13. Liebe auf dem Mars

Nach dem Gefecht mit den Luftschiffen blieben wir einige Tage in der Stadt. Man schob den Heimmarsch so weit hinaus, um ganz sicher zu gehen, daß die Schiffe nicht zurückkehrten. Selbst ein so kriegerisches Volk wie die grünen Marsmenschen wollten nicht im offenen Land von einem solchen Geschwader überrascht werden.

Während dieser Zeit der Untätigkeit unterwies mich Tars Tarkas in vielen Bräuchen und Kriegskünsten der Thark. So lernte ich reiten wie auch den Umgang mit den großen Reittieren. Diese Kreaturen, sogenannte Thoats, sind ebenso gefährlich und hinterlistig wie ihre Reiter, doch hat man sie einmal gezähmt, lassen sie sich weitgehendst für die Zwecke der grünen Marsmenschen nutzen.

Mir waren zwei dieser Tiere aus dem Besitz der Krieger zugefallen, deren Metall ich trug, und innerhalb kurzer Zeit beherrschte ich sie genauso gut wie die Marsmenschen. Es war nicht allzu kompliziert. Reagierten die Thoats nicht schnell genug auf die durch Gedankenübertragung erteilten Anweisungen, erhielten sie einen furchtbaren Schlag zwischen die Ohren. Wenn sie sich sträubten, setzte man diese Behandlung fort, bis die Untiere sich entweder unterworfen oder ihre Reiter abgeschüttelt hatten.

In letzterem Fall folgte daraufhin ein Kampf auf Leben und Tod zwischen Reiter und Tier. War der Krieger mit der Pistole schnell genug, konnte er sich ein anderes Tier suchen, wenn nicht, lasen seine Frauen die zerfleischten Überreste auf und verbrannten diese, wie es in Thark üblich war.

Auf Grund meiner Erfahrungen mit Woola entschied ich mich, erneut ein Experiment zu wagen und meinen Thoats eine gute Behandlung angedeihen zu lassen. Zuerst zeigte ich ihnen, daß es unmöglich war, mich abzuwerfen, und schlug sie sogar mit aller Kraft zwischen die Ohren, um ihnen zu bedeuten, wer ihr Herr und Meister war. Dann erarbeitete ich mir schrittweise ihr Vertrauen, wie ich es schon unzählige Male auf der Erde mit meinen Pferden getan hatte. Ich hatte bei Tieren immer eine glückliche Hand und behandelte sie stets freundlich und menschlich, auch weil es sich auf Dauer auszahlte und ersprießlicher war. Wenn nötig, konnte ich mit weitaus weniger Skrupeln einem Menschen das Leben nehmen als einem armen Tier, welches des Denkens nicht fähig und demzufolge für sein Handeln nicht verantwortlich war.

Schon nach wenigen Tagen wurden meine Thoats von der gesamten Gemeinschaft bewundert. Sie gehorchten mir wie Hunde, äußerten auf linkische Weise ihre Zuneigung, indem sie die großen Mäuler an meinem Körper rieben, und befolgten derart fügsam und bereitwillig jeden meiner Befehle, daß die Marsmenschen meinten, ich verfügte über irgendeine irdische, auf dem Mars unbekannte Kraft.

»Hast du sie verhext?« fragte mich Tars Tarkas eines Nachmittags, als er beobachtet hatte, wie ich meinen Arm tief in den Schlund eines meiner Thoats schob, dem ein Steinchen zwischen den Zähnen steckengeblieben war, als es vom Moos auf unserem Hof gefressen hatte.

