12.

Die Nacht war zum Tag geworden, als sie zur Höhle zurückkehrten.

Mit dem Untergang der SHAROKAAN war das Inferno noch nicht beendet; im Gegenteil. Als hätte der feurige Gott, den Helth erweckt hatte, lediglich für einen Moment den Atem angehalten, um neue Kraft zu schöpfen und vielleicht auch selbst dem letzten Akt des Dramas zuzuschauen, das sich am diesseitigen Ufer des Sees abspielte, schossen die Flammen wie in einer feurigen Antwort auf die Explosion der SHAROKAAN zu einem wabernden Vorhang hoch, ein Mantel aus Hitze und gnadenlosem grellem Licht, hinter dem die schmelzenden Wände des Kanals zu tanzenden dunklen Schatten wurden. Der See kochte. Brennendes Öl breitete sich, dem Sog der Strömung trotzend, auf dem Wasser aus. Die Hitze trieb wie ein unsichtbarer, lautloser Raubvogel über den See, trieb Skar die Tränen in die Augen und ließ ihn all die unzähligen kleinen halbvergessenen Wunden, die er sich in den letzten Tagen zugezogen hatte, erneut und schmerzhaft spüren.

Er wußte hinterher selbst kaum mehr, wie er das letzte Drittel des Weges zurückgelegt hatte. War der Aufstieg schon schwierig gewesen, so gestaltete sich der Abstieg zu einem lebensgefährlichen Wagnis. Die glühende Luft, die in Schüben wie Wogen eines unsichtbaren Feuerozeans heranflutete, versengte nicht nur seinen Rücken, sondern ließ auch das Eis feucht und schlüpfrig werden und schmirgelte den Großteil der winzigen Risse und Unebenheiten, an denen sie beim Hinaufsteigen noch Halt gefunden hatten, glatt. Der Feuerschein überzog die Wand mit einem Muster tanzender Schatten, und er griff mehr als einmal ins Leere, verwirrt und irregeführt durch die wie irr hin und her huschenden Lichtreflexe und Schatten.

Als er den Fuß der Eismauer erreichte und vorsichtig über den steilen Eishang auf den Höhleneingang zueilte, vollzog sich unter ihm der allerletzte Akt des Schauspiels; nicht mehr als ein von einem grausamen Schicksal inszenierter Epilog, im Grunde überflüssig, und doch mehr als alles andere dazu angetan, die Macht des Dronte zu demonstrieren. Der schwarze Killersegler begann sich langsam auf der Stelle zu drehen. Er brannte noch immer, aber irgendwie wußte Skar, daß ihm das Feuer nichts ausmachte; nicht wirklich, trotz oder vielleicht gerade wegen der schrecklichen Zerstörungen, die er selbst von hier oben aus noch deutlich wahrnehmen konnte. Seine Backbordseite schien eine einzige gezackte Wunde zu sein, aber die Ruderblätter tauchten klatschend ins Wasser und zeichneten dünne, halbkreisförmige brennende Linien unter seine Oberfläche, und der bizarre Drachenkopf richtete sich auf den lodernden Trümmerhaufen, der von der SHAROKAAN übriggeblieben war. Langsam, aber mit der unaufhaltsamen Gewalt einer Naturkatastrophe bohrte sich der Bug des Dronte in die Flanke des Freiseglers. Die SHAROKAAN wurde durch die Wucht des Aufpralls nahezu in zwei Hälften gespalten, krachte mit einem dumpfen, mahlenden Geräusch gegen den Eisstrand und legte sich in einer unendlich langsam anmutenden Bewegung auf die Seite. Dann brach sie auseinander. Brennendes Holz und Tauwerk überschütteten den Strand mit einem Hagel winziger lodernder Feuergeschosse.

