3. Meine Ankunft auf dem Mars

Als ich die Augen aufschlug, umgab mich eine fremdartige und bizarre Landschaft. Ich wußte, daß ich mich auf dem Mars befand, und zweifelte weder an meinem Verstand, noch fragte ich mich, ob ich schlafe oder träume. Ich war hellwach und mußte mich nicht erst in den Arm zwicken. Eine innere Stimme teilte mir so deutlich mit, daß ich mich auf dem Mars befand, wie dein Verstand dir sagt, daß du auf der Erde stehst. Niemand stellt diese Tatsache in Frage, ich tat es damals auch nicht.

Ich lag bäuchlings auf gelblichen, moosartigen Pflanzen gebettet, die sich meilenweit in jeder Richtung ausbreiteten. Offensichtlich befand ich mich in einer tiefen, runden Bodensenke, umgeben von ungleichförmigen, niedrigen Hügeln.

Es war Mittag, die Sonne schien mir direkt ins Gesicht und brannte auf meiner unbedeckten Haut wie unter ähnlichen Verhältnissen in der Wüste von Arizona. Hier und da ragte quarzhaltiges Felsgestein empor, das im Sonnenlicht gleißte. Etwa einhundert Yards zu meiner Linken befand sich eine flaches, von einer Mauer umgebenes Bauwerk von etwa vier Fuß Höhe. Ich sah weder Wasser noch andere Pflanzen als das Moos, und da ich Durst hatte, beschloß ich, eine kleine Erkundung durchzuführen.

Ich sprang auf und erlebte meine erste Überraschung, denn dieselbe Bewegung, die mich auf der Erde in die aufrechte Haltung gebracht hätte, beförderte mich etwa drei Yards nach oben in die Marsluft. Dennoch landete ich unverletzt und ohne großen Schrecken wieder sanft auf dem Boden. Nun begann ich eine Reihe von Drehungen und Wendungen auszuführen, die äußerst komisch ausgesehen haben müssen. Ich stellte fest, daß ich noch einmal Laufen lernen mußte, denn der Muskeleinsatz, der mich auf der Erde mühelos und sicher vorwärts beförderte, spielte mir auf dem Mars seltsame Streiche.

Anstelle mich vernünftig und würdevoll vorwärtszubewegen, resultierten meine Gehversuche in einer Reihe von Sprüngen, die mich bei jedem Schritt einige Fuß vom Boden abheben und nach jedem zweiten oder dritten Hüpfer ausgestreckt auf dem Gesicht oder Rücken landen ließen. Meine Muskeln, völlig auf die Erdanziehungskraft eingestellt, spielten mir übel mit, als ich zum ersten Mal versuchte, mit der geringeren Anziehungskraft und dem veränderten Luftdruck auf dem Mars zurechtzukommen.

Dennoch war ich entschlossen, das flache Bauwerk zu erkunden, weit und breit der einzige Hinweis auf Leben. Mir kam die einzigartige Idee, auf die Grundprinzipien der Fortbewegung zurückzugreifen und zu kriechen. Damit hatte ich mehr Erfolg, so daß ich nach einigen Augenblicken die flache Einfriedung erreicht hatte.

Auf der mir zugewandten Seite gab es weder Türen noch Fenster, aber da die Wand nur vier Fuß hoch war, richtete ich mich vorsichtig auf, warf einen Blick darüber und sah etwas derart Merkwürdiges, wie ich es noch nie zu Gesicht bekommen hatte.

Das Dach des Bauwerkes bestand aus festem, etwa vier bis fünf Zoll dickem Glas, darunter lagen einige Hundert gleichgroße, kugelrunde und schneeweiße Eier mit einem Durchmesser von etwa zwei und einem halben Fuß.

Fünf oder sechs waren bereits ausgebrütet, und die grotesk aussehenden Gestalten, die dort saßen und ins Sonnenlicht blinzelten, genügten, um mich an meinem Verstand zweifeln zu lassen. Sie schienen nur aus Köpfen zu bestehen, mit kleinen, mageren Körpern, langen Hälsen und sechs Beinen, oder, wie ich später sah, zwei Beinen, zwei Armen und einem dazwischen liegenden Paar von Gliedmaßen, das nach Wunsch entweder als Arme oder Beine verwandt werden konnte. Die Augen befanden sich oben an der Außenseite der Köpfe und standen derart hervor, daß sie nach vorn oder hinten und auch unabhängig voneinander bewegt werden konnten, so daß es diesem ungewöhnlichen Wesen ohne Drehung des Kopfes möglich war, in jede beliebige oder gar gleichzeitig in zwei verschiedene Richtungen zu blicken.

