19. Der Kampf in der Arena

Langsam erlangte ich meine Fassung wieder und unternahm einen weiteren Versuch, die Schlüssel an mich zu bringen. Als ich aber im Dunkeln nach dem Leichnam meines früheren Wärters tastete, mußte ich zu meinem Entsetzen feststellen, daß er verschwunden war. Dann wurde mir die Wahrheit schlagartig klar: Die Wesen mit den glühenden Augen hatten mir meine Beute entrissen, um ihn in der Nachbarhöhle verschlingen zu können, so wie sie seit Tagen, Wochen, Monaten, während der ganzen schrecklichen Ewigkeit meiner Gefangenschaft nur darauf gewartet hatten, sich an meinem Kadaver zu laben.

Zwei Tage lang brachte man mir keine Nahrung, dann erschien jedoch ein neuer Wärter, und mein Leben im Kerker ging weiter wie zuvor. Doch ließ ich diesmal nicht zu, daß das grauenvolle Dasein meinen Verstand zermürbte.

Kurz nach diesem Zwischenfall brachte man einen anderen Gefangenen herein und kettete ihn in meiner Nähe an. Im trüben Licht der Fackel sah ich, daß es ein roter Marsmensch war, und ich konnte es kaum erwarten, daß die Wachen verschwanden, um ihn anzusprechen. Als ihre Schritte verklungen waren, rief ich ihm leise das Grußwort des Mars zu, Kaor.

»Wer bist du, der du aus der Dunkelheit zu mir sprichst?« fragte er.

»John Carter, ein Freund der roten Menschen von Helium.«

»Ich komme aus Helium, doch kann ich mich nicht an deinen Namen erinnern«, erwiderte er.

Nun erzählte ich ihm meine Geschichte, wie ich sie hier niedergeschrieben habe, ließ nur meine Liebe zu Dejah Thoris unerwähnt. Die Neuigkeiten über die Prinzessin von Helium überraschten ihn sehr, und er meinte, dem Ausgangspunkt nach zu urteilen, wo ich sie und Sola verlassen hatte, wären sie entkommen. Er sagte, er kenne die Stelle gut, da der Hohlweg, durch den die Warhoon gekommen waren, bevor sie uns entdeckten, die einzige gen Süden führende Marschroute sei.

»Dejah Thoris und Sola sind keine fünf Meilen von einer großen Wasserstraße entfernt ins Gebirge gegangen und befinden sich nun sehr wahrscheinlich in Sicherheit«, beteuerte er.

Mein Mitgefangener hieß Kantos Kan. Er war ein Padwar (Leutnant) der Kriegsmarine von Helium, hatte ebenfalls an der mißglückten Expedition teilgenommen, hei der Dejah Thoris den Thark in die Hände gefallen war, und schilderte kurz, was nach der Niederlage der Kampfschiffe vorgefallen war.

Schwer angeschlagen und nur teilweise bemannt, hatten sie sich langsam gen Helium geschleppt, aber als sie in der Nähe von Zodanga vorbeikamen, der Hauptstadt der Erzfeinde von Helium unter den roten Menschen von Barsoom, waren sie von einem großen Trupp Kriegsschiffe angegriffen, und bis auf das Schiff von Kantos« Kan entweder alle zerstört oder gefangengenommen worden. Tagelang jagten drei Kriegsschiffe Zodangas hinter ihnen her, doch schließlich konnten sie ihnen während einer mondlosen Nacht entwischen.

Dreißig Tage nach der Gefangennahme von Dejah Thoris, ungefähr zur Zeit unserer Ankunft in Thark, erreichte sein Schiff mit ungefähr zehn Überlebenden von einer ursprünglichen Besatzung von siebenhundert Offizieren und Mannschaften Helium. Sofort wurden sieben große Flotten mit je einhundert mächtigen Kriegsschiffen ausgesandt, um nach Dejah Thoris zu suchen, und von diesen Schiffen blieben zweitausend kleinere ständig draußen und suchten weiter vergebens nach der vermißten Prinzessin.

