10. Kämpfer und Anführer

Am nächsten Morgen war ich schon früh auf den Beinen. Man ließ mir beträchtliche Freiheiten. Wie Sola mir mitgeteilt hatte, durfte ich kommen und gehen, wann und wohin ich wollte, nur nicht die Stadt verlassen. Dennoch warnte sie mich, unbewaffnet loszuziehen, da diese Stadt wie alle anderen ehemaligen Metropolen der vergangenen Zivilisation nun von den großen weißen Affen bevölkert wurde, mit denen ich an meinem zweiten Tag in Berührung gekommen war.

Sie wies mich nachdrücklich darauf hin, die Stadtgrenzen nicht zu überschreiten, und erklärte, daß Woola mich sowieso daran hindern würde. Ich solle keinesfalls seinen Unwillen erregen und seine Warnungen ignorieren, wenn ich dem verbotenen Gebiet zu nahe kam, denn es läge in seiner Natur, mich tot oder lebendig zurückzubringen, sollte ich auf meinen Willen beharren. »Höchstwahrscheinlich aber tot«, meinte sie.

An diesem Morgen wollte ich eine neue Straße erkunden, als ich mich plötzlich am Stadtrand wiederfand. Vor mir lagen die flachen Gebirgszüge, durch die sich schmale, einladende Schluchten ihren Weg bahnten. Ich sehnte mich danach, das Land vor mir zu durchforschen. Als Nachkomme von Pionieren wollte ich sehen, welche Landschaft sich mir von den unsichtbaren Gipfeln der Höhenzüge eröffnete.

Außerdem schien mir das eine ausgezeichnete Möglichkeit zu bieten, Woola auf die Probe zu stellen. Ich war überzeugt, daß mich das Tier liebte, hatte ich doch mehr Anzeichen von Zuneigung bei ihm feststellen können als bei jedem anderen Lebewesen vom Mars, und ich war überzeugt, daß seine Dankbarkeit, weil ich ihm zweimal das Leben gerettet hatte, sein Pflichtgefühl gegenüber den grausamen und lieblosen Herren mehr als aufwiegen würde.

Als ich mich der Grenzlinie näherte, lief Woola besorgt vor mich und warf sich mit ganzem Gewicht gegen meine Beine. Er wirkte mehr bittend als zornig. Weder bleckte er die großen Stoßzähne, noch stieß er irgendwelche furchteinflößenden, kehligen Laute aus. Da mir die Freundschaft und Geselligkeit meinesgleichen fehlte, hatte ich für Woola und Sola beträchtliche Zuneigung entwickelt, denn der normale Erdenmensch braucht für seine natürlichen Gefühle ein Objekt, deswegen beschloß ich, bei diesem riesigen Untier an einen ähnlichen Instinkt zu appellieren, überzeugt, nicht enttäuscht zu werden.

Ich hatte ihn bis dahin noch nie gestreichelt oder geliebkost. Nun aber setzte ich mich auf den Boden, legte ihm die Arme um den dicken Nacken, streichelte ihn und redete mit ihm in meiner neu erlernten Sprache, wie ich mit meinem Hund zu Hause oder mit jedem anderen Tier geredet hätte. Seine Reaktion auf meine Zärtlichkeiten war äußerst eindrucksvoll; er riß das Maul auf, so weit es ging, entblößte die obere Reihe der Stoßzähne und rollte die Lippe* nach oben, bis die großen Augen durch die Falten beinah verborgen waren. Wenn der Leser jemals einen Collie hat lächeln sehen, kann er sich vielleicht vorstellen, wie Woola nun aussah.

Er warf sich auf den Rücken, wälzte sich förmlich zu meinen Füßen, hüpfte umher, sprang mich an, warf mich mit seinem großen Gewicht zu Boden und wand und krümmte sich wie ein Welpe, der einem den Rücken zuwendet, um die ersehnten Streicheleinheiten zu erlangen. Ich konnte der Komik der Situation nicht widerstehen, hielt mir die Seiten und barst vor Lachen, dem ersten, das mir seit vielen Tagen über die Lippen kam, eigentlich dem ersten seit jenem Morgen, als Powell das Lager verließ, sein Pferd, lange ungeritten, ihn unerwartet abwarf, und er kopfüber in einen Topf mit Bohnen stürzte.