Skar riß sich widerwillig von dem gleichermaßen schaurigen wie faszinierenden Anblick los und legte die letzten Meter bis zur Höhle mit ein paar schnellen Schritten zurück. Der Eingang sah im rötlichen Widerschein des Brandes wie eine blutige, zuckende Wunde aus. Skar stürmte mit gesenktem Kopf hindurch, stieß einen Matrosen, der nicht schnell genug zur Seite wich, grob aus dem Weg und sah sich wild um. Die Höhle war vom flackernden Licht zahlreicher Fackeln erhellt, und die Luft roch bereits jetzt brandig und abgestanden. Der größte Teil der Freisegler hatte sich in der Nähe des Eingangs zusammengedrängt, um das Geschehen unten auf dem See verfolgen zu können, obwohl der schmale Spalt kaum Platz für einen Mann bot; eine etwas kleinere Gruppe war weiter hinten im Hintergrund der Höhle geblieben. Und zwischen ihnen, hoch aufgerichtet, aber in seltsam unnatürlicher, verkrampfter Haltung, stand Helth.

Skar spürte eine flüchtige Überraschung, ihn zu sehen. Er hatte nicht damit gerechnet, daß jemand den Untergang der SHAROKAAN überlebt haben konnte.

Helth drehte sich ruckartig herum, als einer der Freisegler die Hand hob und auf Skar deutete. Für einen Moment spiegelte sich eine ganze Reihe einander widersprechender Gefühle auf seinen Zügen: Haß, Zufriedenheit, Furcht, Trotz - vor allem Trotz -, aber auch Resignation und eine winzige Spur von Schuld, dann erstarrte sein Gesicht zu einer undurchdringlichen, ausdruckslosen Maske.

Skar blieb mitten im Schritt stehen, als er dem Blick des Veden begegnete. Seine Fäuste ballten sich so heftig, daß die Knöchel hörbar knackten. Aber er sagte nichts von all dem, was ihm noch vor Sekunden auf den Lippen gelegen hatte. Als er in Helth' Gesicht sah, erlosch alles in ihm schlagartig; er fühlte noch immer Wut, eine brodelnde, hilflose Wut, die wie ein heißer Schmerz in seinem Inneren wühlte. Aber er wußte auch, daß es sinnlos sein würde, etwas zu sagen. Er hatte Lust, Helth zu packen und ihm die Fäuste ins Gesicht zu schlagen, aber er würde damit nichts ändern. Helth hatte die Entscheidung erzwungen, so oder so, und sie würden damit fertig werden müssen, so oder so. Der Vede hatte mehr getan, als seinen Willen durchzusetzen und den Dronte anzugreifen. Er hatte den Bruch zwischen ihnen Sichtbarwerden lassen, den dünnen Sprung in ihrer aus Not geschmiedeten Gemeinschaft zu einem breiten, klaffenden Riß gemacht, einen Abgrund, zu breit, um noch eine Brücke darüber schlagen zu können. Er hatte Skar nie als Führer anerkannt und dies mit seiner Wahnsinnstat nun überdeutlich gezeigt. Es war mehr als ein Alleingang. Es war eine Herausforderung gewesen, ein unsichtbarer Fehdehandschuh, den er ihm mit aller Kraft ins Gesicht geschleudert hatte. Und der Schlag schmerzte, mehr vielleicht, als Skar jetzt schon spürte.

Skar sah sich in der Höhle um, langsam, als nehme er seine Umgebung erst jetzt zum ersten Mal bewußt wahr. Diejenigen der Freisegler, die nicht vorne am Ausgang standen und auf die brennende SHAROKAAN hinabsahen, hatten sich um ihn und Helth geschart - ein weiter, lockerer Kreis ausdrucksloser Gesichter; eine Arena, in der er und Helth den letzten, entscheidenden Kampf austragen würden. Del kniete, die Hand auf dem Schwertgriff, neben der schlafenden Errish. Sein Blick wanderte zwischen Helth und Skar hin und her.

