5

Ich pochte an die Tür von Ragnars Gasthaus an der alten Weststraße, das nicht länger geöffnet war. Es war eines von mehreren Gebäuden, die nun ebenfalls verlassen und dunkel waren. Hinter einem der mit Brettern verrammelten Fenster regte sich etwas. Es war kurz nach der siebzehnten Ahn. Die Tür öffnete sich einen Spalt.

»Es ist Brinlar«, sagte eine Stimme, die einem von Lady Yaninas Männern gehörte. »Ich hätte nicht gedacht, daß du zurückkommst«, meinte er.

»Er ist ein Narr«, sagte ein zweiter Mann.

»Er fürchtet die Sleen«, sagte ein dritter.

»Laßt ihn herein! Laßt ihn herein!« rief Lady Yanina.

Man ließ mich in die dunkle Eingangshalle des Gasthauses eintreten, und die Tür schloß sich hinter mir.

»Hattest du Erfolg?« fragte Yanina begierig.

»Ja.«

»Wunderbar!« flüsterte sie.

»Er fühlt sich geschmeichelt«, berichtete ich. »Er kann es kaum erwarten, sich mit dir zu treffen. Ihn hat besonders beeindruckt, daß du ihn so anziehend findest und ihm, obwohl du eine freie Frau ist, als Sklavin dienen willst!«

»Ausgezeichnet!« sagte sie. »Dieser einfältige Narr!«

»Er wird zur achtzehnten Ahn hier sein.«

»Ausgezeichnet, Brinlar«, sagte sie. »Ausgezeichnet. Alles läuft nach Plan!« Als sich meine Augen der Dunkelheit angepaßt hatten, sah ich, daß sich Yaninas fünf Wächter um sie versammelt hatten – wie ich es vermutet hatte. Auf dem Rückweg vom Jahrmarkt hatte ich in unserem Lager Halt gemacht, um ein paar Dinge mitzunehmen, und da waren die Wächter fort gewesen. Man hatte die Arbeitssklaven mit schweren Ketten an zwei Bäume gefesselt. Die Gefangenen waren für Yanina unwichtig geworden; sie wollte alle ihre Kämpfer um sich haben. Wie ich sah, trug sie einen Morgenmantel. Auf den Schleier hatte sie verzichtet.

»Was hast du da mitgebracht?« wollte sie wissen.

»Etwas Wein und ein paar andere Sachen«, sagte ich. »Ich habe mir die Freiheit genommen, auf dem Rückweg vom Jahrmarkt an unserem Lager Halt zu machen. Ich dachte mir, daß du vielleicht ein paar Erfrischungen zu schätzen wüßtest. Das Warten bis zur neunzehnten Ahn und zum Eintreffen deines Kameraden Flaminius könnte sehr lang werden. Du könntest hungrig werden.«

»Du bist ein Traum, Brinlar!« sagte Lady Yanina. »Ein echter Schatz!«

»Darf ich einen Vorschlag machen, Herrin?« fragte ich.

»Aber natürlich!«

»Ich an deiner Stelle würde ein paar kleine Lampen entzünden und den großen Saal und vielleicht noch den bewußten Alkoven erhellen. Das dürfte Bosk aus Port Kar eine Atmosphäre prickelnder Offenheit vermitteln, den Eindruck verstärken, daß er sehnsüchtig erwartet wird. Die Dunkelheit eines scheinbar verlassenen Gasthauses könnte unter Umständen bedrohlich wirken, wie eine Falle aussehen.«

»Entzünde zwei Lampen«, befahl Yanina einem ihrer Männer. »Eine im großen Saal und eine im ersten Alkoven.«

Der Wächter setzte sich sofort in Bewegung.

»Du bist sehr schlau, Brinlar«, meinte sie.

»Außerdem schlage ich vor, daß du die Eingangstür offenstehen läßt, deine Männer jedoch nicht verbirgst.«

Sie sah mich verständnislos an.