Die Ohren, etwas über den Augen stehend, aber etwas näher beieinander, glichen schalenartigen Antennen, die bei diesen soeben geschlüpften Exemplaren nicht mehr als einen Zoll hervortraten. Als Nasen dienten zwei senkrechte Schlitze mitten im Gesicht zwischen dem Mund und den Ohren.

Ihre Körper war unbehaart und von einer sehr hellen, gelbgrünen Färbung. Wie ich bald erfahren sollte, wurden die Erwachsenen später dunkelgrün. Die Weibchen blieben etwas heller als die Männchen. Außerdem war das Größenverhältnis zwischen Kopf und Körper bei den Erwachsenen anders als bei den Kindern. Die Augen waren wie bei den Albinos blutrot, die Pupille dunkel. Der Augapfel selbst war sehr weiß, wie auch das Gebiß. Letzteres verlieh dem bereits furchteinflößenden Gesicht ein schreckliches Aussehen, da von unten zwei scharfe Zähne hauerartig nach oben ragten und etwa dort endeten, wo sich beim Erdenmenschen die Augen befinden.

Die Zähne hatten nicht die Farbe von Elfenbein, sondern waren schneeweiß und glänzten wie Porzellan. Vor dem dunklen Hintergrund ihrer olivfarbenen Haut fielen die Stoßzähne sehr auf und wirkten ausgesprochen bedrohlich.

Die meisten Dinge bemerkte ich erst später, da ich nur wenig Zeit hatte, über die unerklärlichen neuen Entdeckungen nachzudenken. Ich hatte festgestellt, daß die Winzlinge gerade schlüpften, und während ich die entsetzlichen kleinen Monster dabei beobachtete, wie sie sich aus den Schalen befreiten, entging mir, daß sich mir von hinten zwanzig ausgewachsene Marsbewohner näherten.

Da sie über das weiche und dämpfende Moos kamen, das mit Ausnahme der vereisten Pole und der wenigen kultivierten Gebiete praktisch die ganze Marsoberfläche bedeckte, hätten sie mich leicht gefangen nehmen können, doch trugen sie sich mit weitaus finstereren Absichten. Es war das Rasseln der Ausrüstung des vordersten Kriegers, wodurch ich gewarnt wurde.

Mein Leben hing an einem seidenen Faden, so daß ich mich oft darüber wundere, überhaupt entkommen zu sein. Wäre nicht das Gewehr des Anführers der Truppe am Sattelhalfter herumgeschwungen und gegen den metallbeschlagenen Schaft des großen Speers gestoßen, so hätte ich mein Leben ausgehaucht, ohne je erfahren zu haben, wie nahe mir der Tod war. Aber das leise Geräusch ließ mich herumfahren, und dicht vor mir, keine zehn Fuß vor meiner Brust erblickte ich die glänzende Metallspitze eines riesigen Speeres von etwa vierzig Fuß Länge, die ein berittenes Ebenbild der kleinen Teufel, die ich soeben beobachtet hatte, gesenkt neben sich hielt.

Aber wie winzig und harmlos sahen diese nun neben dem riesigen und furchteinflößenden Inbegriff von Haß, Rache und Tod aus. Der Mann selber, als solchen will ich ihn bezeichnen, maß reichlich fünfzehn Fuß und hätte auf der Erde etwa vierhundert Pfund gewogen. Er saß auf seinem Reittier wie wir auf einem Pferd, klammerte sich mit den unteren Gliedmaßen an dessen Rumpf fest, hielt mit den zwei rechten Händen den gigantischen Speer flach neben dem Tier und streckte die zwei linken Arme seitwärts aus, um die Balance zu halten. Das Wesen, das er ritt, trug weder Zaum noch Zügel irgendwelcher Art.

Und dieses Reittier erst! Wie soll man es mit den uns gegebenen Worten beschreiben! Bis zur Schulter maß es zehn Fuß, hatte auf jeder Seite vier Beine, einen flachen, breiten Schwanz, der an der Spitze dicker war als am Ansatz, und ein klaffendes Maul, das erst an dem langen, feisten Hals endete und den Kopf in zwei Hälften teilte.

