Sechsundzwanzig

Albert Chao hatte jetzt fast eine ganze Stunde lang versucht, den Geist seines Ahnen zu beschwören, dabei aber keinen Erfolg gehabt.

In seiner Jugend hatte Geduld nicht zu seinen besonderen Tugenden gehört. Eigentlich drängten sich ihm in der Rückschau überhaupt keine Tugenden auf. Er war ein Mörder, ein Betrüger und ein Narr. All die Jahre hatte er andere für seine Unzulänglichkeiten verantwortlich gemacht. Er konnte seine eigenen Fehler nicht zugeben und machte seinen Eltern Vorwürfe, weil sie ihn gezeugt hatten, der chinesischen Gesellschaft, weil sie Halbblüter mit Verachtung strafte, rassistischen Weißen, weil sie Asiaten schlecht behandelten …

Er war bei Weitem nicht das einzige Halbblut in San Francisco. Er war auch bei Weitem nicht der Einzige, der kein Glück hatte. Aber damals hatte er geglaubt, dass er die Hilfe des Okkulten brauchte. Er hatte geglaubt, dass er damit alles lösen könnte.

Es war eine besonders närrische Entscheidung gewesen, das war ihm jetzt klar geworden. Dadurch hatte er sich zum Spielzeug eines Dämons gemacht.

Aber der Schaden war angerichtet. Er konnte nichts tun, außer weiterzumachen.

Endlich konnte er den Geist zu sich rufen. Als die feurige Kreatur mitten in seinem Büro erschien, war Albert überrascht, dass es ihn kalt ließ. Vor vierzig Jahren, in einer kleinen Wohnung im Mission-District, hatte er noch nie etwas so Glorreiches gesehen. Die Möglichkeiten erschienen damals endlos und er hatte die Macht des Geistes gespürt, als könne er sie mit der Hand greifen.

Jetzt sah er nur einen toten Samurai, der in Flammen gehüllt war.

Albert besaß jetzt Macht – er brauchte den Geist nicht.

„Was ist passiert?“, fragte er.

„Ich konnte Ihren Befehl nicht ausführen, mein Nachkomme. Die beiden Männer haben ein Wesen mit gewaltiger Macht auf ihrer Seite. Es konnte mich abhalten, bis einer von ihnen eine Feuerwaffe benutzte. Sie hat mich auf unbekannte Weise gebannt.“

„Wie banal.“ Nach dem, was Oscar ihm erzählt hatte, war das wahrscheinlich eine Flinte mit Steinsalz gewesen. Standardausgabe für Jäger.

„Dann war es passend für eine solch banale Aufgabe“, sagte der Geist.

Albert blickte nach oben in die feurigen Augen seines Vorfahren.

„Was soll das heißen?“

„Ihr habt mich in einem kindischen Racheakt ausgesandt, diese beiden Männer – diese ‚Winchesters‘ – zu töten. Das unterscheidet sich nicht von den Übeltaten, die Ihr mir befahlt, als Ihr mich das erste Mal gerufen habt.“

Albert zuckte die Schultern.

„Eine Schwäche. Ich kann mich nicht an ihrem Vater rächen, also …“

Warum hatte er den Geist seines Vorfahren nach den Söhnen von John Winchester gesandt? Er hatte bereits das Schwert, also hatte er mit ihnen nichts mehr zu schaffen. Sicher, sie würden wahrscheinlich herkommen und angesichts dessen war ein Präventivschlag gerechtfertigt.

Aber das war nicht der Grund gewesen.

„Ihr widersteht den Bitten des Dämons“, sagte das Herz des Drachen. „Warum?“

„Wie kannst du das nur fragen?“, sagte Albert.

„Der Dämon braucht Hilfe bei der Zerstörung der Welt. Er handelt wie ein Kind, das sich an seinen Eltern rächen will, die ihn enttäuscht haben. Er ist nicht anders als Ihr.“

Albert tat diese Bemerkung mit einer abwehrenden Handbewegung ab.

„Das ist lächerlich.“

Aber selbst als er das sagte, glaubte er es nicht.

Also bannte er den Geist.

Als die Flammen verblasst waren, dachte er über die Worte seines Vorfahren nach.

Es klopfte an der Tür.

