Der Sturm hatte zu wüten aufgehört, und auch der Wind war zum Erliegen gekommen - zum ersten Mal, seit sie diese Insel betreten hatten. Die Männer gingen noch immer gebückt und vornüber geneigt unter der Last ihrer Bündel und der zahllosen Meilen, die sie zurückgelegt hatten, aber die unbarmherzige Kralle des eisigen Windes fehlte, und das Atmen fiel leichter. Der Himmel hatte aufgeklart: Die Wolken waren vom Sturm hinweggepeitscht worden, und auch die schwefelgelbe Farbe, die das Firmament wie ein böses Omen überzogen hatte, war wieder dem Stahlblau des Nachmittagshimmels gewichen. Trotzdem wurde es nicht richtig hell. Obwohl das Eis das Licht der Sonne reflektierte und mit seinem blendenden Weiß verstärkte, schien Cor-ty-cor in einer endlosen Dämmerung versunken zu sein, als wäre diese Insel und alles, was auf ihr war, auf ewig gefangen in einem zeitlosen Bereich zwischen Tag und Nacht, Tod und Leben.
Skar war der letzte, der die Ruine verlassen hatte, und er hielt sich auch weiter am Ende der Kolonne - wie er sagte, um ihren Rücken zu decken, so wie Del sich an die Spitze ihrer zerschlagenen Armee gesetzt hatte, um Helth jeder Möglichkeit eines überraschenden Angriffes zu berauben -, in Wahrheit aber, um allein zu sein, nachdenken zu können (oder vielleicht auch gerade nicht denken zu müssen). Es war noch mehr als eine Stunde vergangen, ehe Yar-gan den von Gowenna über die Männer gelegten Bann brechen konnte und sie endlich weitermarschiert waren. Der Sumpfmann war bemüht gewesen, Skar zu erklären, was sie getan hatte - es fielen Worte wie Hypnose und suggestiver Block, die aber Skar nichts bedeuteten und die er in diesem Moment auch gar nicht verstehen wollte. Im ersten Augenblick hatte er sich einfach geweigert, Yar-gans Worten zu glauben. »Das... das ist nicht wahr«, hatte er gestottert, schließlich geschrien, ohne weiter auf die Freisegler Rücksicht zu nehmen.
Yar-gan hatte einen Moment geschwiegen, ihn am Arm ergriffen und ein Stück in die Ruine hineingeführt, weit genug, um allein mit ihm und sicher sein zu können, daß keiner der anderen ihre Worte belauschen konnte. »Es ist wahr, Skar«, hatte der Sumpfmann ernst beteuert. »Du weißt, daß es so ist. Lausche in dich hinein. Frage deine Seele, und du wirst sehen, daß sie sie als das erkennt, was sie ist.« Skar hatte gespürt - gewußt -, daß Yar-gan die Wahrheit sprach, so sicher, wie er wußte, daß er er selbst und dieser Mann vor ihm nicht Del war. Und trotzdem war sein Verstand nicht bereit gewesen, die Wahrheit zu akzeptieren. »Sie... sie ist nicht einmal eine Errish«, hatte er hilflos gestammelt.