»Ich sollte dich töten«, sagte Skar ruhig. Die gekrümmten, schimmernden Wände fingen seine Stimme auf und verliehen ihr einen seltsam hohlen Klang; unheilschwanger und drohend wie die eines Priesters, der eine unselige Prophezeiung aussprach. Für einen winzigen Moment glaubte er sich selbst wie durch die Augen eines Fremden zu sehen, als hätte sich sein Geist als Antwort auf das, was geschehen war, vor Schrecken aus seinem Körper zurückgezogen, und er betrachtete sich selbst so, wie ihn Helth in diesem Augenblick sehen mochte, Helth und die anderen - eine große, breitschultrige Gestalt mit verschlossenem Gesicht, in Fetzen gekleidet und die Hand um den Griff des Schwertes gekrampft, so fest, als wolle er es zerbrechen, die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepreßt. Wenn ich ihn jetzt töte, dachte er, wenn ich jetzt das Schwert aus der Scheide ziehe und ihn umbringe, dann hat er gewonnen. Und er weiß es. Und wenn ich es nicht tue, hat er auch gewonnen.

Für einen Moment kam er sich furchtbar hilflos und verlassen vor; allein, trotz all der Menschen um ihn herum. Seine Umgebung kam ihm mit fast schmerzhafter Klarheit zu Bewußtsein. Die Höhle war ein schmutziges, mit eiskaltem Schmelzwasser knöcheltief gefülltes Loch, in das er und die anderen wie eine Herde verängstigter Schafe geflüchtet waren. Er hatte sie hierhergeführt, gegen Helth' Willen, gegen seine eigene Überzeugung, in einem letzten, verzweifelten Versuch, dem Schicksal, das den Stab vielleicht schon lange über ihn und diese Handvoll Männer gebrochen hatte, noch einmal zu entrinnen. Er war im Glauben gewesen, Rayans letzten Willen zu erfüllen, aber vielleicht hatte er gerade das Gegenteil getan. Vielleicht hatte Helth recht gehabt, und alles, was er diesen Männern noch bieten konnte, war ein ehrenvoller Tod. Ihr Leben war die SHAROKAAN gewesen, das Schiff, das jetzt dort unten auf dem See verbrannte, und vielleicht hatte Helth dieses grausame Spiel - auf seine Weise - nur zu einem sauberen Ende bringen wollen.

Er wunderte sich für einen kurzen Augenblick, daß der Vede noch am Leben war. Seine Kleider waren durchnäßt, und das Haar klebte wie eine schwarze Kappe an seinem Schädel. Skar war Augenzeuge gewesen, wie ihn die Wellen gleich einer Spielzeugpuppe vom Deck des Schiffes gefegt hatten, ihn und die anderen, und für einen Moment dachte er daran, daß ein Sturz in das eisige Wasser eigentlich tödlich sein mußte. Helth zitterte am ganzen Leib, obwohl er sich Mühe gab, reglos zu stehen, und Skar konnte durch den dünnen, vor Nässe wie eine zweite Haut festgeklebten Stoff seines Umhanges sehen, wie an seinem Hals eine Ader pochte.

Vom See her drang die dumpfe, vibrierende Schallwelle einer neuerlichen Explosion herauf. Das Eis unter seinen Füßen bebte, und als er sich umdrehte, drang greller Lichtschein durch den Eingang, und die Gestalten der Freisegler davor verwandelten sich für Sekunden in flache schwarze Silhouetten, Figuren aus einem Scherenschnitt, nicht mehr länger lebende Menschen. Vielleicht, dachte er, lebten sie alle nicht wirklich. Vielleicht war dies nichts als ein grausamer Alptraum, aus dem er nur nicht erwachen konnte.