„Herein!“

Ronny steckte den Kopf ins Büro.

„Hey, Boss. Wir haben Geld vom La Shiva’s bekommen. Sie haben gesagt, ich soll dann Bescheid sagen.“

„Gut, Ronny.“ Er zögerte und fuhr fort. „Komm bitte herein.“

„Äh, sicher. Okay.“ Ronny kam ins Büro und stand wartend da.

„Was ist los?“

Albert erlaubte sich ein kleines Lächeln.

„Nichts, Ronny. Ich wollte dich nur für einen Moment ansehen. Du darfst gehen.“

Der Untergebene warf ihm einen merkwürdigen Blick zu.

„Geht es Ihnen gut, Boss?“

„Es geht mir gut, Ronny. Geh.“

„Okay.“ Ronny zuckte die Schultern, drehte sich um und verließ das Büro.

Das zeigte Albert alles, was er wissen musste.

Er starrte die Wände an und erinnerte sich an die Zeit, als das hier Tommy Shins Allerheiligstes gewesen war. Tommy hatte die Wände schwarz streichen lassen, um Leute einzuschüchtern. Trotzdem hatte er zeitgenössische Filmposter aufgehängt, die den Effekt wieder dämpften. Albert hatte sie abgenommen und die schwarzen Wände kahl gelassen.

Zu seinem Ärger konnte er sich nicht mehr daran erinnern, welche Poster dort gehangen hatten.

Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, versuchte sich zu erinnern, aber er konnte es nicht.

Das ärgerte ihn aus irgendeinem Grund.

Es klopfte noch einmal.

„Äh, Boss? Ich bin vom Essen zurück.“ Es war Zhong, der immer sehr unterwürfig klang, seit der Dämon von ihm Besitz ergriffen hatte. „Es tut mir leid, aber es gibt einige wichtige Geschäfte im Restaurant, die wir durchgehen müssen.“

„Natürlich, Zhong. Komm herein.“

Der Mann nickte und betrat das Büro.

„Es gibt ein Problem mit …“

Albert erhob die Hand.

„Ist mir egal. Ich habe ehrlich keine Zeit dafür. Ich wollte nur, dass du ins Zimmer kommst. Du darfst jetzt gehen.“

„Wie bitte?“ Zhong zögerte. Er stand dicht bei seinem Schreibtisch.

„Boss, das ist wichtig. Wir müssen …“

„Es ist mir egal“, flüsterte Albert mit tiefer Stimme. „Nichts bedeutet mehr etwas. Du wirst jetzt mein Büro verlassen.“

„Ich …“ Zhong schüttelte den Kopf und blickte nach oben.

Seine Augen waren schwarz.

Albert lächelte.

„Endlich. Ich habe mich schon gefragt, wann du wiederkommen würdest, Dämon.“

„Nette Idee.“ Zhongs verdunkelte Augen blickten zur Decke. „Direkt aus dem ‚Schlüssel des Salomon‘.“ Albert folgte seinem Blick zur Decke und betrachtete die Teufelsfalle, die Oscar Randolph mit Kreide dort angezeichnet hatte. Der Kreis war groß genug, dass jeder der neben dem Schreibtisch stand darunter hindurch musste. Solange das Siegel intakt blieb, konnte der Dämon dessen Grenze nicht überschreiten.

„Ich habe noch mehr“, sagte Albert. Er drückte auf den Interkom-Knopf auf seinem Telefon. „Du darfst jetzt hereinkommen.“

Sekunden später trat Oscar ein. Er hielt ein Notizbuch in der Hand. Er trug wie immer ein Flanellhemd und einen Cowboyhut, um seinen kahlen Kopf zu bedecken.

„Oh, du hast John Wayne mitgebracht“, sagte der Dämon mit Zhongs Stimme. „Wie niedlich. Das wird dir nicht viel nützen, weißt du. Ich will das Herz des Drachen und ich will das Schwert. Eure kleine Kreidezeichnung wird mich nicht aufhalten.“

„Meinst du?“, fragte Albert leichtherzig.

„Das weiß ich“, sagte der Dämon unheilvoll.

Oscar begann aus seinem Notizbuch vorzulesen.

„Regna terrae, cantate Deo, psallite Domino qui fertis super caelum caeli ad Orientem Ecce dabit voci Suae vocem virtutis, tribuite virtutem Deo.