»Ich habe Bosk gesagt, daß du vielleicht deine Wachen bei dir hast. Schließlich ist es für eine freie Frau nicht zumutbar, daß sie ohne Begleitung über die alte Weststraße reist. Sie könnte einem Sklavenjäger und seinem Brandeisen in die Hände fallen. Die Wachen werden sich natürlich nicht verstecken, aber man wird von ihnen erwarten, daß sie sich unauffällig im Hintergrund halten. Darum läßt man die Tür taktvollerweise einen Spaltbreit geöffnet. Auf diese Weise brauchen wir für die Männer keine Verstecke zu suchen und vermeiden das Risiko eines Zeitverlustes, wenn sie eingreifen; außerdem könnte der Lärm, den sie dabei machen würden, Bosk unter Umständen alarmieren.«

»Oh, großartig, Brinlar!« sagte sie. »Einfach großartig!«

Der Mann hatte die zweite Lampe entzündet und trat aus dem Alkoven hervor.

»Ich würde meinen Leuten jetzt befehlen, sich an den Tisch zu setzen«, sagte ich und zeigte auf einen der großen, sperrigen Tische, die zusammen mit langen Bänken im großen Saal standen. »Ich würde sie des weiteren ermuntern, dort so natürlich wie möglich zu sitzen, vielleicht sogar von dem Mitgebrachten zu essen und zu trinken.«

»Tut, was er sagt.«

»Gut«, erwiderte einer der Wächter und nahm mir den Sack ab, den ich im Lager vollgestopft hatte.

»Wünscht die Lady Yanina, sich zu uns zu setzen?« fragte einer der Männer.

»Jetzt nicht!«

Die Wächter setzten sich an einen der Tische, griffen in den Sack und holten den Wein, die Pokale und den Proviant heraus.

»Ich glaube, da gibt es noch etwas zu tun«, meinte ich.

»Was denn?«

»Darf ich mir meine Herrin ansehen?«

»Wozu denn das?«

»Bosk ist kein Dummkopf. Er könnte enttäuscht sein oder sogar mißtrauisch werden, wenn er in deiner Verkleidung die geringste Unstimmigkeit entdeckt.«

»Wendet euch ab!« befahl Yanina ihren Wachen.

Sie gehorchten.

»Sieh her«, sagte sie zu mir und öffnete den Mantel. Ihr in Sklavenseide gehüllter Körper war unglaublich verführerisch. Auf dem Sklavenmarkt hätte sie einen hohen Preis erzielt.

»Wie ich es befürchtet habe«, sagte ich.

»Was stimmt denn nicht?« fragte sie.

»Du trägst ein Mieder unter der Seide.«

»Natürlich!«

»Zieh es aus.«

»Brinlar!« protestierte sie.

»Glaubst du, ein Herr würde einer Sklavin gestatten, so ein Ding zu tragen?«

»Aber ich bin keine Sklavin. Ich bin eine freie Frau!«

»Aber angeblich erwartest du Bosk, um ihm, wie eine Sklavin zu dienen.«

Sie starrte mich an.

»Glaubst du, er übersähe einen solchen Fehler einfach?« fragte ich.

»Wende dich ab«, verlangte sie.

Ich gehorchte und sah, daß die Männer den Wein, den ich mitgebracht hatte, in die Pokale füllten.

»Du darfst wieder hinsehen«, sagte Yanina.

»Ah!« sagte ich.

»Ich bin nackter als nackt«, beschwerte sie sich.

»Die Herrin ist wunderschön«, widersprach ich. »Aber wir dürften bald die achtzehnte Ahn haben. Es wird Zeit für die Herrin, sich in den Alkoven zurückzuziehen.« Ich drehte sie um und führte sie in den Alkoven. »Leg dich hin«, sagte ich und zeigte auf die Felle. Yanina gehorchte. Sie machte sich gut zu meinen Füßen.

