44. Kapitel

»Was machen wir, wenn sie uns nicht durchlassen?« fragte Bremer, während er um den Wagen herumging und die Tür auf der Beifahrerseite öffnete. Er hatte ganz automatisch wieder hinter dem Steuer Platz nehmen wollen, aber Sendig hatte abgewinkt Aus irgendeinem Grund wollte er das letzte Stück nicht nur vorne mitfahren, sondern selbst das Steuer übernehmen. Bremer konnte sich nicht erklären, wieso - aber er hatte das Gefühl, daß ihm die Antwort nicht besonders gefallen hätte, hätte er sie gekannt. Sendig war ganz in der Stimmung, etwas sehr Dummes zu tun. Noch während er sich auf den Beifahrersitz hinaufzog und die Tür schloß, spielte er ernsthaft mit dem Gedanken, einfach darauf zu bestehen, selbst zu fahren. Aber er sprach diesen Wunsch nicht laut aus. Sendig war noch immer sein Vorgesetzter. Das hieß - mit ziemlicher Sicherheit war er es nicht mehr, aber die alten Spielregeln von Gehorchen und Befehlen funktionierten noch immer. Niemand legte eine zwanzig Jahre alte Gewohnheit innerhalb weniger Stunden einfach so ab.

»Was sollen wir schon tun?« Sendig drehte einen Moment vergebens am Zündschlüssel, bis er begriff, daß sie in einem betagten Diesel saßen, und den Daumen auf den Startknopf preßte. Der Motor sprang sofort an. »Sie wissen doch, wie das in amerikanischen Krimis läuft, oder? Wir brechen durch das Tor. Was sonst?«

»Ich finde das nicht im geringsten komisch«, sagte Bremer. Das entsprach der Wahrheit. Er war nicht nur im Zweifel - er war ziemlich sicher, daß Sendig diese Worte ernst meinte.

»Ich auch nicht. Entschuldigen Sie.« Sendig legte den Gang ein, fuhr aber noch nicht los. Sein Blick tastete durch die Fahrerkabine und blieb an einem Punkt hinter und über Bremer hängen. »Wie ich schon sagte - gottlob ist das hier ein sehr ordentlicher Haushalt. Geben Sie mir eine davon.«

Bremer sah in die gleiche Richtung und entdeckte zwei signalrote Jacken, die an einem Haken hinter ihm hingen. Er tat, worum Sendig ihn gebeten hatte, und gab ihm eines der Kleidungsstücke. Sendig nahm den Gang wieder heraus und begann umständlich, die Jacke über seinen Mantel zu streifen, ein Vorhaben, das hinter dem Steuer des Wagens nahezu zu einem akrobatischen Kunststück geriet. Das Ergebnis sah einigermaßen lächerlich aus. Die Jacke war Sendig um mindestens drei Nummern zu groß, und man sah deutlich, daß er darunter einen Mantel und ein zweites Jackett trug. Diese Verkleidung würde nicht einmal einem flüchtigen Blick standhalten, geschweige denn irgend jemanden täuschen. Trotzdem schlüpfte er nach kurzem Zögern selbst in die zweite Jacke - und stellte fest, daß sie ihm viel zu klein war.

»Tauschen wir?« fragte er.

»Wozu?« Sendig bedachte Bremer mit einem breiten Grinsen, legte den Gang wieder ein und ließ den Wagen langsam losrollen. »Das lohnt nicht. Außerdem - da fühlt man sich doch wieder richtig jung, oder? Wie damals beim Bund. Einheitsgröße - und paßt! Waren Sie bei der Bundeswehr, Bremer?«

»Nein«, antwortete Bremer einsilbig. Sendigs Verhalten irritierte ihn immer mehr. Er hatte Verständnis dafür und erwartete sogar, daß er nervös war und Angst hatte - aber Sendig benahm sich vollkommen verrückt. Zum ersten Mal fragte er sich allen Ernstes, ob Sendig vielleicht tatsächlich den Verstand verloren hatte.

