7

»Bitte, mach weiter!« flüsterte sie. »Ich bitte dich, Herr!«

Ich sah ihr in die Augen, bewegte mich aber nicht. Sie starrte mich mit wildem Blick an.

»Nein.«

Sie stöhnte, versuchte, ihre Atmung zu beherrschen. Ihr ganzer Körper war gespannt wie eine Bogensehne.

Wir lagerten zweihundert Pasang westlich des Jahrmarktes von En’Kara am Rande der Straße des Clearchus – und damit direkt am Waldrand. Ich war die letzten Tage bei Boots’ Theatertruppe mitgereist, ohne eigentlich dazuzugehören. Wir hatten den Clearchuswald ohne Zwischenfall zügig durchquert; an diesem Nachmittag hatte Boots am Waldrand für die Menschen der umliegenden Dörfer eine Vorstellung gegeben. Es war die erste Vorstellung seit dem Verlassen des Jahrmarkts gewesen, von dem die Truppe wie erwartet ausgeschlossen worden war; die Jahrmarkts-Verwaltung hatte auf verschiedene Beschwerden einer gewissen freien Frau, der Lady Telitsia aus Asperiche, reagieren müssen. Boots mußte wegen der angeblichen Schwere seiner Untaten drei Silbertarsk zahlen; außerdem war er öffentlich ausgepeitscht worden.

An jenem Abend war der Theaterdirektor nicht gerade guter Laune gewesen. Natürlich sind im Leben eines Schauspielers derartige Vorkommnisse nichts Ungewöhnliches. Viel schlimmer war vielleicht noch die Tatsache gewesen, daß zwei Mitglieder seines Ensembles – die beiden Männer, die gewöhnlich die Rollen des lächerlichen Vaters und des lächerlichen Pedanten gespielt hatten – die sich auf dem Jahrmarkt bietenden Gelegenheiten beim Schopfe ergriffen und sich bei einer anderen Truppe verdingt hatten. Boots versuchte nun, mit dem Chino, dem Lecchio, Bina, der neuen schönen Kurtisane und zwei anderen Männern auszukommen. Die Dinge standen so schlecht, daß er die Nachmittagsvorstellung mit Gauklerkunststücken gestreckt hatte. Manchmal muß man die Dinge eben nehmen, wie sie kommen.

Glücklicherweise waren sein Chino ein geschickter Jongleur und der Lecchio ein ausgezeichneter Seiltänzer. Boots selbst beherrschte die Kunst der Taschenspieler und Zauberer. Sein mit einem ovalen Dach ausgestatteter Wagen schien ein richtiges Lager aller Arten wunderbarer Gerätschaften zu sein, von denen viele der Illusion und der Täuschung dienten. Es ist nicht ungewöhnlich, daß Schauspieler über derart viele Talente verfügen. Die meisten von ihnen beherrschen das Flöten- oder Kalikaspiel, können singen, tanzen, Witze erzählen und dergleichen mehr. Es sind im allgemeinen vielseitige und talentierte Menschen.

Boots’ Kaissa-Spieler, der mürrische maskierte Bursche, den man im Lager gewöhnlich ›das Ungeheuer‹ nannte, blieb ebenfalls bei der Truppe. Den aufgeschnappten Unterhaltungen des Nachmittags hatte ich entnommen, daß er sich beharrlich und auf beleidigende Weise weigerte, Boots den Wunsch zu erfüllen, gelegentlich ein Spiel zu verlieren oder doch zumindest weniger gut zu spielen, und sei es nur um der Einnahmen willen. Trotzdem erbrachte er seinen Anteil an den Einnahmen der Truppe. Seine Spiele brachten gewöhnlich ein paar Münzen ein.

»Bitte, Herr«, wimmerte das Mädchen.

»Bist du bereit?« fragte ich.

»Ja, ja, ja!«

»Also gut«, sagte ich und bewegte mich unvermittelt.

Sie schrie unwillkürlich laut auf und fing an, unter mir zu zucken. Sie klammerte sich verzückt an mich, ihre Fingernägel gruben sich in meinen Rücken.

Ich hörte, wie Boots draußen umherging. Er hielt sich nur ein paar Meter entfernt am Lagerfeuer auf. Chino und Lecchio leisteten ihm Gesellschaft. Die beiden waren so mit ihren Rollen verwachsen, daß sie sich sogar ständig mit den Rollennamen ansprechen ließen. Das galt übrigens auch für Petrucchio, den furchtsamen Kapitän. Vielleicht hatten sie Gründe, ihren wahren Namen zu verbergen.