„Deine Aussprache ist übel“, sagte der Dämon.

Albert runzelte die Stirn. Nachdem, was Oscar ihm erzählt hatte, sollte der Dämon sich längst vor Schmerzen winden.

Exorcizamus te, omnis immundus spiritus omnis satanica potestas, omnis incursio infernalis adversarii, omnis legio, omnis congregatio et secta diabolica. Ergo draco maledicte et omnis …“

Zhong tat so, als trügen seine Hände Handpuppen.

„Bla bla bla. Du verschwendest deine Zeit. Sieh mal, Zhong hat seine Pause nicht mit Essen verschwendet.“

„… legio diabolica adjuramus te cessa decipere humanas creaturas, eisque aeternae Perditionis venenum propinare.

Der Dämon riss das Hemd auf und enthüllte ein frisch gestochenes Tattoo auf Zhongs Schlüsselbein.

„Was zur Hölle ist das?“, fragte Albert und funkelte den Jäger finster an.

Aber Oscar hielt nicht inne.

Vade, Satana, inventor et magister omnis fallaciae, hostis humanae salutis. Humiliare sub potenti manu dei, contremisce et effuge, invocato a nobis sancto et terribili nomine, quem inferi tremunt.

„Das ist ein Bindungszauber“, sagte der Dämon und ignorierte Oscars zunehmend verzweifelten Singsang. „Zhong wird mich nicht los, bis ich es sage. Redneck McGee hier kann das cantate Deo singen, sooft er will, aber es wird nichts nützen.“

Er knurrte Oscar an. Trotzdem blieb der störrische Mann beharrlich, näherte sich der Gestalt und spuckte ihr quasi die lateinischen Worte entgegen.

Ab insidiis diaboli, libera nos, Domine. Ut Ecclesiam tuam secura tibi facias libertate servire, te rogamus, audi nos. Ut inimicos sanctae Ecclesiae humiliare digneris, te rogamus, audi nos.“

Der Dämon redete dazwischen.

„Noch etwas zur Teufelsfalle. Sie tut nichts, außer mich in ihren Grenzen festzuhalten. Sie hält mich dagegen nicht davon ab, zu tun, was ich tun will.“

„So hat man es mir nicht erzählt“, sagte Albert. „Ich vermute, du lügst, Dämon.“

„Nein, du hattest nur veraltete Informationen. Sieh mal, die Zeiten haben sich geändert. Das Tor ist offen.“

Zu diesem Zeitpunkt stand Oscar direkt vor Zhong.

Ut inimicos sanctae Ecclesiae te rogamus, audi nos. Terribilis Deus de sanctuario suo. Deus Israhel ipse truderit virtutem et fortitudinem plebi Suae. Benedictus Deus. Gloria Patri.“

Er schrie praktisch die letzten Worte des Exorzismus, aber sie hatten rein gar nichts bewirkt.

„Uuuuuund nix“, sagte der Dämon mit einem Lachen. „Halleluja uuuuuund Aaaaaaaamen! Und weißt du was?“

Zhong schnippte mit den Fingern. Ein furchtbares Knacken schallte durch das Büro und Oscars Kopf war in einem unmöglichen Winkel verdreht. Dann fiel der alte Mann zu Boden.

„Du bist in den Kreis gelaufen, Blödmann“, sagte der Dämon und beantwortete damit seine eigene Frage.

Er drehte sich um, um Albert voller Abscheu zu betrachten. Albert hielt seinem Blick stand, während er gleichzeitig begann, den Spruch zu sagen, der das Herz des Drachen beschwören würde. Er hatte das jetzt schon so oft getan, dass er es ohne nachzudenken konnte.

Einen Moment später erschien der Geist seines Vorfahren.

„Und jetzt stirbst du“, sagte Albert ruhig und hielt dem Blick des Dämons weiter stand.

Das Herz des Drachen erhob das flammende Katana und bewegte sich in die Teufelsfalle.

Trotzdem schien der Dämon seltsam unbeeindruckt.

„Du hast gerade noch einen Fehler gemacht, Al, alter Kumpel“, sagte er im Plauderton.

„Habe ich das?“, konterte Albert.

Zhong nickte.