»So, Sie haben nicht gedient?« Sendig schüttelte in gespielter Empörung den Kopf. »Ich bin erschüttert.«

Bremer sah ihn durchdringend an. »Ist mit Ihnen alles in Ordnung?« fragte er.

»Alles in Ordnung?« Sendig grinste noch breiter. »Natürlich ist mit mir alles in Ordnung. Was soll denn nicht stimmen?«

Bremer schwieg, und auch Sendig war einige Sekunden lang still. Aber als er weitersprach, war sein Lächeln irgendwie eingefroren und sah aus wie die geschminkten Züge eines Harlekins. »Nein, es ist nicht alles in Ordnung. Ganz und gar nichts ist in Ordnung, Bremer. Ich habe eine verdammte Scheißangst.«

Bremer hätte ihn gerne gefragt, wovor, aber es war zu spät. Die Einfahrt der Fabrik tauchte im Scheinwerferlicht auf, und Bremer sah, daß zumindest eine seiner Sorgen unbegründet gewesen war - das schmiedeeiserne Rolltor stand weit offen. In dem kleinen Pförtnerhäuschen daneben brannte das trübe Licht einer altmodischen Schreibtischlampe, aber der Pförtner selbst war bereits aus seiner Loge herausgetreten und leuchtete mit einer Taschenlampe in ihre Richtung. Wahrscheinlich hatte er sie schon bemerkt, als sie von der Straße abgebogen waren, und sich gewundert, warum sie mit laufendem Blaulicht noch einmal auf halbem Wege angehalten hatten.

Sendig trat leicht auf die Bremse, schaltete das Blaulicht aus und kurbelte gleichzeitig das Fenster auf seiner Seite herunter. »Sagen Sie nichts, Bremer«, sagte er. »Ich regele das.«

Er bremste weiter ab und hielt unmittelbar neben dem Pförtner an. Der Lichtstrahl der Taschenlampe richtete sich für einen Moment direkt auf sein Gesicht und erlosch, als Sendig die Hand hob und übertrieben blinzelte. Bremer hörte, wie der Pförtner näher kam. Sehen konnte er ihn nicht, dazu war es zu dunkel draußen. Alles, was er wahrnahm, war ein gesichtsloser Schatten.

»Guten Abend«, sagte der Pförtner. Seine Stimme verriet, daß er schon ziemlich alt sein mußte. »Was ist denn los? Ist was passiert? Ich habe euch nicht gerufen, und -«

»Es ist nichts passiert«, unterbrach ihn Sendig. »Keine Angst - wir sind nicht im Einsatz. Direktor Sillmann hat uns angerufen. Ist er hier?«

»Direktor Sillmann?« Der Pförtner kam noch näher und stand nun unmittelbar neben der Tür, so daß Bremer sein Gesicht nun erkennen konnte. Er war so alt, wie er erwartet hatte, und sah sehr verwirrt aus, aber auch ein bißchen mißtrauisch. Wahrscheinlich war ihm Sendigs Aufzug bereits aufgefallen. Bremer betete, daß die bloße Autorität des Krankenwagens ausreichen mochte, ihn nicht zu intensiv über dessen sonderbare Insassen nachdenken zu lassen.

»Er erwartet uns«, bestätigte Sendig. »Ist er schon da?«

»Ange...« Der Pförtner stockte mitten im Wort. Sein Gesicht hellte sich auf. »Jetzt verstehe ich. Natürlich ist er da - entschuldigen Sie. Er wartet schon auf Sie. Tut mir leid - ich habe die anderen durchgelassen, aber ich wußte nicht, daß noch jemand kommt. Was ist denn eigentlich los?«