»Was heißt denn hier klagen?» brüllte der Theaterdirektor. »Wir sind ruiniert! Wir werden sicherlich verhungern! In dem Münztopf liegen keine zwei Kupfertarsk! Welche Hoffnung haben Artisten wie wir in diesen Zeiten? Da wird die talentierte und berühmte Theatertruppe von Boots Tarskstück, dem Schauspieler, Theaterdirektor und Impresario, die beste Theatertruppe von ganz Gor, deren Auftritte von mächtigen Städten und hohen Ubars bestellt werden, dazu gezwungen, als Gaukler zu arbeiten. Sie ist so tief gesunken, daß sie mit Jonglierkunststücken und Saltos, mit einfachen Tricks und Illusionen Dorftrottel unterhält – auch wenn das aufrichtige, anständige Burschen sein mögen. Das ist fast schon zuviel, um es noch ertragen zu können. Ich frage mich, welches Schicksal uns zuerst ereilt. Werden wir erhobenen Hauptes verhungern oder doch zuerst an Scham über eine solche Demütigung sterben?«

»Zumindest bei einer Sache liegst du falsch, Boots«, sagte Chino.

»Kann das sein?« fragte der Theaterdirektor.

»Ja«, erwiderte Chino. »In dem Münztopf liegen mehr als zwei Kupfertarsk.«

»Was?«

Ich hörte Münzen in einem metallenen Topf klappern. »Hör doch«, sagte Chino. »Das ist mindestens Geld im Gegenwert von einem Silbertarsk.«

»Bist du sicher?« fragte Boots.

»Zähl doch selbst nach«, erwiderte Chino.

»Ja, tatsächlich«, sagte Boots einen Augenblick später. »Ah! Ich hatte gar nicht erkannt, daß meine Fertigkeiten in der Magie noch immer so geheimnisvoll und verblüffend sind. Sehr gut. Ausgezeichnet, ausgezeichnet! Chino, mein Freund, du hast deine Arbeit natürlich ebenfalls gut gemacht, und du auch, Lecchio. Nun, wie ich immer sage, Abwechslung ist stets eine gute Sache. Man sollte die Künste nicht immer verbissen ernst sehen. Bei Gelegenheit sollte man sogar dem klassischen Drama eine Pause gönnen. Pausenlose Bedeutungsschwere kann auf Dauer der Verdauung schaden. Außerdem fehlt uns noch immer eine Brigella, und ich glaube, es würde uns nicht schaden, wenn wir in unsere anspruchsvolleren Darbietungen gelegentlich ein paar Taschenspielertricks und Gaukeleien einfließen lassen, also Dinge, in denen ihr so gut seid. Vor allem in weniger gebildeten und entfernter gelegenen Gegenden. Natürlich werden wir den fundamentalen Prinzipien des Theaters treu bleiben, denn wir sind in der Hauptsache, wenn alles gesagt und getan ist, ernsthafte Schauspieler. Außerdem beruht unser Ansehen darauf. Wie ist eure Meinung dazu? Ich bin froh, daß ihr mir zustimmt.«

Ich ließ von dem Mädchen ab, legte mich auf den Rücken und sah zur Zeltdecke. Die Wange des Mädchens ruhte auf meinem Oberschenkel; ich spürte seinen heißen, noch immer keuchenden Atem. Ich dachte an die Zeit zurück, als sie noch eine freie Frau namens Rowena aus Lydius gewesen war, der ich zum ersten Mal im Haus von Samos begegnet war. Wie stolz war sie damals doch gewesen! Jetzt war sie nur noch Rowena, die ihr Schicksal angenommen hatte. Boots hatte sie für zwei Silbertarsk erstanden.

»Der Salto auf dem Seil war sehr gut«, sagte der Theaterdirektor zu Lecchio. »Du solltest versuchen, ihn zweimal zu machen.«

Boots’ kleine Bina war in einem anderen Zelt angekettet. Ich dachte daran, sie irgendwann einmal auszuprobieren.

»Vielleicht sogar dreimal, und dann rückwärts«, sagte Boots.

Ich lächelte. Er sprach natürlich noch immer von Lecchios Salto. Die kleine Bina war sehr hübsch, aber sie war in den Sklavendisziplinen noch nicht besonders versiert. Wie ich verschiedenen Andeutungen entnommen hatte, war Boots nicht besonders zufrieden mit ihr. Als mit einem Kragen versehene Sklavin hatte sie meiner Meinung nach noch viel zu lernen. Außerdem trug sie eine Neigung zur Grausamkeit in sich. Ich war mehr als einmal Zeuge gewesen, wie sie das ›Ungeheuer‹ verspottet hatte. Damit bewies sie schlechte Urteilskraft. Er war immerhin ein freier Mann, während sie nur eine Sklavin war – was sie anscheinend noch nicht richtig begriffen hatte.

