18. Angekettet in Warhoon

Ich mußte einigen Stunden bewußtlos gewesen sein und erinnere mich noch gut, wie überrascht ich war, noch am Leben zu sein.

Ich lag unter einem Stapel von Seidentüchern und Fellen in der Ecke eines kleinen Raumes, in dem sich außer mir einige grüne Krieger aufhielten. Eine alte, häßliche Frau beugte sich über mich.

Als ich die Augen aufschlug, wandte sie sich an einen der Männer und sagte: »Er bleibt am Leben, oh Jed.«

»Gut so«, erwiderte der Angesprochene, erhob sich und trat an mein Lager. »Er wird bei den großen Spielen ein seltenes Schauspiel bieten.«

Als ich ihn genauer ansah, bemerkte ich, daß er kein Thark war, denn sowohl sein Schmuck als auch sein Metall waren anders. Er war riesengroß, gräßliche Narben verunstalteten Gesicht und Oberkörper, einer der Stoßzähne war abgebrochen und ein Ohr fehlte. An jede Brust waren menschliche Schädel geschnallt, von denen getrocknete Menschenhände herabhingen.

Seine Bemerkung hinsichtlich der großen Spiele, von denen ich bei den Thark so viel gehört hatte, überzeugten mich, daß ich lediglich vom Regen in die Traufe geraten war.

Nachdem er noch einige Worte mit der Frau gewechselt hatte, sie ihm versicherte, daß ich nun kräftig genug sei, um reisen zu können, befahl er aufzusitzen und der Hauptkolonne hinterherzureiten.

Man schnallte mich fest an ein so wildes und störrisches Thoat, wie ich es noch nie gesehen hatte, und gab mir zwei Krieger zur Seite, damit es nicht durchging. Dann ging es in rasendem Tempo der Kolonne hinterher. Meine Verletzungen waren nicht sehr schmerzhaft, so schnell hatten die Umschläge und Mittel der Frau ihre wundervollen Heilkräfte entfaltet, so geschickt hatte sie die Wunden verbunden und versorgt.

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit holten wir die Haupttruppe ein, als sie gerade ihr Lager für die Nacht aufgeschlagen hatte. Man brachte mich sofort zum Anführer, dem Jeddak der Horden von Warhoon.

Wie der Jed, der mich hergebracht hatte, zeichneten ihn ebenfalls schreckliche Narben, und auch er war mit dem Brustpanzer aus Menschenschädeln und getrockneten Händen geschmückt, den offenbar alle bedeutenderen Krieger der Warhoon trugen, und der von einer unmäßigen Grausamkeit zeugte, die sogar jene der Thark hei weitem übertraf.

Der Jeddak, Bar Comas, war vergleichsweise jung. Sein alter Stellvertreter Dak Kova, jener Jed, der mich gefangen genommen hatte, brachte ihm Mißgunst und unbändigen Haß entgegen. Mir fiel sofort ins Auge, mit welchem Eifer er sich bemühte, seinen Vorgesetzten zu reizen.

Ohne seinem Herrscher die übliche formale Begrüßung zu erbieten, stieß er mich vor ihn hin und rief mit lauter, drohender Stimme:

»Ich habe eine seltsame Kreatur mit dem Metallschmuck der Thark mitgebracht, die ich zu meinem Vergnügen bei den großen Spielen auf einem wilden Thoat kämpfen lassen werde.«

»Er wird so sterben, wie es Bar Comas, dein Jeddak, es für richtig erachtet, wenn überhaupt«, entgegnete der junge Herrscher mit Ausdruck und Würde.

»Wenn überhaupt?« brüllte Dak Kova. »Bei den toten Händen an meinem Hals, er wird sterben, Bar Comas. Keine deiner Gefühlsduseleien soll ihn davor bewahren. Ach, regierte nur ein wirklicher Jeddak die Warhoon, und nicht solch ein weichherziger Schwächling, dem sogar Dak Kova mit bloßen Händen das Metall abnehmen könnte!«

Bar Comas blickte seinen trotzigen und ungehorsamen Anführer mit einem Ausdruck von Hochmut, furchtloser Verachtung und Haß kurz an, dann warf er sich wortlos und unbewaffnet auf seinen Verleumder.

Nie zuvor hatte ich zwei grüne Marsmenschen nur mit den ihnen von der Natur gegebenen Waffen kämpfen sehen, und die nachfolgende Darbietung tierischer Grausamkeiten war derart entsetzlich, wie sie sich ein normaler Mensch nicht vorzustellen vermag. Mit bloßen Händen rissen sie sich gegenseitig an Ohren und Augen, und zerschlitzten und durchbohrten einander wiederholt mit den schimmernden Stoßzähnen, bis beide von Kopf bis Fuß in Streifen zerschnitten schienen.

Bar Comas gewann zuerst im Kampf die Oberhand, denn er war stärker, schneller und intelligenter. Bald schien der Kampf vorüber zu sein, es fehlte ein entscheidender Stoß. Da rutschte Bar Comas aus, als er sich gerade aus einer Umklammerung losriß. Das war Dak Kovas Chance, er warf sich auf seinen Widersacher, grub ihm den

mächtigen Stoßzahn in die Leiste und schlitzte den jungen Jeddak mit letzter Kraft von oben bis unten auf, bis sich der große Stoßzahn in Bar Comas’ Kieferknochen verkeilte. Sieger und Besiegter rollten zerschlagen und leblos über das Moos, eine unförmige Masse zerrissenen, blutigen Fleisches.