Sendig ignorierte die Frage. »Wo finden wir ihn?«

»Im Labor.« Der Pförtner schaltete seine Lampe wieder ein und deutete mit dem Lichtstrahl nach rechts. Bremers Blick folgte der Geste. Das Gebäude, auf das der Mann wies, war zu weit entfernt, um mehr als ein Schatten zu sein, aber hinter einer offenstehenden Tür im Erdgeschoß brannte Licht. Ein Stück daneben war ein Wagen abgestellt. »Sehen Sie die Tür? Einfach den Gang bis zum Ende und dann die Treppe hinunter. Normalerweise ist abgeschlossen, aber wenn der Herr Direktor Sie erwartet, ist die Tür bestimmt auf. Wenn nicht, rufen Sie mich. Ich habe einen Hauptschlüssel.«

Sendig bedankte sich, drehte das Fenster wieder hoch und fuhr weiter. Die Scheinwerferstrahlen beschrieben einen asymmetrischen Viertelkreis vor ihnen auf dem Boden, als er den Wagen durch das Tor und dann nach rechts lenkte, und wurden länger, als er aufblendete. Die offenstehende Tür im Laborgebäude verlor deutlich an Leuchtkraft, aber dafür sah Bremer, daß hinter dem Wagen, der daneben abgestellt war, ein zweites Fahrzeug stand: ein auffälliger schwarzer Mercedes mit abgedunkelten Scheiben und einer sonderbaren, wie ein Bumerang geformten Antenne auf dem Kofferraumdeckel. Das mußten die anderen sein, von denen der Pförtner gesprochen hatte.

Auf der anderen Seite des Wagens mit der seltsamen Kofferraumverzierung lehnte ein Mann. Er trug einen dunklen Anzug und rauchte. In der linken Hand hielt er etwas, das Bremer nicht genau erkennen konnte, von dem er aber ziemlich sicher war, daß es sich um ein Walkie-talkie handelte. Als das Licht den Wagen erfaßte, erschien sein Schatten riesig und verzerrt an der weißgestrichenen Wand hinter ihm. Er drehte den Kopf und sah blinzelnd in ihre Richtung, machte aber keine Anstalten, vom Kotflügel des Wagens herunterzugleiten, auf dem er halb saß, halb lehnte.

Sendig gab ein wenig mehr Gas. Er fuhr nicht sehr schnell, aber sie waren auch keine zehn Meter mehr von den beiden Wagen entfernt. Wenn er es nicht unbedingt darauf anlegte, die Bremsen des Krankenwagens zu testen, sollte er vielleicht allmählich wenigstens aufhören, Gas zu geben, dachte Bremer.

»Nicht so schnell«, sagte er.

Aber Sendig bremste nicht ab, sondern grinste plötzlich wieder - und trat das Gaspedal mit einem Ruck bis zum Anschlag durch.

Der Motor unter Bremers Füßen heulte auf. Der Wagen machte einen regelrechten Satz, überwand die verbliebenen fünf oder sechs Meter im Bruchteil einer Sekunde und krachte mit solcher Wucht in die Hanke des Mercedes, daß Bremer nach vorne geschleudert wurde und erst im letzten Moment die Arme vor das Gesicht riß, um sich nicht am Armaturenbrett die Zähne einzuschlagen. Glas splitterte, und beide Scheinwerfer des Krankenwagens erloschen im gleichen Augenblick. Der Mercedes wurde ein Stück in die Höhe gehoben und drohte beinahe umzukippen, dann stürzte er mit einem schmetternden Schlag zurück, wobei er die Stoßstange und einen guten Teil der Motorhaube des Krankenwagens abriß.

Bremer hatte den größten Teil des Aufpralles irgendwie abgefangen, ohne dabei ein paar Zähne einzubüßen oder sich die Handgelenke zu brechen; aber die verbliebene Wucht war noch immer groß genug, ihn vom Sitz zu reißen und zu Boden zu schleudern. Benommen blieb er einige Augenblicke liegen. Als er sich wieder in die Höhe stemmte, kroch Sendig ebenfalls gerade unter dem Lenkrad hervor. Er hatte weniger Glück gehabt und blutete heftig aus der Nase, grinste aber trotzdem wie ein Schuljunge, dem ein besonders lustiger Streich gelungen war.