Yar-gan hatte den Kopf geschüttelt und ihn verständnisvoll, beinahe mitleidig, ohne daß es verletzend gewirkt hätte, angesehen und erwidert: »Sie ist viel mehr, Skar. Du und sie, ihr seid euch ähnlicher, als du ahnst. In ihr schlummern die gleichen Kräfte wie in dir, Skar. Ihr tragt beide das Erbe eurer Vorfahren, und es ist für euch beide Fluch und Segen zugleich.«
»Du meinst...«
»Ich meine das, was du deinen Dunklen Bruder nennst, Skar«, hatte ihn Yar-gan unterbrochen. »Die Stimme in deinem Inneren, die du so fürchtest und die doch ein Teil von dir ist, ein Teil, ohne den du nicht leben könntest. Das, was in deinem Kind sein wird. Vela hat diese Kraft erkannt, schon als sie Gowenna das erste Mal sah. Es war kein Zufall, daß sie dieses einfache Bauernmädchen mit sich nahm, Skar. Und es war kein Zufall, daß sie sie nicht zu den Errish brachte. Der Ehrwürdigen Mutter wäre ihre Begabung ebenfalls sofort aufgefallen, und es wäre Vela niemals möglich gewesen, sie für ihre Zwecke zu benutzen.«
Er hatte noch mehr gesagt, aber seine Worte waren nicht mehr in Skars Bewußtsein eingedrungen; er hatte sie zwar noch gehört, ohne aber ihren Sinn zu begreifen und ihre Bedeutung an seinen Geist weiterzuleiten. Er wußte, daß der Sumpfmann recht hatte. Gowenna war vor ihm in Combat gewesen, Jahre bevor er überhaupt erfuhr, daß es so etwas wie einen Stein der Macht gab, und sie war ihm näher gekommen als irgendein anderer lebender Mensch vor ihr. Sie hatte Vela widerstanden, obwohl der Errish die Macht der Alten zur Seite stand, und es war ihr sogar gelungen, die Sumpfmänner zu täuschen. »Ich... begreife das alles nicht«, hatte er nach einer Weile geflüstert. »Wenn es so ist - wenn du die Wahrheit sagst, Yar-gan, warum sind wir dann hier? Warum ist sie nicht in Elay geblieben? Niemand hätte eine Frage gestellt, niemand hätte es gewagt, an ihren Entscheidungen zu zweifeln. Die Margoi ist eine Göttin, Del! Warum diese Reise zum Berg der Götter?«
Yar-gan hatte plötzlich gelächelt, und Skar war zu Bewußtsein gekommen, daß er ihn Del genannt - und in diesem Moment auch mit Del geredet - hatte. Dann war er wieder ernst geworden. »Ich weiß es nicht, Skar. Ich habe versucht, ihren Geist zu ergründen, aber er ist mir verschlossen. Sie ist stark, viel stärker als du oder ich, auf ihre Weise. Und sie konnte nicht mit dem Dronte rechnen.«
»Konnte sie das wirklich nicht?« Skar hatte den Blick gesenkt und eine Sekunde lang das verzerrte Spiegelbild seines eigenen Gesichtes angestarrt, und für einen Moment war es ihm unwirklicher und fremdartiger als das Yar-gans vorgekommen. Er wußte, daß hinter Dels Zügen die grauen Schemen eines Schattengesichtes warteten. Und hinter seinen eigenen? Was war das, was da in ihm lauerte und ihn manchmal aus seinen eigenen Augen spöttisch ansah? Schließlich hatte er sich von dem Bild losgerissen und wieder den Sumpfmann angestarrt. »Aber selbst ohne das Zusammentreffen mit ihm wäre die Reise gefährlich und hart geworden, Yar-gan. Es ist ein weiter Weg zum Berg der Götter.«
»Vielleicht verspürte sie immer noch Angst vor Vela«, hatte Yar-gan vermutet. »Oder vor dem Kind. Vielleicht auch Angst, ihre Macht allein würde nicht ausreichen, mit ihm fertig zu werden.«
»Oder sie plante etwas, das nicht einmal die Margoi wissen durfte. Etwas, das -«
»Es nutzt nichts, wenn wir wild herumrätseln«, hatte der Sumpfmann ihn unterbrochen. Seine Stimme war plötzlich verändert; ungeduldig, beinahe drängend. »Wir müssen sie suchen, Skar.«
Suchen... Um ein Haar hätte Skar schrill aufgelacht. Allein der Gedanke, in dieser Hölle aus Kälte und Weiß einen einzelnen Menschen suchen und - in wenigen Stunden - finden zu wollen, erschien ihm lächerlich. Aber er besaß einfach nicht mehr die Kraft dazu. In diesem Moment war etwas in ihm, etwas, das die ganze Zeit unter einem unerträglichen Druck gestanden hatte, vollends zerbrochen. Wäre Helth in diesem Moment erneut aufgetaucht, um ihn zu töten, er hätte sich nicht einmal mehr gewehrt. Yar-gans weitere Worte waren nicht mehr bis zu Skars Verstand vorgedrungen, und schließlich hatte sich der Sumpfmann schweigend umgewandt und war zu den Männern gegangen, um die Wirkung von Gowennas Beeinflussung rückgängig zu machen.