Die Rächer machten zwei grüne Stämme dem Erdboden gleich, doch von Dejah Thoris fehlte weiterhin jede Spur. Man hatte sie bei den Völkern im Norden gesucht, erst in den letzten Tagen führte ihr Weg gen Süden.

Kantos Kan war in eine Abteilung kleiner Einmannflugzeuge abkommandiert worden, und unglücklicherweise hatten ihn die Warhoon beim Erkunden ihrer Stadt entdeckt. Der Mut und die Kühnheit dieses Mannes flößten mir großen Respekt und Bewunderung ein. Mutterseelenallein war er am Stadtrand gelandet und hatte zu Fuß die am Platz liegenden Gebäude durchstöbert. Zwei Tage und Nächte durchforschte er die Unterkünfte und Kerker auf der Suche nach seiner geliebten Prinzessin, um beim Verlassen der Stadt, nachdem er sich vergewissert hatte, daß Dejah Thoris hier nicht gefangen gehalten wurde, einer Gruppe Warhoon in die Hände zu fallen.

Während unserer Gefangenschaft lernten Kantos Kan und ich einander kennen, und zwischen uns entwickelte sich eine enge und warmherzige Freundschaft. Nach wenigen Tagen schon wurden wir jedoch wegen der großen Spiele aus dem Kerker geschleift. An einem frühen Morgen führte man uns in ein riesiges Amphitheater, das man jedoch nicht zu ebener Erde errichtet, sondern wie eine Grube ausgeschachtet hatte. Teilweise hatten sich Trümmer darin angesammelt, so daß ich nicht sagen konnte, wie groß es ursprünglich gewesen war. Zur Zeit fanden alle zwanzigtausend Angehörige der verschiedenen Warhoon-Horden darin Platz.

Die Arena war riesig, doch uneben und verwahrlost. An den Rändern hatten die Warhoon Steine aus einigen Ruinen der alten Stadt aufgeschichtet, die Tiere und Gefangene von der Flucht in die Zuschauerreihen abhalten sollten. An beiden Enden befanden sich Käfige, in denen sich die Unglücklichen aufhielten, bis sie an der Reihe waren, in der Arena irgendeinem schrecklichen Tod entgegenzutreten.

Man sperrte Kantos Kan und mich zusammen in einen davon. In den anderen befanden sich ungebändigte Calots, Thoats, tollwütige Zitidars, grüne Krieger, Frauen von anderen Stämmen und viele fremdartige, wilde Tiere von Barsoom, wie ich sie noch nie zuvor zu Gesicht bekommen hatte. Ihr Gebrüll, Geknurr und Gekreisch war ohrenbetäubend, und das furchteinflößende Aussehen eines jeden von ihnen genügte, dem tapfersten Gemüt einen Schauer über den Rücken zu jagen.

Kantos Kan erklärte mir, daß einer der Gefangenen sich am Ende des Tages die Freiheit erkämpft haben würde, während die anderen tot in der Arena liegen würden. Die Sieger der verschiedenen Wettkämpfe würden gegeneinander antreten, bis schließlich nur zwei am Leben blieben. Der Sieger des letzten Kampfes, sei es Mensch oder Tier, erhielt seine Freiheit. Am nächsten Morgen würde man weitere Opfer in die Käfige führen, und so ging es die nächsten zehn Tage der Spiele in einem fort. Kurz nachdem man uns eingesperrt hatte, begann sich das Amphitheater zu füllen, und innerhalb einer Stunde war jeder Platz besetzt. Dak Kova, seine Jeds und Anführer saßen auf einer Seite der Arena in der Mitte auf einer riesigen erhöhten Bühne.

Auf ein Zeichen von Dak Kova wurden die Türen zweier Käfige aufgestoßen und ein Dutzend grüne Marsfrauen in die Arena getrieben. Jede erhielt einen Dolch, dann ließ man von der anderen Seite eine Meute Calots, etwa zwölf dieser wilden Hunde, auf sie los.

