9. Ich erlerne die Sprache

Als ich wieder zu mir kam und zu Sola blickte, die diesen Zwischenfall mitverfolgt hatte, bemerkte ich zu meinem Erstaunen in ihrem Gesicht anstelle der gewohnten Gleichgültigkeit einen höchst seltsamen Ausdruck. Natürlich konnte ich ihre Gedanken nicht lesen, auch reichten meine Sprachkenntnisse lediglich für den täglichen Bedarf.

Am Eingang unseres Gebäudes erwartete mich eine merkwürdige Überraschung. Ein Krieger trat mit Waffen, Schmuck und vollständiger Kampfausrüstung auf mich zu und überreichte sie mir mit einigen unverständlichen Worten und einem ebenso respektvollen wie drohendem Gebaren.

Später paßte Sola mit Hilfe einiger anderer Frauen die Ausrüstung meinen kleineren Körpermaßen an, so daß ich fortan in voller Kriegsausrüstung umherlief.

Von da an unterwies mich Sola im Gebrauch der verschiedenen Waffen. Auch verbrachte ich viele Stunden für Übungen mit dem jungen Marsmenschen auf dem Forum. Noch war ich nicht sehr gewandt in der Handhabung der Waffen, doch da ich mit ähnlichen auf der Erde bestens vertraut war, wurde ich bald ein ungewöhnlich gelehriger Schüler und kam zu meiner Freude sehr schnell voran.

Um unsere Erziehung kümmerten sich ausschließlich die Frauen, doch bestand ihre Aufgabe nicht nur in der Ausbildung der Jugendlichen auf dem Gebiet der Selbstverteidigung und des Angriffs, sondern auch in der Herstellung jener Gegenstände, die die grünen Marsmenschen bei sich trugen. Sie produzierten das Pulver, die Patronen und die Gewehre. Im Grunde wurde alles von Wert von den Frauen erzeugt. In Kriegszeiten bildeten sie einen Teil der Reservetruppen, und wenn nötig, kämpften sie sogar intelligenter und grausamer als die Männer.

Die Männer werden in den höheren Bereichen der Kriegskunst ausgebildet; sie üben sich in Taktik und in größeren Truppenbewegungen. Gesetze schaffen sie sich nach Bedarf, es gibt für jeden Fall eine neue Regel. In der Rechtsprechung spielen Präzedenzfälle keine Rolle. Bräuche werden über Jahrhunderte überliefert, doch wenn einer einen mißachtet, richten die Mitmenschen des Schuldigen individuell über den Fall, und so denke ich, daß der Gerechtigkeit Genüge getan wird und sie eher über das Gesetz zu herrschen scheint. Zumindest in einer Hinsicht sind die Marsmenschen ein glückliches Volk: Sie haben keine Rechtsgelehrten.

Ich sah die Gefangene erst einige Tage nach unserem ersten Zusammentreffen wieder, und auch da erhaschte ich nur einen flüchtigen Blick von ihr, als man sie zu dem großen Saal führte, wo ich zum ersten Mal mit Lorquas Ptomel zusammengetroffen war. Mir fiel die unnötige Grausamkeit und Brutalität auf, mit der die Wachen sie behandelten, da sie sich so sehr von der fast mütterlichen Fürsorge Solas und der respektvollen Haltung einiger weniger grüner Marsmenschen unterschied, sofern sie mich überhaupt eines Blickes würdigten.

In den zwei Fällen, in denen ich die Gefangene gesehen hatte, bemerkte ich, daß sie mit ihren Bewachern einige Worte wechselte. Demnach konnten sie sich in einer gemeinsamen Sprache unterhalten oder zumindest verständlich machen. Dadurch angespornt, drängte ich Sola noch mehr, meine Ausbildung zu beschleunigen, und innerhalb weniger Tage beherrschte ich die Sprache hinreichend, um mich einigermaßen unterhalten und alles Gehörte voll verstehen zu können.

Zu dieser Zeit lebten neben Sola, ihrem jungen Mündel, mir und meinem Hund noch drei oder vier Frauen und mehrere kürzlich geschlüpfte Jungen in unseren Schlafräumen. Wenn sie sich zur Nacht zurückgezogen hatten, pflegten sich die Erwachsenen noch für kurze Zeit über alles mögliche zu unterhalten, bevor sie in den Schlaf sanken. Da ich nun die Sprache verstand, wurde ich zu einem eifrigen Zuhörer, obwohl ich niemals selbst eine Bemerkung einwarf.