»Dein Sturz vom Seil war ebenfalls sehr lustig«, sagte Boots. »Vielleicht solltest du das in den Auftritt einbauen.«

»Das habe ich nicht absichtlich getan«, erwiderte Lecchio. »Ich bin außer Übung. Ich hatte mir beinahe den Hals gebrochen.«

Vermutlich war es besser, Boots’ Theatertruppe bald zu verlassen. Es kam mir ziemlich sinnlos vor, hinter ihr herzuziehen. Mein eigenes kleines Lager befand sich etwa hundertfünfzig Meter vom Rastplatz der Truppe entfernt. Es bestand aus wenig mehr als einer Bettrolle, ein paar Vorräten und Waffen, die ich auf dem Jahrmarkt gekauft hatte. Ich hatte sogar davon abgesehen, Schild, Speer und Bogen zu erstehen, da ich befürchtete, daß ich dadurch wie ein Mann wirkte, vor dem man sich in Acht nehmen mußte. Vermutlich würde ich in der Umgebung Brundisiums auch so schon genug Verdacht erregen, wenn ich mich der Stadt als einsamer Reisender näherte, ohne einen handfesten Grund für einen Besuch vorweisen zu können. Ich besaß mein Schwert; außerdem hatte ich einen Satz Tuchuk-Quivas gekauft, die berühmten Sattelmesser, Ein Satz besteht aus sieben Messern, je eines für die sieben Scheiden, die am Tuchuk-Sattel angebracht sind. Sie sind als Wurfmesser ausbalanciert. Ich hatte den Umgang mit ihnen schon vor langer Zeit im Land der Wagenleute – oder den Ebenen von Durra, wie es auch genannt wird – gelernt und konnte recht geschickt mit ihnen umgehen.

Ich mußte das Zelt bald verlassen und in mein eigenes Lager zurückkehren. Nach einer erholsamen Nacht wollte ich in aller Frühe aufbrechen.

»Ho!« rief Boots plötzlich. »Wer ist da?«

Plötzlich waren meine Sinne angespannt. Es war schon spät, die Vorstellungen schon seit einigen Stunden vorüber. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß zu dieser Zeit noch Dörfler oder Reisende unterwegs waren.

»Was ist?« fragte das Mädchen, das die Veränderung in mir gespürt hatte.

»Sei still«, befahl ich.

»Wer seid ihr?« rief Boots. Er wartete vergeblich auf eine Antwort.

Ich schlüpfte in meine Tunika und nahm mein Schwert, das noch in der Scheide steckte; der dazugehörige Gürtel war um die Scheide gewickelt.

»Tretet vor!« rief Boots. »Ich weiß, daß ihr da seid. Ihr braucht keine Angst zu haben. Gebt euch zu erkennen. Tretet ins Licht.«

»Falls man wissen will, ob jemand bei dir war, sag, derjenige sei geflohen«, befahl ich dem Mädchen.

»Was ist denn los?« fragte sie ängstlich.

Ich legte einen Finger an die Lippen und mahnte sie zum Schweigen. Das ist eine ganz natürliche Geste; ich weiß nicht, ob sie sich von der Erde unabhängig auf Gor entwickelt hat oder irgendwann in der tiefen Vergangenheit von der Erde ihren Weg nach Gor gefunden hat. Es gibt natürlich viele goreanische Gesten, die irdischen Gesten stark ähneln; andere wiederum sind einzigartig. Eine andere Möglichkeit, jemanden zum Schweigen zu mahnen, liegt darin, die Lippen zweimal kurz mit dem Finger zu berühren. Das ist eine rein goreanische Geste.

Ich sah zu dem Mädchen zurück. Die zitternden Lippen zeigten Angst. Es drängte sie mit aller Macht, etwas zu sagen, aber sie schwieg. Denn sie hatte einen Befehl erhalten.

Ich hob die Zeltplane an der Rückseite ein Stück in die Höhe und sah mich um. Hier konnte ich mich ungesehen aus dem Staub machen. Ich warf noch einen Blick auf die junge Frau zurück. Sie kniete und sah mir ängstlich nach. Natürlich würde sie genau dort bleiben, wo sie jetzt war. Dafür würde schon die Kette an ihrem Knöchel sorgen. Wie schön sie doch in ihren Ketten sind.

Ich schlüpfte aus dem Zelt.


»Laßt uns frei!« verlangte Boots Tarskstück, der mit an die Seiten gefesselten Armen in der Nähe des Lagerfeuers kniete.

Der Anführer der Straßenräuber, ein bärtiger Kerl, der sich ein Tuch um den Kopf gebunden hatte, hieb ihm mit dem Handrücken über den Mund. Das war unangemessen, denn Boots war ein freier Mann.