»Durch Freundlichkeit«, entgegnete ich. »Du siehst, Tars Tarkas, ein gefühlvolleres Herangehen ist sogar für einen Krieger von Wert. Ich weiß, daß meine Thoats sowohl im Kampfgetümmel als auch auf dem Marsch jedem meiner Befehle folgen werden. Daher erhöht sich meine Leistungsfähigkeit im Kampf und ich bin ein besserer Krieger, weil ich ein freundlicher Gebieter bin. Sollten deine anderen Krieger diese meine Methoden aufgreifen, werden sie feststellen, daß es sowohl für die Gemeinschaft als auch für sie von Vorteil ist. Erst vor einigen Tagen hast du mir erzählt, diese großen Tiere verwandelten auf Grund ihres unbeständigen Temperamentes oftmals einen Sieg in eine Niederlage, da sie sich im entscheidenden Moment womöglich entschließen, ihre Reiter abzuwerfen und zu zerfleischen.«

»Zeig mir, wie du das erreicht hast«, war Tars Tarkas’ einziger Kommentar.

So ausführlich wie möglich erklärte ich ihm, wie ich bei den Tieren vorgegangen war. Später ließ er mich meine Methode vor Lorquas Ptomel und allen anderen Kriegern wiederholen. Dieser Moment kennzeichnete den Beginn eines neuen Dasein für die armen Thoats, und bevor ich die Gemeinschaft von Lorquas Ptomel verließ, beobachtete ich zu meiner Befriedigung ein Regiment derart gefügiger und gehorsamer Reittiere, wie man es gern zu sehen bekommt. Militärische Bewegungen konnten somit wesentlich genauer und schneller durchgeführt werden. Sie sorgten derart für Aufsehen, daß mir Lorquas Ptomel als Zeichen der Wertschätzung meiner Dienste für die Gemeinschaft einen massiv goldenen Fußring von sich schenkte. Am siebten Tag nach der Schlacht mit den Luftschiffen nahmen wir erneut den Marsch nach Thark auf, da Lorquas Ptomel nun einen Angriff für wenig wahrscheinlich erachtete.

In den Tagen vor unserer Abreise sah ich nur wenig von Dejah Thoris, da ich völlig von der Ausbildung in der Kriegskunst und der Zähmung meiner Thoats in Anspruch genommen wurde. Die wenigen Male, die ich zu ihrer Unterkunft gegangen war, hatte ich sie nicht angetroffen, weil sie mit Sola spazieren ging oder gerade die Gebäude der näheren Umgebung erforschte. Ich hatte sie davor gewarnt, sich allzu weit vom Forum zu entfernen, da ich die großen weißen Affen fürchtete, deren Grausamkeit mir nur zu gut bekannt war. Dennoch bestand verhältnismäßig wenig Grund zur Beunruhigung, zumal Woola sie auf allen Ausflügen begleitete und Sola gut bewaffnet war.

Am Abend vor dem Abmarsch sah ich sie auf einer der großen Straßen herankommen, die aus dem Osten der Stadt zum Platz führte. Ich lief ihnen entgegen, teilte Sola mit, daß nunmehr ich auf Dejah Thoris aufpassen würde, und schickte sie unter irgendeinem nichtigen Vorwand in die Unterkunft. Ich mochte Sola und vertraute ihr, wollte jedoch mit Dejah Thoris allein sein, die für jene menschliche Anteilnahme stand, die ich auf der Erde zurückgelassen hatte. Uns schien äußerst viel miteinander zu verbinden, als wären wir unter demselben Dach geboren worden und nicht auf verschiedenen Planeten, die achtundvierzig Millionen Meilen voneinander entfernt waren.

Ich konnte sicher sein, daß sie in dieser Hinsicht meine Gefühle teilte, denn bei meinem Näherkommen wich der bedauernswert hoffnungslose Blick auf ihrem reizvollen Gesicht einem freudigen Begrüßungslächeln, als sie mir die kleine rechte Hand auf die linke Schulter legte, wie sich nur die roten Marsmenschen willkommen heißen.

»Sarkoja hat Sola erzählt, daß du ein echter Thark geworden bist und daß ich dich nun ebenso oft zu sehen bekommen werde wie jeden anderen Krieger«, erzählte sie.

»Sarkoja ist ein Lügenmaul und wird dem stolzen Anspruch der Thark auf absolute Wahrheitstreue nicht gerecht«, erwiderte ich.