Eine Veränderung in seiner Umgebung ließ ihn aus seinen Gedanken schrecken. Er sah auf, wischte die Tränen, die Müdigkeit und Erschöpfung in seine Augen getrieben hatten, mit der Hand fort und blinzelte. Vor ihnen lag eine breite, von senkrechten, in Form und Größe nicht genau auszumachenden Wänden gesäumte Straße, deren Ende sich in flackernder grauer Dämmerung verlor. Das Eis war hier trüb, durchzogen von grauen Schlieren wie gefangenen Wolken und Millionen winziger feinverästelter Risse. Dieser Anblick ließ ihn für einen Moment an die Turmruine denken, aber der Schrecken, der diese Erinnerung begleitete, verging rasch.
Ein paar der Männer waren stehengeblieben, und er sah, daß Del - Yar-gan, verbesserte er sich hastig in Gedanken - sich umgedreht hatte und heftig mit beiden Armen gestikulierte. Skar starrte ihn einen Herzschlag verständnislos an, ehe er begriff. Seine Gedanken bewegten sich zäh wie Lava. Er lud sein Bündel ab, öffnete die Spange seines Mantels, um bequemer gehen zu können, und eilte auf den Sumpfmann zu.
»Helth?« fragte er. Seine Stimme versickerte in der Luft, aber Yar-gan hätte ihn auch verstanden, wenn er ihn nicht direkt angesehen hätte. Er schüttelte den Kopf, trat beiseite und deutete nach vorn. Skar folgte der angezeigten Richtung und fuhr zusammen.
Der Weg gabelte sich vor ihnen; nach links führte die Straße so breit und eben wie bisher weiter, zur anderen Seite hin wurde sie schmaler und stieg gleichzeitig sanft an. Aber sie würden nicht frei wählen können, denn auf der linken Seite, fünfzig, allerhöchstens sechzig Schritt entfernt, standen zwei gewaltige, weiß schimmernde Gestalten - die beiden Eiskrieger, die ihnen vom See her gefolgt waren!
Skar erkannte sie sofort wieder, obwohl sie sich weiter verändert hatten und halb hinter wehenden weißen Schwaden verborgen waren, die wie Dampf vom Boden aufstiegen.
Yar-gan wollte sein Schwert ziehen, aber Skar hielt ihn mit einem raschen Kopfschütteln zurück. Es war wie die ersten beiden Male, als sie auf zwei dieser unglaublichen Wesen gestoßen waren - er wußte einerseits, daß der Gedanke schlichtweg lächerlich sein mußte, aber er spürte andererseits einfach, daß diese Krieger aus Eis nicht kämpfen wollten.
»Nicht«, sagte er leise. »Das hat keinen Zweck, Del.«
Yar-gan schob seine Waffe gehorsam in die Scheide zurück, sah Skar aber weiter verwundert an. Skar ignorierte seinen Blick und starrte weiter zu den gewaltigen weißen Gestalten vor ihnen hinüber. Sie kamen ihm größer vor als bisher, gleichzeitig aber auch schlanker, besser proportioniert und auf bedrückende Weise menschlicher, obwohl sich an ihrem Äußeren nichts geändert zu haben schien: Sie waren immer noch gigantisch, weiße Titanen, deren Körper und Rüstung eins waren, deren Hände mit Schwert und Schild verwachsen und deren Gesichter aus dem gleichen Material gemeißelt waren, aus dem diese ganze Stadt bestand. Und doch waren sie gleichzeitig anders, ganz anders. Bisher hatte er nur plumpe weiße Kolosse in ihnen gesehen, und sie waren wohl auch nicht viel mehr gewesen; mörderische, aber nur halb gelungene Kopien menschlicher Wesen. Jetzt war es anders. Skar spürte noch immer die Aura unglaublicher Kraft, die die Wesen ausstrahlten, aber es war auch etwas anderes darunter. Obwohl sie zu weit entfernt waren, um ihre Gesichter zu erkennen, war Skar sicher, daß die blitzenden weißen Flächen unter ihren Helmen nicht länger leer waren, sondern menschliche Züge aufwiesen.