Wie sein Reiter war es gänzlich unbehaart, von der Farbe dunklen* Schiefers, außerordentlich glatt und glänzend. Der Bauch war weiß, bei den Beinen verblaßte das Grau der Schultern und Hüften und ging an den Füßen in ein lebendiges Gelb über. Diese waren dick gepolstert und ohne Nägel, was sicherlich zu dem lautlosen Auftauchen beigetragen hatte und ebenso wie die zahlreichen Gliedmaßen eine charakteristische Eigenschaft der Marsbewohner ist. Allein das höchstentwickelte Lebewesen und ein anderes Tier, das einzige Säugetier auf dem Mars, haben wohlgeformte Nägel. Huftiere gibt es überhaupt nicht.

Hinter diesem ersten Angreifer standen neunzehn weitere, die sich in jeder Hinsicht glichen, aber wie ich später feststellte, ebenfalls individuelle Eigenschaften hatten wie wir, obwohl wir doch in derselben Weise geschaffen wurden. Dieses Bild, besser gesagt, dieser Wirklichkeit gewordene Alptraum, den ich lang und breit geschildert habe, beeindruckte mich aufs schrecklichste.

Unbewaffnet und nackt wie ich war, konnte die einzig mögliche Lösung, der Spitze des angreifenden Speeres zu entkommen, nur im ersten Gesetz der Natur liegen. Und zwar machte ich einen sehr irdischen und gleichzeitig übermenschlichen Satz auf das Dach des Inkubators, denn ein solcher Brutapparat mußte es meiner Meinung nach sein.

Meine Bemühungen wurden von einem Erfolg gekrönt, der mich nicht weniger als die kriegerischen Marsbewohner überraschte, denn er beförderte mich volle dreißig Fuß in die Luft und ließ mich einhundert Fuß von meinen Angreifern auf der gegenüberliegenden Seite des Bauwerkes wieder aufkommen.

Sanft und unverletzt landete ich auf dem weichen Moos, wandte mich um und sah meine Feinde auf der anderen Seite aufgereiht stehen. Einige begutachteten mich mit einem Ausdruck, den ich später als äußerstes Erstaunen kennenlernen sollte, andere waren augenscheinlich bereits damit zufriedengestellt, daß ich die Jungen in Frieden gelassen hatte.

Leise berieten sie sich und zeigten gestikulierend auf mich. Die Entdeckung, daß ich die kleinen Marsmenschen nicht belästigt hatte und unbewaffnet war, ließ sie weniger wild dreinblicken. Wie ich später erfahren sollte, gewann ich in ihrer Gunst vor allem durch meine sportliche Darbietung.

Obwohl die Marsbewohner sehr groß sind und ihre Knochen sehr lang, sind ihre Muskeln nur dafür entwickelt, die Anziehungskraft ihres Planeten zu überwinden. Folglich sind sie im Verhältnis zu ihrem Gewicht weniger beweglich und schwächer als ein Erdenmensch, und ich zweifle, daß einer von ihnen, würde er plötzlich zur Erde gebracht, imstande wäre, sich vom Boden zu erheben – eigentlich bin ich von seinem Unvermögen überzeugt.

Mein Bravourstück sorgte demzufolge auf dem Mars ebenso für Bewunderung, wie es auf der Erde der Fall gewesen wäre, und anstelle mich umzubringen, sahen sie in mir nun eine wundersame Entdeckung, die sie fangen und ihren Artgenossen zeigen wollten.

Den Aufschub, den mir meine unerwartete Beweglichkeit verschafft hatte, erlaubte mir, Pläne für die unmittelbare Zukunft zu schmieden und das Äußere der Krieger genauer zu betrachten, denn ich kam nicht umhin, diese mit jenen zu assoziieren, die mich erst gestern verfolgt hatten.

Ich bemerkte, daß jeder außer mit dem bereits beschriebenen riesigen Speer noch mit einigen anderen Waffen ausgerüstet war. Die Waffe, die mich gegen einen Fluchtversuch stimmte, war einem Gewehr nicht unähnlich, und meinem Gefühl nach konnten sie besonders gut damit umgehen.

