»Etwas zu trinken, Herrin?« fragte ich.
»Ja, Brinlar«, sagte Lady Yanina, hob anmutig den Schleier und trank beinahe kokett einen Schluck. Dann sah sie den Mann an, der ihr gegenübersaß.
»Etwas zu trinken, Herr?«
»Nein«, sagte er. Ich zog mich ein Stück zurück, kniete mich ins Gras und hielt den Krug mit schwachem Ka-la-na fest. Ich trug eine Tunika aus weißer Seide.
Yanina tupfte sich unter dem Schleier die Lippen ab. »Das ist ein schöner Platz«, hatte sie gesagt. »Breite die Decke aus und pack den Korb aus, Brinlar!«
In der Ferne erhob sich das Sardargebirge. Ich war seit drei Tagen ihr Diener. Nach der ersten Nacht hatte sie die persönlichen Dienstleistungen nicht mehr in Anspruch genommen.
Dann war ein Reiter auf einem hohen Tharlarion gekommen, der von zwei Männern zu Fuß flankiert wurde.
Der mit einem dunklen Gewand bekleidete Mann saß jetzt mit untergeschlagenen Beinen am Rand der Decke; Yanina kniete vor ihm. Sie warf mir einen Blick zu, ich sah weg und senkte den Kopf.
»Ich spreche nicht in seiner Gegenwart«, sagte der Fremde. Seine beiden Männer standen im Hintergrund, wo das Tharlarion angezurrt stand. Zwei von Lady Yaninas Männern waren ebenfalls in der Nähe, nur daß sie sich hinter uns befanden. Sie saßen mit untergeschlagenen Beinen im Gras und spielten das Steine-Spiel.
»Kümmere dich nicht um ihn«, sagte Yanina. »Er ist nur ein Diener.«
»Welche Art von Diener?« wollte er wissen.
»Ein ganz normaler Diener. Er bedient mich, kämmt mir das Haar, räumt das Zelt auf.«
»Ich verstehe«, sagte er.
»Stört es dich, daß ich solch einen Diener habe?«
»Nein«, sagte er, »Natürlich nicht.«
»Du hast zwei Mädchen, die dich hinten und vorn bedienen.«
»Ich spräche trotzdem lieber nicht in seiner Gegenwart«, sagte er.
»Wir haben des öfteren offen vor deinen Sklavinnen gesprochen«, erinnerte sie ihn.
»Das ist etwas anderes. Es sind nur Sklavinnen.«
»Würdest du dich wohler fühlen, wenn ich ihm einen Kragen anlege?« wollte sie wissen. »Das habe ich sowieso vor.«
»Ich verabscheue solche Diener!«
»Ich werde mich zurückziehen, Herrin«, sagte ich und tat so, als wollte ich aufstehen.
»Brinlar, du bleibst«, sagte sie herrschsüchtig und kalt.
»Ja, Herrin.« Im Inneren lächelte ich. Mein Trick hatte Erfolg gehabt. Ich war ziemlich sicher gewesen, daß sie ihre Autorität auf diese Weise zum Ausdruck bringen würde. Offensichtlich stand sie mit dem Fremden in Konkurrenz. Zwischen den beiden herrschten eine gewisse Anspannung und Verkrampftheit. Sie schien auf ihn und seine Macht eifersüchtig zu sein und war sehr zurückhaltend, was ihre Stellung ihm gegenüber anging. Ich nahm an, daß sie sich beide auf der gleichen – oder zumindest fast gleichen – Ebene befanden, vielleicht demselben Vorgesetzten berichteten, möglicherweise sogar den Priesterkönigen.
»Du hast das Material mitgebracht?« fragte er. Ich war erleichtert, daß er darauf verzichtete, seine Meinungsverschiedenheiten mit ihr auszutragen. Das war unter seiner Würde, schließlich war sie nur eine Frau.
»Sie befinden sich in meinem Zelt«, sagte Yanina geziert. »Ich habe sie jetzt natürlich nicht bei mir. Ich wollte erst sichergehen, daß der Richtige kommt.«
»Natürlich«, sagte er. Ich fragte mich, was sich hinter dem Begriff ›Material‹ verbarg. Der Fremde schien sich sehr vorsichtig ausgedrückt zu haben, vermutlich wegen meiner Anwesenheit.
