen so schnell, daß ihnen nicht die nötige Zeit geblieben wäre, ihre Waffen zu einem der Situation angemessenen Verteidigungswall herabzusenken. Der Sleen war einfach auf das zugestürzt, was für ihn wie eine Öffnung aussah. Der Kur schickte die nächste lebende Waffe mit einer gezischten Silbe und einer Geste auf den Weg. Dann folgten in schneller Reihenfolge die restlichen Tiere, bis die Soldaten auseinanderfuhren und wild mit den Waffen um sich hieben.
»Hinter der Ubarloge!« sagte der Kur.
Ich sah ihn an, zögerte, ihn alleinzulassen.
»Geh!« sagte er. »Sie werden erfahren, daß selbst ein Ehrenmann zu kämpfen versteht.«
»Gibt es in deinem Land viele wie dich?« fragte ich.
»In meinen Ländern«, verbesserte er mich.
»In deinen Ländern«, sagte ich.
»Ein paar.«
»Ich verstehe.«
»Geh.«
»Wie ist dein Name?« fragte ich.
Er gab einen Laut von sich. »Das ist mein Name.«
»Ich kann ihn nicht aussprechen.«
»Dafür kann ich nichts.«
»Da hast du wohl recht.«
»Ich wüßte es wirklich zu schätzen, wenn du jetzt gingest.«
»Also gut«, sagte ich.
Ich stürmte an zwei Gruppen von Soldaten vorbei, die auf zwei sich windende Sleen einschlugen. Schreie ertönten. Ich sah, wie ein Sleen die Reißzähne in das Bein eines Soldaten geschlagen hatte. Ein paar Männer hatten sich an den Rand der Grube zurückgezogen. Ich eilte auf eine der Gruppen zu. »Was tut ihr da?« brüllte ich. »Sucht Bosk aus Port Kar!«
»Wir wissen nicht, wo er ist!« protestierte ein Mann. Im schattenerfüllten Mondlicht war sein Gesicht nur mühsam zu erkennen.
»Da sind Sleen!« rief sein Nebenmann.
Ich versetzte dem ersten Sprecher einen groben Hieb mit der Hand, in der ich das Schwert hielt. »Los, bewegt euch!«
Sie eilten verwirrt los.
»Du auch!« brüllte ich einen anderen Mann an.
»Ja, Herr«, rief er. Ich lief ein paar Ebenen der Tribüne hinauf, bis ich mich in der Nahe der Ubarloge befand, und blieb dort stehen, als hielte ich die Fäden in der Hand. Mit dem Schwert winkte ich anderen Soldaten zu, die sich noch auf der Tribüne befanden; sie sollten zu ihren Kameraden in die Grube eilen. Sie gehorchten.
»Wer hat hier den Befehl?« rief ein Unteroffizier verwirrt.
»Ich!« rief ich zurück. »Haltet Ausschau nach Bosk aus Port Kar!«
Der Unteroffizier winkte zwei Männer heran und eilte in die Grube. Ich sah mich um. Die Ubarloge befand sich genau hinter mir. Ich warf einen Blick in die Sandarena. Der Kur mußte den Sleen einen weiteren Befehl gegeben haben. Plötzlich stellten sie zu meinem Erstaunen ihren Angriff ein und zogen sich knurrend und fauchend zu dem vergitterten Tor zurück, durch das sie die Grube betreten hatten. Dann verschwanden sie nacheinander in der Dunkelheit des darunterliegenden Ganges. Ein Soldat humpelte zu dem kleinen Tor und verriegelte es schnell.
Ein anderer Soldat trat gegen einen im Sand liegenden Gegenstand und schrie auf.
»Was ist?«
»Hier liegt eine Gürteltasche im Sand«, rief der Soldat.
»Und hier ist das Siegel des Ubars«, sagte ein anderer Soldat und hob das Siegel mitsamt der dazugehörigen Kette in die Höhe.
»Die Gürteltasche trägt ebenfalls Belnars Siegel«, sagte der Mann, der sie gefunden hatte.