Diese Gewehre bestanden aus weißen Metall und einem Kolben aus sehr leichtem und ausgesprochen hartem Holz, das, wie ich später erfuhr, auf dem Mars sehr geschätzt wird und uns Erdbewohnern gänzlich unbekannt ist. Den Lauf bildete eine Legierung aus Aluminium und Stahl, die sie so zu härten vermochten, daß sie die Festigkeit des Stahles, wie wir sie kennen, weit übertrifft. Die Gewehre besaßen ein vergleichsweise geringes Gewicht, die kleinen, explosiven Radiumgeschosse waren auch in Entfernungen, wie sie auf der Erde undenkbar sind, äußerst gefährlich. Die theoretische Reichweite dieser Waffe betrug dreihundert Meilen. In der Praxis, wenn sie mit ihren drahtlosen Suchern ausgerüstet waren, brachten sie es auf« reichlich zweihundert Meilen.

Das war völlig ausreichend, mir großen Respekt für dieses Schießgerät der Marsbewohner einzuflößen, und irgendeine überirdische Macht muß mich davor gewarnt haben, am hellichten Tage vor den Mündungen zwanzig dieser todbringenden Waffen die Flucht anzutreten.

Die Marsbewohner machten nach einer kurzen Beratung kehrt und ritten außer einem in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Nach etwa zweihundert Yards blieben sie stehen, wendeten die Tiere und beobachteten den bei der Brutstation Zurückgebliebenen. Es war derjenige, dessen Speer mir so nahe gekommen war, anscheinend der Anführer der Gruppe, denn ich hatte beobachtet, wie sie sich auf seinen Befehl hin zu ihrer derzeitigen Position begeben hatten. Als seine Streitmacht zum Stillstand gekommen war, saß er ab, warf den Speer und die kleinen Waffen von sich und kam vollkommen unbewaffnet um den Inkubator auf mich zu, vom Schmuck auf dem Kopf, der Brust und an den Gliedmaßen abgesehen ebenso nackt wie ich.

Als er sich mir bis auf fünfzig Fuß genähert hatte, löste er ein riesiges Metallarmband, hielt es mir auf der offenen Handfläche hin und sprach mich mit klarer, volltönender Stimme in einer Sprache an, die ich, das brauche ich nicht zu sagen, nicht verstehen konnte. Dann hielt er inne, als warte er auf meine Antwort, richtete dabei die Ohren antennenartig auf, während er seine merkwürdig wirkenden Augen noch eindringlicher auf mich richtete.

Als die Stille langsam schmerzhaft wurde, beschloß ich, ebenfalls eine kleine Rede zu riskieren, denn ich vermutete, daß er seine friedlichen Absichten bekunden wollte. Überall auf der Erde hätte das Ablegen der Waffen und der Truppenrückzug vor der Ansprache an mich eine friedliche Botschaft signalisiert, warum dann nicht auf dem Mars?

Ich legte die Hand ans Herz, verbeugte mich tief in seine Richtung und erklärte, zwar sei seine Sprache mir unbekannt, doch seine Handlungsweise zeuge von Frieden und Freundschaft. Dies bedeute mir gegenwärtig sehr viel. Das Plätschern eines Baches hätte ihm dieselben Informationen vermittelt wie meine Worte, aber er verstand die Handlung, die ich meinen Worten folgen ließ.

Ich trat mit ausgestreckter Hand auf ihn zu, ergriff das Armband, machte es mir oberhalb des Ellenbogens an den Arm, blieb lächelnd stehen und wartete. Sein großer Mund zog sich zu einem Antwortlächeln auseinander. Er schob einen Arm des mittleren Paares unter den meinen, wir wandten uns um und begaben uns zu seinem Reittier. Gleichzeitig hieß er sein Gefolge näherkommen. In wildem Galopp stürmten sie auf uns zu, wurden aber durch ein Zeichen von ihm gebremst. Offenbar fürchtete er, mich damit so sehr zu erschrecken, daß ich endgültig aus seiner Reichweite sprang.

Er wechselte mit seinen Männern einige Worte, gab mir durch Gesten zu verstehen, daß ich hinter einem von ihnen reiten würde, und saß auf. Der Angewiesene reichte mir zwei oder drei Hände und hob mich hinter sich auf den glatten Rücken seines Tieres, wo ich mich, so gut ich konnte, an den Gurten und Riemen festhielt, mit denen die Waffen und der Schmuck des Marsbewohners befestigt waren.

Inzwischen hatte die ganze Reihe kehrtgemacht, und wir galoppierten auf die Hügelkette in der Ferne zu.

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