»Ups!« sagte er. »Wie ungeschickt von mir!«

»Sind... sind Sie verrückt geworden?« keuchte Bremer.

Sendig lachte, riß die Tür auf und sprang aus dem Wagen. Bremer vergeudete eine halbe Sekunde damit, ihm fassungslos nachzustarren, dann drehte er sich hastig herum und stieß die Tür auf der anderen Seite auf. So schnell er nur konnte, stolperte er hinter Sendig her, holte ihn aber trotzdem erst ein, als er den halbzertrümmerten Mercedes bereits umrundet hatte.

Der Mann, der auf dem Kotflügel gesessen hatte, lag jetzt stöhnend neben dem Wagen auf den Knien und hielt sich das Gesicht. Er blutete heftig aus Mund und Nase. Sendig rannte auf ihn zu, hielt abrupt an und sah einen Herzschlag lang wortlos - aber sichtlich amüsiert - auf ihn hinunter.

»Na so was!« sagte er kopfschüttelnd. »Sind euch die BMWs ausgegangen?«

Der Verletzte hob mühsam den Kopf und sah zu ihm hoch. Er blutete heftig aus Mund und Nase, und wahrscheinlich hatte er auch noch andere, schlimmere Verletzungen, denn sein Gesichtsausdruck spiegelte nur vollkommenes Unverständnis und Schmerz. Dann blitzte etwas in seinen Augen auf, aber die Erkenntnis kam zu spät. Noch immer grinsend streckte Sendig blitzschnell die Hand aus, grub die Finger in sein Haar und knallte seine Stirn so heftig gegen den Kotflügel, daß der Wagen um eine weitere Delle bereichert wurde. Der Mann verdrehte die Augen und sank bewußtlos zu Boden, als Sendig seine Haare losließ.

»Sendig!« keuchte Bremer. »Sind Sie wahnsinnig?!« Instinktiv trat er auf Sendig zu, hob die Arme, wie um ihn zu packen - und erstarrte mitten in der Bewegung. In Sendigs Hand lag plötzlich wieder die Pistole. Und sein Lächeln war wie weggeblasen.

»Behalten Sie die Nerven, Bremer«, sagte er. »Wir haben jetzt wirklich keine Zeit für Gefühlsduseleien. Holen Sie den Jungen.«

»Gefühlsduseleien?« Bremer starrte aus vor Schrecken geweiteten Augen auf den bewußtlosen Mann zu Sendigs Füßen hinunter. »Sind Sie verrückt? Sie hätten ihn umbringen können!«

»Und?« fragte Sendig. »Sind Sie so naiv, oder tun Sie nur so, Bremer? Glauben Sie im Ernst, daß die uns am Leben lassen, wenn sie uns zu fassen kriegen? Bestimmt nicht! Und jetzt holen Sie endlich den Jungen. Wir müssen weg hier. Wahrscheinlich sind noch einige mehr von diesen Kerlen in der Nähe!«

Bremer fühlte sich für einen Moment wie vor den Kopf geschlagen. Sendigs völlig überraschende Brutalität schockierte ihn, aber zugleich begriff er auch, daß er wahrscheinlich recht hatte. Wenn das, was Sendig ihm über die Droge und Sillmanns geheimnisvolle Beschützer erzählt hatte, die Wahrheit war, dann stand hier mittlerweile zuviel auf dem Spiel, als daß sie noch Rücksicht auf zwei kleine Polizeibeamte nehmen würden, vor allem dann nicht, wenn sie sich als lästige Mitwisser entpuppten. Hätte er auch nur einen Moment lang über diese Frage nachgedacht, dann wäre er wahrscheinlich von selbst darauf gekommen - aber aus irgendeinem Grund hatte er das bisher nicht getan. Wahrscheinlich, weil er es gar nicht wissen wollte.