»Sie sind zur Ablieferung bereit«, sagte Yanina. »Wann immer und wo immer du willst.«
Als ich in ihrem Zelt aufgeräumt hatte, hatte ich die Gelegenheit benutzt, mich umzusehen, soweit das möglich war. Einige der Truhen waren verschlossen gewesen. Vermutlich lag in ihnen das bewußte ›Material‹. Ich wußte nicht, wo sich die Schlüssel für die Truhen befanden. Vermutlich waren sie in einer der anderen Truhen eingeschlossen, und den Schlüssel dafür trug Yanina vermutlich am Körper, irgendwo im Gewand verborgen. Mir blieb es verwehrt, dies in der Nacht näher zu untersuchen, da man mir eine Haube aufsetzte und mich direkt hinter dem Zelteingang an einen Pflock ankettete. Auf diese Weise hielt mich Yanina in ihrer Nähe. Zudem mußte ich nicht bei den anderen Gefangenen schlafen. Man befürchtete, daß die Männer in ihrer Wut über meine vergleichsweise leichten und angenehmen Pflichten über mich herfallen könnten.
»Ich glaube, es war ein Fehler, sie über Port Kar zu transportieren«, sagte der Fremde.
Diese Bemerkung hatte ihren Ursprung bestimmt in der kürzlich zu Tage getretenen Unzufriedenheit der Priesterkönige, was Samos’ Loyalität anging.
»Das stimmt nicht«, sagte Yanina. »Dour Babinius ist zusammen mit mir gereist. Ich mußte ihn nach Port Kar bringen, damit er dort seine versiegelten Befehle ausführen konnte.«
Sie hatte mir erzählt, daß sie geschäftlich in Port Kar zu tun gehabt habe. Also war das vermutlich das betreffende Geschäft gewesen. Einmal in der Stadt, hatte sie prompt den Karneval genutzt um an ihre Gefangenen zu kommen, zu denen man auch mich Narr zählen mußte.
»Kennst du die Befehle?« fragte der Fremde.
»Nein.«
»Ich aber.«
»Ach ja?« erwiderte sie gereizt. Also stand er in der Hierarchie doch höher als sie.
»Er war in Port Kar, um ein Attentat auszuführen.«
»Wer war das Opfer?«
»Ein Admiral namens Bosk«, sagte er.
»Ich habe von ihm gehört.«
»Babinius hat versagt. Er wurde in einem der Roten Pavillons gefunden, das eigene Messer im Herzen.«
»Hat das dieser Bosk getan?« fragte Yanina.
»Vermutlich.«
»Und wo steckt dieser Bosk jetzt?«
»Das ist unbekannt. Man vermutet sogar, daß er aus Port Kar geflohen ist.«
»Also war alles umsonst?« fragte sie verächtlich.
»Ja.«
»Es wäre besser gewesen, Belnar hätte die ganze Angelegenheit mir anvertraut«, sagte sie. Ich vermutete, daß dieser Belnar ihr Vorgesetzter war.
»Dir?« fragte der Fremde skeptisch.
»Ja.«
»Wie hättest du Erfolg haben sollen, wenn schon Babinius gescheitert ist? Mit einem Knüppel? Oder einem schnellen Dolch?«
»Doch nicht auf so grobe Weise.«
»Wie denn?«
»Ich bin eine Frau«, sagte Yanina, drückte den Rücken durch und ließ klar erkennen, daß die Seide eine beträchtliche Schönheit verhüllte. »Ich könnte mich ihm vorstellen und ihn ködern. Ich könnte seine Aufmerksamkeit und sein Vertrauen erringen. Ich könnte ihn dazu bringen, daß er sich nach einer Berührung oder einem Kuß verzehrt. Dann, wenn ich ihn im Grunde genommen um den kleinen Finger wickeln kann, könnte ich ihn vergiften oder betäuben.«
»Zweifellos ist es ein Fehler von Belnar«, sagte der Fremde trocken, »dir keine größeren Aufgaben anzuvertrauen.«
»In Port Kar habe ich auf eigene Initiative und nach meinem eigenen Plan fünfzehn Männer gefangengenommen!«
»Zweifellos hattest du dabei Hilfe.«
»Ich befehle meine Untergebenen, wie du deinen Untergebenen befiehlst«, sagte sie wütend.
»Du bist eine Frau«, sagte er.
»Brinlar, bedien uns!« sagte Yanina noch immer wütend und hob ihren Pokal, ohne mich anzusehen.
