57 Der Patient

Ein Reporter stößt auf die Sensation des Jahrhunderts. Doch jemand wünscht anonym zu bleiben. Es gibt Mittel, Erlebtes ins Unterbewußtsein absinken zu lassen. Es gibt auch Mittel, es wieder hervorzuholen. Sonst hätte diese Geschichte nicht erzählt werden können.

Eigenartig, schon wieder zuckt das Licht. Wie soll man da lesen können. Ich könnte der Schwester läuten, mich beschweren. Ich lege das Buch aufs Nachttischchen.

Wenn mein Arm nur bald wieder in Ordnung käme! Immer diese Schmerzen. Mühsam rutschte ich etwas vor, die Haut meines Rückens ist wund. Ich lösche die Lampe... Ein wenig schlafen!

Etwas zischt. Ein Schlag, nicht besonders laut. Ein Knirschen.

Ich bin hellwach – tappe nach dem Schalter. Ist etwas zu sehen? Mein Blick tastet die Umgebung ab – den weißlackierten Schrank – die Wand mit dem langweiligen Blumenbild – das Fenster – da ist es: Zwei Sterne aus Glassprüngen sitzen hintereinander in den blanken Scheiben. Zwei winzige Löcher in der Mitte.

Ich versuche mit den Augen in das Dunkel einzudringen, das sich draußen, hinter dem Krankenhaus, erstreckt... War das ein blauer Schein? Der sanfte Blitz eines entfernten Wetterleuchtens? Ich werde mich wohl getäuscht haben.

Aber das ist Wirklichkeit: ein Licht. Zwei helle Pünktchen hüpfen, schwanken, torkeln, verschwinden, tauchen auf.

Es fällt mir nicht ein, eine Schwester zu rufen. Ich trete ans Fenster. Der Schmerz in meinem Arm steigt hinauf bis zu den Schulterblättern und bleibt dort sitzen. Nebensächlich. Dort unten irren Menschen durch den Wald. Irgend etwas ist geschehen. Ich starre in die Finsternis.

Wie viele Minuten stehe ich nun hier? Daß meine Beine so schwach sind! Werde ich noch zum Bett kommen...?

Ich muß geschlafen haben. Ein Geräusch hat mich geweckt. Schritte auf dem Korridor. Geflüster. Eine Tür geht. Jemand ächzt. Die aufregenden Geräusche heimlicher Geschäftigkeit. Wieder raffe ich mich auf. Wozu bin ich Reporter?

Durchs Schlüsselloch ist nicht viel zu sehen. Ein wenig aber doch: Die Nachtschwester läuft hin und her, der Oberarzt verschwindet im Zimmer gegenüber. Heute abend noch war es leer.

So spät ein neuer Patient? Das muß ein Unfall sein. Der Sprung in meinem Fenster – der blaue Schein – ein Flugzeugabsturz?

Ich warte. Ich hocke am Boden und lehne mich an die Tür, um nicht zu ermüden. Allmählich beruhigt sich das Treiben. Die Nachtschwester streicht noch draußen herum. Dann Stille. Ich warte noch ein wenig...

Die Tür ist gut geölt. Der Gang riecht nach Karbol. Meine Finger ertasten Metall, die Klinke. Der Raum gegenüber ist verschlossen. Ich ziehe den Schlüssel meines eigenen Zimmers ab, vielleicht paßt er...

Er paßt. Unangenehm laut das Geräusch... Langsam drücke ich die Tür auf... Der Raum ist dunkel... Schnaufende Atemzüge... Was tun? Ich wage es. Die Neonröhre flackert auf. Schmerzend grell ist das Licht.

Etwas liegt im Bett. Dicke Decken, ein Schädel hinter weißen Verbänden. Aber das Gesicht ist frei! Zwei pulsierende Nasenlöcher, kein Mund: ein Saugnapf! Zwei Augen, gelb, dreieckig. Zwei offene Augen, die mich anstarren. Augen, als wenn sie mich verschlingen wollten!

Oh, warum starren sie so? Der Boden dreht sich unter meinen Füßen. Meine Gedanken kreisen durcheinander. Was soll ich hier? Warum bin ich hierhergekommen? Ich kann meinen Blick nicht von den Augen lösen. Helligkeit geht von ihnen aus... Und doch sind sie dunkel, Abgründe...

Ich reiße mich zusammen. Was ist da vor mir? Ein Krankenzimmer – ein Bett aus Metallrohr – darauf saubere, zusammengebreitete Decken. Wozu bin ich hergekommen? Ein leeres, fremdes Krankenzimmer.

Wenn mich jemand sieht, hält er mich für verrückt. Ich muß rasch zurück in mein Bett. Die Tür, der Schlüssel, mein Zimmer. Das Bett...

Ich erwache. Die Schwester steht mit dem Thermometer vor mir. Ein neuer Tag. Nebelschwaden kriechen über den unbewegten Wald. Ich schiebe das Thermometer in die Achselhöhle, mechanisch, in Gedanken vertieft. In der Nacht hatte ich einen Einfall. Eine tolle Reportage. Ein Knüller. Und jetzt vollkommene Leere. Vergessen. Man soll sich solche Dinge immer gleich notieren. Aber es wird mir wieder einfallen. Ich bemühe mich. Strenge mich an.

Nichts. Habe ich irgend etwas geträumt? Ich starre auf zwei Löcher in den Fensterscheiben, von denen Sprünge in Sternform weglaufen. Waren sie gestern schon da? Ich werde die Schwester fragen. Man wird neue Scheiben einsetzen müssen.

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