»Los schon!« sagte Sendig ungeduldig. »Wir haben wahrscheinlich nur ein paar Minuten!«

Bremer drehte sich widerwillig herum und ging ein paar Schritte, aber dann rannte er zum Krankenwagen zurück. Er war plötzlich sehr zornig, vor allem auf sich selbst. Er hätte wissen müssen, daß es so oder so ähnlich enden würde - verdammt, er hatte es gewußt. Wieso hatte er es zugelassen? Mit einer viel zu heftigen Bewegung riß er die Türen auf und sprang in den Wagen hinein.

Auch die Innenbeleuchtung war ausgefallen, so daß er im ersten Moment kaum etwas sah. Immerhin erkannte er, daß Mark sich aufgerichtet hatte und vornübergesunken auf der Trage saß. Er stöhnte leise, hob aber den Kopf, als er Bremer bemerkte, und sah ihn an. »Was... was ist passiert?«

»Nichts«, antwortete Bremer hastig. »Ein kleiner Unfall, nichts Schlimmes. Ist Ihnen etwas passiert?«

Mark schüttelte den Kopf. Er versuchte aufzustehen, aber er war so schwach, daß es ihm ohne Bremers Hilfe nicht gelang. »Sind wir... da?« fragte er stockend.

»Ich glaube«, antwortete Bremer. Dann fügte er, hörbar (wenn auch gelogen) überzeugter hinzu: »Ja. Noch ein paar Schritte. Können Sie gehen?«

»Ja«, behauptete Mark. Es gelang ihm tatsächlich, einen Fuß vor den anderen zu setzen und sich zur Tür zu schleppen, aber nur, weil Bremer ihn dabei stützte. An der Tür angekommen, ergriff Bremer ihn kurzerhand unter den Armen und setzte ihn einen halben Meter tiefer wie ein Kind zu Boden. Mark stöhnte. Die Berührung mußte an seinem verletzten Arm höllische Schmerzen verursachen.

Bremer sprang hinter ihm aus dem Wagen, nahm kurz entschlossen seinen unverletzten Arm und legte ihn sich über Schultern und Nacken. Er hätte ihn getragen - der Junge war zwar groß, wog aber nicht besonders viel - und wäre auf diese Weise bestimmt schneller vorangekommen, aber er war ziemlich sicher, daß Marks Stolz das nicht zugelassen hätte, ganz gleich, wie elend er sich auch fühlte. So stützte er ihn, so gut er konnte, schlang den linken Arm um seine Hüfte und hakte die Finger unter seinen Gürtel, um auf diese Weise noch einen Teil seines Gewichts abzufangen.

Mark zitterte vor Anstrengung und Schmerz, als sie den zertrümmerten Mercedes umrundeten. Bremer sah, daß Sendig mittlerweile die Tür des Wagens geöffnet und den Bewußtlosen auf den Beifahrersitz verfrachtet hatte. Er fragte sich, warum, verschwendete aber keine Zeit auf diese Frage, sondern fuhr Sendig grob an: »Helfen Sie mir, verdammt noch mal!«

Sendig tauchte rückwärts wieder aus dem Wagen auf, aber er rührte keinen Finger, um Bremer zu helfen, sondern musterte nur Mark, auf eine Weise, die Bremer einen eisigen Schauer über den Rücken jagte. »Wie fühlen Sie sich?« fragte er. »Geht es?«

»Das ist die dämlichste Frage des Tages«, sagte Bremer wütend. »Helfen Sie mir, zum Teufel! Sie sehen doch, daß er gleich zusammenbricht.«

»Das ist... nicht nötig«, sagte Mark schwach. »Wirklich, ich... ich fühle mich schon besser.«

Um seine Worte zu beweisen, nahm er die Hand von Bremers Schulter und versuchte, aus eigener Kraft zu stehen. Es gelang ihm nicht ganz; er mußte sich gegen den Kotflügel des Wagens lehnen, um nicht zu stürzen. Aber er hatte trotzdem recht - er war schon weitaus kräftiger als drinnen im Wagen, und Bremer konnte regelrecht sehen, wie er sich erholte. Es war das zweite Mal innerhalb kurzer Zeit, und diesmal wirkte es noch unheimlicher.

