Acht
David Severn war alles in allem sehr mit sich zufrieden, wären da nicht die Schmerzen in seinen Knöcheln gewesen.
Aber es hatte sich gelohnt. Er hatte versucht, die perfekte Frau zu finden, und das hier schien sie zu sein. Debbie war sein bestes Pferd im Stall, und nach einer harten Arbeitswoche als Supermarkt-Manager wollte er seinen Hintern drauf verwetten, dass sie jetzt Spaß haben würden.
Die ersten drei Dates waren alle schiefgegangen. Sie hatte im Golden Gate Park nur geniest und der Ghirardelli Square hatte ihr nicht gefallen. Einkaufen war ihrer Meinung nach nicht romantisch, sondern etwas, das man mit seiner Mutter tat. Und dann war da das Filmore.
Er hatte Zweifel gehabt, zu einem dieser lauten Konzerte zu gehen: Ein Haufen Irrer, die wie Zirkusclowns angezogen waren und Musik machten, die um einiges zu laut war und nicht ansatzweise melodisch. David zog Musiker vor, die ordentlich aussahen, gut angezogen und schon bekannt waren, wie Buddy Holly, Gott hab ihn selig, oder die Beatles, bevor sie angefangen hatten, Drogen zu nehmen.
Wegen Debbie hatte er so getan, als ob er Spaß hätte – sie war immerhin seine Favoritin und ein absoluter Schatz. Trotzdem hoffte er, dass sie das nicht noch einmal wiederholen wollte. Als sie an diesem Abend das Filmore verlassen hatten, gingen sie den Geary Boulevard entlang und die Steiner Street hoch, an der David sein Auto geparkt hatte. Auf dem Weg kamen sie am Winterland vorbei. Debbie hatte erwähnt, dass der Besitzer des Filmore es manchmal mietete, wenn die Konzerte zu groß für seinen Laden waren.
Sie hatte gesagt, dass sie sehr gerne Schlittschuhlaufen ging.
Exakt an Ort und Stelle hatte David den Plan für ihre Verabredung an diesem Freitag gefasst.
Ganz klar, sie war hin und weg gewesen. Debbie war eine exzellente Schlittschuhläuferin – was David von sich nicht behaupten konnte. Er fiel einige Male hin, mehr als einmal auf den Hintern, aber Debbie hatte nur gelacht und ihm hochgeholfen. Dann hatte sie ihm gezeigt, wie es richtig ging.
Nach einer Weile hatte er es ganz gut raus, doch Junge, seine Knöchel taten vielleicht weh.
Trotzdem, der Abend war generell großartig gelaufen. Debbie hatte so viel Spaß, dass sie letztendlich in der Nähe der Schließfächer landeten und rummachten, bis die Eisbahn schloss und die Angestellten sie rauswarfen.
Als sie auf die Steiner Street kamen, legte David den Arm um Debbies Hüften.
„Du bist wunderschön Schlittschuh gelaufen, Süße.“
„Danke.“ Sie lächelte zu ihm hoch. Sie liebte es, wenn er sie „Süße“ nannte. „Als ich noch klein war“, sagte sie, „habe ich alle Filme mit Sonja Henie gesehen. Sie war meine absolute Heldin.“
„Wow – das ist Kismet“, sagte er bedeutungsschwanger.
„Was meinst du?“, fragte sie mit einem ratlosen Gesichtsausdruck.
„Nun, du weißt, dass mein Held Buddy Holly ist. Das bedeutet unsere beiden Helden sind bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen!“
Sie versteifte sich unter seinem Griff.
„Sie ist an Leukämie gestorben“, sagte Debbie ernst. „Sie ist nur zufällig gestorben, während sie nach Hause nach Oslo geflogen ist.“
David war total niedergeschlagen und wusste nicht, was er darauf antworten sollte.
„Oh“, war die einzige Antwort, die er herausbringen konnte.
Bevor er versuchen konnte, das Gespräch zu retten, ertönte hinter ihnen eine Stimme.
„Hallo, David.“
Er wirbelte herum und sah einen jungen Orientalen mit einer spitzen Nase in einer Nehrujacke und grünen Hosen. David konnte ihn absolut nicht wiedererkennen und war ein bisschen beleidigt, weil jemand wie der ihn so vertraulich ansprach.
„Entschuldigen Sie, kennen wir uns?“
Debbie rückte näher an ihn heran und er hielt sie noch etwas fester. Er versuchte, sich vorsichtig zwischen den Orientalen und Debbie zu stellen.
„David, wer ist das?“, fragte sie nervös.
„Das werde ich jetzt herausfinden, Süße.“
Der Orientale schüttelte den Kopf.
„Du erinnerst dich wirklich nicht, oder?“
„An was?“, fragte David wütend. „Wer sind Sie?“
„Du besitzt wirklich die Unverfrorenheit, mich das zu fragen?“, antwortete der Mann und seine Stimme wurde mit jedem Wort lauter. „Ich bin Albert Chao! Ich bin der Mann, den du gefeuert hast, nur weil ich mich mit dem falschen Mädchen unterhalten habe!“
Debbie sah zu ihm auf.