Dejah Thoris lachte. »Ich wußte, auch wenn du ein Mitglied ihrer Gemeinschaft geworden bist, würdest du dennoch mein Freund bleiben. ›Ein Krieger kann sein Metall ändern, jedoch nicht sein Herz‹, lautet ein Sprichwort auf Barsoom. Ich denke, sie haben versucht, uns voneinander fernzuhalten. Immer wenn du keinen Dienst hattest, saugte sich eine der älteren Frauen aus Tars Tarkas Gefolge irgendeinen Vorwand aus den Fingern, damit du Sola und mich nicht zu Gesicht bekommst. Sie brachten mich in die Gewölbe unter den Gebäuden, ich mußte ihnen helfen, ihr schreckliches Radiumpulver zu mischen und die fürchterlichen Geschosse herzustellen. Du weißt, daß sie bei künstlichem Licht gefertigt werden müssen, denn sobald sie dem Sonnenlicht ausgesetzt werden, gehen sie in die Luft. Ist dir aufgefallen, daß ihre Kugeln explodieren, wenn sie auf einen Gegenstand treffen? Die undurchsichtige Hülle wird durch den Aufprall zerstört und setzt dabei einen fast festen Glaszylinder frei, in dessen Vorderteil sich ein winziges Partikel Radiumpulver befindet. In dem Augenblick, in dem Sonnenlicht, und sei es noch so diffus, an das Pulver kommt, explodiert dieses mit einer verheerenden Wirkung. Wenn du jemals einen Nachtkampf miterlebst, wird dir das Ausbleiben der Explosionen auffallen, während der darauffolgende Morgen beim ersten Sonnenlicht von lauten Detonationen der in der vorhergehenden Nacht abgesandten Kugeln erfüllt wird. In der Regel verwendet man des Nachts jedoch keine explosive Munition.«[1]

Obwohl ich Dejah Thoris’ Erklärungen über Details zur Kriegskunst auf dem Mars mit Interesse lauschte, beunruhigte mich eher, wie man sie behandelte. Daß man sie von mir fernhielt, war nicht überraschend. Doch daß man ihr gefährliche und mühsame Arbeiten zuwies, machte mich wütend.

»Haben sie dir irgendwelche Grausamkeiten oder Gemeinheiten zugefügt, Dejah Thoris?« fragte ich und spürte das heiße Blut meiner kriegerischen Vorfahren in mir aufwallen, während ich auf ihre Antwort wartete.

»Nur geringfügig, John Carter«, entgegnete sie. »Sie können nur meinen äußeren Stolz verletzen. Schließlich wissen sie, daß ich die Tochter von zehntausend Jeddaks bin und meine Vorfahren ohne Unterbrechung bis zum Erbauer des ersten großen Wasserweges zurückverfolgen kann. Sie kennen nicht einmal ihre leiblichen Mütter und sind deshalb eifersüchtig. Im Innersten hassen sie ihr schreckliches Schicksal und lassen ihren Groll an mir aus, da ich für all das stehe, was sie nicht haben, wonach sie sich am meisten sehnen und was sie nie bekommen. Laß uns Erbarmen mit ihnen haben, mein Gebieter, denn auch wenn wir von ihrer Hand den Tod erleiden, können wir uns dieses Mitleid leisten, denn wir stehen über ihnen, und sie wissen das.«

Wäre mir bekannt gewesen, welche Bedeutung die Worte ›mein Gebieter‹ hatten, wenn sie von einer roten Marsfrau an einen Mann gerichtet waren, hätte ich die Überraschung meines Lebens erlebt, doch das erfuhr ich erst nach vielen Monaten. Ja, ich hatte auf Barsoom noch viel zu lernen.