»He, was ist denn da los?« Der Pförtner kam mit weit ausgreifenden Schritten herangestürmt. Sein Gesicht war eine einzige Maske der Empörung. »Was treibt ihr denn da? Was ist los?«

Er blieb abrupt stehen, als er nahe genug war, um die beiden ineinanderverkeilten Wagen richtig zu erkennen. Seine Augen weiteten sich. »Aber das... Was habt ihr denn nur gemacht?«

»Nichts«, antwortete Sendig. »Ein kleiner Unfall. Es ist alles in Ordnung, danke. Nichts passiert.«

»Nichts passiert?!« keuchte der Mann. Dann schlug der Ausdruck von Fassungslosigkeit auf seinen Zügen in jähes Erschrecken um. »He - ihr... ihr seid überhaupt keine Sanitäter. Hier stimmt doch was nicht!«

»Ich sagte doch, es ist alles in Ordnung«, wiederholte Sendig. Er wandte sich dem Mann vollends zu, und diesmal hielt seine Verkleidung nicht einmal mehr einem flüchtigen Blick stand. Unter der viel zu großen orangeroten Jacke sah die Hälfte seines Mantels hervor, und er hielt immer noch die Pistole in der linken Hand.

»Ihr... ihr seid gar keine Sanitäter!« wiederholte der Pförtner hysterisch. »Hier ist doch was faul. Ich... ich rufe die Polizei!«

»Tun Sie das«, riet ihm Sendig. »Aber verschwinden Sie endlich.«

Er hob seine Waffe, nicht einmal sehr weit, vielleicht um zehn Zentimeter, so daß sie noch lange nicht auf sein Gegenüber deutete, aber die Bewegung reichte trotzdem, den Mann aus seiner Erstarrung zu reißen. Er keuchte erschrocken, ließ die Taschenlampe fallen und stürmte davon.

»Los jetzt!« sagte Sendig. »Bremer!«

Bremer verstand. Ohne auf Marks schwache Proteste zu achten, ergriff er ihn wieder auf die gleiche Art wie gerade und zog ihn auf die offenstehende Tür des Laborgebäudes zu. Sendig folgte ihnen in einem Schritt Abstand, sah sich aber im Laufen immer wieder um. Von irgendwelchen Verfolgern war noch nichts zu sehen, aber daß sie niemanden sahen, mußte nicht bedeuten, daß sie nicht gesehen wurden. Außerdem wurde in der Fabrik gearbeitet. Hinter einigen Fenstern brannte Lacht, und Bremer hörte das Geräusch ferner laufender Maschinen, Er ertappte sich bei dem Gedanken, daß es ein Fehler gewesen war, den Pförtner gehen zu lassen. Er machte sich keine Sorgen darum, daß er die Polizei rief - was immer dort unten im Keller auf sie wartete, sie würden garantiert zu spät kommen, um noch irgend etwas zu ändern -, aber er hatte wenig Lust, sich mit einem Dutzend aufgebrachter Arbeiter herumzuschlagen, die ihre helle Freude daran hatten, zwei vermeintliche Einbrecher auf frischer Tat zu schnappen.

Kurz bevor sie die Tür erreichten, blieb Mark plötzlich stehen. Bremer spürte, wie er sich für einen Sekundenbruchteil versteifte und dann am ganzen Leib zu zittern begann. »Was ist los?« fragte er erschrocken.

»Sie... sie kommen«, murmelte Mark. »Sie kommen hierher!«

Bremer sah sich instinktiv erschrocken um. Der Pförtner verschwand gerade in diesem Moment in seinem Torhäuschen, aber der Hof war immer noch leer. »Wer?« fragte er.

»Sie kommen«, wiederholte Mark. »Sie... sie kommen mich wieder holen.«

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