»Dein Benehmen ist erbärmlich«, stieß Boots hervor. »Ich bin Boots Tarskstück, Schauspieler, Theaterdirektor und Impresario. Zweifellos hast du von mir gehört. Ich bin kein Sklave. Ich verlange, höflich und respektvoll behandelt zu werden.«

»Soll ich ihm den Hals durchschneiden, Ho-Dan?« fragte einer der Räuber, packte Boots an den Haaren und riß ihm den Kopf in den Nacken.

»Noch nicht, Larius«, erwiderte der Mann namens Ho-Dan, der Anführer der Räuber. »Wo sind die Schlüssel zu den Fußketten deiner Schlampen?«

Boots grunzte, als sein Kopf noch weiter nach hinten gezogen wurde. Die Klinge drückte gegen die Haut seines Halses.

»Sie hängen an einem Nagel, direkt neben dem Türrahmen meines Wagens, es ist der rote Wagen mit dem roten Dach dort links.«

»Bringt die beiden Zeltschlampen gekettet her und setzt sie ans Feuer«, sagte Ho-Dan. »Dann werden wir sehen, ob sie es wert sind, mitgenommen zu werden oder nicht.«

»Was habt ihr mit uns vor?« fragte Boots.

Ich sah, wie die beiden Räuber einen Blick wechselten und sich angrinsten. Ein weiteres Bandenmitglied setzte sich in Bewegung und hielt auf Boots’ Wagen zu, vermutlich um die Schlüssel für Rowenas und Binas Fußketten zu holen. Sicherlich würde man sie für ausreichend schön oder begehrenswert halten, um sie am Leben zu lassen.

»Das hier nennst du Geld?« fragte Ho-Dan und schüttelte den Münztopf unter Boots’ Nase.

»Warum? Ja«, sagte Boots und sah in den Topf.

»Da ist ja höchstens ein Silbertarsk drin«, knurrte der Straßenräuber.

»Da muß ich dir recht geben«, sagte Boots. »Es ist eine klägliche Summe, nicht einmal wert, daß man sie mitnimmt. Laß sie da, wenn du willst.« Er zuckte zurück, aber der Räuber senkte die Hand wieder.

Der Kerl, der aufgebrochen war, um sich den Schlüssel zu holen, kam mit den beiden Mädchen zurück. Man hatte ihnen die Hände vor den Körper gefesselt, und zwar mit einem um die Taille geschlungenen Seil. Der Mann zerrte sie an den Haaren hinter sich her. Dann warf er sie neben dem Feuer zu Boden; sie kamen auf den Rücken im Staub zu liegen. Ho-Dan nahm einen brennenden Holzscheit aus dem Feuer, fuhr damit eine Handbreit über den Körpern der Mädchen auf und ab und musterte sie im flackernden Lichtschein. Er warf die Fackel zurück ins Feuer. »Wir werden sie behalten«, verkündete er.

Die Mädchen zitterten vor Erleichterung. Man hatte sie für gut befunden.

»Fesselt sie aneinander, kniend, den linken Knöchel an den rechten Knöchel, den rechten Knöchel an den linken Knöchel.«

Einen Augenblick später knieten die beiden Rücken an Rücken mit aneinandergefesselten Knöcheln im Staub.

»Wieviel Geld habt ihr?«

Boots schwieg.

Der Anführer der Straßenräuber sah zur anderen Seite des Feuers. Dort lagen die Mitglieder von Boots’ Theatertruppe gefesselt auf dem Boden, der durchtriebene, bewegliche Chino, der etwas schwerfällige Lecchio, Petrucchio, der hochgewachsene, mißmutige ›Kapitän‹, und Publius Andronicus, der wohl berühmteste Schauspieler des Ensembles, sah man von dem unglaublichen Boots Tarskstück selbst ab. Ich hatte Publius Andronicus noch nicht auf der Bühne gesehen, ging aber davon aus, daß er sein Metier beherrschte. Er war von der Statur und dem Gesicht her ziemlich beeindruckend, und zwar auf eine gewichtige Weise, die an eine Gebirgskette erinnerte. Er gebot über eine tiefe Stimme, die er, wenn er wollte, wie Donnerhall erschallen ließ. Boots war recht beeindruckt von ihm. Anscheinend blieb er für Hauptrollen wie den tragischen Staatsmann oder den gequälten Poeten, in Reserve. Meiner Meinung nach war er bei der falschen Theatertruppe, denn in Boots’ Repertoire gab es, soweit ich es mitbekommen hatte, nur wenige derartige Rollen. Der Spieler, den alle das Ungeheuer nannten, lag, noch immer maskiert, gefesselt bei den Schauspielern.