Yar-gan wurde ungeduldig. »Greifen wir sie nacheinander an, oder teilen wir uns?« fragte er. Die beiden Giganten standen ein Stück voneinander entfernt; der eine etwas weiter hinten und auf der anderen Seite der Straße, so daß sie sie nicht gleichzeitig angreifen konnten. »Weder noch«, antwortete Skar, ohne den Blick von der bizarren Erscheinung vor sich zu nehmen. »Wir nehmen den anderen Weg.« Yar-gan starrte ihn ungläubig an. »Das kann nicht dein Ernst sein, Skar!« Er zog nun doch sein Schwert und deutete erregt mit der Spitze auf den rechten, freigebliebenen Weg, dann auf die beiden Eiskrieger. »Das ist eine Falle!« behauptete er. »Jedes Kind würde sie erkennen!« Skar lächelte. »Oder eine Warnung«, murmelte er.
»Unsinn«, entgegnete der Sumpfmann ungehalten. »Er wird plötzlich sein Herz für uns erkannt haben, wie?«
Skar löste sich mühsam vom Anblick der beiden titanischen Eiskrieger, drehte sich und sah Yar-gan an. Zorn verzerrte die Züge des Sumpfmannes, die gleiche jähzornige Wut, die so typisch für Del gewesen war und die ihn so oft in haarsträubende Situationen gebracht hatte. Er lächelte, aber er bezweifelte, daß Yar-gan den wahren Grund für dieses Lächeln begriff.
»Vielleicht ist es eine Falle«, gab er zu. »Aber selbst wenn, haben wir wohl keine große Auswahl, Del. Wir können nicht gegen sie kämpfen.«
»Es sind nur zwei!«
»Es waren auch nur zwei, die Gowenna und mich angegriffen haben«, widersprach Skar ruhig. »Und es waren nur zwei, auf die wir gestern gestoßen sind. Mein Gott, Del - wenn der Dronte diese Kreaturen ausgesandt hätte, um uns zu töten, hätten sie es längst getan! Er hätte Tausende von diesen Monstern auf uns hetzen können, statt nur zwei. Woher willst du wissen, daß nicht immer wieder nur zwei auftauchen? So lange, bis keiner von uns mehr übrig ist, um sie zu vernichten?«
Yar-gan schnappte hörbar nach Luft, aber Skar ließ ihn nicht zu Wort kommen, sondern sprach schnell weiter. »Möglicherweise ist es eine Falle«, sagte er noch einmal, »aber wenn, so sind wir darauf vorbereitet. Und vielleicht ist es auch etwas anderes.«
»Und was?« fragte Yar-gan übellaunig. »Etwa gar eine freundliche Einladung zu -«
»Herr!« keuchte einer der Freisegler. Yar-gan brach mitten im Satz ab, fuhr herum und erstarrte für eine halbe Sekunde.
Die beiden Giganten waren aus ihrer Erstarrung erwacht und kamen langsam auf sie zu. Skar sah, daß auch ihre Art, sich zu bewegen, menschlicher geworden war. Ihre Schritte waren leicht, beinahe elegant, aber man spürte die Kraft, die in ihren künstlichen Muskeln war. Eine Kraft, der weder er noch der Sumpfmann etwas entgegenzusetzen hätte. Nein, dachte er überzeugt. Wenn diese beiden Riesen gekommen wären, um sie zu vernichten, hätten sie es längst getan. Yar-gan wich Schritt für Schritt zurück, und auch die Freisegler begannen unruhig zu werden. Zwei, drei Krieger wandten sich um und begannen zu laufen, während die anderen den beiden näher kommenden Titanen voller Furcht entgegensahen.
»Skar!« sagte Yar-gan. Seine Stimme bebte. »Tu etwas!«
Ein gellender Schrei wehte vom entgegengesetzten Ende der Straße zu ihnen herüber. Skar und der Sumpfmann fuhren in einer einzigen, synchronen Bewegung herum. Yar-gan keuchte.