»Zweifellos hat die Herrin ein Signal mit den Wachen ausgemacht.«

»Es ist ganz einfach«, sagte sie. «Ich werde einfach aufschreien. Dann werden sie angestürzt kommen und Bosk ergreifen. Augenblicke später wird er nackt in Ketten daliegen, als mein hilfloser Gefangener.«

»Ich verstehe.«

»Bist du auch sicher, daß er kommt?«

»Keine Sorge, er wird kommen.«

»Aber vielleicht wird er mißtrauisch sein.«

»Keine Angst, er vertraut mir«, sagte ich. »Er vertraut mir, wie er sich selbst vertrauen würde.«

»Was tust du da?« fragte Yanina und versuchte, sich zurückzuziehen. Ich hatte die linke Hand um ihr linkes Fußgelenk gelegt.

»Ich vollende deine Tarnung«, erwiderte ich. Ich nahm mit der Rechten die Fußfessel von dem Sims in dem Alkoven, legte sie um den Fuß und ließ sie zuschnappen.

Yanina riß an dem Eisen. »Ich bin angekettet!«

»Richtig.«

»Und wo ist der Schlüssel?«

»Draußen, auf seinem Haken.« Ich hatte dem Gasthaus bereits früher am Tag einen Besuch abgestattet, lange bevor Yanina mit ihren Wachen eingetroffen war, und einige Vorbereitungen getroffen.

»Komme ich denn von hier an den Schlüssel heran?« wollte sie wissen.

»Nein.«

Sie sah mich plötzlich ängstlich an.

»Keine Angst«, sagte ich. »Deine Männer sitzen doch gleich da vorn.«

»Ja«, sagte sie. »Das stimmt.« Sie sah sich die Fessel und die Kette näher an, ängstlich und fasziniert zugleich. Dann blickte sie zu mir hoch. »Ich bin angekettet.«

Ich nickte. »Willst du Bosk so empfangen?« fragte ich.

»Was meinst du?«

»Die ersten Augenblicke könnten von entscheidender Bedeutung sein«, erklärte ich. »Du wirst sein Mißtrauen zerstreuen wollen. Was ist, wenn er nicht sofort die Warfen ablegt?«

»Ich verstehe nicht.«

»Leg dich verführerischer hin, Lady Yanina.«

»Brinlar!«

»So ist das schon besser!«

»Nimm die Hände da weg!«

»Öffne die Lippen«, sagte ich. »Sieh den Mann wie eine Sklavin an.«

»Wie spät ist es?«

Ich erhob mich. »So ungefähr um die achtzehnte Ahn herum.«

»Und was tust du jetzt?«

»Ich werde mich aus dem Alkoven zurückziehen und die Vorhänge schließen.«

»Dann muß ich jetzt warten. Auf einen Mann warten!«

»Ja, so sieht es aus.«

Yanina zerrte wütend an der Kette.

»Das haben schon viele Frauen versucht«, sagte ich. »Vor allem Frauen, die an solchen Orten und in solchen Posen warteten.«

»Natürlich«, erwiderte sie ärgerlich.

»Und viele von ihnen wußten nicht, wer da durch den Vorhang kommen würde, sie wußten nur, daß sie ihm dienen mußten.«

»Das ist mir klar!« fauchte sie wütend.

»Du bist sehr schön. Sklavenseide und Kette stehen dir.«

»Oh!« stieß sie hervor. »Du hast recht«, sagte sie dann. »Ich könnte eine Sklavin sein, aber alle Männer können verzweifeln, denn ich werde niemals eine Sklavin sein!«

Ich zog mich aus dem Alkoven zurück und schloß die Vorhänge.

Es mußte etwa die achtzehnte Ahn sein. Flaminius, der vermutlich sein Gefolge mitbrachte, würde um die neunzehnte Ahn hier eintreffen. Das ließ mir nur wenig Zeit, um meine Pläne auszuführen. Ich sah mich um.