Mein Gelächter erschreckte Woola, seine Possen nahmen ein jähes Ende, er kam mitleiderregend angekrochen und legte den häßlichen Kopf auf meinen Schoß. Da fiel mir ein, was Gelächter auf dem Mars bedeutete – Mißhandlung, Leiden und Tod. Ich versuchte, mich zu beruhigen, strich meinem armen Gefährten über Kopf und Rücken, sprach einige Minuten auf ihn ein, befahl ihm dann mit gebieterischer Stimme, mir zu folgen, erhob mich und machte mich auf den Weg zu den Anhöhen.

Fortan gab es zwischen uns weiter keine Fragen hinsichtlich der Autorität. Von diesem Moment an war Woola mein hingebungsvoller Sklave und ich sein einziger und unbestrittener Herr. Ich brauchte bis zu den Hügeln nur einige Minuten, doch blieb mein Interesse unbelohnt. Zahlreiche strahlend bunte und seltsam geformte wilde Blumen wuchsen hier und da in den Schluchten. Vom Gipfel des ersten Hügels erblickte ich in nördlicher Richtung andere Anhöhen, deren Ketten immer mehr anstiegen, bis sie sich in einem Gebirge eindrucksvoller Größe verloren. Später mußte ich allerdings feststellen, daß nur wenige Gipfel auf dem Mars höher als viertausend Fuß waren und höher wirkten als in Wirklichkeit.

Mein Morgenspaziergang besaß für mich eine große Bedeutung, denn nun verstand ich mich vollkommen mit Woola, in dessen sicherem Gewahrsam mich Tars Tarkas wähnte. Mir war klargeworden, daß ich trotz meiner eigentlichen Gefangenschaft frei war, und ich beeilte mich, in die Stadt zu kommen, bevor Woolas Treulosigkeit bei seinen vorherigen Herren ruchbar wurde. Ich entschied mich, nie mehr das mir vorgegebene Revier zu verlassen, bis ich mich ein für allemal herauswagen konnte, weil es andernfalls sicherlich die Einschränkung meiner Freiheiten und wahrscheinlich Woolas Tod zur Folge haben würde, falls man uns entdeckte.

Wieder auf dem Forum angekommen, erblickte ich die Gefangene zum dritten Mal. Sie stand mit ihren Wachen vor dem Eingang zum Audienzsaal, und bei meinem Näherkommen blickte sie mich hochmütig an und wandte mir den Rücken zu. Das Verhalten wirkte sehr fraulich, irdisch fraulich, und obwohl es meinen Stolz verletzte, wurde mir ganz warm ums Herz. Es war gut zu wissen, daß es auf dem Mars noch jemanden gab, der die Instinkte eines zivilisierten Menschen besaß, auch wenn sie sich derart schmerzhaft und kränkend offenbarten.

Hätte eine grüne Marsfrau ihre Abneigung oder Verachtung zeigen wollen, hätte sie es aller Wahrscheinlichkeit nach mit einem Schwertstoß oder der Bewegung des Fingers am Abzug getan. Da ihre Gefühle aber meist verkümmert waren, hätte es einer ernsthaften Verletzung bedurft, um ähnliche Empfindungen in ihr hervorzurufen. Ich muß hinzufügen, daß ich Sola niemals eine grausame oder rauhe Handlung begehen sah. Sie blieb immer unvermindert freundlich und gut. Tatsächlich trug sie Züge einer ausgestorbenen Generation in sich, wie ihre Mitmenschen sagten, liebenswerte Eigenschaften der freundlichen Vorfahren kamen in ihr wieder zum Vorschein.

Als ich sah, daß die Gefangene sich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit befand, blieb ich stehen, um das Geschehen mitzuverfolgen. Ich brauchte nicht lange zu warten, denn bald näherte sich Lorquas Ptomel mit den übrigen Befehlshabern, wies die Wache an, mit der Gefangenen zu folgen, und betrat den Saal. Da ich mir meiner bevorzugten Stellung bewußt und außerdem überzeugt war, daß die Krieger von meinen Sprachkenntnissen nichts ahnten, gelang es mir, den Audienzsaal zu betreten und der Anhörung zu lauschen. Ich hatte Sola eindringlich gebeten, meine Kenntnisse für sich zu behalten, da ich nicht zum Reden gezwungen werden wollte, bevor ich die Sprache vollkommen beherrschte.

