10 Die Rakete

Dies ist die Einsteinsche Formel für die relativistische Zeitkontraktion. Sie sagt uns, daß die Zeit in einem bewegten System langsamer verläuft als im relativ dazu ruhenden.

Gestern beschränkte sich die Anwendung auf die theoretische Physik. Schon heute hat sie praktische Bedeutung.

Kai hockte im Navigationsraum und starrte auf den Bildschirm. Die Scheibe des Riesenplaneten nahm fast ein Drittel des Gesichtsfeldes ein.

»... weit sind wir von ihm entfernt?« fragte er.

»Noch immer zweiundsiebzig Millionen Kilometer«, gab Ben zurück.

»... wann kommen wir endlich aus seinem Schatten heraus?« fragte er weiter.

Ben lächelte. »Vielleicht in zehn Tagen, vielleicht in zwanzig.« Nachdenklich fügte er nach einer Weile hinzu: »Wenn uns die Burschen dort unten in Ruhe lassen!«

Kai hatte inzwischen auf den kleinstmöglichen Gesichtswinkel eingestellt.

»Es sieht nicht so aus«, sagte er plötzlich und deutete mit der Hand auf den Bildausschnitt. »... opfern ihre Rakete.«

Ben trat neben ihn. Tatsächlich, sie war als runder Körper zu erkennen. Langsam wurde sie unscharf.

Ben drängte Kai sanft von seinem Sitz. Er regulierte die Entfernungseinstellung nach, das Gebilde bekam wieder deutliche Konturen. Die Lippen Bens bewegten sich im stummen Ablesen der Abstandswerte. Zugleich beobachtete er den Zeiger des Chronometers.

»... Ding bewegt sich mit einem Viertel der Lichtgeschwindigkeit«, meinte er dann, und in seinen Mundwinkeln lag wieder das traurige Lächeln.

»... benötigt also sechzehn Minuten bis zu uns, wovon schon zwei vergangen sind«, setzte Kai nach kurzem Überlegen fort.

Einige Minuten war es still. Bevor sie nicht Energie aus den Strahlen der geschweiften Sonne aufnehmen konnten, gab es keine Möglichkeit zum Entrinnen.

Schließlich fragte Kai: »Besteht Aussicht, daß sie uns nicht trifft?«

»... trifft uns bestimmt nicht«, antwortete Ben, »aber desto sicherer liegen wir im Explosionsfeld. Ich schätze den Wirkungsradius auf tausend bis zweitausend Kilometer.«

Zehn Minuten vergingen...

Die Bombe wurde stetig größer. Noch immer regelte Ben die Scharfeinstellung. Langsam erschien eine Seitenfläche.

»... dürfte etwa in fünfzehn Kilometer Abstand vorbeigehen«, meinte Ben. »... kommen gleich in den Wirkungskreis. Aber es gibt doch noch eine Hoffnung. Eine winzige, verrückte Hoffnung!«

»... meinst du?« fragte Kai. Seine Stimme klang heiser.

Bens Blicke flogen von der Bildfläche zum Chronometer und wieder zurück.

»Noch zehn Sekunden«, sagte er kühl und geschäftsmäßig.

Mit unbeweglichen Gesichtern beobachteten sie den Flug des langgestreckten Explosionskörpers...

Er zog ruhig vorüber.

»... ist das möglich?« fragte Kai mit abgewandtem Gesicht.

»... habe es gehofft«, antwortete Ben. »... auf irgendeine unerklärliche Art war ich sicher, daß ich mich nicht täuschen könnte. Die da unten«, und er machte mit dem Kinn eine unbestimmte Bewegung in die Richtung des Riesenplaneten, »diese reizenden, goldigen Dummköpfe haben die relativistische Zeitkontraktion vergessen.« Er hob einen Zettel auf, auf dem er zuvor einige Zahlen notiert hatte. »... Uhr in der Rakete zeigt nach sechzehn Minuten erst fünfzehneinhalb...«

Er verstummte. Die zweite Projektionsfläche, auf die die Rakete inzwischen übergetreten war, erschien jäh mit einem unerträglich hellen, milchigen Gelb überzogen. Darin wogte und strömte es, allmählich formte sich daraus eine kugelige Wolke, die nach und nach weiter anwuchs.

Doch sie konnte Kai und Ben nichts mehr anhaben.

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