37. Kapitel

Er hatte die Schritte bereits gehört, als sie die Treppe heruntergekommen waren, aber Sillmann drehte sich erst herum, als die Männer den Keller betraten. Sie waren zu dritt - Berger und zwei andere, die er nicht kannte, die sich aber auf die gleiche Weise ähnelten wie alle, die er jemals in Bergers Begleitung gesehen hatte. Sie waren groß und kräftig, und ihre kantigen Gesichter und der harte Ausdruck in den Augen suggerierten eine fehlende Intelligenz, die sehr wohl da war, sich nur sorgsam verbarg. Männer wie Berger würden keine Dummköpfe in ihrer Nähe dulden. Vielleicht war das, was er für einen Ausdruck mangelnder Intelligenz hielt, auch nur der Blick von Männern, denen sorgsam und mit Erfolg jede Spur von Gewissen wegtrainiert worden war.

»Sie kommen spät«, sagte er. »Ich habe schon eher mit Ihnen gerechnet.« Berger - der Name klang so falsch, daß er beinahe schon wieder echt sein konnte - funkelte ihn zornig an. Seine Augen wirkten intelligent, aber auf eine Art, die Sillmann von der ersten Sekunde ihrer Bekanntschaft an angst gemacht hatte und es noch immer tat.

»Es gab... ein paar Schwierigkeiten«, sagte er.

»Schwierigkeiten?« Sillmann lächelte dünn. »Hat er ihre Männer abgehängt?«

In Bergers Augen blitzte es noch wütender auf, aber noch beherrschte er sich. »Ja«, sagte er gepreßt. »So könnte man es nennen.«

»Er hat sie umgebracht«, vermutete Sillmann. Diesmal antwortete Berger nicht.

Statt dessen kam er mit langsamen Schritten näher, blieb zwei Meter vor Sillmann stehen und deutete auf Petri, der zusammengekauert in einer Ecke saß und aus leeren Augen in die Unendlichkeit starrte. »Was ist mit ihm?« fragte er.

»Er hat auch Schwierigkeiten«, antwortete Sillmann. Er hatte die linke Hand noch immer in der Manteltasche, und sie umklammerte noch immer den Griff der kleinen Pistole, die er vorhin aus dem Handschuhfach genommen hatte. Er hatte die Waffe entsichert, als er Bergers Schritte draußen auf der Treppe hörte, aber er bezweifelte trotzdem, daß sie ihm etwas nutzen würde. Die beiden Burschen hinter Berger beobachteten ihn mißtrauisch, und Sillmann wußte, wie gefährlich diese Männer waren. Einer von beiden würde ihn wahrscheinlich erwischen, entweder mit einer Waffe oder sogar mit bloßen Händen. Sillmann beschloß, Berger als ersten zu erschießen, wenn es sein mußte.

»Sie hatten schon immer einen Hang zu melodramatischen Szenen, wie?« fragte Berger. »Konnten Sie sich keinen anderen Ort für dieses Treffen aussuchen?«

Sillmann sah jetzt, daß das, was er für mühsam unterdrückten Zorn gehalten hatte, in Wahrheit Nervosität war. Die Erkenntnis überraschte ihn. Berger hatte niemals irgendeine menschliche Regung gezeigt, die über Ärger oder Hohn hinausging, so lange sie sich kannten. Aber vermutlich hatte er so etwas wie heute auch noch nie erlebt. Sillmann war jetzt sicher, daß er mit seiner Vermutung ins Schwarze getroffen hatte. Bergers Männer waren tot.

»Das hier ist der einzige Ort«, sagte er. »Er wird hierherkommen.«

»Woher wollen Sie das wissen?« fragte Berger.

»Ich weiß es eben«, antwortete Sillmann. »Sind Sie allein, oder haben Sie draußen noch Leute postiert?«

»Natürlich«, sagte Berger voller Zynismus. »Die komplette GSG 9 ist auf dem Gelände verteilt, und über den Wolken wartet eine Hubschrauberstaffel auf den Einsatzbefehl.« Er lachte. »Keine Angst - wir werden mit ihm fertig. Wofür halten Sie diesen Jungen? Für Superman?«

Ich wollte, ich wüßte es, dachte Sillmann. Laut sagte er: »Die Frage ist, wofür Sie ihn halten.«

»Ich?« Berger machte erregt einen Schritt auf ihn zu und gleich wieder zurück - vielleicht die Sicherheitsdistanz eines Menschen, der es gewohnt war, nicht nur mit Worten zu kämpfen. »Das werde ich Ihnen sagen, Sillmann! Ich halte ihn für genau das, was er ist - ein Monstrum, ein gefährlicher Geisteskranker, ein Amokläufer. Und genauso werden wir ihn behandeln, wenn er hier auftaucht.«