Das Tassapulver, das ich in den Wein geschüttet hatte, zeigte bereits seine erste Wirkung. Einer von Lady Yaninas Wächtern hob den Kopf von der Tischplatte, sah mich benommen an und wollte aufstehen. Die Beine versagten ihm den Dienst, er kippte zurück und rutschte auf die Fliesen des Saalbodens. Es war nicht schwer gewesen, das Tassapulver zu finden. Es hatte sich unter Yaninas Besitztümern befunden, und ich hatte es bereits am ersten Tag als ihr Diener beim Aufräumen entdeckt. Es war in einer kleinen Truhe voller Jagdutensilien gewesen, unter Dingen wie beschwerten Sklavennetzen, Seilen, Hauben, Knebeln und Handfesseln. Man hatte mir den Zugang zu den Vorräten des Lagers gewährt, damit ich Yanina und ihre Männer ohne Schwierigkeiten bedienen konnte. Mit Hilfe der Lampe, die ich von dem Tisch nahm, unter dem nun die Wächter lagen, entdeckte ich in einem weiter entfernten Alkoven die Dinge, die ich gesucht hatte.

Dann kehrte ich zum Tisch zurück und stellte die kleine Lampe wieder ab; die bewußten Objekte legte ich daneben. Ich begab mich zu dem Alkoven, in dem Lady Yanina wartete, und riß den Vorhang beiseite.

»Brinlar!« stieß sie hervor und wich überrascht auf

den Fellen zurück, bis sie die Wand erreicht hatte.

Ich musterte sie.

»Du hast mich erschreckt.«

Ich sagte kein Wort.

»Ist er da?« fragte sie flüsternd.

»Ja, er steht neben mir. Du solltest dich für ihn vorbereiten. Ich schlage vor, du heißt ihn in deinen Armen willkommen.«

»Ja«, flüsterte sie. »Ja.«

Ich trat ein Stück zur Seite, als wollte ich einer anderen Person den Zugang freigeben.

Lady Yanina lag nun verführerisch auf der Seite. Sie sah wunderschön aus in der Sklavenseide. Sie konzentrierte sich, dann streckte sie eine Hand aus. »Ich liebe dich, Bosk aus Port Kar«, rief sie leise. »Ich habe dich von dem Augenblick an geliebt, da ich dich das erste Mal gesehen habe. Allein der Gedanke an dich macht mich schwach und willenlos. Sei nicht überrascht, daß jemand, den du nicht kennst und den du vermutlich noch nie in deinem Leben gesehen hast, dich wie verrückt liebt! Ich habe meine Leidenschaft für dich bekämpft! Aber sie hat mich besiegt! Ich bin dein!«

Sie sah mich an. »Sehr gut«, sagte ich mit einem Nicken.

»Erlaube mir, dir meine Liebe zu gestehen!« rief sie. »Erlaube mir als freie Frau die Ehre, deinen Namen zu benutzen, bevor du mich, wenn du willst, in den Disziplinen einer Sklavin unterweist.«

Ich nickte.

»Ich liebe dich, Bosk aus Port Kar!« rief sie. »Ich liebe dich!«

Es herrschte Schweigen.

»Was ist los?« flüsterte sie mir zu.

Ich zuckte mit den Schultern. »Vielleicht will er dich warten lassen?«

Yanina rutschte ungeduldig ein Stück nach vorn.

Ich runzelte die Stirn.

Sie nahm wieder die verführerische Pose ein.

»Komm schnell zu mir, Bosk aus Port Kar!« rief sie. »Ich sehne mich nach deiner Berührung! Ich will dir dienen! Hab Mitleid mit mir! Foltere mich nicht so! Laß mich nicht länger warten! Komm zu mir, Bosk, mein Geliebter, mein Herr!«

»Gut!« sagte ich und trat in den Alkoven. Mir blieb nicht mehr viel Zeit.

»Brinlar!« rief Yanina und zog die Beine unter den Körper. »Was soll das?«

»Wie meinst du das?«

»Wo ist Bosk?«

»Er ist hier.«

»Wo?«

»Hier«, sagte ich und wies mit dem Daumen auf meine Brust. »Ich bin es.«

»Mach dich nicht lächerlich!«

»Knie dich hin«, befahl ich.

