Zehn

„Weißt du“, sagte Sam Winchester, „das finde ich immer noch ein bisschen gruselig.“

Dean starrte auf den Ausdruck des vierzig Jahre alten Artikels aus dem San Francisco Chronicle.

„Was, dass unsere Mutter und die Großeltern auch Jäger waren?“ Dean erinnerte sich, dass er wie betäubt gewesen war, als dieses neunzehnjährige Mädchen ihn schier zusammengeschlagen hatte. Als er dann das schützende Bettelarmband gesehen hatte, hatte er zwei und zwei zusammen gezählt.

Mary wusste wirklich, wie man jemanden gehörig in den Hintern trat.

Die Familiengeschichte der Winchesters hatte in ihrer Kindheit keine hohe Priorität gehabt. Deans Großeltern waren kaum in Erinnerung gebliebene Gesichter auf verblichenen Bildern, die im Treppenhaus hingen. Die einzige Familie, die ihm nach Moms Tod etwas bedeutete, waren Sam und Dad. Später Leute wie Bobby, der für die Jungen ein Ersatzvater gewesen war, und dann, als sie älter wurden, noch etwas anderes. Und Caleb. Und Pastor Jim.

Sam lächelte, als er Deans Frage beantwortete.

„Nein, es ist schon schlüssig, dass sie Jäger waren“, sagte er. „Aber es ist komisch, dass wir nach ihnen benannt wurden und Dad uns das nie erzählt hat.“

Dean schnaubte verächtlich.

„Kannst du auf die Liste der Dinge setzen, die Dad uns nie erzählt hat. Wir könnten damit ein verdammtes …“ Plötzlich bekam er einen Blick, als wäre er ganz weit weg. „… Buch füllen. Mistkerl.“

Dean steuerte zielstrebig von der Küche ins Wohnzimmer und geradewegs auf die abgewetzte Tasche zu, die er immer auf Reisen benutzte. Er zog ein in Leder gebundenes Notizbuch heraus, das in den vergangenen vier Jahren integraler Bestandteil ihres Lebens als Jäger geworden war. Seit Dad verschwunden war. Seit Dean nach Stanford gekommen und Sam wieder zurück in das alte Leben gezerrt hatte. Das Leben, das er hinter sich gelassen hatte.

Dads Tagebuch.

Fieberhaft begann er in den Seiten zu blättern, bis er zu dem Teil kam, der die späten achtziger Jahre betraf, und fand, was er suchte.

„Hier kommt’s“, rief er über die Schulter. „Herz des Drachen – San Francisco 1989. Zwanzig Jahre später – und Dad ist ihm entgegengetreten.“

Sam stand vom Küchentisch auf und folgte seinem Bruder.

„Okay, jetzt fängt es bei mir an zu klingeln. Das ging auch um ein Schwert, oder?“

„Jup“, sagte eine Stimme aus dem Hinterzimmer. Bobby kam ins Wohnzimmer gerollt. Ein dünnes, langes Paket, das mit Packpapier und Garn verschnürt war, lag auf seinem Schoß. Er steuerte seinen Rollstuhl auf die Brüder zu und kam so zum Stehen, dass er neben ihnen saß.

Er starrte unter seiner omnipräsenten Baseballmütze nach oben und hielt ihnen das Päckchen hin.

„Wenn ihr beide Doragon Kokoro dingfest machen wollt, werdet ihr das hier brauchen.“

Sam nahm das Paket.

Er entknotete den Faden, riss das einfache Papier auf und Dean war überrascht, dass ein Hakenschwert zum Vorschein kam. Er hatte ein Katana erwartet. Es hatte einen Griff mit Handgelenkschutz und einen weiteren Teil darüber. Die lange Klinge bog sich erst am äußersten Ende.

Das war aber nicht das Interessanteste an der Waffe: Es waren die Runen in asiatischen Schriftzeichen, die in die Klinge eingraviert waren. Dean fiel es schwer, Chinesisch und Japanisch zu unterscheiden.

„Als euer Vater vor zwanzig Jahren gegen Doragon Kokoro gekämpft hat“, begann Bobby, „hat er hiermit den Geist zurückgeschickt. Wir hatten gehofft, dass es für immer sein würde, aber vermutlich haben wir einfach nur das Gleiche erreicht wie eure Großeltern und sind ihn für zwei Jahrzehnte losgeworden.“

„Darum habt ihr das alte Ding behalten.“

Dean schnaubte erneut. Bobby brauchte keinen Grund, um etwas zu behalten – er war ein zwanghafter Sammler. Und wie sie immer wieder bei ihrem Job feststellen mussten, war es Blödsinn, etwas wegzuwerfen, das vielleicht in der Zukunft nützlich sein könnte.

Sam blickte Dean an.

„Es ist Jahre her, seit ich diesen Teil in Dads Tagebuch gelesen habe. Was steht drin?“

Dean sah auf das in Leder gebundene Notizbuch herunter.

„Tatsächlich ’ne ganze Menge.“

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