Eine der Figuren bewegte sich plötzlich, stieß eine andere mit einer unwilligen Bewegung zur Seite und eilte, ihren Umhang wie einen wehenden schwarzen Schleier aus gewobener Finsternis hinter sich herziehend, auf ihn zu. Gowenna. Er war ihr vorausgeeilt, draußen auf dem Eis, und für einen Augenblick hatte er sie vollkommen vergessen. Sie, den Dronte, Del und Vela, Combat - seine Gedanken begannen abzuschweifen, entwanden sich seinem Zugriff und begannen eigene, vollkommen sinnlose Wege zu gehen. Hysterie, dachte er, und allein das Wort ließ ihn fast schrill auflachen. Wenn ich mich nicht beherrsche, werde ich gleich wie ein Wahnsinniger anfangen zu stammeln! Aber er beherrschte sich, natürlich. Er war Skar, ein Satai, Sinnbild der Stärke und Unerschütterlichkeit, und deshalb, weil er so war, war er hier.

Gowenna lief an ihm vorbei, seine hastige, warnende Geste nicht beachtend, trat auf Helth zu und schlug ihm ohne Vorwarnung die Faust ins Gesicht. Der Vede war auf den Angriff nicht vorbereitet gewesen, nicht auf diese, trotz allem ruhige, fast selbstverständliche Art, in der sie auf ihn zuging und ihn schlug, wie man ein ungehorsames Kind ohrfeigte. Er taumelte zurück, hob instinktiv die Hände vors Gesicht und krümmte sich zusammen, als Gowenna ihm in den Leib trat.

»Gowenna!« sagte Skar. »Nicht!« Es fiel ihm schwer, die beiden Worte auszusprechen. Er fühlte sich plötzlich wie ein unbeteiligter Beobachter, jemand, den dies alles hier eigentlich nichts anging und der nur zufällig da war, und er mußte all seine Kraft aufwenden, um nicht plötzlich loszuschreien und sinnlose Worte zu stammeln. Ihre Hand, bereits zu einem weiteren Schlag erhoben, erstarrte mitten in der Bewegung. Wütend wandte sie den Kopf und starrte Skar an. »Und warum nicht?« fragte sie. »Er hätte es verdient, daß ich ihm das Messer zwischen die Rippen jage.«

Helth stemmte sich keuchend hoch. Sein Gesicht war verzerrt, und aus seinem linken Mundwinkel rann ein dünner Blutfaden. Gowenna mußte sehr hart zugeschlagen haben. Seine Hand glitt zum Schwertgriff, und Skar konnte sehen, wie sich sein muskulöser Körper spannte.

»Tu es nicht«, sagte er ruhig. »Sie würde dich schlachten.« Der Bann wich allmählich. Die Dinge und Geräusche in seiner Umgebung wurden wieder klar, rückten wie Teile eines Bildes, die sich nur widerwillig wieder zusammenfügten, an ihren angestammten Platz zurück. Seine Gedanken beruhigten sich. Aber es war eine Warnung gewesen, und er würde sie beachten müssen. Er begriff plötzlich, daß er nicht so stark war, wie er bisher geglaubt hatte, nicht mehr. Die Ereignisse der letzten Zeit hatten fortwährend an seinen Kräften genagt, kleinen grauen Ratten gleich, die sich beharrlich unter den Mauern um seinen Geist hindurchwühlten, und der Zusammenbruch würde kommen. Helth erstarrte. Irgend etwas, etwas, das Skar mit Worten nicht beschreiben konnte, dafür aber um so deutlicher spürte, geschah. Er konnte fühlen, wie sich die Spannung, die bisher wie eine unsichtbare dräuende Wolke in der Atmosphäre gelegen hatte, löste, etwas anderem und völlig Unerwartetem wich. Jemand lachte; ein kurzer, unechter Laut, der beinahe augenblicklich wieder verklang. Helth' Lippen begannen zu zittern, und plötzlich war er kein Feind mehr, kein Herausforderer, sondern nur noch ein großer dummer Junge, der nicht bereit war, zuzugeben, daß er einen Fehler gemacht hatte.