»Was soll das sein, Brinlar, eine Art verrückter Scherz?« fragte Yanina. »Hast du den Verstand verloren?«

»Ich glaube, ich habe dir einen Befehl gegeben.«

»Wachen!« schrie sie und sprang auf die Füße. »Wachen! Wachen!«

Ich ließ sie bis zur Schwelle des Alkoven laufen, wo die Kette um ihr Fußgelenk sie aufhielt. Sie sah sich mit wildem Blick um und entdeckte die zusammengesunkenen, zu Boden gefallenen Männer ihrer Wache.

»Tassapulver«, erklärte ich. »Es war deines. Ich glaube, du bist vertraut mit seiner Wirkung.«

Dann packte ich Yanina bei den Oberarmen und warf sie zurück in den Alkoven, wo sie mit klirrender Kette auf den Fellen landete.

Sie drehte sich um und starrte mich entsetzt an. »Du bist nicht Bosk aus Port Kar!« schrie sie. »Du kannst nicht Bosk sein!«

»Ich bin Bosk aus Port Kar!« versicherte ich ihr.

»Du bist verrückt geworden, Brinlar!« brüllte sie. »Das ist eine Ungeheuerlichkeit! Befreie mich auf der Stelle!«

Ich lächelte.

»Sleen!« schluchzte sie.

»Du bist eine Frau«, sagte ich. »Du trägst Sklavenseide und bist angekettet. Ich schlage vor, daß du dich eines höflichen Tonfalls befleißigst, wenn du deine Zunge behalten willst.«

Sie starrte mich furchtsam an.

»Erinnerst du dich? Ich habe dir eben einen Befehl gegeben.«

Yanina kniete sich hin.

»Wie ist das, vor einem Mann zu knien?«

Sie ballte die Fäuste.

»Du trägst Sklavenseide?«

»Ja«, sagte sie.

»Zieh sie aus.«

»Nein.«

Ich streckte den Arm aus und nahm eine Peitsche vom Haken an der Wand. In den meisten goreanischen Gasthäusern hängen solche Dinge in den Alkoven.

»Sofort.«

Sie riß sich wütend die Seide vom Leib.

»Du bist sehr schön«, sagte ich. »Für eine freie Frau.«

Sie warf wütend den Kopf in den Nacken. »Danke.«

»Und jetzt drehst du dich um, beugst dich nach vorn und stützt dich auf die Unterarme.«

»Niemals!« schrie sie.

Ich hob die Peitsche.

Yanina gehorchte.

Dann befreite ich sie von der Fußkette, zerrte sie am rechten Arm aus dem Alkoven und brachte sie zu dem Tisch, an dem ihre Männer lagen. Ihr wunderschönes dunkles Haar fiel ihr ins Gesicht. Ich zwang sie wieder auf die Knie und schob sie über den Eisenring, der mitsamt den dazugehörigen Ketten unter dem Tisch in den Boden eingelassen worden war. Zuerst legte ich ihr die Fußfesseln an. Dann zog ich die kurze, an der einen Fußfessel befestigte Kette mit den dazugehörigen Handgelenksfesseln zwischen Yaninas Beinen durch, fädelte sie durch den Ring und ließ die Eisenmanschetten um ihre Handgelenke zuschnappen.

Ich hob die Dinge in die Höhe, die ich aus dem Alkoven geholt hatte, und zeigte sie ihr. Ihre Augen weiteten sich plötzlich, und sie starrte mich entsetzt an.

»Diesen Schlüssel hier«, sagte ich, »habe ich in deinem Gewand verborgen gefunden. Wie ich vermute, ist es der Schlüssel für eine der Truhen, in der sich zweifellos weitere Schlüssel befinden, wie zum Beispiel die für die Ketten der Arbeitssklaven. Sollte ich mich da irren, werde ich wohl die Werkzeuge benutzen müssen.«

Yanina fing am ganzen Körper an zu zittern.