„Ist das wahr, David?“
Er schluckte und versuchte, sich zu erinnern. Der Besitzer des Supermarkts, Mr. Wilhelm, bestand darauf, orientalische Mitarbeiter zum Auffüllen der Regale einzustellen. Er überließ es allerdings David, sie zu feuern. Er nahm an, dass dieser Albert Chao einer von ihnen war.
„Schau mal, Kumpel“, sagte er mit seiner besten Manager-Stimme, „wenn ich dich gefeuert haben sollte, dann bestimmt aus einem guten Grund, nicht wahr? Also, lass mich und mein Mädchen weitergehen und verschwinde wieder in deine Opiumhöhle oder wohin auch immer.“
Der Orientale grinste breit.
„Oh, das wird mir Spaß machen.“
Dieses Grinsen ging David unter die Haut und er wollte es nicht mehr sehen. Er rief sich sein Boxtraining ins Gedächtnis, löste sich von Debbie und nahm eine Kampfposition ein. Dann boxte er Albert Chao mitten ins Gesicht.
Der Orientale versuchte, sich zu ducken, war aber nicht schnell genug. Die Wucht des Schlags auf die Nase des Mannes verursachte David stechende Schmerzen in seinem Arm. Als er das Knacken des brechenden Knochens hörte, atmete er zischend aus. Er hatte vergessen, dass es ganz schön wehtat, jemanden zu boxen.
Selbstverständlich hatte er beim letzten Mal auch Handschuhe getragen …
Debbie, die gute Seele, rannte sofort zu ihm.
„Geht es dir gut?“
„Ich glaube schon.“
Doch der Orientale hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Seine spitze Nase war blutig, aber er schien völlig unbeeindruckt.
David konnte es nicht glauben – das war sein bester Schlag.
Dann begann der Mann etwas zu murmeln. David konnte kein Wort davon verstehen, aber etwas an der Art, wie er flüsterte, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.
Debbie drückte sich an ihn.
„David, was macht er da?“
„Ich … ich weiß nicht …“, stammelte David. Dann merkte er, dass er keine Luft mehr bekam.
Was zur Hölle tut er da?
Plötzlich verstummte Chao, doch die Stille war noch viel beängstigender. David konnte nicht einmal mehr die Straßengeräusche hören. Es war ein Freitagabend mitten in San Francisco, der Lärm kam von überall her. Doch David konnte nichts hören, außer seinem eigenen keuchenden Atem und wie sein Herz gegen seine Rippen schlug.
Plötzlich blies heiße Luft in sein Gesicht. Ihm brach sofort der Schweiß aus, als ein riesiges Feuer aus dem Bürgersteig der Steiner Street hervorschoss.
Ein Mann stand mitten in den Flammen. David konnte seine Gesichtszüge nicht erkennen, aber er wusste einfach, dass die Gestalt ihn direkt anstarrte.
Es war wie in einem dieser bizarren psychedelischen Songs, die diese Band im Filmore gespielt hatte. Das konnte unmöglich passieren. Trotzdem konnte er das Feuer auf seinem Gesicht spüren und die Flammen in der Nachtluft hochschlagen sehen – und Debbies erstickten Schrei hören.
Der Mann im Feuer erhob ein riesiges Schwert.
Das Letzte, was David je hörte, war sein eigener Schrei.
Die Campbells kamen in der Emperor Norton Lodge zusammen.
Sehr zu Samuels Missfallen hatte Mary Jack angerufen und ihm von dem Schwefel am Tatort erzählt. Er versprach zu prüfen, ob es in letzter Zeit Dämonen-Aktivitäten gegeben hatte.
Deanna erzählte, dass sie eine Spur zum ‚Herzen des Drachen‘ gefunden hatten, aber dass sie japanisch war. Samuel fand das fragwürdig, denn Chao war ein chinesischer Name. Aber jede Kleinigkeit half. Sie würden mehr erfahren, wenn Bartows Freund, der Professor aus Berkeley, den Text übersetzt hatte.
Dann – nur mit einem Namen bewaffnet – teilten sie sich auf. Jeder versuchte den Mann zu finden, der Albert Chao hieß, und herauszufinden, welche Verbindung es zwischen ihm und den Opfern gab.
Sie kehrten erst spät in der Nacht in die Lodge zurück. Deanna bestellte ihnen eine Kleinigkeit aufs Zimmer und die Familie verglich ihre Notizen.
Samuel fing an.
„Ich habe eine mögliche Zielperson ausgemacht, bin aber zu spät gekommen. Zuerst habe ich in den Bars rund um Verlanders Wohnung nachgefragt und einen Laden gefunden, in dem jemandem der Name Albert Chao bekannt vorkam.
Der Barkeeper hat mir erzählt, dass Albert vor zwei Monaten seinen Job in einem Supermarkt verloren hat und dass er darüber sehr wütend war.
„Also habe ich den Supermarkt gesucht und herausgefunden, wer ihn gefeuert hat. Sie meinten, der Typ wollte heute Abend mit seiner Freundin ins Winterland.“
Mary richtete sich auf.