»Vielleicht hast du recht«, sagte Gowenna betont abfällig. »Ich würde mir nur die Hände an ihm schmutzig machen.«

Helth schien etwas sagen zu wollen, schwieg aber, als er in die Gesichter der Freisegler sah, und auch Skar entspannte sich wieder. Es war vorbei, und diesmal endgültig. Helth hatte sein Spiel gespielt und verloren, aber es war knapp gewesen. Ohne Gowennas Eingreifen... Skar dachte den Gedanken lieber nicht zu Ende. Sein Blick suchte den Dels, der die ganze Zeit wie ein stummer Schatten in einer Ecke gehockt und die Szene schweigend verfolgt hatte, und obwohl er seine Augen nicht sehen konnte, glaubte er ein kurzes spöttisches Aufblitzen wahrzunehmen. Er hatte keine sehr gute Figur in diesem kurzen, lautlosen Kampf gemacht und vielleicht von Anfang an gewußt, wie die Konfrontation enden mußte. Helth hatte seine Reaktion genau berechnet, sicher, daß Skar in diesem Augenblick nur zwei Dinge würde tun können: ihn töten oder den Kampf aufgeben, beides falsch und beides dazu angetan, ihn zum Verlierer zu stempeln. Auf den Gedanken, ihn wie ein verzogenes Kind, das er trotz allem in Wirklichkeit war, schlichtweg zu verprügeln, war Skar nicht einmal gekommen. Gowenna berührte ihn unsanft an der Schulter und deutete zum Ausgang. »Komm. Wir müssen sehen, was zu retten ist.«

Zu retten... Ihre Worte erschienen ihm wie ein schlechter Witz. Er hätte am liebsten laut aufgelacht, aber statt dessen nickte er wortlos und folgte ihr zum Ausgang. Die Freisegler traten schweigend zur Seite und gaben ihnen den Weg frei.

Das Eis glühte im Widerschein des Brandes wie unter einem geheimnisvollen inneren Feuer für einen Moment so stark, daß er die Hand vor die Augen hob und wegsah. Warmer, brandig riechender Wind trieb zu ihnen hinauf, und für einen Moment war es ihm, als sähe er schmale glitzernde Schatten über das Eis auf die Höhle zukriechen. Die beiden Schiffe waren ineinander verkeilt wie zwei bizarre Meeresungeheuer, die sich im Todeskampf ineinander verbissen hatten. Die SHAROKAAN brannte wie ein gewaltiger schwimmender Scheiterhaufen und warf zuckende Lichtreflexe über das Wasser. Auch der Dronte brannte, aber es war nicht mehr das Höllenfeuer, mit dem Brad und er ihn zu Anfang überschüttet hatten. Der schwarze Killersegler würde sich diesmal schneller erholen. Skar fragte sich, warum der Dronte das getan hatte. Nachdem der SHAROKAAN der Todesstoß versetzt war, hätte er in Ruhe draußen auf dem See abwarten können, bis sie ausgebrannt und gesunken war. Vielleicht war es ein blinder Instinkt, der gleiche Impuls, der eine Ratte dazu trieb, sich in ihr Opfer zu verbeißen und auch dann nicht loszulassen, wenn man ihr das Kreuz brach, aber vielleicht hatte er es auch getan, um sie zu verspotten, ihnen zu zeigen, wie wenig ihm ihr verzweifelter Angriff ausmachte, eine Demonstration seiner Überlegenheit, wie sie eindrucksvoller kaum sein konnte.

Er schob den Gedanken mit einem wütenden Knurren von sich. Sie wußten, daß der Dronte lebte, aber sie hatten keine Beweise, nicht einmal einen Anhaltspunkt dafür, daß er auch ein denkendes Wesen war. »Aus«, murmelte Gowenna neben ihm. Ihre Stimme bebte vor unterdrückter Wut, und sie sprach das Wort so aus, als wolle sie ihm noch mehr folgen lassen, tat es aber nicht.