»Nehmt euch, was ihr wollt«, sagte Boots. »Und dann geht.«

»Der da«, sagte der Anführer und zeigte auf Chino. »Tötet ihn!«

»Nein!« rief Boots. »Wartet. Das kann nicht euer Ernst sein. Eine solche Tat würde das Theater schänden! Das ist der beste Chino von ganz Gor!«

»Mir gefällt die Idee auch nicht«, sagte Chino. »Allerdings aus anderen Gründen.«

»Hätte ich nur mein Schwert!« rief Petrucchio, Ich hatte starke Zweifel, daß Petrucchios unhandliches großes Holzschwert, das kaum mehr als ein witziges Bühnenschwert war, den Ausgang des Kampfes verändert hätte. Aber ich fand seinen Mut bewundernswert.

»Schneid ihm die Kehle durch!« befahl Ho-Dan.

»Nein«, sagte Boots, »In meinem Wagen, in der rechten Ecke des Einsatzes in meiner Truhe, liegt ein verknoteter Strumpf, in dem ein paar Münzen sind. Dann gibt es noch ein paar Münzen in der Spitze eines Pantoffels, der an der Seite liegt.«

»Holt sie!« befahl Ho-Dan.

Der Räuber, der Chino gepackt hielt, stieß ihn zurück auf den Boden. Dann ging er in Richtung Boots’ Wagen.

»Was sonst noch?«

»Ich weiß sonst nichts, was für euch von Wert sein könnte«, sagte Boots. »Ihr könnt euch ja umsehen und nehmen, was euch gefällt. Für die anderen kann ich nicht sprechen.«

Ho-Dan nickte. »Wo steckt eigentlich Bort?« fragte er dann.

»Er hielt an der Straße Wache«, sagte Larius, der noch immer neben den Gefangenen am Feuer stand.

»Wir haben sie doch in unserer Gewalt«, sagte Ho-Dan. »Außerdem haben wir die Wachen zurückgerufen. Wo ist er also?«

»Zweifellos wird er jeden Augenblick da sein.«

Doch Bort kam nicht.

Ich hatte einschließlich Ho-Dan sieben Straßenräuber gezählt. Es ist wichtig, daß man in solchen Dingen genau ist.

»Bort!« rief einer der Männer.

Ich war Bort am Straßenrand kurz begegnet. Allerdings hatte er nicht viel Zeit gehabt, unsere Begegnung zu genießen. Das leise Geräusch eines zu Boden fallenden Kiesels hatte ihn zur Seite gelockt. Ich war von der entgegengesetzten Seite gekommen.

»Bort!« rief der Mann erneut.

Die Straßenräuber waren nun zu sechst. Allerdings wußten sie das noch nicht.

»Wo steckt er?« fragte einer der Männer.

»Er schläft auf seinem Posten«, sagte Larius.

»Hat sich verirrt.«

»Laßt ihn doch. Bleibt für uns nur mehr Beute übrig.«

»Geht ihn suchen«, befahl der Anführer.

Bezeichnenderweise setzte sich nur ein Mann in Bewegung, und zwar der, der ihn gerufen hatte.

»Bort?« rief er mißtrauisch und starrte in die Dunkelheit. »Bist du das?« Ich tötete ihn.

Dann umkreiste ich das Lager und näherte mich den Wagen von der anderen Seite. Ho-Dan stand mit Larius neben den Gefangenen. Die übrigen Straßenräuber durchstöberten die Wagen. Sie hatten nur Augen für ihre Beute. Ich packte einen von hinten und zerrte ihn in die Dunkelheit, wo ich ihn schließlich auch liegen ließ. Ich hatte denselben Quiva wie bei den anderen beiden benutzt.

»Titus!« rief ein Räuber, der aus einem Wagen kam und vor der kleinen Treppe stehen blieb. »Sieh mal, was ich gefunden habe!« Er hielt einen großen, mit Einlegearbeiten verzierten Pokal in die Luft. So einen Pokal hatte ich schon einmal gesehen. »Titus!« rief er. »He, Titus, sieh mal her!«

»Teibar, wo ist Crassius?« rief ihm der Anführer zu. »Ist er bei dir?«

»Nein«, antwortete der Mann. »Ist er noch nicht zurück?«

»Nein«, sagte Ho-Dan.

Teibar senkte die Hand, mit der er den Pokal hielt. »Er sollte mittlerweile längst mit Bort zurück sein«, sagte er.

»Bort!« rief der Anführer in die Dunkelheit. »Crassius!« Er drehte sich um. »Tirus!« Er sah seinen Gefährten am Feuer an. »Das gefällt mir nicht«, sagte er.