„Sieh mal, dein Büro ist ein bisschen zu klein. Die äußere Grenze des Kreises reicht bis vor deinen Stuhl, also bist du sicher. Aber er schließt deinen Schreibtisch ein, also kann ich an das was darin ist, heran.“

Mit einer Handbewegung setzte der Dämon den Schreibtisch mit einem unheimlichen Feuer in Brand, das heißer brannte als die Flammen, die das Herz des Drachen umgaben.

Albert sprang vor dem Inferno zurück und fühlte seinen Mut sinken, als er den Plan des Dämons durchschaute.

Alles im Schreibtisch war zerstört worden, mit einer Ausnahme – dem Hakenschwert. Es lag offen da und landete mit einer weiteren Geste in Zhongs Hand.

Der Dämon drehte sich um, starrte das Herz des Drachen an und lachte.

„Ich habe schon sehr lange auf diesen Augenblick gewartet“, sagte er. „Siehst du, es stimmt – man muss nur warten können. Und mit der Hilfe meines alten Freundes, Doragon Kokoro, werde ich derjenige sein, der die Schlacht für sich entscheidet.“

„Junge, du bist so ein Blödmann.“

Albert zuckte überrascht zusammen und sah auf. In der Tür standen zwei junge Männer. Er kannte sie nicht, aber sie entsprachen Tinys Beschreibung der Winchester-Brüder.

Es war der kleinere der beiden Brüder, der gesprochen hatte, und er fuhr fort.

„Du lässt dich tatsächlich in einer Teufelsfalle fangen. Das bedeutet, du bist einfach dumm wie’n Brot.“

„Pass auf, was du sagst, Junge“, sagte der Dämon. „Oder komm einfach näher. Mir ist beides recht.“

„Das kann er nicht“, sagte der Größere. „Aber ich.“ Und er trat ins Zimmer. „Ich bin Luzifers Gefäß. Versuch mir nur ein Haar zu krümmen, falls dir das überhaupt gelingt, und es wird deine Dämonen-Freunde ziemlich sauer machen.“

Albert sah, wie das Wesen erst die Winchesters, dann das Herz des Drachen ansah. Der alte Krieger schwang sein feuriges Katana, aber der Dämon blockte mit dem Hakenschwert. Der Samurai griff erneut an.

„Wenn ihr beiden Knallfrösche was machen könntet“, sagte der Dämon mit Zhongs Stimme, die jetzt vom fortwährenden Abwehren des Samurai angestrengt klang. „Dann hättet ihr längst etwas unternommen, statt hier wie Idioten rumzustammeln.“

„Nee“, sagte der Kleinere. „Weißt du, wir spielen auf Zeit. Die Tatsache ist, wir haben einen Plan. Der beinhaltet aber, dass ein Freund von uns etwas im richtigen Moment tut. Das ist eigentlich genau …“

Plötzlich fühlte sich Albert, als würde ihm der Magen durch die Nase gesaugt. Schmerz jagte durch seinen Kopf und er verlor das Gefühl in seinen Beinen.

Das Gefühl verging fast augenblicklich, aber als es das tat, war er nicht mehr in seinem Büro. Er stand in der Gasse neben dem Restaurant, zwischen den Müllcontainern und einem schwarzen Oldtimer, wie er ihn seit Jahrzehnten nicht gesehen hatte.

„Was zur …?“

„Hallo“, sagte eine tiefe, kratzige Stimme. Albert wirbelte herum und sah einen weißen Mann mit Stoppelbart. Er trug einen Trenchcoat und starrte Albert so angespannt an, wie er es noch nie erlebt hatte.

„Was hast du …?“, begann er.

„Mein Name ist Castiel“, antwortete die Gestalt und unterbrach ihn, als sei er vollkommen unbedeutend. „Du wirst hierbleiben und nichts unternehmen, um Sam und Dean zu stören.“

Albert wollte dieser Person nicht zuhören, wandte sich ab und wollte …

Nur um festzustellen, dass er sich nicht bewegen konnte.

Castiels Ton änderte sich nicht, als er weitersprach.

„Wie ich bereits sagte, du bleibst hier. Jeder Versuch, etwas anderes zu tun, wird dich nur in Schwierigkeiten bringen.“

Albert kochte.