Der Rat hockte sich auf die Stufen des Podiums, während die Gefangene mit ihren zwei Wachen zu seinen Füßen stand. In einer von ihnen erkannte ich Sarkoja. Nun war mir klar, wie sie bei der Anhörung am vorhergehenden Tag anwesend sein konnte, von der sie den Insassen unseres Schlafraumes in der letzten Nacht berichtet hatte. Ihre Haltung gegenüber der Gefangenen war äußerst barsch und brutal. Wenn sie sie festhielt, drückte sie ihre Nägel in das Fleisch des armen Mädchens oder kniff sie auf sehr schmerzhafte Weise in den Arm. Mußten sie den Platz wechseln, versetzte sie ihr entweder einen heftigen Stoß oder schob sie unsanft vor sich her. Sie schien an dieser armen, hilflosen Kreatur all den Haß, die Grausamkeit, die Wildheit und den Groll ihrer neunhundert Jahre auszulassen, die sich in ihren wilden und brutalen Vorfahren im Laufe von Jahrhunderten angesammelt hatten.

Die andere Frau war weniger grausam, eher vollkommen gleichgültig, und hätte man die Gefangene ihr allein überlassen, wie es des Nachts zum Glück der Fall war, hätte sie diese normal behandelt oder überhaupt nicht beachtet.

Als Lorquas Ptomel die Gefangene ansprechen wollte, fiel sein Blick auf mich, und er wandte sich mit Worten und Gesten des Unwillens an Tars Tarkas. Dieser gab eine Antwort, die ich zwar nicht hören konnte, die Lorquas Ptomel jedoch ein Lächeln entlockte. Danach schenkten sie mir keine weitere Beachtung.

»Wie ist dein Name?« fragte Lorquas Ptomel die Gefangene.

»Dejah Thoris, Tochter des Mors Kajak von Helium.«

»Welcher Art war eure Expedition?« setzte er fort.

»Sie diente ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken. Unsere Gruppe wurde vom Vater meines Vaters, dem Jeddak von Helium, ausgesendet, um die Luftströme neu zu verzeichnen und die Dichte der Atmosphäre zu prüfen«, erwiderte die hübsche Gefangene mit leiser und wohlklingender Stimme.

»Wir waren auf einen Kampf nicht vorbereitet, da wir uns auf einer friedlichen Mission befanden, wie unsere Fahnen und die Farben unserer Fahrzeuge zeigten«, fuhr sie fort. »Die Arbeit, die wir verrichteten, lag ebenso in eurem Interesse wie in unserem, denn ihr wißt sehr wohl, daß es ohne unsere Bemühungen und unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse auf dem Mars nicht einmal genug Luft und Wasser für einen einzigen Menschen gäbe. Jahrhundertelang haben wir die Luft- und Wasserversorgung ohne nennenswerte Verluste auf praktisch demselben Punkt gehalten, und das trotz eures brutalen und dummen Widerstandes.

Warum nur könnt ihr nicht lernen, mit euresgleichen in friedlichem Einvernehmen zu leben, warum geht ihr seit Jahrhunderten eurem endgültigen Aussterben entgegen und unterscheidet euch dabei nicht sehr von den stummen Kreaturen, die euch dienen! Ein Volk ohne Schrift, ohne Kunst, ohne Heimat, ohne Liebe, Opfer eines uralten, schrecklichen Gemeinschaftssinnes. Ihr besitzt alles gemeinschaftlich, sogar eure Frauen und Kinder, und im Ergebnis gehört euch überhaupt nichts. Ihr haßt einander, wie ihr alles außer euch selbst haßt. Kehrt um, lebt wie eure Vorfahren, tretet in das Licht der Freundlichkeit und Gemeinsamkeit. Der Weg steht euch offen, die roten Menschen reichen euch die Hand, um euch zu helfen. Gemeinsam können wir noch mehr tun, um unseren sterbenden Planeten neu zu gestalten. Die Enkelin des größten und mächtigsten der roten Jeddaks fragt euch. Werdet ihr kommen?«