»Was ist los?« fragte ein Räuber, der aus einem der Wagen trat.

»Bort ist verschwunden«, sagte Ho-Dan. »Crassius ist noch nicht zurückgekommen. Titus meldet sich auch nicht. Hast du ihn gesehen, Abdar?«

Der Angesprochene schüttelte den Kopf und blieb auf der Wagentreppe stehen.

Die Banditen sahen sich besorgt an.

»Sleen«, sagte Teibar.

Tatsächlich töten Sleen manchmal schnell und lautlos.

»Oder ein Panther ist aus dem Wald gekommen, oder ein herumstreunender Larl«, fuhr er fort. Das war weniger wahrscheinlich als ein Sleenangriff. Obwohl Panther und Larls äußerst gefährlich werden können, greifen sie Menschen meistens nur dann an, wenn sie verstört sind oder keine andere Beute finden, Sleen hingegen, schnelle, angriffslustige, schlangenähnliche Tiere, die ausgezeichnet im Fährtenverfolgen sind und gewöhnlich nur in der Nacht jagen, sind weniger wählerisch, was ihre Eßgewohnheiten angeht.

»Es könnten Urts sein«, sagte Abdar. »Die Zeit ihrer Wanderungen naht.« Bestimmte Arten von Urts gehen zweimal im Jahr auf Wanderschaft. In diesen Zeiten reicht es für gewöhnlich, ihnen einfach aus dem Weg zu gehen. Normalerweise bleiben die Leute in ihren Häusern, wenn sich ein Rudel in der Nähe aufhält. Diese Wanderungen sind eigentlich nicht gefährlich, es sei denn, man blockiert dem Rudel den Weg. Die meisten Urt-Arten sind ziemlich klein; man kann sie mit einer Hand hochheben, und sie stellen für den Menschen keine Bedrohung dar. Sie können Sa-Tarna-Felder vernichten und sich den Weg in Kornspeicher erzwingen. Dann gibt es noch eine Ausnahme. Urts, die in den Kanälen leben und sich von Abfällen ernähren, greifen Schwimmer ohne Zögern an. Und die großen, in Gefangenschaft gehaltenen Urts werden speziell zum Angriff und zum Töten gezüchtet.

»Sammelt ein, was ihr könnt«, sagte Ho-Dan. »Dann brechen wir auf.« Er blickte sich um und warf Holz ins Feuer. Die hohen Flammen würden die Sleen abschrecken, aber sie verbreiteten auch wesentlich mehr Licht, was mir nur zugute kam.

Teibar und Abdar, die beide noch auf den Treppen der gegenüberüberliegenden Wagen standen, sahen sich über die Entfernung hinweg an.

»Beeilt euch!« befahl Ho-Dan.

»Du stehst neben dem Feuer!«

»Wir haben genug!«

»Feiglinge!« sagte Larius.

»Laß uns aufbrechen«, sagte Teibar, der noch immer den Pokal in der Hand hielt.

»Willst du mir widersprechen?« fragte der Anführer.

Teibar setzte den Pokal ab und griff zum Schwert. Ich war froh, daß er den Pokal abgestellt hatte. Es hätte mir nicht gefallen, wäre er zerstört worden.

»Vielleicht hast du ja recht«, lenkte Ho-Dan ein. »Kommt her zum Feuer.«

Teibar löste sich vom Wagen; er blieb auf der Hut.

»Du hast recht«, sagte der Anführer. »Wir haben genug.«

»Gut«, sagte der Mann.

»Vergiß den Pokal nicht«, meinte Ho-Dan.

Teibar hatte sich noch nicht ganz umgedreht, da machte Ho-Dan auch schon einen gewaltigen Satz auf ihn zu, packte ihn von hinten, würgte ihn und trieb ihm einen Dolch bis zum Heft in den Rücken.

»Teibar!« schrie Abdar, der noch immer auf der Wagentreppe stand.

Der Anführer fuhr mit blutigem Messer zu ihm herum. »Stellst du auch meine Autorität in Frage?«

»Nein, nein!« sagte der Bursche schnell.

»Legt die Frauen an die Leine und löst ihre Fußfesseln, damit sie laufen können«, befahl Ho-Dan.

»Was ist mit den Wagen und den Gefangenen?« fragte Larius, der sich nicht vom Feuer geführt hatte.

»Wir werden die Wagen in Brand setzen«, sagte Ho-Dan. »Den Männern schneiden wir die Kehlen durch.«

»Ausgezeichnet«, stimmte Larius zu.

»Hol den Pokal«, befahl Ho-Dan dem noch immer wie erstarrt dastehenden Abdar.

»Ich will ihn nicht«, sagte Abdar mit zittriger Stimme und starrte auf seinen toten Kameraden.