Auch der Rückweg war ihnen verwehrt. Hinter den letzten Männern war Nebel aufgekommen, lautlos und schnell, unwirkliche, schwere graue Schwaden, die aus Boden und Wänden zu quellen schienen und den Weg wie eine wirbelnde Barriere versperrten, und hinter ihnen zeichneten sich die Gestalten zweier weiterer Eiskrieger ab, stumm und drohend und so tödlich wie die beiden vor ihnen. Skars Hand fuhr zum Gürtel. Seine Finger faßten um den lederbezogenen Griff des Schwertes. Aber das vertraute, sichere Gefühl, das die Berührung der Waffe ihm immer vermittelt hatte, kam nicht. »Nicht...«, flüsterte er. »Yar-gan - mach jetzt keinen Fehler!« Seine Hände begannen zu zittern. Wie oft in Augenblicken der Gefahr sah er wieder alles mit phantastischer Klarheit, nahm er Dinge und Einzelheiten wahr, über die er normalerweise hinweggesehen hätte, ohne sie überhaupt zur Kenntnis zu nehmen: Die Unruhe, die die Freisegler gepackt hatte, etwas, was nicht nur Furcht allein war, das nervöse Zucken um Yar-gans Mundwinkel, die unsicheren kleinen Bewegungen, mit denen die Männer nach ihren Waffen griffen, die Blicke, mit denen sie verzweifelt nach einem Fluchtweg suchten, den es nicht mehr gab...
»Nicht kämpfen«, flüsterte er noch einmal. »Eine einzige falsche Bewegung, und wir sind alle tot.«
Yar-gan nickte, zum Zeichen, daß er verstanden hatte. Seine Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepreßt.
Skar sah sich um. Die beiden ersten Krieger waren näher gekommen, jedoch einen Schritt vor der Abzweigung stehen geblieben. Skar spürte, wie er von Blicken unsichtbarer, aus Eis gemeißelter Augen gemustert wurde, Augen, die hinter seine Stirn sahen und seine Gedanken lasen, Dinge in seiner Seele erblickten, die ihm selbst verschlossen waren.
Einer der beiden senkte seinen Schild, trat - sehr langsam, als wisse er, daß eine einzige unbedachte Bewegung den Sumpfmann zu einem Angriff verleiten mochte - noch einen weiteren Schritt vor und hob den Arm. Die Spitze des Schwertes, mit dem seine Hand verwachsen war, deutete nach rechts, den einzigen freigebliebenen Weg hinab. Der Nebel an seinem Ende trieb auseinander, als wäre die Bewegung des Eiskriegers das Zeichen dazu gewesen, und Skar erkannte ein niedriges, achteckiges Gebäude. Ein Teil seiner südlichen Wand war eingestürzt. Yar-gan atmete hörbar ein.
»Verdammt, Skar, das ist eine Falle!« murmelte er.
Skar ignorierte ihn. Sein Blick saugte sich am Gesicht des Eiskriegers fest. Aus dem glatten Visier war ein menschliches Antlitz geworden, Kinn und Nase, zuvor nur angedeutet, waren jetzt deutlich zu erkennen, der schmale Sehschlitz hatte sich zurückgebildet und war in der Mitte geschlossen, so daß zwei tiefe, noch leere Augenhöhlen entstanden waren. Es wirkte immer noch nicht völlig menschlich, sondern eher wie eine aus Eis gefrorene Totenmaske, in der die Züge dessen, den sie darstellen sollte, nur angedeutet, stilisiert waren.
Und doch hatte dieses Gesicht etwas seltsam Vertrautes... Skar sah mit einem Ruck auf und starrte den zweiten Eismann an. Er war zu weit entfernt und sein Gesicht hinter den wogenden Nebelschwaden verborgen, die ihnen nachgekrochen waren wie eisiger Atem, aber er wußte, daß er unter seinem Helm die gleichen Züge erblicken würde. Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte ein Gedanke hinter seiner Stirn auf, etwas, das mit seinem Traum und mit dem Dronte zu tun hatte, aber er verschwand zu schnell, als daß er ihn greifen konnte.
Mühsam löste er seine Hand vom Schwertgriff, drückte Yar-gans Waffenarm herunter und deutete in die Richtung, in die der Eiskrieger wies. »Wir gehen.«
»Du bist wahnsinnig!« keuchte Yar-gan. »Das -«
»Wir gehen«, sagte Skar noch einmal, so scharf, daß Yar-gan nicht weitersprach, sondern nur abwechselnd ihn und die beiden eisigen Kreaturen anstarrte. Nach einer Ewigkeit senkte auch er seine Waffe vollends und entspannte sich. Aber er steckte das Schwert nicht ein. »Wie du willst, Satai«, sagte er. Seine Stimme klang kalt.
Skar sah ihn einen Herzschlag lang schweigend an, drehte sich herum und ging langsam an ihm und den wartenden Eiskriegern vorbei.