»Sie werden ihn nicht anrühren«, sagte Sillmann ruhig. »Er ist mein Sohn.«

»Ja, das hat Frankenstein damals wahrscheinlich auch gesagt«, antwortete Berger zynisch. »Er ist ein verdammtes Ungeheuer! Und Sie haben es erschaffen. Sie und dieser Idiot Löbach. Ihr Sohn? Er kann sein, wer er will. Für mich ist er ein Monster, und genauso werden wir ihn auch behandeln, wenn er herkommt. Er hat fünf meiner Leute umgebracht, einfach so.«

»Sie wollen ihn töten«, sagte Sillmann ruhig. Er schüttelte den Kopf und sah sekundenlang nachdenklich auf die zusammengekauerte Gestalt an der Wand neben sich herab. »Davon abgesehen, daß ich nicht glaube, daß Sie das schaffen - dann wäre alles umsonst gewesen.«

»Hören Sie auf, Sillmann!« fauchte Berger. »Das zieht nicht mehr. Sie haben uns lange genug hingehalten.«

»Ich werde nicht -«

»Sie werden gar nichts mehr!« fiel ihm Berger in schneidendem Tonfall ins Wort. »Es ist vorbei, haben Sie das immer noch nicht begriffen? Das Projekt ist gestoppt. Wir sind hier, um die Akte endgültig zu schließen, aus keinen anderen Grund. Was denken Sie, habe ich vor - zuzusehen, wie er weiter durch die Gegend rennt und Menschen umbringt?«

»Aber ich kann ihn aufhalten!« sagte Sillmann.

Berger schnaubte. »Oh, das können wir auch. Und, mit Verlaub gesagt, besser.«

»Sie verstehen nicht«, sagte Sillmann. Er blieb noch immer ganz ruhig, sowohl nach außen als auch innerlich. Sie sprachen hier über seinen Sohn, sein eigenes Kind, und trotzdem empfand er nicht einmal wirklichen Schrecken bei dem Gedanken, daß Berger und seine beiden Begleiter hier waren, um ihn zu töten. Er würde es nicht zulassen, so einfach war das.

»Ich verstehe was nicht?« fragte Berger spöttisch. »Daß Sie uns seit sechs Jahren an der Nase herumführen? Wieviel haben Sie aus Washington kassiert, Sillmann? Fünf Millionen? Zehn? Oder war es mehr?«

»Darum geht es nicht«, sagte Sillmann. »Begreifen Sie doch! Damals war er einfach noch nicht soweit, aber jetzt ist er es! Er ist genau das, was Sie haben wollten!«

»Was?« fragte Berger. »Ist er der Terminator oder Alien?«

»Sie sind ein Idiot, Berger«, sagte Sillmann ruhig. »Sie haben nie verstanden, worum es wirklich ging, nicht wahr?«

»Ich verstehe immerhin, was dabei herausgekommen ist«, antwortete Berger. Die Beleidigung schien er nicht einmal zu registrieren. »Und ich werde es beenden.«

»Sie wollen tatsächlich aufgeben?« fragte Sillmann. »Jetzt? Nicht fünf Minuten bevor, sondern nachdem wir Erfolg gehabt haben?«

»Es ist vorbei, Sillmann«, sagte Berger noch einmal. »Endgültig.«

»Ja«, sagte Sillmann leise. »Das fürchte ich auch.«

Er beging nicht den Fehler, die Waffe zu ziehen, sondern feuerte durch den Stoff der Manteltasche hindurch. Die erste Kugel traf den Mann links von Berger und tötete ihn auf der Stelle, und der andere reagierte genau so, wie Sillmann erwartet hatte: Er versuchte nicht, eine Waffe zu ziehen, sondern warf sich mit einer blitzartigen komplizierten Drehbewegung nach rechts, die ihn zugleich aus der Schußbahn als auch in eine Position gebracht hätte, aus der heraus er Sillmann angreifen konnte.

Es wäre ihm zweifellos auch gelungen, hätte Berger nicht falsch reagiert. Er machte einen erschrockenen Schritt zurück und prallte gegen ihn. Der Mann geriet für einen winzigen Moment aus dem Gleichgewicht. Er fing sich sofort wieder, aber seine Bewegungen hatten etwas von ihrer Eleganz und Schnelligkeit verloren. Nicht viel, aber genug für Sillmann, die Pistole aus der Manteltasche zu ziehen und zweimal hintereinander abzudrücken.

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