»Feigling«, lachte Ho-Dan. Er ging an dem Toten vorbei auf den Wagen zu.

Anscheinend war ihm entgangen, daß sich Abdar zwar unsicher und ängstlich angehört hatte, seine Hand jedoch völlig ruhig geblieben war. Das Schwert glitt schnell und lautlos aus der Scheide. Ho-Dan blieb keine Zeit zum Ausweichen, die Klinge traf seinen Hals und trennte ihm fast den Kopf ab. Die Mädchen schrien auf. Abdar wandte sich dem Mann am Feuer zu.

»Nein, tu es nicht!« rief Larius.

Abdar zögerte kurz. Einen Augenblick lang war er unentschlossen. Anscheinend hatte er nicht darüber nachgedacht, wie es nach dem Tod des Anführers weitergehen sollte. Das war sehr kurzsichtig von ihm gewesen; er hätte seinen Komplizen in seinem Plan bedenken müssen. Schließlich mußte er davon ausgehen, daß der Mann nach dem ersten Schlag noch dasein und man sich so oder so um ihn kümmern mußte. Auf jeden Fall hatte er gezögert und das konnte ihn nun teuer zu stehen kommen. Larius hielt jetzt ebenfalls ein Schwert in der Hand.

»Laß uns nicht kämpfen«, sagte er. »Ich stehe auf deiner Seite! Es gibt genug Beute für zwei!«

Nach Larius’ Stimme und seinen Worten zu urteilen, war er offensichtlich besorgt. Ich glaubte nicht, daß er etwas vorspielte; seine Furcht schien echt zu sein.

»Dann steck das Schwert weg!«

»Du zuerst!« beharrte Larius.

Ich war mittlerweile zu dem Schluß gekommen, daß Abdar davon überzeugt war, seinen Kumpan besiegen zu können. Darum ließ er sich jetzt auch Zeit die Angelegenheit zu bedenken.

»Laß uns nicht streiten«, drängte Larius, der anscheinend der Vertraute des Anführers gewesen war. »Hier könnten sich Sleen herumtreiben.«

Abdar sah sich unbehaglich um, ohne dabei jedoch sein Gegenüber aus den Augen zu lassen. Mich konnte er nicht sehen, denn ich wurde von der Dunkelheit verborgen. Beide Männer standen in Wurfweite der Quiva. Ich drehte die Klinge in meiner Hand um.

»Steck dein Schwert weg«, drängte Larius.

»Ich traue dir nicht.«

»Warum sollten wir kämpfen? Hier ist nicht genug

Beute, als daß es sich lohnen würde.«

»Finde ich nicht«, sagte Abdar. Ich sah, daß er eine Entscheidung getroffen hatte.

»Es gibt genug für zwei!«

»Aber für einen ist es noch mehr!« sagte Abdar. »Was

ist?«

Sein Gegenüber versteifte sich plötzlich, zog die Schultern nach hinten. Die Hand mit dem Schwert senkte sich. Er taumelte einen Schritt vor. Abdar hob das Schwert, um einen möglichen Hieb abwehren zu können. Larius brach zusammen. Die Sklavinnen, die noch immer aneinandergefesselt waren, schrien entsetzt auf. Boots’ Männer schrien ebenfalls auf. Aus dem Rücken des Toten ragte ein Messergriff, der Griff eines besonderen Messers, eines Sattelmessers aus dem Land der Wagenvölker, das allgemein unter der Bezeichnung Quiva bekannt war. Ich hatte es nicht so kräftig geworfen, daß die Klinge den Körper ganz durchdrungen hatte. Das war nicht nötig gewesen. Der Wurf war ohne großen Kraftaufwand erfolgt. Die Quiva selbst mit ihrer Schärfe und ihrem Gewicht tat die Arbeit. Ich nahm das nächste Messer an der Klinge.

Der Mörder sprang aus dem Lichtschein des Feuers. Er war wirklich nicht besonders klug, denn er hatte das Feuer nicht auseinandergetreten, sondern sich nur davon zurückgezogen. Ich konnte ihn noch immer gut sehen. Verständlicherweise zögerte er, blindlings in die unbekannte Dunkelheit zu flüchten, in der eine unbekannte Zahl an Feinden lauerte.

»Wer ist da?« schrie er.

Nur die nächtlichen Geräusche des Waldes antworteten ihm.