Lorquas Ptomel und die Krieger blieben schweigend sitzen und blickten die junge Frau einige Augenblicke nach ihrer Rede forschend an. Was in ihren Köpfen vor sich ging, weiß kein Mensch, doch ich glaube, daß sie ernsthaft bewegt waren, und wenn ein Mann von Bedeutung unter ihnen stark genug gewesen wäre, sich den Bräuchen zu widersetzen, hätte dieser Moment den Beginn einer neuen und mächtigen Ära auf dem Mars bezeichnet.

Ich sah, wie Tars Tarkas sich erhob um zu antworten, ein Ausdruck auf seinem Gesicht, wie ich ihn noch bei keinem grünen Marskrieger gesehen hatte. Es sprach von einem mächtigen inneren Kampf mit sich selbst, mit dem Erbe, mit jahrhundertealtem Brauchtum, und als er den Mund auftat, erhellte für einen kurzen Moment ein beinahe gütiger, freundlicher Schein sein finsteres und furchteinflößendes Gesicht.

Welche bedeutenden Worte ihm auch über die Lippen kommen sollten, sie wurden nie gesprochen, da in diesem Augenblick ein junger Krieger, der offensichtlich die Gedankengänge der älteren Männer spürte, von den Stufen des Podiums sprang und der zierlichen Gefangenen einen kräftigen Schlag ins Gesicht versetzte, der sie zu Boden stürzen ließ. Dann setzte er den Fuß auf ihren Körper, wandte sich an den versammelten Rat und brach in ein dröhnendes und mitleidsloses Gelächter aus.

Einen Augenblick lang glaubte ich, Tars Tarkas würde ihn totschlagen, auch verhieß der Anblick von Lorquas Ptomel gegenüber dem Unhold nichts Gutes, doch die Stimmung verflog, das alte Ich erlangte bei ihnen wieder die Überlegenheit und sie lächelten. Dennoch war bemerkenswert, daß sie nicht laut lachten, denn nach dem Humorverständnis der grünen Menschen war die Handlung des Grobians eigentlich ungeheuer spaßig.

Ich habe jetzt einige Augenblicke darauf verwendet, einen Teil des Geschehens niederzuschreiben. Das bedeutet nicht, daß ich eine solch lange Zeit untätig geblieben wäre. Ich denke, ich muß das Kommende geahnt haben, denn mir fällt ein, daß ich bereits zum Sprung angesetzt hatte, als ich ihn zum Schlag ausholen sah, und noch bevor die Hand ihr nach oben gewandtes, flehentlich blickendes Gesicht traf, war ich unterwegs.

Kaum ließ er sein schreckliches Gelächter zum ersten Mal erschallen, da war ich schon auf ihm. Der Unhold war zwölf Fuß groß und bis an die Zähne bewaffnet, aber ich glaube, ich hätte es in meiner Wut mit dem ganzen Saal aufnehmen können. Ich sprang nach oben, und als er sich auf meinen Warnschrei hin umwandte, schlug ich ihn mitten ins Gesicht. Er griff zu seinem Dolch, und auch ich zückte meinen, sprang wieder hoch, hakte mich mit dem einen Bein an seinem Pistolengriff fest und packte mit der linken einen seiner riesigen Hauer, während ich ihm einen Dolchstoß nach dem anderen in die Brust versetzte.

Er konnte seinen Dolch nicht nutzen, da ich zu nahe bei ihm war. Auch gelang es ihm nicht, die Pistole zu ziehen. Das stand auch in scharfem Gegensatz zu der Sitte auf dem Mars, die es untersagte, einen Krieger des eigenen Stammes im Zweikampf mit einer Waffe zu bekämpfen, mit der man nicht angegriffen worden ist. Eigentlich konnte er nur versuchen, mich loszuwerden. Er tat dies mit aller Kraft, doch umsonst. Trotz seines massigen Körpers war er, wenn überhaupt, nur wenig stärker als ich, und es dauerte lediglich ein oder zwei Augenblicke, bis er leblos und blutüberströmt zu Boden sank.