Und dann fiel es ihm plötzlich ein.

Batman und Lethal Weapon II. Das waren die Poster, die in Tommys Büro gehangen hatten.

Er wunderte sich, warum er sich daran erinnerte, besonders gerade jetzt

Nachdem Albert Chao verschwunden war, griff Sam Winchester als Erstes nach dem Dämonenkiller-Messer.

Er sprang in die Teufelsfalle und stach mit dem Messer nach dem Mann, der von dem Dämon besessen war.

Der Mann parierte den Angriff mit einem Streich des Hakenschwerts und der Aufprall sandte schmerzhafte Vibrationen durch Sams Arm.

Er war derjenige, der das Messer benutzen musste. Sein Status als Luzifers Gefäß bedeutete, dass ihm der Dämon nichts anhaben konnte. Der hier, so schien es zumindest, schien das Memo nicht bekommen zu haben. Oder es war ihm egal, weil er das Schwert direkt auf Sams Kopf zusausen ließ.

Sam duckte sich und stieß das Messer nach oben. Aber der Dämon sprang zurück und zog den Bauch ein, sodass Sam ins Leere traf.

Das Herz des Drachen schwang daraufhin sein Katana. Flammen schwirrten der Klinge hinterher, aber der Dämon konnte auch diesen Schlag parieren.

Er wich an den Rand der Teufelsfalle zurück und blickte abwechselnd zu Sam und dem Samurai, das Schwert in Bereitschaft.

„Keiner von euch wird mich aufhalten“, knurrte das Wesen. „Es hat ein ganzes und ein halbes Jahrhundert gedauert, bis alles genau zusammenpasst. Ihr werdet mir das nicht nehmen.“

Sam und der Geist von Yoshio Nakadai griffen gleichzeitig an.

Der Dämon parierte beide Schläge, nutzte den Rücken des Schwerts, um das Katana zu blocken und fing Rubys Messer mit der gebogenen Spitze ab.

Dann erschallte ein Schuss.

Die Kugel schlug in die Schulter des Körpers ein, den der Dämon besetzt hatte. Er zuckte nicht einmal und sah zu Dean herüber.

„Was zur Hölle glaubst du, was du …“

Diese Ablenkung war alles, was Sam brauchte, um dem Dämon das Messer zwischen die Rippen zu stechen.

Der Dämon blieb wie eingefroren stehen. Er glühte mit einem Licht, das aus dem Inneren seines Körpers zu kommen schien. Er schrie, fiel zu Boden und ließ das Hakenschwert los.

Sam hob es auf und sah das Herz des Drachen an. Er füllte seinen Geist einzig mit Gedanken für den flammenden Geist. Während er das tat, rezitierte er den Zauber, den sein Vater zwanzig Jahre zuvor gesprochen hatte.

Doragon Kokoro sah ihn erwartungsvoll an.

Als Sam zum letzten Teil des Spruches kam, hob er die Klinge hoch über seinen Kopf und schwang sie abwärts. Der Haken durchdrang die Brust des Geistes an der Stelle, an der einst sein Herz geschlagen hatte.

Die Flammen des Geistes brannten so hell, dass Sam seine Augen bedecken musste. Es war eine reine, weiße Flamme – wunderschön anzusehen.

Als der Geist verblasste, hörte Sam ein Wort durch den Raum hallen.

„Arigato.“

Dann war das Büro leer, bis auf die zwei Brüder und eine Leiche auf dem Boden.

Sam blickte Dean an.

„Sieht so aus, als hätten wir es geschafft.“

„Sieht so aus“, sagte Dean mit einem Nicken. Er blickte sich um und zeigte mit der Schulter in Richtung Tür. „Komm schon, Alter, lass uns Gummi geben.“

Sie gingen hinten raus – wie sie reingekommen waren. Genau wie John Winchester vor zwanzig Jahren. Sie traten auf die Gasse hinaus, wo Castiel auf sie wartete. Merkwürdigerweise schien der Engel allein zu sein.

„Wo ist Chao?“, fragte Sam.

„Wir müssen jetzt gehen“, sagte Castiel.

Dean näherte sich der Fahrertür, die an der Seite lag, die zur Straße zeigte.