Als die Untiere knurrend und schäumend gegen die fast hilflosen Frauen anrannten, wandte ich mich ab, um das schrecklichen Geschehen nicht mit anzusehen. Das Gejohle und Gelächter der grünen Horde zeugte davon, wie sehr sie sich amüsierten, und als ich mich wieder umwandte, da mir Kantos Kan mitgeteilt hatte, daß alles vorüber sei, sah ich, wie drei siegreiche Calots zähnefletschend über den Körpern ihrer Opfer standen und knurrten. Trotz allem hatten sich die Frauen wacker geschlagen.

Als nächstes wurde ein tollwütiges Zitidar auf die übriggebliebenen Hunde losgelassen, und so setzte sich das den ganzen, heißen und schrecklichen Tag lang fort.

Im Verlaufe des Tages mußte ich zuerst gegen Menschen und dann gegen Tiere kämpfen. Da ich aber das lange Schwert bei mir trug und außerdem meinem jeweiligen Gegner hinsichtlich Beweglichkeit und Kraft weitaus überlegen war, war alles für mich nur ein Kinderspiel. Immer wieder gewann ich den Beifall der blutrünstigen Massen, und gegen Ende vernahm ich Rufe, man solle mich aus der Arena nehmen und zu einem Mitglied der Horden der Warhoon machen.

Schließlich waren nur noch drei von uns übrig: ein großer grüner Krieger von einem Stamm weit oben im Norden, Kantos Kan und ich. Erst sollten die beiden gegeneinander antreten, dann würde ich mit dem Sieger um die Freiheit kämpfen, wie es dem Gewinner des letzten Duelles zustand.

Kantos Kan war im Verlaufe des Tages einige Male angetreten und dabei immer als Sieger hervorgegangen, jedoch stets äußerst knapp, besonders gegen die grünen Krieger. Ich hatte wenig Hoffnung, daß er seinen riesigen Widersacher besiegte, der zuvor alle anderen niedergemetzelt hatte. Der Unhold war fast sechzehn Fuß hoch, Kantos Kan hingegen maß nicht einmal sechs Fuß. Als sie aufeinander losgingen, wurde ich zum ersten Mal Zeuge einer bestimmten Schwertkampftechnik, die Kantos Kans Hoffnung auf Sieg und Leben begründet erscheinen ließ, denn als er dem riesigen Menschen fast zwanzig Fuß nahegekommen war, holte er mit dem Schwert weit nach hinten aus und schleuderte es mit der Spitze voran auf den grünen Krieger. Es flog pfeilgerade und durchbohrte dem armen Teufel das Herz, so daß er tot auf den Boden der Arena niedersank.

Nun mußten Kantos Kan und ich gegeneinander antreten, doch als er bei mir war, flüsterte ich ihm zu, er möge den Kampf bis zum Einbruch der Dunkelheit hinauszögern, vielleicht fand sich dann eine Fluchtmöglichkeit. Die Horde erriet offenbar, daß uns der Sinn nicht nach einem Duell stand, und heulte vor Wut, da keiner dem anderen den Todesstoß versetzte. Als ich bemerkte, wie es plötzlich dunkelte, raunte ich Kantos Kan zu, er solle mir das Schwert zwischen den Arm und den Körper stoßen. Er tat. wie ihm geheißen, ich taumelte nach hinten, das Schwert fest zwischen dem linken Arm und dem Körper, und fiel zu Boden, scheinbar von der Waffe durchbohrt. Kantos Kan erriet, was ich vorhatte, trat schnell neben mich, setzte mir den Fuß ins Genick, zog mir das Schwert aus der Brust und versetzte mir den Todesstoß in den Hals, wobei die Halsschlagader durchtrennt werden sollte, doch glitt die kalte Klinge in diesem Fall harmlos in den Sand der Arena. In der inzwischen vorherrschenden Dunkelheit mußte jeder annehmen, daß er mich erledigt hatte. Ich wisperte ihm zu, er solle gehen, seine Freilassung fordern und mich dann im Gebirge östlich der Stadt erwarten, und so verließ er mich.

Als sich das Amphitheater geleert hatte, kletterte ich vorsichtig nach oben, und da es weit vom Platz entfernt in einem unbewohnten Teil der großen toten Stadt gelegen war, bereitete es mir kaum Schwierigkeiten, mich zu den dahinterliegenden Hügeln zu begeben.

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