Er stahl. Er stahl sogar mehr, als er wollte: das Schicksal des Erfinders.
Sehr geehrter Herr Kollege,
ich schreibe Ihnen, obwohl es sehr fraglich ist, ob Sie diesen Brief je in die Hand bekommen. Es wird sehr schwer sein, ihn hinauszuschmuggeln.
Sie haben in den letzten Tagen eine große Enttäuschung erlitten. Sie sind um die Früchte Ihrer jahrelangen Arbeit geprellt worden. Der Schuldige bin ich, ja, ich habe Ihr Manuskript gestohlen.
Aber lesen Sie bitte weiter! Sie werden sehen, daß es doch noch eine Gerechtigkeit gibt.
Ich habe schon vor Monaten bemerkt, daß Sie einer sehr wichtigen Sache auf der Spur waren. Aber erst als ich während Ihres Urlaubs in Ihren Schreibtisch eindrang, erkannte ich die ungeheure Bedeutung. Ihre Erfindung stellt den Maschinenbau auf neue Grundlagen, eröffnet neue Gesichtspunkte auf dem Gebiet der Metallverarbeitung, ermöglicht die lang gesuchte drahtlose Energieübertragung. Und – Sie wissen es natürlich selbst – ein Krieg mit den bisher üblichen Schuß- und Sprengwaffen wird sinnlos, ja: unmöglich!
Ich beneidete Sie. Jetzt waren Sie noch ein einfacher Assistent wie ich – und morgen würden Sie berühmt sein. Ich aber bliebe der kleine Handlanger, der ich immer war. Denn ich wußte: Zu solchen Ideen fehlt mir etwas, was Sie haben. Langsam reifte in mir ein Gedanke.
Ich kopierte heimlich Ihre Notizen. Ich überwachte das Reifen Ihrer Arbeit, und als das handgeschriebene Manuskript fertig zum Tippen im Schrank lag, schlich ich mich am späten Abend ins Institut, nahm es an mich und vernichtete alle Ihre sonstigen Aufzeichnungen. Noch während der Nacht schrieb ich es ab. Jetzt sollte mir jemand beweisen, daß es nicht mein Gedankengut war.
Während die Sekretärin verzweifelt die Unterlagen suchte, stand ich längst vor einer rasch einberufenen Kommission des Rats für reine und angewandte Forschung. Die Prüfung erfolgte meiner Meinung nach viel zu schnell. Aber sie erkannten die Arbeit an und gratulierten mir. Prof. Mannester klopfte mir auf die Schulter: »Haben Sie die ungeheuren Folgen Ihrer Gedanken erkannt? Wir werden keine Rüstungsindustrie mehr brauchen!« Ich war so bewegt, daß ich nicht antworten konnte.
Als ich aus dem Haus trat, kamen vier Herren auf mich zu und schoben mich mit sanfter Gewalt in eine große Limousine, die am Wegrand parkte.
»... sind jetzt eine wichtige Persönlichkeit geworden«, sagte einer der Männer. »... werden verstehen, daß wir für Ihre Sicherheit sorgen müssen!«
Ich verstand es nicht, aber sie zwangen mich. Sie brachten mich in ein Flugschiff ohne Fenster. Dann luden sie mich auf dieser Insel aus.
Erinnern Sie sich noch an McCreag, der voriges Jahr das Institut verließ, angeblich, um eine Lehrstelle in Sao Paulo anzunehmen? Denken Sie noch an das unerklärliche Verschwinden Prof. U Kan Fais aus Princetown, das damals solchen Staub aufwirbelte? Haben Sie von Dr. Kogosurow gehört und von Ing. Bonilla? Ich fand sie alle hier. Ich bin traurig, Ihnen eine zweite Enttäuschung bereiten zu müssen. Ihre Erfindung ist viel älter, als Sie denken. Alle hier anwesenden Herren – außer mir – haben sie gleichfalls gemacht.
Ich nehme an, Sie sind eben dabei, Ihre Arbeit zu rekonstruieren. Wahrscheinlich wollen Sie sie dann der Kommission vorlegen. Vielleicht haben Sie auch schon Anzeige erstattet und versuchen, die Wahrheit Ihrer Aussagen zu beweisen. Wahrscheinlich aber haben Sie ähnlich wie die hier anwesenden Herren nicht alle Konsequenzen der Erfindung bedacht. Denken Sie darüber nach, ob sie allen Mitbürgern willkommen ist! Denken Sie an Kriege und an die Rüstungsindustrie! Ich glaube, Sie werden Ihre Überlegungen nicht veröffentlichen. Wie Sie sie verwerten sollen, kann ich Ihnen nicht raten. Ich hoffe aber – und meine Mitgefangenen hoffen es mit mir –, daß Sie den richtigen Weg finden.
Mit allen guten Wünschen R. Ig. M.