35 Anklage

Der Mensch ist aus Tieren hervorgegangen. Die Möglichkeit, sich zur Intelligenz zu entwickeln, steckt in jedem Lebewesen, jedes Lebewesen hat unwiederbringlichen Wert.

Der Jäger trat in die rauchige Gaststube. Drei Gäste hockten am Stammtisch – ein Alter mit zerzaustem Haar und einem Bocksgrinsen, ein Dicker mit einer vorspringenden Nase wie ein Entenschnabel, ein Braunbehaarter mit hervorquellenden Kuhaugen. Alle drei sahen ihn an, und keiner von ihnen freundlich.

Er grüßte. Der Braune – er war der Wirt – stand auf.

»... steht zu Diensten, Gevatter?«

»... Scherzel Brot, ein Schluck Wein und ein Nachtlager, wenn's Euch behagt«, antwortete der Jäger. Er stellte die Armbrust in die Ofenecke. »... für morgen mag mir Eure Frau das Kaninchen braten.«

Die schwarzen Augen blickten starr. Aber dann sagte der Wirt: »Nehmt Platz und geduldet Euch ein wenig. Ich bringe Speis und Trank, und die Magd richtet Euch derweil die Kammer.«

Der Jäger setzte sich zu den andern am Tisch. Der Wein war rot und schwer, und bald verabschiedete er sich, um zu Bett zu gehen.

Pochen an der Zimmertür – lautes Schnaufen. Quietschen der Angeln...

»... da?« Ich setze mich auf. Wo sind die Schwefelhölzchen? Graue, trübe Nacht. Glasige Kuhaugen im Türrahmen – Lichter darin. Schemen an meinem Bett, ein Ochsenkopf, ein Entenschädel, das feixende Faunsgesicht eines Bocks.

»... wollt ihr von mir?« Ich schreie es heraus. »... fällt euch ein?«

Drei Schemen vor meinem Bett. Riesige Schatten an den Wänden, bewegt, schwarz.

»Hinaus mit euch.« Ich brülle. »... habe nichts, was euch interessiert! Nichts!«

»Warum hast du ihn umgebracht?« Meckern eines Bocks.

»Warum hast du ihn umgebracht?« Schnattern einer Ente.

»... habe nichts getan.« Schlagendes Herz. Verkrampfte Muskeln.

»... klage dich an.« Ein Bocksgesicht.

»Du bist vor Gericht.« Ein Entenschädel.

»Gestehe!« Ein Ochsenkopf.

Grinsen, Schnappen, Mahlen.

»... bin unschuldig!«

»Lapin ist tot.«

»Warum hast du es getan?«

»Verteidige dich!«

Köpfe, Gesichter, Fratzen. Wiegen, Schaukeln, Wanken.

»Du hast ihn ermordet!«

»Mörder!«

»Mörder!«

Dunkle Wand aus Augen, Speichelfäden, Borsten, Zähnen. »Nein, nein!« »Lapin ist tot.« »Ermordet.« »Mörder!« Ich weiß nichts. Habe ich ihn ermordet? Ich kann nicht mehr denken. Ich weiß nichts mehr. Mäuler, Geifer, Hörner, Federn. »Gestehe!«

»Gestehe!«

»Gestehe!«

Die Angst wächst ins Grenzenlose. Klauen, Flügel, Krallen, Zungen. »Laßt mich! Ich gestehe! Laßt mich! Ja, ich war es! Ich habe ihn getötet!«

Die Wand weicht zurück. Ruhe. Stille. Dann Worte, furchtbare Worte, hallend: »Wegen Mordes an Lapin zum Tode verurteilt.«

Etwas stürzt über mich. Etwas Scharfes, Blinkendes fällt, dringt ein, zerteilt...

In der Wirtsstube lag kalter Rauch. Der Wirt kauerte vor dem Ofen und schob Späne auf brennendes Stroh. Am Tisch saß der Alte mit dem zerzausten Haar und stocherte in den Zähnen, neben ihm der Breite, mit geschlossenen Augen, den spitzen Kopf in die Hand gestützt. Am zweiten Tisch kaute der Jäger sein Schwarzbrot. Die Reste seiner Mahlzeit lagen noch auf dem Teller.

Er stand auf, ergriff seinen Packen Felle, warf einen Taler auf den Tisch. Grüßte, ging hinaus, atmete tief ein. In einem versteckten Winkel seines Kopfs lag ein dumpfes, düsteres Erinnern. Aber die Morgenfrische verwischte es. Der Eifer packte ihn wieder, die Lust an der Jagd, die Freude am Lauern, Schießen, Treffen.

Eilig wandte er sich vom Weg ab und betrat den feuchten, dämmernden Wald.

Загрузка...