Dejah Thoris hatte sich etwas aufgerichtet und den Kampf mit großen, überraschten Augen verfolgt. Als ich wieder auf den Füßen stand, nahm ich sie auf die Arme und trug sie zu einer der Bänke an einer Seite des Saales. Wieder griff kein Marsmensch ein. Ich riß einen Streifen Seide von meinem Umhang und versuchte, das Blut zu stillen, das ihr aus der Nase strömte, mit gutem Erfolg, denn ihre Verletzungen waren kaum mehr als gewöhnliches Nasenbluten, und als sie sprechen konnte, legte sie mir die Hand auf den Arm, blickte mich an und sagte: »Warum hast du das getan? Du, der du mir in der ersten Stunde meines Leidens nicht einmal den freundlichen Erkennensgruß entbotest! Du riskierst dein Leben und tötest um meinetwillen einen deiner Kameraden. Ich verstehe das nicht. Welch seltsamer Mensch bist du, daß du mit den grünen Marsmenschen verkehrst, obwohl du aussiehst wie jemand aus meinem Volk, während deine Hautfarbe nur ein wenig dunkler ist als jene der weißen Affen. Sag mir, bist du ein Mensch oder mehr als ein Mensch?«

»Das ist eine seltsame Geschichte«, erwiderte ich. »Sie ist zu lang, um sie dir jetzt zu erzählen, und von einer Art, daß ich sie selber nicht für wahr halten kann und nicht zu hoffen wage, daß andere sie mir glauben. Gib dich im Augenblick damit zufrieden, daß ich dein Freund bin, und soweit es unsere Bewacher erlauben, dein Beschützer und Diener.«

»Dann bist auch du ein Gefangener? Warum besitzt du dann die Waffen und den Schmuck eines Befehlshabers von Thark? Wie ist dein Name? Wo befindet sich dein Land?«

»Ja, Dejah Thoris, auch ich bin ein Gefangener, mein Name ist John Carter und ich nenne Virginia meine Heimat, einen der Vereinigten Staaten von Amerika auf der Erde. Warum man mir erlaubt, Waffen zu tragen, weiß ich nicht, auch war mir unbekannt, daß meine Insignien die eines Anführers sind.«

An dieser Stelle wurden wir von einem Krieger unterbrochen, der Waffen, Ausrüstung und Schmuck trug, und binnen einer Sekunde hatte sich eine ihrer Fragen erübrigt. Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Ich sah, daß man meinem toten Gegner die Ausrüstung abgenommen hatte, und erkannte in dem drohenden und gleichzeitig respektvollen Auftreten desjenigen, der mir diese Trophäen überreichte, dieselbe Einstellung wie damals, als mir der andere Krieger meine erste Ausrüstung gebracht hatte. Nun wurde mir zum ersten Mal bewußt, daß mein Kampf im Audienzsaal für meinen Gegner tödlich verlaufen war.

Damit wurde auch der Grund für die allgemeine Einstellung mir gegenüber deutlich. Ich hatte mir sozusagen meine Sporen verdient, nach jenem rauhen Recht, das die Angelegenheiten auf dem Mars immer regelte und mich den Mars unter anderem als Planet der Widersprüche bezeichnen läßt. Man erwies mir die Ehren, die dem Sieger gebührten und verlieh mir die Ausrüstung und die Position des Mannes, den ich getötet hatte. Ich besaß wahrhaftig Befehlsgewalt auf dem Mars, und wie ich später erfuhr, resultierte daraus meine Freiheit. Deswegen hatte man mich im Audienzsaal geduldet.

Als ich mich umwandte, um die Habseligkeiten des toten Kriegers in Empfang zu nehmen, bemerkte ich, daß Tars Tarkas und einige andere auf uns zukamen. Ersterer blickte mich spöttisch an und fragte: »Du sprichst die Sprache von Barsoom sehr flüssig für jemanden, der uns gegenüber noch vor einigen Tagen taubstumm war. Wo hast du sie gelernt, John Carter?«

»Du selbst bist dafür verantwortlich, Tars Tarkas, da du mir eine bemerkenswert gute Lehrerin gegeben hast; ich verdanke mein Wissen Sola«, erwiderte ich.