Bar Comas war tot, und Dak Kova hatte es nur den riesenhaften Bemühungen seiner Frauen zu verdanken, daß er dem verdienten Schicksal entging. Drei Tage später ging er ohne fremde Hilfe zum Leichnam Bar Comas’, der gemäß dem Brauch noch dort lag, wo er verschieden war, setzte den Fuß auf den Nacken seines vorherigen Herrschers und übernahm den Titel Jeddak von Warhoon.

Die Hände und der Kopf des toten Jeddaks wurden abgetrennt und dem Schmuck seines siegreichen Widersachers hinzugefügt. Dann verbrannten die Frauen die Überreste unter wildem, schrecklichem Gelächter.

Die Verletzungen von Dak Kova hatten die Kolonne so lange aufgehalten, daß man nun beschloß, den geplanten Feldzug gegen eine kleine Gemeinschaft der Thark, an der man sich für die Zerstörung des Inkubators rächen wollte, auf einen Zeitpunkt nach den großen Spielen zu verschieben. Folglich machte die gesamte, zehntausend Mann starke Kolonne kehrt und begab sich auf den Heimweg nach Warhoon.

Die Art und Weise, mit der sich diese grausamen und blutrünstigen Menschen mir vorgestellt hatten, lieferte lediglich eine kleine Kostprobe der Dinge, die ich während meines Aufenthaltes bei ihnen fast täglich mitansehen mußte. Die Warhoon sind ein kleineres, doch weitaus bedrohlicheres Volk als die Thark. Kein Tag verging, ohne daß sich Angehörige der verschiedenen Stämme nicht auf Leben und Tod bekämpften. Innerhalb eines einzigen Tages wurde ich sogar Zeuge von acht tödlichen Duellen.

Nach etwa dreitägigem Marsch erreichten wir die Stadt Warhoon, wo man mich sofort in einen Kerker warf und an den Wänden sowie am Boden ankettete. Man brachte mir regelmäßig zu essen, doch auf Grund der vorherrschenden Dunkelheit vermag ich nicht zu sagen, ob ich mich Tage, Wochen oder Monate dort befand. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie derart entsetzliche Dinge erlebt, und mir ist bis heute ein Rätsel, daß mein Verstand den Schrecken der pechschwarzen Finsternis widerstand. Überall wimmelte es von Kriechtieren, kalte, schlangenartige Wesen krabbelten über mich, wenn ich mich hingelegt hatte, und gelegentlich erspähte ich in der Dunkelheit glänzende, funkelnde Augen, die mich furchteinflößend anstarrten. Kein Laut drang von oben zu mir. Mein Wächter würdigte mich keiner Silbe, wenn er mir das Essen brachte, obwohl ich ihn zuerst förmlich mit Fragen bombardierte.

Schließlich richtete sich mein zermürbter Verstand mit all dem Haß und der grenzenlosen Verachtung auf diesen einzigen Abgesandten der Horde von Warhoon, jenen fürchterlichen Kreaturen, denen ich meinen derzeitigen Aufenthalt zu verdanken hatte. *

Mir war aufgefallen, daß er mit seiner trüben Fackel immer dicht an mich herantrat, um das Essen in meiner Reichweite auf den Boden zu stellen, so daß sich sein Kopf in Höhe meiner Brust befand, wenn er sich bückte. Als ich ihn das nächste Mal kommen hörte, zog ich mich heimtückisch, wie Wahnsinnige sind, in die Ecke meiner Zelle zurück, packte ein Ende der großen Kette, mit der meine Hände gefesselt waren und lauerte ihm wie ein Raubtier auf. Als er sich bückte, um das Essen abzusetzen, holte ich mit der Kette weit aus und ließ sie mit voller Wucht auf seinem Schädel niedergehen. Ohne einen Laut sank er tot zu Boden.

Lachend und schwatzend wie ein Idiot – denn zu einem solchen entwickelte ich mich immer mehr – stürzte ich mich auf den Daliegenden und fuhr ihm an die Kehle. Da ertasteten meine Finger ein kleines Kettchen, woran einige Schlüssel hingen. Bei der Berührung dieser Schlüssel kehrte blitzschnell mein Verstand zurück. Nicht länger war ich ein lallender Irrer, sondern ein gesunder, intelligenter Mensch, der das Mittel zu seiner Flucht in den Händen hält.

Als ich meinem Opfer vorsichtig die Kette über den Kopf ziehen wollte, schaute ich auf und sah sechs Paar feuriger Augen, die mich aus der Finsternis regungslos anstarrten. Langsam kamen sie näher. Ich wich angsterfüllt vor diesem schaudererregenden Anblick zurück, kauerte mich in meine Ecke, hielt schützend die Hände vor mich. Die schrecklichen Augen rückten immer näher, bis sie bei dem Toten vor mir angelangt waren. Dann zogen sie sich allmählich zurück, diesmal aber mit einem merkwürdigen, scharrenden Geräusch, bis sie schließlich wieder in der schwarzen Finsternis meines Kerkers verschwunden waren.

Загрузка...