„Ja, aber was ist mit …?“

„Äh, Dean?“

Sam war um das Auto herum auf die Beifahrerseite gegangen. Als er das Gesicht seines Bruders sah, ging Dean ebenfalls um das Auto zu seinem Bruder.

Die Überreste von Albert Chao waren eine ziemliche Schweinerei. Er hatte klaffende, blutige Wunden am ganzen Körper – von Kopf bis Fuß.

Castiel sagte wieder: „Wir müssen jetzt gehen. Die Polizei wird bald hier sein.“

„Ja“, stimmte Dean zu und beide Winchesters stiegen ins Auto.

Einen Moment später erschien Castiel auf dem Rücksitz. Sam hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt.

Dean startete den Motor und setzte aus der Gasse zurück. Er ordnete sich in den Verkehr der Ellis Street ein.

„Was ist mit ihm passiert?“, fragte er den Engel erneut.

„Das Herz des Drachen erhielt Albert Chao am Leben und schützte ihn vor Verletzungen. Wenn du den Zauber sprichst, der den Geist verschwinden lässt …“

Sam nickte.

„Er hatte keinen Schutz mehr und alles hat ihn eingeholt. Gott, das muss so gewesen sein, als würde ihm jede Wunde, die er je gehabt hat, auf einmal zugefügt.“

Castiel antwortete völlig emotionslos.

„Er hat ziemlich laut geschrien, darum dachte ich, es wäre besser, wenn wir uns von dort zurückziehen. Ich hätte uns ja einfach telepor…“

„Nein“, bellte Dean. „Einfach – nein.“

Sam lächelte, was sein zerschundenes Gesicht mit Schmerzen quittierte. Er konnte nicht verstehen, was daran so schlimm war. Er war sich ziemlich sicher, dass Dean sich so anstellte, weil er jede Form des Reisens hasste – außer er fuhr in seinem Impala.

„Das hast du gut gemacht“, sagte Castiel, obwohl sein Gesicht kaum eine Emotion verriet. „Hätte der Dämon die Kontrolle über das Herz des Drachen erlangt, hätte das katastrophale Folgen gehabt.“

Sam drehte sich um, um Castiel noch etwas zu fragen, aber der Engel war fort. Er sah Dean an, der nur mit den Schultern zuckte.

Sie hatten ein Problem gelöst, das bereits ihre Eltern und Großeltern geplagt hatte, und einen Geist aus den Händen der Bösen im Krieg Engel gegen Dämonen herausgehalten. Sam war nicht so ganz überzeugt, dass es in diesem Konflikt überhaupt so etwas wie die Guten gab. Aber er wusste, dass er nicht wollte, dass die Dämonen gewannen.

Das Herz des Drachen war ein Vorteil gewesen, den er ihnen nicht gewähren wollte.

Dean fuhr zurück zur Emperor Norton Lodge, wo sie ihre Sachen packten und zum Auschecken in die Lobby gingen.

Dean legte die beiden Schlüsselkarten auf den Schalter.

„Wir checken aus 102 aus“, sagte er zu dem Angestellten.

„Sicher.“ Der Typ tippte etwas in den Computer und nannte Dean eine Summe.

Dean gab ihm das Geld, das aus seinem Pokergewinn stammte, und etwas Trinkgeld.

Der Angestellte zählte pflichtbewusst die Scheine. Sam merkte, dass er dazu mehrere Anläufe brauchte.

Zahlt wohl heutzutage keiner mehr in bar.

„Äh, Sir? Das sind fünfundzwanzig Dollar zu viel.“

„Ich weiß“, sagte Dean. „Ich hab die Stadt ein paar Mal ‚Frisco‘ genannt. Das ist mein Bußgeld für den Kaiser.“

Der Angestellte runzelte die Stirn.

„Kaiser?“

„Du kennst Norton den Kaiser nicht?“ Dean klang ungläubig. „Alter, du arbeitest hier?“

„Oh, der Typ“, sagte der Angestellte kopfschüttelnd. „Ja, äh, daran habe ich nicht … er war kein …“

Dean rollte mit den Augen, drehte sich um und ging nach draußen. Sam folgte ihm.

„Die Jugend von heute“, grummelte Dean. „Kein Sinn für Geschichte.“

Obwohl es schmerzte, schmunzelte Sam.

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