»Ja, Herrin«, sagte ich und kam mit dem Krug Kala-na.
»Ist das einer der ›Männer‹, die du gefangen hast?« fragte der Fremde.
Ich schenkte Ka-la-na nach.
»Zumindest vierzehn von ihnen sind wahre Männer«, sagte sie zornig. »Du darfst dich zurückziehen, Brinlar.«
»Ja, Herrin«, sagte ich und kehrte an meinen Platz zurück.
»Weißt du, wo Ragnars Gasthaus an der alten Weststraße liegt?« fragte der Fremde.
»Ja. Ist es nicht geschlossen?«
»Es wird zur Zeit nicht benutzt, obwohl man es hin und wieder öffnet, wenn zu viele Menschen aus Torvaldsland zum Jahrmarkt kommen.«
Vor zwei Jahren hatten die Kaufleute und die Hausbauer die Straße des Cyprianus eröffnet, die nach dem Baumeister des Projektes benannt worden war. Sie führte aus Südwesten zu den Jahrmärkten, was den Verkehr auf der Straße des Clearchus, die aus dem Nordwesten kam, beträchtlich verringert hatte. Das hatte dazu geführt, daß einige der Gasthäuser entweder geschlossen oder umgesiedelt worden waren. Ein Vorteil der südlicheren Strecke lag darin, daß sie durch weniger beschwerliches Gelände führte, das kaum Deckungsmöglichkeiten für Straßenräuber bot. Vor allen Dingen führt sie nicht mehrere Pasang lang durch die Clearchuswälder.
Legenden zufolge war Clearchus ein berühmter Brigant gewesen, der vor etwa zwei Jahrhunderten entschieden hatte, sein Brigantentum zu legitimieren und es in geregelte Bahnen zu lenken. Er erklärte sein Einflußgebiet zum Ubarat, rief sich zu seinem Ubar aus und verlangte Steuern und Wegzölle. Interessanterweise wurde dieses Ubarat nach einiger Zeit von einigen Städten diplomatisch anerkannt, denen im Gegenzug dann Steuern und Zölle ermäßigt wurden. Schließlich machte ein großes Söldnerheer, das von der Kaufmannskaste bezahlt wurde, der Pseudoherrschaft des Clearchus ein Ende, vertrieb ihn in einem monatelang dauernden Feldzug aus dem Wald und zerstreute seine Männer in alle Himmelsrichtungen. Es herrscht allgemein die Auffassung, daß Clearchus, hätte er mehr Männer gehabt, möglicherweise einen neuen Staat gegründet hätte.
Es ist ungewiß, wie es mit Clearchus weitergegangen ist, aber einige Historiker setzten ihn mit Clearchus von Durra gleich, einem Einwanderer, der sich mit einigen seiner Anhänger in Durra niederließ. Heute erinnert man sich an ihn hauptsächlich als Patron der Künste und Philanthropen. Der Clearchuswald wird bis zum heutigen Tage von Straßenräubern heimgesucht.
In der Vergangenheit nannte man die Straße des Clearchus oft ›Weststraße‹. Diese Bezeichnung war nach der erst kürzlich erfolgten Inbetriebnahme der Straße des Cyprianus nicht mehr ganz richtig. Daher ist es nicht ungewöhnlich, daß die Straße des Clearchus ›alte Weststraße‹ und die Straße des Cyprianus ›neue Weststraße‹ genannt wird. Übrigens gehören beide Straßen nicht zur Kategorie der ›Großen Straßen‹; ihr Fundament liegt nicht mehrere Meter tief in der Erde, so daß sie wie eine versenkte Wand auf Stein gebaut sind. Es sind keine Straßen, die oftmals tausend Jahre halten sollen und die man typischerweise in der Nähe großer Städte findet; die Art von Straßen, die zum Aufmarsch dienen sollen und direkt in das Herz traditionell umstrittener Territorien führen oder strategisch wichtige Punkte miteinander verbinden. Sowohl die ›alte‹ als auch die ›neue‹ Weststraße sind Straßen der zweiten Kategorie, die im allgemeinen nur über ein Schotterbett verfügen; gelegentlich sind sie mit Materialien wie Holzblöcken und Steinfliesen gepflastert. Bei Regen sind sie oftmals unpassierbar, und bei trockenem warmen Wetter sind sie meistens sehr staubig. Straßen der dritten Kategorie sind häufig nur selten benutzte Pfade. Es ist immer wieder die Rede davon, die Straßen der zweiten Kategorie zu verbessern, und manchmal geschieht es sogar, aber im allgemeinen wird nur wenig zustande gebracht. Das liegt natürlich hauptsächlich am Geld. Zu viele Straßen verlaufen für den größten Teil ihrer Länge außerhalb der Rechtsprechung der betreffenden Städte. In goreanischen Städten hängt die Macht von der Macht des Heimsteins ab, die durch den aktuellen Stand militärischer und wirtschaftlicher Erfolge meistens Schwankungen unterworfen ist. Die Vorstellung von einer feststehenden und endgültigen Grenze ist auf Gor nicht besonders weit verbreitet.