An dem Abend, nach dem die Gefangene im Audienzzimmer vorgeführt worden war, berührte die Unterhaltung schließlich auch dieses Thema, und ich war augenblicklich ganz Ohr. Ich hatte mich gescheut, Sola über die schöne Gefangene zu befragen, da ich immer wieder den seltsamen Gesichtsausdruck vor Augen hatte, den ich nach meinem Zusammentreffen mit der Gefangenen bei ihr beobachtet hatte. Ich will nicht sagen, daß er von Eifersucht zeugte, doch fühlte ich, zumal ich alles noch immer mit weltlichen Maßstäben maß, daß es besser war, Gleichgültigkeit vorzutäuschen, bis ich Solas Einstellung in dieser Angelegenheit besser kennengelernt hatte. Sarkoja, eine der älteren Frauen, die mit uns die Schlafräume teilte, war als eine der Wachen im Audienzsaal anwesend gewesen, an sie wandten sich die Fragenden. Eine der Frauen wollte wissen: »Wann können wir uns an den Todesqualen der Roten erfreuen? Oder behält Lorquas Ptomel, der Jed, sie wegen eines Lösegeldes?«

»Sie haben entschieden, sie mit zu Thark zu nehmen und ihren Todeskampf bei den großen Spielen vor Tal Hajus zur Schau zu stellen«, erwiderte Sarkoja.

»Auf welche Art wird sie sterben?« erkundigte sie Sola. »Sie ist sehr klein und sehr schön, ich hatte gehofft, man würde ein Lösegeld für sie fordern.«

Sarkoja und die anderen Frauen grunzten ärgerlich angesichts eines solchen Zeichens von Schwäche.

»Du hättest vor einer Million Jahre geboren werden müssen, Sola, als alle Mulden des Landes mit Wasser gefüllt und die Leute so weich waren wie das Zeug, auf dem sie segelten«, schnauzte Sarkoja. »Zu unserer Zeit befinden wir uns auf einer Entwicklungsstufe, wo solche Gefühle Anzeichen von Schwäche und Rückfall in alte Verhaltensweisen bedeuten. Tars Tarkas sollte nicht zu Ohren kommen, daß du solche krankhaften Gefühle hegst, da ich bezweifle, daß er jemanden wie dich dann mit einer so ernsthaften Verantwortung wie Mutterschaft betraut.«

»An meinem Interesse für diese rote Frau ist nichts Falsches«, erwiderte Sola. »Sie hat uns nichts getan, auch würde sie uns keinen Schaden zufügen, wenn wir in ihre Hände fallen würden. Nur die Männer ihres Volkes stehen mit uns im Krieg, und ich denke, daß ihre Haltung uns gegenüber nur die unsrige ihnen gegenüber widerspiegelt. Mit all ihren Leuten leben sie in Frieden, außer, wenn die Pflicht sie zum Krieg auffordert, während wir mit niemandem auskommen, ewig mit allen Stämmen unserer Art in Fehde leben und einander sogar innerhalb unserer Gemeinschaft bekämpfen. Nein, es ist nur eine schreckliche Zeit pausenlosen Blutvergießens von der Stunde, in der wir die Schalen durchbrechen, bis wir uns glückselig den Armen des geheimnisvollen Flusses anvertrauen, des dunklen, uralten Iss’, der uns in ein unbekanntes, zumindest aber nicht schrecklicheres und unerträglicheres Dasein trägt! Glücklich ist tatsächlich der, der einen frühen Tod erleidet. Erzähle Tars Tarkas, was du möchtest, er kann mir kein schlimmeres Schicksal bereiten als die Fortsetzung des entsetzlichen Daseins, das wir als unser Lehen betrachten.«

Die anderen Frauen waren von diesem leidenschaftlichen Ausbruch Solas derart überrascht und erschüttert, daß sie nach einigen allgemeinen Worten des Tadels verstummten und bald darauf einschliefen. Die Episode hatte mich jedoch davon überzeugt, daß Sola dem Mädchen gutgesinnt war, und daß ich großes Glück gehabt hatte, in ihre Hände zu fallen und nicht in die einer jener anderen Frauen. Ich wußte, daß sie mich mochte, und da ich nun herausge- • funden hatte, wie sehr sie Grausamkeit und Barbarei haßte, war ich mir sicher, mich darauf verlassen zu können, daß sie mir und dem Mädchen bei der Flucht helfen würde, vorausgesetzt, eine solche lag im Rahmen des Möglichen.

Ich wußte nicht einmal, ob es irgendein besseres Dasein gab, wohin man flüchten konnte, doch strebte ich danach, mein Glück eher bei einem Volk zu versuchen, das mehr nach meiner Art geschaffen war, als länger bei den schrecklichen, blutrünstigen, grünen Marsmenschen zu bleiben. Doch wohin zu fliehen und wie, bereitete mir eben solches Kopfzerbrechen wie für den Erdenmenschen die jahrhundertelange Suche nach der Quelle des ewigen Lebens.

Ich beschloß, Sola bei der ersten Gelegenheit ins Vertrauen zu ziehen und sie ohne Umschweife um Hilfe zu bitten. Mit diesem festen Vorsatz wandte ich mich auf meinen Seidentüchern und Pelzen um und schlief bald den traumlosen und erfrischenden Schlaf eines Marsmenschen.

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