Die Städte sind ausgestorben, ihre Einwohner tot. Aber noch ist etwas lebendig: die automatischen Verteidigungsanlagen. Ein Urinstinkt der Lebewesen, sich wehren, sich schützen, ist in toten Maschinen über die Zeit hinaus verankert, und ein kleiner Anstoß genügt, den Funken auszulösen.
Wie zwei Augen lagen die Kraterinseln inmitten des endlosen Meeres. Das Raumschiff sank langsam tiefer.
»Antwortet jemand auf deine Signale?« fragte Kai.
»Niemand«, murmelte Ben in seine Arbeit vertieft.
»... steuere einfach auf die Insel zu«, meinte Kai.
Die Kreise wuchsen. Gitterartige Linienzüge und Rechtecke wurden sichtbar. Sie füllten den Grund beider Krater dicht aus. Schließlich erstreckte sich der eine von beiden über den ganzen Bildschirm. Sein Durchmesser mochte 200 km betragen.
»Dort unten rührt sich nichts«, stellte Ben fest. Das Schiff erreichte eben die Gipfelhöhe des Kratergebirges – es befand sich etwa 20 km über dem Boden, auf dem jetzt Gebäude und Straßen deutlich erkennbar wurden –, als ein Ruck durch die Räume lief. Kai stoppte die Fahrt und beobachtete den Bildschirm, der die hinter ihnen liegende Region zeigte. Ben stellte auf ›nah‹ ein. Da sahen sie auch schon die Ursache: Sie hatten ein feines, silbrig glänzendes Netz durchstoßen.
»Hätte uns dieses Spinngewebe aufhalten sollen?« fragte Kai. Statt einer Antwort deutete Ben auf das Kanzelfenster. Unter ihnen wurde es lebendig. An mehreren Stellen der Riesenstadt stiegen schirmförmige Gebilde auf, die sich wie Medusen fortbewegten. Alle schlugen die Richtung gegen die zweite Kraterstadt ein.
Um ihren Flug beobachten zu können, lenkte Kai das Schiff wieder höher. Mehrere Reihen der Gebilde liefen mit steigender Geschwindigkeit über das Meer, einige waren schon über der zweiten Inselstadt. Dort hielten sie inne, schwebten einige Sekunden und fielen dann wie Säcke in das Häusermeer. Dort bewegte sich plötzlich etwas. Zwölf quaderartige Körper stiegen auf und zielten mit Parabelbahnen mitten in den ersten Krater. Hier sanken sie allmählich in die Tiefe. Dabei zogen sie sich ziehharmonikaartig zusammen und streckten sich wieder, und versprühten eine grünliche Flüssigkeit, deren Dämpfe sich träge über die Straße breiteten.
Das ging 48 Stunden so weiter. Immer neue Schirmgebilde fielen abwärts, ohne daß eine Wirkung sichtbar wurde, und immer von neuem regnete der grüne Nebel auf die Dächer. Dann war der Spuk vorbei.
»Sehen wir uns die grüne Masse an?« fragte Ben.
»Natürlich«, antwortete Kai. Mit größtmöglicher Vorsicht landeten sie im ersten Krater. Ben steckte eine Probe in ein luftdicht geschlossenes Röhrchen und untersuchte es. Kai lief im Raumanzug durch die Stadt, durchstreifte Straßen und Häuser und kehrte schließlich mit der Nachricht zurück, er hätte weder ein lebendes noch ein totes Wesen gefunden.
»Schau durchs Mikroskop!« bat Ben. Kai folgte und sah ein Gewimmel von zitternden grünen Stäbchen.
»Bakterien«, erklärte Ben.
Sie fuhren nun zum zweiten Krater. Als sie auf einem Platz hielten und ausstiegen, begann der Geigerzähler zu ticken. Sie gingen der Strahlung nach und stellten fest, daß sie von einem der schirmartigen Körper ausging, der wie ein überdimensionaler Schwamm auf dem Weg saß.
Während Ben mit seinen Messungen begann, drang Kai wieder in einige Häuser ein. Auch hier stieß er auf keine Spuren von etwas Lebendigem.
»... hast du gefunden?« fragte er, als er wieder bei Ben anlangte.
»Radioaktives Strontium«, erklärte dieser, »allerdings hat die Strahlung ganz schwache Intensität.« Sie betraten das Raumschiff und stiegen auf.
»Vielleicht sind die Wesen sehr empfindlich gegen Radioaktivität«, vermutete Kai. »... nehme an, wir sind in einen Krieg hineingekommen, und sie haben sich in unterirdische Schutzräume zurückgezogen.«
»Es gibt eine bessere Erklärung«, sagte Ben. »... du weißt, geht der Zerfall von radioaktiver Substanz unaufhaltsam vor sich. Strontium verwandelt sich dabei in Yttrium. Aus dem Mengenverhältnis zwischen dem unverbrauchten strahlenden Stoff und dem Endprodukt kann man berechnen, wie alt die radioaktive Probe ist. Ich bin auf ein Alter von 2 600 Jahren gekommen. Das erklärt, warum die Strahlung so schwach ist. Die radioaktiven Ladungen sind seit dieser Zeit nicht erneuert worden.«
»Wahrscheinlich gibt es also hier seit zweitausendsechshundert Jahren keine Lebewesen mehr!« sagte Kai. »... kam es aber zu den Kampfhandlungen?«
»... selbst haben sie ausgelöst, als wir das Netz zerrissen. Ein automatisches System schickte die radioaktiven Ladungen gegen den einzig als möglich erachteten Feind, gegen die Stadt im zweiten Krater. Auch dort gab es eine Alarmanlage, die mit einem Bakterienangriff antwortete.«
»... bin froh, daß wir nicht zweitausendsechshundert Jahre früher kamen«, meinte Kai.
»... auch«, antwortete Ben und sah noch einmal zu den beiden Krateraugen zurück, die wie vorher einsam in der glitzernden Fläche des Meeres lagen. Über einem von ihnen lag nun ein grüngrauer Schimmer.