Skar spürte die Wärme ihres Körpers neben sich, und ein seltsames aberwitziges Gefühl durchströmte ihn. Es war Irrsinn, aber jetzt, in diesem Moment, im Angesicht des brennenden Schiffes und des schwarzen Mörders, der geduldig dort unten lauerte, sie zu verbrennen, zu töten und mit sich hinab in die Hölle zu reißen, aus der er emporgestiegen war, in diesem Moment, als hätten die lodernden Flammen dort unten bis zu ihnen hinaufgegriffen und irgend etwas in seiner Seele in Brand gesetzt, hatte er Lust auf sie, nicht auf ihren Körper, nicht auf irgendeine Frau, sondern auf sie, Lust, sie an sich zu pressen, ihr die Kleider vom Leib zu reißen, sie zu lieben, seine Lippen gegen das verbrannte Fleisch ihres Gesichtes zu pressen...

Wieder einmal, dachte er. Fast hätte er gelacht. Nichts hatte sich geändert. Sie haßten und liebten sich wie am ersten Tag, und alles, was dazwischen gewesen war, zählte nicht mehr.

Gowenna deutete mit einer müden, kraftlosen Bewegung auf den See hinab. Das flackernde Feuer schien ihr blindes Auge in einen tiefen, von dunkler roter Glut erfüllten Krater zu verwandeln, und für einen Moment huschten Schatten wie kleine lebende Wesen über ihr Gesicht, verformten es in eine bizarre Skulptur aus erstarrtem Leid und Hoffnungslosigkeit. »Wir müssen irgend etwas unternehmen«, sagte sie leise. »Sofort. Solange wir noch etwas tun können.«

Skar nickte. »Ja«, murmelte er. »Wir könnten den Kanal zumauern und warten, bis das Wasser verdunstet und der Dronte auf Grund gelaufen ist, oder etwas ähnlich Sinnvolles.« Seine Worte paßten nicht zu dem, was er empfand, und es war im Grunde nur Gewohnheit, daß er in diesem Moment wieder in seinen alten Zynismus verfiel.

»Wir müssen weg«, sagte Gowenna. Ohne auf seinen verletzenden Tonfall einzugehen.

»Deine Berge?« fragte er spöttisch.

»Dorthin oder in eine andere Richtung, das bleibt sich vollkommen gleich. Aber hier können wir nicht bleiben. Er wird nicht lange brauchen, sich zu erholen.«

Skar nickte fast unmerklich, aber sie stand so dicht neben ihm, daß sie die Bewegung spürte, ohne sie gesehen zu haben. Der Dronte war verletzt, aber keineswegs geschlagen. Selbst jetzt, brennend und halb in die sinkende SHAROKAAN verkeilt, wäre er wahrscheinlich noch in der Lage gewesen, eines seiner Feuergeschosse hinaufzuschleudern und sie damit zu vernichten, die Höhle und alles, was darin war, in einen brennenden Hexenkessel zu verwandeln oder wenigstens den Eingang zuzuschmelzen; eine eisige Grabkammer, in der sie nach wenigen Tagen erfrieren oder verhungern mußten. Es war Skar ein Rätsel, warum er es nicht schon längst getan hatte. Vielleicht spielte er nur mit ihnen, wie eine Katze, die der Maus noch einmal für wenige Augenblicke die Illusion läßt, sie könnte entkommen, ehe sie sie endgültig tötet.

»Du hast recht«, sagte er, ohne den Blick vom brennenden Wrack des Freiseglers zu nehmen. Der Drachenkopf des Dronte ragte wie ein schwarzer, in einen aus Flammen und wogender Glut gewobenen Mantel gekleideter Dämon aus dem Feuer empor, und der Blick seiner Augen schien jede Bewegung hier oben auf dem Eis mißtrauisch zu verfolgen. Die Katze beobachtet die Maus, dachte er. Sie lauerte, wartete, versuchte, ihre Reaktionen vorauszuberechnen. »Wann brechen wir auf?« fragte er. Seine eigene Stimme klang fremd in seinen Ohren, und der Wind riß ihm die Worte von den Lippen, trug sie mit sich fort, schmetterte sie gegen die schimmernden Eiswände.