»Hier liegen Körperteile herum«, rief ein anderer Mann. »Die Sleen haben davon gefressen.«
»Der Ubar ist tot! Dort liegt sein Kopf!«
»Das war die Bestie!« schrie der Offizier entsetzt. »Tötet sie! Tötet sie!«
Die Soldaten wandten sich gegen den Kur. Die Bestie zog einen brennenden Holzscheit aus dem Eisenkasten unter dem Ölkessel und schleuderte ihn in das Öl. Eine Flammensäule schoß in die Höhe. Die Soldaten wichen zurück. Dann trat der Kur hinter den brennenden Kessel und stemmte ihn mit seinen Riesenkräften langsam in die Höhe. Schreie hallten durch die Grube.
»Paßt auf!«
»Zurück!«
Der Kur schleuderte den Kessel in Richtung der Männer. Sie flohen, doch zwei wurden unter dem Kessel begraben. Einen schrecklichen Augenblick lang schien es, als stünde die Luft selbst in Flammen.
»Gruppiert euch!« brüllte ein Offizier. »Gruppiert euch!«
Der Kur versuchte gar nicht erst zu fliehen, obwohl er es bestimmt bis zur Tribüne geschafft hätte. Statt dessen hob er sechs brennende Holzscheite auf, die aus dem Kasten geflogen waren, und rammte sie wie Fackeln rings um sich herum in den Sand. Er selbst blieb in der Mitte dieses Kreises stehen, der etwa einen Durchmesser von sechs Metern hatte. Ich fragte mich, ob man wohl in den Stahlwelten solche Kreise errichtete und ob er je in einem solchen gestanden hatte. Die Zahl sechs hat für die Kurii eine tiefere Bedeutung. Das hat vermutlich mit den tentakelähnlichen, mehrgelenkigen, sechsfingerigen Pranken der Bestien zu tun. Diese Zahl und alle ihre Formen finden sich im Alltag, in der Zeitrechnung und der Chronologie der Bestien wieder. Ihre Mathematik basiert auf der Zahl Zwölf.
Der Kur stand jetzt in der Mitte des Kreises. Ich verstand nicht, was der Kreis sollte, aber vermutlich war er wichtig für ihn. Er hatte die Sleen zurück in ihre Käfige geschickt, also wollte er sich den Männern ganz allein stellen – ohne Hilfe der Tiere. Ohne meine Hilfe.
Plötzlich sprang er in dem Kreis umher, machte einen Salto rückwärts und stieß unverständliche Laute aus, dann hüpfte er auf und ab und schlug sich auf Knie und Oberschenkel. Ich glaube, die Soldaten fürchteten, die Bestie könnte wahnsinnig geworden sein. Allerdings drücken die Kur auf diese Weise ihre Freude aus. Er blieb aufrecht stehen und sah in meine Richtung. Ohne jeden Zweifel konnte er mich mit seiner Nachtsicht deutlich erkennen. Er entblößte die Reißzähne. Ich lächelte. Auch wenn es furchterregend aussah, handelte es sich doch um die kurische Entsprechung eines menschlichen Lächelns. Es unterscheidet sich stark von dem Blecken der Reißzähne, was natürlich eine ernsthafte Drohung darstellt. Außerdem werden bei dem Lächeln die Ohren nicht angelegt, ein weiteres untrügliches Zeichen, daß der Kur angreifen will.
»Leb wohl«, flüsterte ich. Das Lächeln wurde noch breiter. Plötzlich wurde mir klar, daß er mich im Gegensatz zu den zwischen uns befindlichen Soldaten gehört hatte.
»Macht euch bereit!« rief ein Offizier.
Speere senkten sich. Die Bestie in dem Kreis wurde nun von Stahl umzingelt.
Der Kur knurrte die Männer an, und sie zögerten. Dann warf er den zotteligen großen Kopf in den Nacken und schleuderte den drei Monden, den Männern, die ihn umkreisten, dem Universum, den Sternen, der ganzen Welt seine Verachtung entgegen. Männer zitterten, unterbrachen den Ring aber nicht. Ich bewunderte sie. Es waren gute Soldaten. Dann wandte der Kur seine Aufmerksamkeit wieder den Feinden zu. Ich glaubte ein leises Knurren zu hören. Reißzähne wurden entblößt, aber diesmal handelte es sich nicht um ein Lächeln. Einen Augenblick lang wandte er den Kopf, und seine Augen, in denen sich das Licht einer Fackel spiegelte, loderten wie geschmolzenes Metall. Ohren legten sich eng an den Kopf an.