»Wenn ihr Wächter seid, so wißt, daß ich zufällig auf dieses Lager von Straßenräubern gestoßen bin. Als ich erkannte, in welche Lage ich mich begeben hatte, machte ich mich dazu bereit, mein Leben zu verteidigen!« Er sah sich mit wilden Blicken um und trat noch einen Schritt zurück. »Zeigt euch«, schrie er, »wie es sich für euer Amt schickt! Ihr führt so mutig Krieg gegen die Räuber, ihr verteidigt und vollstreckt das Gesetz. Wenn ihr die einfachen, ehrlichen Männer seid, für die ich euch halte, will ich mich euch anschließen, damit wir uns gegenseitigen Schutz anbieten, nein, schwören können, gegenseitigen Schutz und Beistand auf diesen dunklen und gefährlichen Straßen.«

Von dem ständigen Zirpen der Insekten abgesehen, war es sehr still. Irgendwo in der Ferne hörte ich die Schreie einer winzigen gehörnten Gim.

»Ihr zeigt euch nicht!« schrie der Mann. »Gut! Dann wißt, daß auch ich ein Straßenräuber bin! Ich fürchtete, ihr könntet Wachen sein. Nur darum habe ich so gesprochen. Wir hatten Streit, deswegen mußte ich mich verteidigen. Ich bin Abdar, der zur Bande von Ho-Dan gehörte. Vielleicht habt ihr von mir gehört. Ich werde in fünf Städten gesucht. Kommt näher. Auch wenn hier nur wenig Beute zu holen ist, will ich sie doch gern mit euch teilen; ihr könnt als Geste meines guten Willens auch alles haben. Seht euch die Frauen an. Ich bin sicher, ihr findet beide Sklavinnen annehmbar. Wenn ihr sie wollt, nehmt sie euch. Zeigt euch! Ich will mich euch anschließen! Wer seid ihr? Zeigt euch!«

Ich sparte mir jede Erwiderung, während ich die Entfernung abschätzte.

»Seid ihr noch da?« schrie er. »Seid ihr noch da draußen?«

Dann fuhr Abdar plötzlich mit einem leisen Aufschrei voller Not auf dem Absatz herum und rannte los. Ich tat einen Schritt vorwärts und ließ die Klinge fliegen. Der flüchtende Räuber keuchte auf und stürzte ein paar Schritte vom Feuer entfernt zu Boden. Er erhob sich auf die Knie, kroch ein, zwei Schritte weiter und sank nach vorn. Er stemmte den Oberkörper hoch und fiel erneut nach vorn. Er wand sich, versuchte vergeblich, mit der Hand die in seinem Rücken steckende Klinge zu erreichen, erbebte noch einmal und blieb dann still liegen.

Ich trat vor und betrachtete den Toten. Dann zog ich das Messer aus seinem Rücken und säuberte es an seiner Tunika. Ich schob es in eine der sieben Scheiden, die an dem geschmeidigen Ledergürtel festgenäht waren, der mir über der linken Schulter hing.

»Du!« rief Boots Tarskstück.

Ich sah ihn an. Er schluckte mühsam.

Dann ging ich neben ihm in die Hocke und löste seine Fesseln. Sein erleichterter Seufzer war deutlich hörbar.

»Wo sind die anderen Räuber?« wollte er wissen.

Ich schnitt das letzte Seil durch. »Da und dort. Keine Angst. Ich habe mich um sie alle gekümmert.«

»Wie viele Männer sind bei dir?«

»Ich bin allein.«

»Du hast das allein geschafft?«

»Ja.«

»Wo hast du gelernt, ein Messer so zu werfen?«

»Im Süden«, antwortete ich, »Im tiefen Süden.«

»Du hast uns allen das Leben gerettet«, sagte er.

Wir befreiten die anderen von ihren Fesseln, nur die Sklavinnen nicht.

»Wir sind dankbar«, versicherte mir der Theaterdirektor.

»Danke«, sagte der Spieler mürrisch und unwillig, als ich seine Handfesseln löste. Er bückte sich schnell und wütend, um den Strick um die Füße zu lösen.

»Beachte ihn nicht«, sagte Boots. »Er ist ein komischer Vogel. Er hätte es vermutlich vorgezogen, sich die Kehle durchschneiden zu lassen.«

»Aber du bist dankbar?« fragte ich Boots.

»Ja«, antwortete er. »Ich bin dir dankbar.«

»Für alle Zeiten?« fragte ich mit einem Lächeln.

»Natürlich.«

»Ich glaube, daß ich dir noch mehr von Nutzen sein kann.«

»Wieso?« fragte Boots interessiert.

»Kommt alle mit mir«, sagte ich. »Und nehmt eine Fackel mit, ich will euch etwas zeigen.«

»Was denn ?« fragte Boots.

»Ich habe es vor ein paar Ehn im Wald gefunden, als ich in meinem Lager die Waffen holte.«

»Was ist es denn?« fragte er.

»Komm mit, dann wirst du es sehen.«

Загрузка...