»Ich nehme an, es ist klüger, wie tragen unser Schicksal so würdevoll wie möglich, Dejah Thoris. Nichtsdestoweniger hoffe ich, daß ich das nächste Mal dabei bin, wenn irgendein Marsmensch, sei er grün, rot, rosa oder violett, die Frechheit besitzt, dir gegenüber auch nur die Stirn zu runzeln, meine Prinzessin.«

Bei meinen letzten Worten hielt Dejah Thoris den Atem an und starrte mich mit geweiteten Augen an. Dann atmete sie zusehends schneller, und schließlich schüttelte sie mit einem seltsamen kleinen Lachen, das neben ihren Mundwinkeln schelmische Grübchen entstehen ließ, den Kopf und rief: »Was für ein Kind! Ein großer Krieger und dennoch ein ungeschicktes kleines Kind.«

»Was habe ich getan?« fragte ich schmerzhaft verlegen.

»Eines Tages wirst du es erfahren, John Carter, wenn wir dann noch am Leben sind. Aber nicht von mir. Und ich, die Tochter von Mors Kajak, dem Sohn von Tardos Mors, habe es ohne Groll vernommen«, fügte sie abschließend hinzu.

Dann wurde sie wieder guter Dinge und lachte und scherzte mit mir über mein außergewöhnliches Können als Thark, das im Widerspruch zu meinem guten Herzen und meiner natürlichen Liebenswürdigkeit stand.

»Ich glaube, wenn du zufällig einen Feind verwundest, so nimmst du ihn dann mit nach Hause und pflegst ihn gesund«, lachte sie.

»Genau so machen wir das auf der Erde, zumindest unter zivilisierten Menschen«, entgegnete ich.

Auch das brachte sie zum Lachen. Sie konnte es nicht verstehen, denn trotz ihrer Zärtlichkeit und bezaubernden Fraulichkeit blieb sie doch ein Marsmensch, und für diesen ist nur ein toter Feind ein guter Feind, denn mit jedem toten Widersacher gibt es unter den Überlebenden mehr aufzuteilen.

Ich war sehr erpicht, zu erfahren, was ich vor einem Augenblick gesagt oder getan hatte, das sie so sehr bestürzt hatte, und so drängte ich sie weiterhin, mich aufzuklären.

»Nein, es genügt, daß du es gesagt hast und ich es vernommen habe. Doch wenn du es erfährst. John Carter, und ich dann schon nicht mehr am Lehen sein sollte, was wahrscheinlich der Fall ist, bevor der zweite Mond noch zwölfmal Barsoom umkreist hat. dann erinnere dich daran, daß ich zugehört – und gelächelt habe.«

Für mich war das alles völlig rätselhaft, doch je mehr ich auf sie einredete, desto deutlicher erteilte sie mir eine Abfuhr, und so gab ich schließlich äußerst entmutigt auf.

Der Tag hatte sich inzwischen verabschiedet, und als wir die Magistrale entlanggingen, die von den zwei Monden Barsooms erhellt wurde, und die Erde mit ihrem glänzenden grünen Auge zu uns herunterblickte, schien es, als befänden wir uns allein im Weltall, und zumindest ich war damit ganz zufrieden.

Die kühle Marsnacht griff nach uns. Ich nahm meinen seidenen Umhang ab und legte ihn Dejah Thoris um die Schultern. Als mein Arm einen Augenblick auf ihr ruhte, fühlte ich einen Schauer durch jede Faser meines Körpers laufen, wie es noch bei keiner Berührung mit einem Sterblichen geschehen war, und mir schien, daß sie sich leicht an mich lehnte. Doch ich war mir nicht sicher. Ich wußte nur, daß mein Arm länger als nötig auf ihrer Schulter lag und daß sie ihn weder abschüttelte noch etwas sagte. So gingen wir schweigend über den Boden einer sterbenden Welt, aber zumindest bei einem von uns war ein sehr altes und dennoch immer wieder neues Gefühl geweckt worden.

Ich liebte Dejah Thoris. Die Berührung ihrer nackten Schulter hatte mir gezeigt, was ich nicht mißverstehen konnte, und ich wußte, daß ich sie liebte, seit sich unsere Blicke auf dem Platz der toten Stadt Korad zum ersten Mal begegnet waren.

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