»Unter deinen Besitztümern befinden sich zweifellos noch andere lohnenswerte Dinge wie Schmuck und Geld, die deinen Gefangenen gestohlen wurden. Ich zum Beispiel vermisse einen prallgefüllten Geldbeutel. Außerdem kann ich vermutlich darauf zählen, daß bei deinem offen zur Schau gestellten Reichtum und deiner Eleganz außer Geld eine beträchtliche Anzahl teurer Gewänder, Edelsteine und Juwelen zu finden ist. Die werde ich unter den Männern Port Kars verteilen, um sie wenigstens etwas für ihre Unannehmlichkeiten und die verschwendete Zeit zu entschädigen. Die Waffen, die ich nicht für den eigenen Gebrauch benötige, werde ich den Männern überlassen, die damit umgehen können. Dann werden wir als freie Männer den Jahrmarkt besuchen. Dort sind, wie du weißt, Kämpfe, Versklavung und ähnliche Hinterhältigkeiten verboten. Nach ein paar Tagen der Erholung werden wir, falls wir möchten, Tarns mieten, um nach Port Kar zu fliegen, zweifellos ein teures Unternehmen, aber ein Unternehmen, wofür deine Reichtümer zweifellos reichen werden. Wenn du später ein Licht am Horizont siehst, wird es vermutlich dein brennendes Lager sein.«

»Tu, was du willst«, flehte mich Yanina in ihren Ketten an. »Befreie die Männer, nimm das Gold, zünde das Lager an, aber laß mir diese Tasche da!«

»O ja, die hier«, sagte ich und hob die Ledertasche hoch, die ich aus dem Alkoven geholt hatte. »Die enthält doch bestimmt das Material, das du deinem lieben Freund Flaminius übergeben solltest.«

»Laß sie in Ruhe!«

»Warum?« fragte ich,

»Ich bin Kurierin«, erwiderte Yanina. »Ich muß das Flaminius übergeben!«

»Das dürfte dir sicher schwerfallen, angekettet, wie du bist.«

»Bitte«, sagte sie. »Denk nicht einmal daran, die Tasche mitzunehmen! Laß sie liegen! Ich bitte dich!«

»Sie muß sehr wichtig sein«, meinte ich.

»Nein«, stieß sie plötzlich hervor. »Nein. Nein.«

»Dann wird der Verlust leicht zu verschmerzen sein«, sagte ich.

»Du wirst mit dem Inhalt der Tasche nichts anfangen können!« rief Yanina. »Bestimmt nicht!«

»Woher kommen diese Papiere?« fragte ich.

»Aus Brundisium.«

»Und wer schickt sie?«

»Mein Ubar Belnar«, sagte sie. Das war mit Sicherheit eine Lüge. Vermutlich gab es überhaupt keinen Belnar, der Ubar in Brundisium war. Doch ich erinnerte mich, daß sie bei der gestrigen Begegnung mit Flaminius den Namen Belnar erwähnt hatte.

»Und du solltest die Tasche Flaminius übergeben.«

»Ja. Ja!«

»Und was soll er damit tun?« fragte ich.

»Er soll sie an bestimmte Leute in Ar weitergeben«, sagte sie.

»In Ar?«

»Ja.«

Das überraschte mich, und ich fragte mich, ob sie den wahren Bestimmungsort des Materials überhaupt kannte. Ich ging von der Annahme aus, daß es sich in Wahrheit um Botschaften für die Sardar handelte. Vermutlich wollte mich Yanina auf die falsche Fährte locken.

»Das sind Staatsdokumente«, sagte sie. »Sie dürfen nicht in die falschen Hände fallen!« Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß es sich tatsächlich um Staatsdokumente handelte. Andererseits war es durchaus möglich, daß der Ursprungsort der Papiere Brundisium war, und daß ein Mann namens Belnar etwas damit zu tun hatte. Er war vermutlich ein Agent der Priesterkönige. Ich war neugierig. Einen Augenblick lang erwog ich die Möglichkeit, auf Flaminius und seine Leute zu warten. Doch ich wollte sie nicht unbedingt töten, vor allen Dingen dann nicht, wenn sie in den Diensten der Priesterkönige standen. Ich hatte bereits einen Mann getötet, den ich für einen Agenten der Sardar hielt, und zwar Babinius in Port Kar. Ich hatte den Priesterkönigen einst gedient und wollte es mir nicht zur Gewohnheit machen, ihre Leute zu töten, und dabei spielte es überhaupt keine Rolle, wie sie im Moment zu mir standen.