»Ich verstehe«, sagte Yanina.
»Triff mich dort morgen abend mit dem Material«, sagte der Fremde. »Zur fünfzehnten Ahn.«
Sie hob geziert den Schleier und trank dahinter Kala-na. »Das ist ziemlich früh. Die Zeit erscheint mir unpassend.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte er.
»Ich muß mich vorbereiten, muß das Material ordnen. Ich habe viel zu tun.«
»Welche Zeit würde dir passen?« fragte er mit spöttischer Nachsicht.
»Das kann ich noch nicht sagen«, meinte sie. »Ich bin eine vielbeschäftigte Frau.«
»Du weißt, wo ich während des Jahrmarkts wohne?«
»Ja.«
»Dann sei doch so nett, mir eine Nachricht zukommen zu lassen, wann du es für angemessen hältst, diese dringende Angelegenheit zu erledigen.«
»Natürlich.«
Der Fremde stand verärgert auf. Er drehte sich ohne ein weiteres Wort um und ging mit wirbelndem Umhang und weitausholenden Schritten auf sein Tharlarion zu. Einen Moment später brachen er und seine Männer auf.
»Ich habe es ihm gezeigt, nicht wahr, Brinlar?« fragte Yanina, als sie ihm nachsah.
»Ja, Herrin«, sagte ich.
»Ich werde ihn so lange warten lassen, wie es mir gefällt.«
»Ja, Herrin.«
»Ich werde dafür sorgen, daß er endlich begreift, wie wichtig ich bin.«
»Ja, Herrin.« Ich war zu dem Schluß gekommen, daß sie tatsächlich in gewisser Weise eine wichtige Person sein mußte, denn der Fremde hatte ihr nicht die Kleider vom Leib gerissen und sie fortgeführt, mit Handfesseln an den Steigbügel gekettet.
»Es ist etwas kühl geworden, Brinlar«, sagte sie. »Du darfst mir den Umhang bringen.«
»Ja, Herrin.« Ich legte ihr den leichten Umhang über die Schultern, und sie band die Schnur unter dem Schleier am Hals zusammen. Ich beherrschte mich und verzichtete darauf, ihr den Umhang von hinten über den Kopf zu werfen, ihn an ihrer Taille festzubinden und ihr auf diese Weise Arme und Hände zu fesseln.
»Wir kehren ins Lager zurück«, befahl sie. »Du darfst zusammenpacken.«
»Ja, Herrin«, sagte ich, kniete neben ihren Füßen nieder und packte die Dinge in den Korb.
»Darf ich sprechen, Herrin?« fragte ich.
»Natürlich, Brinlar.«
»Der kürzlich geführten Unterhaltung entnehme ich, daß die Leute eurer Gruppe – wer auch immer das sein mag – Interesse an dem Mann namens Bosk aus Port Kar haben.«
»Vielleicht«, sagte sie.
»Ich weiß, wie er aussieht«, sagte ich.
»Ja?« fragte sie, plötzlich hellwach.
»Außerdem habe ich Grund zu der Annahme, daß er sich in diesem Augenblick auf dem Jahrmarkt oder zumindest in seiner Nähe aufhält.«
»Wie kommst du darauf?«
»Ich habe so ein Gefühl«, sagte ich. »Vielleicht gründet es sich auf etwas, das ich in Port Kar gehört habe. Wie dem auch sei, er stattet dem Jahrmarkt manchmal einen Besuch ab.«
»Das ist eine gute Nachricht«, sagte sie. »Bist du in der Lage, ihn für uns ausfindig zu machen?«
»Das dürfte nicht schwierig sein.«
»Heb den Kopf, Brinlar!« befahl sie.