„Oh, wer hat gespielt?“
„Es ist eine Eisbahn, Mary“, sagte Samuel stirnrunzelnd.
„Wirklich? Ich dachte dort würden nur Konzerte stattfinden. Hendrix und die Dead spielen dort immer.“
Samuel versuchte nicht einmal so zu tun, als wüsste er, wovon sie redete.
„Egal, als ich zum Winterland kam, waren die Cops schon da. Direkt ein Stück die Straße runter und Reporter waren auch vor Ort. Der Supermarktleiter und seine Freundin waren beide verbrannt und in Scheibchen geschnitten worden.“
Deanna zuckte zusammen.
„Oh, nein!“
Mary kniff den Mund zu einer geraden Linie zusammen.
„Wir müssen diesen Kerl aufhalten, Dad.“
„Nun, ich bin für Vorschläge offen“, sagte Samuel bitter. Er war wütend, weil er nicht rechtzeitig zur Stelle gewesen war. „Was hast du in Berkeley herausgefunden?“
Mary war nach Berkeley gefahren, um mit einigen von Marybeth Wenzels Studienkameradinnen zu sprechen. Sie hatte sich als High-School-Schülerin ausgegeben, die Berkeley als College in Betracht zog. Sie hatte vorgegeben, dass sie besorgt war, weil eine Studentin ums Leben gekommen war.
„Marybeth hatte nur Einsen und alle ihre Freunde fanden sie ziemlich toll. Das Einzige, was sie bemängelten, war ihr seltsamer Geschmack bei Männern.“
Samuel runzelte die Stirn.
„Was genau heißt denn ‚seltsam‘?“
Marys Gesicht war das Spiegelbild seines eigenen, ein Ausdruck von Missfallen.
„Die Mädchen wollten es nicht so richtig sagen, aber da gab es einen Jungen. Er meinte ‚Sie mochte nur Schlitzaugen.‘ Ich glaube, er meinte Orientalen.“
Samuel nickte.
„Also ist sie eine von Chaos Flammen?“
„Das würde ich auch denken.“
Dann kam Deanna dran.
„Ich bin nicht überrascht, dass sie eine ‚alte‘ Flamme ist. Ich habe mit den Leuten aus der Wäscherei und den Restaurants gesprochen, in denen die beiden Opfer aus Chinatown gearbeitet haben. Ich habe gesagt, ich wäre eine von Alberts früheren Lehrerinnen, und in beiden Fällen hat man mir erzählt, dass er dort gearbeitet hat. Bei beiden hieß es, dass er entlassen wurde und dass die Opfer diejenigen sind, die ihn gefeuert haben.
„Was besonders interessant ist, er wurde unter anderem aus der Wäscherei gefeuert, weil er in seiner Bewerbung gelogen hat. Chao hat behauptet, er wäre Chinese, dabei ist er halb Chinese und halb Japaner.“
Samuel seufzte.
„Also sind die Einzigen, gegen die Chao einen Groll hegte und von denen wir wissen, tot.“ Wenn dem so war, steckten sie in einer Sackgasse.
„Meinst du, dass er fertig ist?“, fragte Mary hoffnungsvoll.
Deanna schüttelte den Kopf.
„Hier ist ein Dämon am Werk, Mary, erinnerst du dich? Das bedeutet, dass er nicht aufhören wird. Chao glaubt vielleicht, dass er die Kontrolle hat, aber das stimmt nicht. Der Dämon wird nicht aufhören, nur weil Chao auf niemanden mehr wütend ist.“
„Außerdem hat ein Typ wie er wahrscheinlich eine lange Liste von Leuten, mit denen er ein Hühnchen zu rupfen hat“, sagte Samuel. „Wir müssen herausfinden, wo Chao wohnt. Das konnte ich aus niemandem herauskitzeln.“
„Wir sollten Jack anrufen und sehen, ob er etwas herausgefunden hat“, sagte Mary fröhlich und ignorierte die Schatten, die auf dem Gesicht ihres Vaters aufzogen.
„Okay“, sagte er. „Ruf ihn an, aber …“
Mary sprang vom Bett auf.
„… geh nach draußen in die Telefonzelle. Ich weiß.“
Samuel rief ihr nach, als sie auf die Tür zuging.
„Ich will einfach nicht den Aufschlag bezahlen, den das Hotel für Anrufe berechnet!“
Aber sie war verschwunden, bevor er zu Ende gesprochen hatte.
Als sich die Tür hinter ihr schloss, sah Samuel Deanna an und begann zu sprechen. Aber sie schnitt ihm das Wort ab.
„Darum hast du deine Haare verloren, nicht wahr?“
Zuerst blickte Samuel sie finster an, doch dann brach er in Lachen aus. Sie lachte mit.
Er zog sie in seine Arme.
„Du liebst mich immer noch, obwohl ich ein kaputter, glatzköpfiger alter Mann bin?“
„Du bist ’n verdammter Knaller, du Hengst“, sagte sie mit einem schiefen Grinsen, dann küsste sie ihn.