Andererseits war es durchaus möglich, daß dieser Belnar, Flaminius und Lady Yanina für die Kurii arbeiteten.

»Dienst du den Priesterkönigen?« fragte ich Lady Yanina.

»Ich verstehe nicht«, antwortete sie.

»Dienst du den Bestien?«

»Ich verstehe nicht.«

»In wessen Diensten stehst du?« fragte ich.

»Ich arbeite für Belnar, meinen Ubar, den Ubar von Brundisium.«

»Aus welchem Grund sollte dieser Belnar, der mir unbekannt ist und der angeblich der Ubar von Brundisium ist – einer Stadt, mit der ich nie etwas zu schaffen hatte – ein solches Interesse an meiner Person haben? Warum sollte er mir einen Attentäter schicken oder mich gefangennehmen?«

»Das weiß ich nicht«, sagte sie.

Ich lächelte.

»Ich weiß es nicht!« wiederholte sie.

Es konnte natürlich durchaus möglich sein, daß sie trotz ihrer Schönheit nur eine Nebenfigur in einem komplizierten Spiel darstellte, das weit über ihren Horizont ging. Vielleicht wußte sie letztlich nicht einmal, ob sie den Priesterkönigen oder den Kurii diente. Ein interessanter Gedanke.

»Ich werde jetzt gehen«, verkündete ich.

»Nein!« schrie sie.

»Und ich schlage vor, daß du bleibst, wo du bist, und auf Flaminius wartest.«

Sie zerrte in hilfloser Wut an ihren Ketten.

»Er wird bald da sein«, versicherte ich ihr.

»Laß die Tasche da«, flehte sie mich an.

»Nein.«

Sie riß noch einmal an den Ketten, dann sah sie auf. »Warte!« sagte sie.

»Ja?«

»Was werden sie mit mir anstellen?«

»Das weiß ich nicht.«

»Belnar wird nicht erfreut sein«, sagte sie. »In Brundisium werden Fehler streng bestraft. Zumindest wird man mich beträchtlich im Rang hinunterstufen. Man wird mir das Tragen von Schuhen verbieten. Man wird mir meine hübschen Gewänder nehmen. Ich werde nur noch einfache Tuniken tragen dürfen, deren Säume so kurz sind, daß Männer meine Waden sehen können. Vielleicht zwingt man mich sogar dazu, in der Öffentlichkeit ohne Schleier zu gehen. Vielleicht werde ich sogar aus dem Palast verbannt. Oder man legt mir den Sklavenkragen an.«

Ich fragte mich, ob sie tatsächlich dem Hof angehörte. Dann war es möglich, daß dieser Belnar ein Mitglied der Regierung Brundisiums war, ein Beamter oder Minister. Es erschien mir sehr unwahrscheinlich, daß er der Ubar sein sollte, Eine so wichtige Person würde sich kaum für einen Kapitän aus Port Kar interessieren. Es sei denn, er arbeitete als Ubar für die Priesterkönige oder die Kurii. In einer so herausragenden Stellung stünde er allerdings eher in Diensten der Kurii. Die Priesterkönige machten nur selten prominente, auffällige Männer zu ihren Agenten. Samos hatte in ihren Diensten gestanden, bevor er der erste Kapitän des Kapitänrates wurde.

»Wie ich sehe, wirst du viel zum Nachdenken haben, während du auf Flaminius’ Ankunft wartest.«

»Flaminius!« lachte Yanina bitter. »Der gute Flaminius! Ich kann dir versichern, daß er nur wenige Tränen über meine Lage vergießen wird.«

»Den Eindruck hatte ich auch.«

»Er wird meinen Sturz äußerst amüsant finden und ihn genießen«, sagte sie.

»Sollte man dich zur Strafe zur Sklavin machen, kannst du ja versuchen, eines seiner Mädchen zu werden.«

»O ja«, erwiderte sie bitter. »Warte! Warte!«

Aber da hatte ich Ragnars Gasthaus schon verlassen und war unterwegs zum Lager.

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