»Sie hat gute Arbeit geleistet«, entgegnete er. »Dennoch bedarf deine Erziehung noch der Vervollkommnung. Weißt du, was deine unerwartete Tollkühnheit dich gekostet hätte, wenn du keinen der beiden Anführer getötet hättest, deren Ausrüstung du nun an dir trägst?«

»Ich nehme an, daß einer von ihnen mich umgebracht hätte«, antwortete ich lächelnd.

»Nein, da irrst du. Nur in Notwehr würde ein Marsmensch einen Gefangenen töten. Wir heben sie uns lieber für andere Zwecke auf.« Sein Gesicht sprach Bände über die Möglichkeiten, die man besser schnell vergaß.

»Nur eine Sache kann dich nun retten«, fuhr er fort. »Sollte Tal Hajus dich in Anerkennung deines bemerkenswerten Mutes, deiner Grausamkeit und deines außergewöhnlichen Könnens für wert erachten, ihm zu Diensten zu sein, würde man dich als voll berechtigten Thark in unsere Gemeinschaft aufnehmen. Bis wir das Hauptquartier von Tal Hajus erreichen, soll dir nach Lorquas Ptomels Willen für dein Handeln die gebührende Achtung zuteil werden. Du wirst von uns wie ein Befehlshaber von Thark behandelt, doch darfst du nicht vergessen, daß jeder Anführer deines Ranges dafür verantwortlich ist, dich unserem mächtigen und erbarmungslosen Herrscher unversehrt zu übergeben. Ich habe gesprochen.«

»Ich habe gehört, Tars Tarkas«, antwortete ich. »Wie du weißt, stamme ich nicht aus Barsoom, eure Gewohnheiten sind nicht die meinigen, und ich kann auch zukünftig nur so handeln wie bisher, in Übereinstimmung mit meinem Gewissen und nach den Regeln meines eigenen Volkes. Wenn du mich gehen läßt, werde ich in Frieden gehen. Wenn nicht, sollen die Bewohner von Barsoom, mit denen ich zu tun habe, entweder meine Rechte als Fremder respektieren, oder sich mit den etwaigen Folgen auseinandersetzen. Eines kann ich dir jedoch versichern: Was auch immer ihr mit dieser unglückseligen jungen Frau letztendlich zu tun beabsichtigt, wer sie in Zukunft verletzt oder beleidigt, muß damit rechnen, sich mir gegenüber dafür zu rechtfertigen. Ich verstehe, daß Gefühle wie Großzügigkeit und Liebenswürdigkeit für euch nicht zählen. Für mich sind sie jedoch wichtig, und ich kann auch eure tapfersten Krieger davon überzeugen, daß diese Eigenschaften die Fähigkeit zu kämpfen nicht ausschließen.«

Normalerweise bin ich kein großer Redner, auch hatte ich mich nie zuvor zu schwülstigen Äußerungen hinreißen lassen. Doch ich hatte den Grundton in der Seele der grünen Marsmenschen gesucht und gefunden, denn meine leidenschaftliche Rede beeindruckte sie offenkundig zutiefst, und sie nahmen mir gegenüber danach eine noch ehrfürchtigere Haltung ein.

Tars Tarkas schien meine Antwort zufriedenzustellen, doch seine knappe Antwort blieb mehr oder weniger rätselhaft. »Und ich denke, ich kenne Tal Hajus, Jeddak von Thark.«

Nun wandte ich meine Aufmerksamkeit Dejah Thoris zu, half ihr auf, wandte mich mit ihr dem Ausgang zu, und ignorierte dabei völlig die wartenden Harpyien und fragenden Blicke der Anführer. War ich nicht auch ein Anführer? Dann wollte ich auch die Verantwortung eines solchen übernehmen. Sie belästigten uns nicht weiter, und so verließen Dejah Thoris, Prinzessin von Helium, und John Carter, Gentleman von Virginia, gefolgt vom treuen Woola in völliger Stille den Audienzsaal von Lorquas Ptomel, dem Jed der Thark von Barsoom.

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