Plötzlich ertönte der Befehl, und die Soldaten stürmten vorwärts. Der Kur griff nach den Speeren, schlug einige beiseite, packte ein paar von ihnen und zerbrach sie, aber etwa ein Dutzend Speere drangen tief in seinen Körper ein. Ich sah zu, wie er kämpfend in der Mitte der Soldaten stehenblieb. Mehr als ein Mann wurde hochgehoben und beiseite geschleudert. Dann verschwand der Kur unter der Masse der Körper. Soldaten liefen um ihn herum, stachen mit ihren Speeren zu, schlugen mit den Schwertern auf in ein.
»Wir haben ihn getötet!« rief ein Soldat.
›Ich rieche Ruhm‹, hatte der Kur gesagt. ›Das ist eine noch aufregende Witterung als Fleisch.‹
»Er ist tot!« jubelten die Soldaten.
Ich fragte mich, ob es dort unten tatsächlich so etwas wie Ruhm gegeben hatte. Der von Fackeln und Mondlicht erhellte Sand einer Arena fern der Heimat schien kaum der passende Ort für das Erringen von Ruhm zu sein. Für den Kur würde man keine Denkmäler errichten. Man würde keine Gesänge komponieren, und sein Volk würde ihn nicht feiern. Sein Ruhm, wenn er ihn denn nun errungen hatte, war nur von ihm allein wahrgenommen worden. Vielleicht hatte er im Glanz eines einsamen Augenblicks bestanden, den nur der Kur selbst in seinem ganzen Ausmaß verstanden hatte, eines Augenblicks, der sich selbst rechtfertigte und dazu keinen anderen brauchte.
»Er bewegt sich!« schrie ein Soldat voller Entsetzen.
Plötzlich schoß der Kur mit den in ihm steckenden Speeren in die Höhe, hieb mit den Klauen um sich und wütete wie eine Naturgewalt, bis sich um ihn die Gefallenen häuften.
»Tötet ihn!« brüllte der Offizier. Wieder griffen die Männer mit Speeren und Schwertern an. In dem blutigen Tumult brachten sich die Männer sogar gegenseitig Verletzungen bei. Ich sah, wie der Kur einen Soldaten aus den Reihen seiner Kameraden holte, mit einem Prankenhieb beinahe enthauptete und dann den nächsten packte. Dann brach er unter dem Ansturm von Männern und Eisen zusammen. Das war der Kur, den seine Artgenossen wegen angeblicher Verweichlichung aus ihrer Welt ausgestoßen hatten. »Er bewegt sich!« schrie ein Soldat.
Der Kur erhob sich erneut. Ich hörte Männer weinen und blindlings auf ihn einschlagen. Wie stolz war er auf seine Kultiviertheit gewesen, wie eitel! Wie sehr hatte mich seine verflucht herablassende Art gestört. Er ging wieder zu Boden.
»Wir können ihn nicht töten!« schrie ein Soldat. »Wir können ihn nicht töten!« Der Kur stand wieder auf und bahnte sich einen Weg durch seine Angreifer. Schwerter und Speere trafen ihn immer wieder. ›Sie werden erfahren, daß selbst ein Ehrenmann zu kämpfen versteht‹ hatte er gesagt. Noch zweimal griff er sie an; erst dann traten die Soldaten erschöpft, aber siegreich zurück. Tote wurden weggebracht. Der Kur lag allein im Sand; er war ebenfalls tot. Ich konnte nicht einmal seinen Namen aussprechen.
»Wartet«, sagte einer der Offiziere. »Wo ist der andere, wo ist Bosk?«
Ich schlüpfte hinter die Ubarloge, hob die Falltür und sprang in die Tiefe. Dann schloß ich die Geheimtür über mir. So wie sie gebaut war, war es fast unmöglich, sie von den Fliesen hinter der Ubarloge zu unterscheiden.
Ich hörte, wie über mir Männer die hölzernen Sitzreihen der Tribüne entlanggingen.
»Wo ist Bosk?«
»Er ist verschwunden.«