Ich gehorchte und blickte Lady Yanina in die Augen. Es war deutlich zu sehen, wie ihre Gedanken rasten.
»Morgen wirst du unter Bewachung auf den Jahrmarkt gehen. Wenn du diesen Bosk siehst, sagst du meinen Männern Bescheid.«
»Aber ich kenne ihn«, sagte ich. »Könnte er nicht mißtrauisch werden, wenn er mich unter Bewachung sieht? Falls du ihn außerdem in einen Hinterhalt locken willst, kannst du das unmöglich auf dem Jahrmarkt tun. Das ist neutraler Boden, dort darf es keine Händel geben. Und was ist, wenn er in Begleitung seiner Gefolgsleute erscheint?«
»Ich verstehe«, sagte sie ärgerlich. »Das alles ist bloß ein Plan, der dir die Flucht ermöglichen soll.«
»Ragnars Gasthaus befindet sich außerhalb des Jahrmarkts«, sagte ich. »Wie wäre es damit, wenn ich ihn dazu bringen könnte, dorthin zu kommen, allein?«
»Wie soll das geschehen?« fragte Yanina begierig.
»Ich würde deine Hilfe brauchen.«
»Ja, und?«
»Man sagt, daß er Frauen sehr begehrenswert findet.«
»Ja«, sagte sie. »Ja!«
»Ich könnte zu ihm gehen und ihm sagen, daß ich als Bote einer reichen freien Frau komme, die sich sehr von ihm angezogen fühlt und das Verlangen hat, ihm zu dienen, sogar als Sklavin.«
»Ich verstehe.«
»Glaubst du, du würdest es schaffen, dich als einfache Sklavin zu verkleiden?«
»Ich lege keinen Kragen an!«
»Natürlich nicht«, sagte ich. »Mein Plan beruht ja darauf, daß die Herrin eine freie Frau ist.«
»Du würdest ihn also in Ragnars Gasthaus locken«, sagte sie, »angeblich zu einem geheimen Stelldichein.«
»Meine Herrin begreift den Plan schnell.«
»Am besten könnte man ihn in einem Alkoven überwältigen, in dem ich als Köder liege«, sagte Yanina nachdenklich.
»Eine glänzende Idee«, gestand ich ihr zu.
»Er betritt den Alkoven, legt seine Waffen beiseite«, dachte sie weiter laut nach. »Dann kommen meine Männer und stürzen sich in dem engen Raum auf ihn.«
»Ich beglückwünsche meine Herrin zu ihrer Klugheit«, sagte ich.
Yanina ballte die kleinen Fäuste. »Welch ein Triumph!« rief sie. »Welch ein Sieg! Bosk aus Port Kar in meine Ketten zu legen! Und ihn dann fast beiläufig, ohne Aufhebens, Flaminius zu übergeben!«
Flaminius war, vermutete ich, der Name des Fremden, der uns eben verlassen hatte. Bei dem Namen dachte ich sofort an die Stadt Ar oder einen ihrer Verbündeten. Ich hatte einmal einen Arzt namens Flaminius gekannt, der in Ar gelebt hatte. Natürlich hatten die beiden nichts miteinander gemeinsam. Es gibt auf Gor viele Namen, die weit verbreitet sind, wie vermutlich in den meisten Zivilisation. Mein Name Tarl kommt auf Gor häufig vor, vor allen in den nördlichen Gebieten wie Torvaldsland und seiner Umgebung, Bei Sklavennamen findet man dieselben Namen noch häufiger. Gewöhnliche Sklavennamen auf Gor sind zum Beispiel Tuka, Lana und Lita. Es gibt möglicherweise Hunderte von Mädchen, die auf diese und andere Namen hören, die genauso süß klingen. Übrigens werden auf Gor irdische Mädchennamen oft als Sklavennamen benutzt, wie wohl bekannt ist.
»Warum sollte er auf dich hören?« fragte Yanina plötzlich und sah auf mich herab.
»Ich bin davon überzeugt, daß er mir vertraut«, sagte ich.
»Wirst du es schaffen?«
»Du darfst nicht vergessen, daß sich Bosk möglicherweise gar nicht auf dem Jahrmarkt aufhält.«
»Das ist wahr«, bemerkte sie ärgerlich. »Oder er ist dort, und du verpaßt ihn.«
»Wenn er dort ist, werde ich ihn finden«, sagte ich.