Gowenna schwieg einen Moment. Eine seltsame, angespannte Stimmung der Erwartung hatte von ihnen beiden Besitz ergriffen, ein Gefühl, als müsse jeden Augenblick etwas - etwas Furchtbares - passieren. Aber es geschah nichts, und als sie antwortete, war jede Emotion aus ihrer Stimme gewichen, und sie klang wieder so, wie er sie kannte - ruhig und beherrscht, beinahe kalt, ein Mensch, der scheinbar nicht einmal in der Lage zu sein schien, wirklich Gefühle zu empfinden. »Wir müßten den Männern noch eine Erholungspause gönnen und bis zum Sonnenaufgang warten, besser noch einen ganzen Tag. Aber ich fürchte, so viel Zeit wird er uns nicht lassen. Wir brechen jetzt gleich auf. Sofort.«

Skar deutete auf die Eiswand, die sie so mühsam erstiegen hatten. »Dort hinauf oder durch die Höhlendecke?«

Gowenna gab einen undefinierbaren Laut von sich, der sowohl Zustimmung als auch Ungeduld ausdrücken konnte. Aber Skar hatte die Frage ohnehin nur gestellt, um das Schweigen zu durchbrechen, nicht, weil ihn ihre Antwort wirklich interessiert hätte. »Wir lassen den Großteil der Ausrüstung hier und nehmen nur Decken und Nahrung mit«, schlug sie vor. »Die Männer müßten die Bündel mit Seilen hinaufziehen, falls es anders nicht geht. Wenn wir ohne Pause durchmarschieren, dann können wir den Aufstieg bis zum nächsten Sonnenaufgang bewältigt haben. Es wird hart werden, aber es bleibt uns keine andere Wahl mehr.«

Wieder hatte Skar das Gefühl, manipuliert - nein, schlimmer, herumgeschoben - zu werden, eine Figur auf einem Brett, die nicht einmal wußte, wie das Spiel hieß, in dem sie mitspielte. Nichts von all dem, was hier geschah, war Zufall. Alles schien ihm genau berechnet, einem Plan folgend, den er nicht erkennen, aber fühlen konnte. Irgend etwas an ihren Worten - nicht an ihrem Klang, sondern etwas, das unhörbar und doch überdeutlich darin mitzuschwingen schien - mißfiel ihm, weckte sein Mißtrauen. Was, dachte er, wenn diese Berge, von denen sie bisher nur Schatten und sie nicht einmal wirklich gesehen hatten, gar keine Berge waren, sondern irgend etwas anderes, ein Riß, eine ungeheure Spalte im Eis vielleicht, an deren Rändern sich die weißen Schollen zu einer gewaltigen Barriere auftürmten, hinter der nichts als ein bodenloser Abgrund lauerte, oder falls es sie gab, und sie erwiesen sich als unübersteigbar, oder hinter ihnen wartete das offene Meer oder eine weitere leere Eiswüste, oder wenn...

Er schob die Gedanken mit einem müden Achselzucken zur Seite, wandte sich um und ging zur Höhle zurück.

Aber er blieb noch einmal stehen und sah auf den See hinunter, bevor er sie betrat. Die beiden ineinander verbissenen Schiffe schienen hinter dem Vorhang aus Flammen und Glut zu zucken wie große brennende Leiber.

Und kurz bevor er sich endgültig umwandte und ging, glaubte er etwas Gewaltiges, Körperloses zu sehen, das Ding aus seinem Traum, das sich vom Wrack des Dronte löste und lautlos und drohend den Strand hinaufzukriechen begann...

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