»Wieso?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich kenne ihn. Außerdem kenne ich ein paar seiner Lieblingsorte.«
»Ausgezeichnet!« sagte Yanina. »Es könnte gelingen!« Sie musterte mich. »Wenn ich dich aus meiner Sichtweite lasse, dann besser in kurzen Ketten. Dann wird es leichter sein, dich wieder einzufangen.«
»In solchen Ketten könnte ich mich kaum bewegen«, sagte ich. »Es würde meine Nachforschungen auf dem Jahrmarkt ziemlich unmöglich machen.«
»Dann müssen dich zwei meiner Männer im Auge behalten«, sagte sie.
»Ich versichere dir, dieser Bosk ist ein aufmerksamer Bursche. Ihm entginge es bestimmt nicht, wenn zwei Männer in meiner Umgebung herumlungern.«
»Dann gehst du eben in Ketten, Brinlar!« sagte Yanina ärgerlich.
»Wie du wünschst, aber würde es Bosk nicht verdächtig vorkommen, daß sich ihm ein mit guten Absichten kommender Gefährte aus Port Kar in Ketten nähert?«
»Vermutlich«, stimmte sie mir gereizt zu.
»Außerdem wäre es sicher schwierig, einige der Orte, wo sich Bosk aufhält, in Ketten zu betreten. Man ließe mich als Sklaven gar nicht hinein.«
»Wenn ich dir diesen Dienst erlaube«, fragte Yanina, »wie soll deine Belohnung aussehen?«
»Vielleicht könnte meine Herrin darüber nachdenken, mir die Freiheit zu schenken.«
Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, ich habe mir fest vorgenommen, dich zusammen mit den anderen zu versklaven. Aber wenn du mir diesen Dienst erfüllst, könntest du vielleicht Gefallen in meinen Augen finden. Möglicherweise wäre ich sogar versucht, dir größere Nachsicht entgegenzubringen, als du sonst verdient hättest. Unter Umständen behalte ich dich sogar als persönlichen Zeltsklaven. Vielleicht gebe ich dir sogar etwas Hübsches zum Anziehen.«
»Meine Herrin ist großzügig«, sagte ich.
»Wie kann ich sicher sein, daß du, gleichgültig, ob du nun erfolgreich warst oder nicht, auch zurückkommst?«
»Ich gebe dir mein Wort als freier Mann!«
»Ich glaube, da fällt mir etwas Besseres ein«, sagte Yanina. »Falls du nicht zurückkehrst, werden deine vierzehn Gefährten einer nach dem anderen getötet, in jeder Ahn einer.«
»Ich kehre zurück«, sagte ich.
»Die Kunde von deinem Verrat wird Port Kar erreichen«, fügte sie hinzu. »Man wird dich jagen. Man wird Sleen auf deine Spur hetzen. Auf dem Jahrmarkt wird deine Beschreibung zirkulieren, und zwar als entflohener Sklave.«
»Meine Herrin hat mir viele Gründe gegeben, um zurückzukehren.«
»Das ist richtig.«
»Aber in ihrer Bescheidenheit hat sie einen bedeutsamen Anreiz übersehen«, sagte ich.
»Was denn?«
»Daß ich noch einmal ihre Schönheit sehen möchte.«
»Brinlar, du bist ein Schmeichler!« lachte sie. »Aber du bist nicht der erste Mann, der sich im Netz meiner Schönheit verfangen hat. Ich habe viele in den Untergang gelockt, wenn mir der Sinn danach stand.«
»Meine Herrin ist so schön, daß sie beinahe eine Sklavin sein könnte.«
»Das stimmt.«
»Ich werde morgen früh zum Jahrmarkt gehen und zusehen, daß ich Bosk aus Port Kar finde.«
»Solltest du ihn aufspüren, dann mach mit ihm aus, daß er zur achtzehnten Ahn in Ragnars Gasthaus eintrifft. In der Zwischenzeit werde ich Flaminius eine Nachricht schicken, daß er mich dort in der neunzehnten Ahn treffen soll. Das läßt mir genug Zeit, daß ich Bosk gefangennehmen, ihn ausziehen, in Ketten legen und mein schönstes Gewand anlegen kann, um Flaminius willkommen zu heißen, als wäre nichts geschehen.«